Burg Canossa 1

Die Burg Canossa, Besitz der Markgräfin Mathilde von Tuszien/Toskana,
war Schauplatz des Bußgangs Heinrichs IV. im Januar 1077. Papst Gregor VII.
löste ihn daraufhin von der Exkommunikation.

Das 11. Jahrhundert

Kirchliche Reformen bis 1061 (Ende des Pontifikats Nikolaus' II.)

Die Reformklöster des 10. Jahrhunderts in Lotharingien (vor allem Gorze b. Metz) und im französischen Burgund (Cluny) begeisterten adlige Dynasten für ein strengeres religiöses Leben und schärften den Blick für Mißstände bei der sogenannten Weltkirche, das heißt bei den nicht in klösterlicher Gemeinschaft lebenden Klerikern der verschiedenen Weihegrade, die in ihrem Lebensalltag und ihrer pastoralen Aufgabe auf die Laien orientiert waren. Wenn die Ehelosigkeit der Priester auch in der westlichen Kirche (im Unterschied zum Ostchristentum, wo die Ehe als angemessener Status des Popen galt und gilt, und nur die höheren kirchlichen Ämter wie das Bischofsamt den Unverheirateten vorbehalten waren) immer als wünschenswert propagiert worden war, so gab es doch im niederen Klerus und bei den Landpriestern zahlreiche Verheiratete. Versorgung der Priesterwitwen und Waisen aus Kirchengut, das so zur Erblichkeit tendierte, waren Anlass auf Synoden in Italien seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts diesen Zustand anzuprangern, der im Gegensatz zum mönchischen Keuschheitsideal stand. Im Lauf dieses Jahrhunderts wird die Forderung nach dem obligatorischen Zö libat der Kleriker immer öfter und lauter erhoben. Neben die Zölibatsforderung für den Klerus trat seit etwa 1040 die Forderung nach Verbot der Simonie bei der Vergabe kirchlicher Ämter. Unter Simonie versteht man in Anlehnung an die Geschichte des Simon Magus (Apostelgeschichte 8,18ff) den Erwerb geistlicher Fähigkeiten und Ämter durch Einsatz materieller Leistungen. Der Begriff konnte enger verstanden werden, im Sinn von Erwerb geistlicher Ämter durch Geldzahlungen, oder weiter, indem die bei kirchlichen Amtsübertragungen wie bei allen Einsetzungsvorgängen üblichen Gegengeschenke oder aus der Amtseinsetzung resultierenden materiellen Pflichten als Simonie angesehen wurden. Die Forderung nach dem Verbot der Simonie zielte auf die Freiheit kirchlicher Amtsträger von Verflechtungen mit der Welt (libertas ecclesiae) und von Verpflichtungen gegenüber den Inhabern weltlicher Macht. Sie stand damit durchaus in einer Linie mit Zielsetzungen der klösterlichen Reformbewegungen. Zölibatsgebot und Simonieverbot zogen einen deutlichen Trennungsstrich zwischen Klerikern und Laien.

Die Dynamik der klösterlichen Reformbewegungen des 10. Jahrhunderts setzte sich im 11. Jahrhundert fort. Neben Cluny, dessen Ansehen (und Reichtum) stieg, und die lotharingischen Reformklöster traten in Frankreich St. Bénigne/Dijon, in Norditalien Fruttuaria, im Bergland zwischen Toskana und Emilia/Romagna Camaldoli, das eine Verbindung von eremitischem und zönobitischem Mönchtum experimentierte, in Deutschland in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Siegburg (nach dem Vorbild der consuetudines, d.i. Gebräuche von Fruttuaria) und Hirsau/Schwarzwald. Der Erfolg all dieser Reformklöster dokumentiert das Interesse von Laien, speziell auch adligen Förderern, an Formen intensiveren religiösen Lebens. Das Kloster Hirsau entwickelte im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts mit der Einrichtung der sogenannten Konversen (= Laien, die die innere Umkehr, die conversio, vollzogen hatten, in der Nähe des Klosters lebten aber ohne dessen Kommunität beizutreten) eine als Zwischenstufe zum Mönchtum für Laien besonders attraktive religiöse Lebensform. Das breite Interesse für religiöse Lebensweisen erklärt die Resonanz, die die kirchlichen Reformforderungen fanden.

Könige und Adel in Burgund, Frankreich und Deutschland/Italien förderten die Reformklöster. Die römischen Päpste dagegen gerieten seit dem Tod Kaiser Ottos III. (1002) wieder in Abhängigkeit zu den stadtrömischen Adelsfamilien, die die hohen Klerikerstellen an stadtrömischen Kirchen und die Würde des Bischofs von Rom und Papstes gern an eigene Familienmitglieder oder Gefolgsleute vergaben ohne besondere Rücksicht auf deren Eignung für das Amt. Persönliche Unzulänglichkeiten und Querelen zwischen den beiden in Rom führenden Familien der Tuskulanergrafen und Crescentier führten zwischen 1044 und 1046 zu Turbulenzen um das Papstamt mit Rücktritt Benedikts IX., Wahl Silvesters II., dessen Verdrängung und Wahl Gregors VI. Erst während seines Italienzuges erhielt der Salier Heinrich III. von diesen Vorgängen Kenntnis, berief auf seinem Weg nach Rom zur geplanten Kaiserkrönung in Sutri eine Synode ein, die dann in Rom weitertagte und Rücktritt bzw. Amtsenthebung aller drei Papstrivalen verfügte und zwar mit dem Argument, es sei bei der Erhebung Gregors VI. Simonie im Spiel gewesen und mit Kritik an der Amtsführung aller drei. Erstmals wurden so Reformforderungen an die Spitze der Kirchenhierarchie herangetragen. Gregor VI., den sicher ernsthaftesten der drei Rivalen, nahm Heinrich III. sicherheitshalber nach Deutschland mit, nachdem die Synode eine Papstneuwahl vollzogen hatte, die auf einen der Bischöfe des Reiches, Suidger von Bamberg, fiel. Er nannte sich als Papst Clemens II. (Clemens I. galt als Nachfolger des Petrus im römischen Bischofsamt). Dieser vollzog die Kaiserkrönung Heinrichs III., behielt neben dem Papstamt sein Bamberger Bistum bei - aus Sicherheitsgründen, als finanziellen Rückhalt und als Garantie seiner Unabhängigkeit gegenüber dem stadtrömischen Adel.

Mit Clemens II. begann eine Reihe aus Deutschland stammender Päpste (Damasus II. aus Brixen, Leo IX. aus Toul/Lotharingien, Victor II. aus Eichstätt), die zumindest zeitweise ihr Reichsbistum beibehielten, ihre Erhebung dem Kaiser verdankten und den Einfluss des stadtrömischen Adels zurückdrängten. Dass sich mit ihnen das schon gelegentlich zur Zeit Ottos III. praktizierte und bis heute bei den Päpsten übliche Verfahren durchsetzte, sich als Papst einen neuen Namen zu wählen, ist auch Ausdruck eines gehobenen Verständnisses vom Papstamt, das auch mit dieser Äußerlichkeit als ungleich höher als jedes Bischofsamt gewertet wurde und deswegen auch mit einem zusätzlichen Bischofsamt kombinierbar erschien. Mit dem Papstamt wurde dessen Inhaber sozusagen zu einer neuen Person, dem Vertreter Gottes auf Erden. Die Namenwahl konnte ein Programm sein. Die Verstärkung des hierarchischen Vorrangs und des universellen Anspruchs des Papsttums wird in den folgenden Jahren deutlich. Dies alles vollzog sich mit Hilfe des Kaisers und zum Wohle der Kirchenreform.

Auffällig sind die kurzen Amtszeiten dieser Reformpäpste im ungewohnten römischen Umfeld. Für Leo IX. (1048-1054) sind erstmals die Mechanismen genauer erkennbar, mit denen er, der aus dem Kreis der lotharingischen Klosterreform stammte, die Reformgedanken in Rom und in der Gesamtkirche zu verankern suchte. Er begann, die wichtigen stadtrömischen Klerikerpositionen, sogenannte Kardinalpriester und Kardinaldiakone, deren Besetzung bisher weitgehend den stadtrömischen Familien oblegen hatte, mit Anhängern der Reform, die er aus Lotharingien mitgebracht hatte, zu besetzen. Dies galt auch für die Kardinalbistümer, die sieben im engeren Umkreis Roms gelegenen sogenannten suburbikarischen (sub urbe Roma) Bistümer. Damit formte er die Gruppe der Kardinäle, die seit Alters in Rom den Papst liturgisch unterstützende und gegebenenfalls auch vertretende Funktion hatte, zu einem wirklichen Kollegium um, das die Kirchenreform förderte und diese in Rom über die Amtszeit des Papstes hinaus verankerte. Auf zahlreichen, von ihm besuchten und geleiteten Synoden machte er die Forderungen nach Ehelosigkeit der Priester und Verbot der Simonie in der lateinischen Christenheit bekannt und bekräftigte das Bewußtsein vom päpstlichen Vorrang in Kirchenrechts- und Glaubensfragen. Die rigorose Durchsetzung der Reformforderungen zog zahlreiche Probleme nach sich. Bestehende Priesterehen sollten gelöst werden, aber was geschah mit den Priesterfamilien? Wenn ein Kleriker sein Amt auf simonistische Weise erhalten hatte, war er dann überhaupt jemals rechtmäßig Kleriker gewesen? Galt die ihm erteilte Weihe? Galten die von ihm erteilten Sakramente? Das Studium von kirchenrechtlichen Texten und Kirchenvätern erhielt neue Impulse. Die seit Beginn des 11. Jahrhunderts fortschreitenden militärischen Erfolge der Seehandelsstädte Genua und Pisa gegen die muslimischen Sarazenen auf Sizilien und deren Stützpunkte auf Sardinien und Korsika, sowie die Waffenerfolge der Normannen auf dem süditalienischen Festland, auf die wir noch zurückkommen werden, warfen die Frage nach der zukünftigen kirchlichen Zugehörigkeit Süditaliens und Siziliens auf, auf die sowohl Rom als auch (seit der Mitte des 8. Jahrhunderts) der Patriarch von Konstantinopel Anspruch erhob.

Dies war der Hintergrund einer römischen Legation unter Führung Humberts, eines engen, aus Lotharingien mitgebrachten Vertrauten des Papstes, den dieser zum Kardinalbischof von Silva Candida und zum Erzbischof von Sizilien erhoben hatte, nach Konstantinopel zum byzantinischen Kaiser und zum Patriarchen Michael Kerullarios. Dem römischen Vorranganspruch wollte der Patriarch sich nicht beugen. Priesterzölibat, liturgische Differenzen, unterschiedliche Abendmahlspraxis (Azyme) und ein seit der Karolingerzeit im Westen dem auf den oekumenischen Konzilien von Nikaea (325) und Chalkedon (451) formulierten Glaubensbekenntnis hinzugefügter Zusatz (filioque) waren die Streitpunkte, die 1054 in Form einer feierlichen gegenseitigen Exkommunikation zur Spaltung der östlichen und westlichen Christenheit führten, die trotz aller Versuche bis heute nicht geheilt wurde.

Leo IX. hat diesen demonstrativen Akt nicht mehr erlebt. Die Normannenfrage blieb ungelöst. Die Nachfolge Leos verlief in den seit 1046 eingespielten Bahnen. Erst nach dem Tod Heinrichs III. 1056 und dem Tod von Leos IX. Nachfolger, Victor II., 1057 bahnte sich ein fundamentaler Umschwung an mit dem Ergebnis: Stärkung des Kardinalskollegiums, weiteres Zurückdrängen der Stadtrömer bei der Papstwahl, Festigung der Reformpartei auch ohne und schließlich gegen den Kaiser.

Der Tod des Papstes Victor II. beendete das Jahrzehnt des kaiserlichen Einflusses auf die Papsteinsetzung, der Zusammenarbeit zwischen Reformpäpsten und Kaiserhof und den Schutz Victors über den noch im Kindesalter stehenden Kaisersohn Heinrich (IV.). Dessen Mutter Agnes und ihre Berater verloren zunehmend den Kontakt zur Reformgruppe in Rom, so dass diese sich andere Schutzherren suchte. Wichtig wurde für die Reformgruppe, deren Angehörige zu einem beträchtlichen Teil mit Leo IX. aus Lotharingien gekommen waren, der Rückhalt bei dem Herzog Gottfried (dem Bärtigen) von Lothringen, der seit seiner Heirat mit Beatrix von Tuszien 1054 nicht nur Herr der Markgrafschaft Toskana war, sondern auch über deren umfängliche Eigenbesitzungen und Rechte bis in die Emilia-Romagna und Poebene verfügte. Der Bruder Gottfrieds, als Lütticher Kleriker mit Leo IX. nach Rom gekommen und dort schließlich zum Kardinalpriester eingesetzt, Friedrich, wurde von der Reformgruppe zum Nachfolger Victors II. gewählt und nannte sich als Papst Stephan IX. Seine Papsterhebung wurde der Kaiserin Agnes angezeigt; aktiven Einfluss hatte sie darauf ebenso wenig wie auf die Vorgänge nach seinem baldigen Tod. In seiner achtmonatigen Amtszeit bahnte Stephan IX. den Kontakt zur Aufstandsbewegung der Pataria in Mailand an, auf die noch zurückzukommen ist. Sein Tod eröffnete noch einmal für die Adelsfamilie der Tuskulanergrafen die Möglichkeit, einen Papst (Benedikt X.) nach ihren Wünschen zu erheben. Der römische Klerus war gespalten. Die Anhänger der Kirchenreform flohen aus Rom unter Gottfrieds Schutz in die Markgrafschaft Toskana und vollzogen dort in Siena die Wahl des Bischofs von Florenz zum Papst. Dieser nannte sich Nikolaus II. und konnte mit Gottfrieds militärischer Unterstützung und begleitet von den Reformanhängern in Rom einziehen und Benedikt X. zum Rückzug in ein Kloster veranlassen. Die allen Gepflogenheiten widersprechende Papstwahl außerhalb Roms nur durch eine Minderheit des römischen Klerus und ohne Beteiligung des römischen Volkes war für Nikolaus II. und seine Anhänger der Antrieb, auf der römischen Synode von 1059 ein Dekret beraten und verabschieden zu lassen, in dem Grundsätze für die Papstwahl festgelegt wurden. Dieses Papstwahldekret, das in zwei unterschiedlichen Fassungen überliefert ist, band die Papstwahl nicht mehr an den Standort Rom, räumte den Kardinälen ein Vorstimmrecht ein, reduzierte die Mitwirkung des römischen Volkes auf eine nachträgliche Zustimmung und verfügte zugunsten des Kindkönigs Heinrich IV. nur allgemein, dass ihm gegenüber honor et reverentia gewahrt werden sollten. Die Gruppe der Kardinäle, ein Beratergremium des Papstes seit Leo IX., wurde damit auch zum Wahlgremium unter Zurückdrängung von römischem Volk und Kaiser, deren Einflussmöglichkeiten für die Zukunft zwar nicht ausgeschlossen aber situationsabhängig wurden. Wie bei allen mittelalterlichen "Wahlen" bis zum 11. Jahrhundert ging man auch hier vom Grundsatz des Konsenses und der Einstimmigkeit aus. Die Fixierung der (bis heute praktizierten) Zweidrittelmehrheit der Kardinalsstimmen erfolgte erst nach den Schisma-Erfahrungen des 12. Jahrhunderts auf dem Laterankonzil von 1179. Der Übergang des Papstwahlrechtes an die Kardinäle, deren Ernennung der Einwirkung des Papstes unterlag, festigte die Reformpartei und trug zur Dauerhaftigkeit (aber auch zur Erstarrung) kirchlich-theologischer Tendenzen in Rom bei.

Die von Nikolaus II. einberufene römische Synode von 1059 behandelte neben der Papstwahl auch die Reformanliegen und ging in der Bekämpfung der Simonie einen Schritt weiter als bisherige Synodalbeschlüsse. Wohl schon 1058 hatte der Kardinalbischof Humbert von Silva Candida, der als Legat Leos IX. das Schisma zwischen Ost- und Westkirche von 1054 mitverantwortete, in seinen "Drei Büchern gegen die Simonisten" als Wurzel der Simonie die Tatsache ausgemacht, dass Laien überhaupt bei der Einsetzung von Klerikern mitwirkten. Seine Forderung nach einem Verbot der Laieninvestitur wurde von der Synode 1059 aber wohl nur mit Bezug auf den Niederklerus aufgenommen. Weder Humberts Schrift noch seine Forderung hat in den folgenden anderthalb Jahrzehnten viel Verbreitung gefunden. Erst seit 1078 wurde sie zur Kampfparole der Reformpartei.

Legaten Nikolaus' II. unter der Führung des Archidiakons der römischen Kirche Hildebrand, der aus Italien stammte, mit dem 1046 abgesetzten Gregor VI. ins Exil nach Deutschland gegangen und dort mit der lotharingischen Reform in Kontakt gekommen war, Mönch wurde und mit Leo IX. nach Rom zurückkehrte, handelten mit den Normannenführern Richard von Capua und Robert Guiscard 1059 die päpstliche Anerkennung von deren Eroberungen in Süditalien aus, sanktionierten das weitere normannische Vorgehen gegen die Sarazenen auf Sizilien und banden die beiden Normannenführer durch einen förmlichen Lehnseid an den Papst bzw. die Päpste. Der Anspruch der Päpste auf derlei weitreichende Entscheidungen in Süditalien resultierte letztlich aus der im 9. Jahrhundert entstandenen sogenannten "Konstantinischen Schenkung", auf die sich Nikolaus II. zwar nicht explizit berief, deren handschriftliche Verbreitung aber seit der Mitte des 11. Jahrhunderts deutlich zunimmt. Auch der Pakt zwischen Papst und Normannen ist wie das Bündnis mit Gottfried von Lothringen/Toskana und mit der Aufstandsbewegung der norditalienischen Pataria als eine Reaktion des Papstes und der Reformpartei auf das Fehlen des Rückhaltes beim Kaiser zu verstehen. Ganz nebenbei wurden mit der päpstlichen Lehnsvergabe an die Normannenführer auch Herrschaftsansprüche des östlichen und westlichen Kaisers auf Süditalien übergangen. Die seit 1059 von den Päpsten bis ins 14. Jahrhundert beanspruchte Lehnshoheit gegenüber den süditalienischen Normannen (und ihren Nachfolgern) in Süditalien/Sizilien macht auch deutlich, dass es der Reformpartei keineswegs um eine säuberliche Trennung von geistlich/kirchlicher und weltlicher Gewalt ging, sondern um die optimale Wahrnehmung des geistlich/kirchlichen Vorrangs sowohl in den Angelegenheiten der Kirche als auch gegenüber den Laien.

Deutschland und Italien bis ca. 1070

Da Kaiser Otto III. 1002 ohne Kinder zu hinterlassen gestorben war, gab es mehrere Anwärter auf die Königsnachfolge. In Italien wurde mit Arduin von Ivrea, einem Nachkommen Berengars von Ivrea, von Teilen des norditalienischen Adels ein eigener König erhoben, so dass die seit 951 bestehende Verbindung zwischen dem regnum Italien und dem regnum Deutschland auseinanderzubrechen drohte. In Deutschland setzte sich erst nach mühsamen Einzelverhandlungen und der auf einem Umritt nach und nach eingeholten Zustimmung der bisherige Bayernherzog Heinrich, Sohn Heinrichs "des Zänkers" und Enkel von Ottos I. Bruder Heinrich, als Nachfolger Ottos III. durch. Während die ältere Forschung eher die Unterschiede seiner Herrschaft zu der Ottos III. betont hat, stellt man heute stärker die Kontinuitäten und Anknüpfungspunkte heraus. Zu den Unterschieden gehört, dass es Heinrich II. erst in zwei Anläufen 1004 und 1014 gelang, Arduin zur Aufgabe seiner Ansprüche auf die Königsstellung im regnum Italien zu bewegen und dass er mit den Päpsten zwar zusammenarbeitete, aber keinen Einfluss mehr auf die Papsterhebung nahm. Gering einzuschätzen ist sein Interesse an Italien nicht: das dokumentieren seine zahlreichen Urkunden für italienische Empfänger, die meist zu ihm nach Deutschland reisten, um diese zu erwirken, und die Gerichtstätigkeit seiner Beauftragten in Norditalien. Auf dem zweiten Italienzug wurde er 1014 vom Papst in Rom zum Kaiser gekrönt. In Süditalien griff er sogar gegen Ende seiner Herrschaftszeit militärisch ein.

In Deutschland hat er stärker als seine Vorgänger die Zusammenarbeit zwischen König/Kaiser und Bischöfen ausgebaut. Erst unter ihm fand die Verzahnung zwischen königlicher Hofkapelle (= Hofgeistlichkeit) und Episkopat ihren Höhepunkt, indem nur noch frühere Mitglieder der Hofkapelle als Bischöfe eingesetzt wurden. In den Vorgang der Bischofseinsetzungen griff er auch gegen den Willen der jeweiligen Domgeistlichkeit (Magdeburg) bestimmend ein. Seine "Personalpolitik" bei der Besetzung der Bistümer zielte auf enge Kö nigsbindung, auf "Vernetzung" der Bischöfe untereinander, auf finanzielle Stärkung armer Bistümer dadurch, dass die eingesetzten Amtsinhaber ihnen eigenen Besitz übertragen sollten (Paderborn, Merseburg). Zugleich nutzte der König/Kaiser durch Aufenthalte in Bischofsresidenzen deren Ressourcen. Er förderte die Ausbreitung der lothringischen Klosterreform und begründete mit reichem Schenkungsgut das Bistum Bamberg, wo er auch beigesetzt wurde.

Seine Regierungszeit ist geprägt durch die langwierigen Kämpfe mit Boleslav von Polen (bis 1018), in denen es ihm schließlich gelang, dessen Ansprüche auf Böhmen abzuwehren und die Reichshoheit über die südlichen Elbmarken zu erhalten. Zur Durchsetzung dieser Ziele ging er das von den Zeitgenossen, besonders den Sachsen, hart kritisierte Bündnis mit den heidnischen Elbslaven (Liutizen) ein. Gegenüber seinem Onkel, dem König Rudolf III. von Burgund (Heinrichs II. Mutter war dessen Schwester) meldete er Nachfolgeansprüche an, die er sich von diesem erbrechtlich und lehnrechtlich zusichern ließ. Nicht mehr Heinrich II. (da Rudolf III. ihn überlebte), aber sein Nachfolger, der erste Salierkönig Konrad II., konnte darauf zurückkommen. Heinrichs II. Ehe mit Kunigunde (beide wurden später als Heilige verehrt) blieb kinderlos.

Nach dem Tod Heinrichs II. 1024 fiel die Wahl der Fürsten und Bischöfe auf den im mittelrheinisch/lotharingischen Raum begüterten Konrad, einen Nachfahren des Herzogs Konrad des Roten von Lotharingien und der Liutgard, der Tochter Ottos I. Wipo, der Hofhistoriograph Konrads II. wusste von dieser Verwandtschaft offenbar schon nichts mehr; jedenfalls erwähnt er sie nicht, aber sagt uns, dass sich Konrad II. zunächst mit einem jüngeren Vertreter seiner eigenen Familie einigen musste. Mit Konrad II. beginnt die Dynastie der fränkischen Kaiser oder Salier, deren Angehörige jeweils durch Königserhebungen eines Sohnes schon zu Lebzeiten die Nachfolge sichern konnten. Seit Heinrich III. und zunehmend unter Heinrich IV. sicherten sich die Fürsten dabei ihr Mitspracherecht, so dass nicht Erblichkeit sondern Königswahl im Bewußtsein blieb. Dem 11. Jahrhundert gehören die Salier Konrad II. (1024-1039), Heinrich III. (1039-1056) und Heinrich IV. (1056-1106) an. Sie alle wurden, wie auch die Königinnen/Kaiserinnen Gisela (Frau Konrads II.) und Bertha (Frau Heinrichs IV.) sowie früh verstorbene Kinder im Speyerer Dom beigesetzt, dessen Ausbau Konrad II. begann. Keines der vorhergehenden Königshäuser besaß eine solche zentrale Familiengrablege.

Die Regierungszeit Konrads II. bietet das Bild einer starken Königsherrschaft in den Bahnen seines Vorgängers. Schnell und zupackend wahrte der erste Salier die Herrschaft über Italien und das Kaisertum (1027), ließ in Deutschland vor seinem Romzug seinen Sohn Heinrich zum König wählen und setzte nach dem Tod Rudolfs III. (1032) die Nachfolgeansprüche in Burgund durch. Aus seiner Königszeit sind die ersten Rodungsvorgänge durch servientes auf Königsgut bezeugt. Ministerialen ursprünglich unfreier Herkunft begannen damit im Königsdienst aufzusteigen. Die wachsende Gruppe dieser Reichsministerialen wurde zu einer bedeutenden Stütze der Herrschaft der Salier und Staufer.

In Italien sah Konrad II. sich mit neuen Gegebenheiten konfrontiert. Erste Unruhen in Mailand, der wirtschaftlich aufstrebenden Metropole der Lombardei, deren Stadtherrschaft von einem mächtigen, selbstbewußten, dem Adel entstammenden Erzbischof beansprucht wurde, offenbarten Interessengegensätze zwischen der Gruppe der oberen Lehnsträger (Capitane) und der Untervasallen (Valvassoren). Aus der Gruppe der Capitane, die über reiches Allodialgut und längst erbliche Lehen in Stadt und Umland verfügten, stammten traditionell die Erzbischöfe und hohen Geistlichen der Mailänder Kirche. Die Valvassoren erstritten die Erblichkeit auch der Unterlehen, die Konrad II. ihnen verbriefte.

Veränderungen ganz anderer Art hatten sich in Süditalien vollzogen. Die Gefährdung des Seehandels im westlichen Mittelmeerraum durch sarazenische Piraten wurde durch militärische Erfolge der Hafenstädte Genua und Pisa schrittweise eingedämmt, die ihrerseits Stützpunkte auf Korsika und Sardinien errichteten. Dies war nur möglich durch gemeinschaftliches Handeln reicher Kaufherren, die gemeinsam Schiffe und deren Besatzungen anheuerten und militärisch sicherten. Hier wie in Mailand führten Gruppeninteressen zum gemeinsamen politischen und militärischen Handeln in den Städten. Für die Zeit Heinrichs II. ist die erste militärische Aktion von Normannen in Süditalien gegen sarazenische Angriffe bezeugt. Französischsprachige Normannen, die als Pilger von Jerusalem zurückkehrten, unterstützten den Fürsten und die Stadt Salerno im Abwehrkampf. Andere normannische Pilger (nach Jerusalem oder zur Grotte des Erzengels Michael auf dem Monte Gargano) kehrten in den folgenden Jahren nicht in die Normandie zurück, sondern blieben in Süditalien als Kämpfer im Dienst rivalisierender langobardischer Fürsten gegeneinander, gegen die Byzantiner und gegen die Sarazenen. Zur Zeit Konrads II. wurde dem Normannen Richard von seinem langobardischen Herrn die Grafschaft Aversa im Grenzbereich zwischen Neapel und Capua übertragen. Über Lehnsübertragungen und eigenmächtige Eroberungen wurden einzelne normannische Adlige in Süditalien seßhaft. Vor allem die Angehörigen der Familie Hauteville (in der Nähe von Coutances) taten sich seit den 40iger Jahren als Eroberer hervor.

Heinrich III. (1039-1056), der Sohn und Nachfolger Konrads II. hat die Veränderungen in Süditalien nicht durchgreifend beeinflusst. Als mit dem normannischen Ausgreifen auf Benevent der Papst Leo IX. seine Ansprüche und den Kirchenstaat bedroht sah, führte dieser Papst in Stellvertretung des Kaisers und ohne Erfolg Krieg gegen die Normannen. Die im vorigen Abschnitt erörterte Lehnsvergabe Süditaliens und Siziliens an die Normannenführer durch Papst Nikolaus II. im Jahr 1059 legalisierte und stabilisierte die Situation, indem sie kaiserliche und byzantinische Ansprüche ignorierte. Die Situation in Mailand blieb unsicher, aber die Problematik änderte sich. Eine von Adligen geleitete, aber von breiten Bevölkerungsmassen gestützte Bewegung, die Pataria (Herkunft des Namens ungesichert) machte sich kirchliche Reformforderungen zu eigen und rebellierte gegen den simonistischen und nicht zölibatär lebenden Mailänder Klerus. Zunehmend geriet auch dessen Reichtum in die Kritik und Forderungen nach Mitsprache bei den städtischen Angelegenheiten kamen ins Spiel. Heinrichs III. Herrschaft in Deutschland ist gekennzeichnet durch die Betonung des als Auftrag Gottes verstandenen Königtums. Dieses Konzept liegt auch seiner Schutzherrschaft über den Kirchenstaat, seinem Einwirken auf die Papsterhebungen und seiner Unterstützung der kirchlichen Reformanliegen zugrunde, von denen im vorigen Abschnitt die Rede war. In Deutschland stieß er auf vehementen Widerstand von Fürsten, vor allem (aber nicht nur) Gottfrieds von Lothringen. Die Königswahl seines Sohnes wurde nur unter Bedingungen konzediert. Wie sein Vater Konrad II. widmete er dem Ausbau der Königsstellung in Sachsen besondere Aufmerksamkeit und wahrte das dort von den Ottonen übernommene Reichsgut mit Hilfe der Reichsministerialen.

Sein früher und überraschender Tod eröffnete anderthalb Jahrzehnte unsicherer Herrschaft, in denen die im Ansatz schon vorher vorhandenen Probleme eskalierten. Personalentscheidungen der Kaiserin-Witwe Agnes bei Neubesetzungen von Herzogtümern erwiesen sich als unglücklich. Die Mailänder Pataria führte 1057 zu einer beschworenen Einung (iuramentum commune) gegen den Erzbischof und seinen als reformunwillig angesehenen hohen Klerus. Ihre Anführer wurden 1058 von Papst Stephan IX. in den päpstlichen Schutz genommen. Die Verbindung zur Reformgruppe in Rom und damit die Einwirkung auf die Papstwahl ging verloren. Als nach dem Tod Nikolaus' II. die Reformgruppe ohne Konsultation der Kaiserin einen neuen Papst (Alexander II.) wählte, unterstützten die Berater der Kaiserin sogar die Wahl eines Gegenpapstes. Das Schisma von 1061 machte das Zerwürfnis zwischen römischer Reformpartei und Regentschaft in Deutschland offenkundig. Im Episkopat in Deutschland wuchs der Widerstand. 1062 verdrängte Erzbischof Anno von Köln die Kaiserin aus der Regentschaft und wirkte auf eine Beendigung des Schismas hin, die mit der Anerkennung Alexanders II. 1064 erreicht wurde. Seit 1065 löste sich der junge König Heinrich IV. allmählich von den bisherigen Regenten (neben Anno von Köln auch Erzbischof Adalbert von Hamburg/Bremen) und suchte sich eigene Berater. Die Hauptprobleme Anfang der 70iger Jahre waren für den jungen Heinrich IV. Unruhen in Sachsen, deren Ursachen Eigenständigkeitsbestrebungen des sächsischen Adels und allmählich rigorosere königliche Nutzung des Reichsgutes waren, und eine Doppelbesetzung des Erzbistums Mailand, da Heinrich IV. dem von der Pataria erhobenen (und von Papst Alexander II. gestützten) Erzbischof einen Gegen-Erzbischof entgegen gesetzt hatte. Alexander II. verhängte über die Berater des Königs wegen des Mailänder Schismas die Exkommunikation. Derweil weiteten sich die sächsischen Unruhen aus. Die Herzöge von Schwaben, Bayern und Kärnten schlossen sich dem Aufstand an.

Die iberische Halbinsel, Frankreich, England und Skandinavien

Die christlichen Rückzugsgebiete im bergigen Norden der iberischen Halbinsel hatten im 9. und 10. Jahrhundert kaum überregionale Bedeutung. Im Königreich Asturien im Nordwesten, das die westgotische Tradition am intensivsten wahrte und in das nach und nach zahlreiche Christen aus dem muslimisch beherrschten Süden einwanderten, wurde das zwischen 820 und 840 aufgefundene angebliche Grab des Apostels Jakobus in Compostela schnell zu einem stark und überregional frequentierten Pilgerzentrum. Das baskische Gebiet um Pamplona (Navarra) war eine weitgehend selbständige Grafschaft. Der Nordosten von den Pyrenäen bis etwa Barcelona (Aragon) gehörte als Spanische Mark zum (West-)Frankenreich, die sich im Lauf des 10. Jahrhunderts von der Herrschaft der letzten Karolinger und ersten Kapetinger zunehmend löste. Die kirchlichen Zentren dieser Spanischen Mark bzw. Grafschaft Barcelona, Bistümer (z. B. Vich) und Klöster (z. B. Ripoll), spielten eine wichtige Rolle für die Vermittlung arabischen mathematischen und naturwissenschaftlichen Wissens ins Westfrankenreich. Alle christlichen Rückzugsgebiete, vor allem aber das Königreich Asturien, standen in ständigem Abwehrkampf gegen die Muslime, in dessen Verlauf die Südostgrenze Asturiens als Grenzmark organisiert und mit Kastellen ( "Kastilien") versehen wurde. Während zunächst Oviedo die Residenzstadt der asturischen Könige war, konnte die Hauptstadt Anfang des 10. Jahrhunderts nach León verlegt werden.

Der politische, kulturelle und wirtschaftliche Schwerpunkt der Halbinsel lag jedoch im 10. Jahrhundert eindeutig im muslimisch beherrschten Süden. Die Führungsschicht der muslimischen Araber residierte vornehmlich in den Städten Andalusiens und verwalteten von dort die reichen Grundbesitzungen in den andalusischen Ebenen der Baetica, während die muslimischen Berber als Landbesitzer das städtelose Bergland Mittelspaniens bevorzugten. Nach aufreibenden innermuslimischen Konflikten gelang es den Kalifen Abdarrahman III. (912-961) und al-Hakam II. (961-976) und danach dem Minister Almanzor ( "der Siegreiche") eine starke Herrschaft aufzubauen un die Eroberungen auszuweiten und zu sichern. Begünstigt wurde diese Stärkung der Stellung der omajadischen Kalifen von Cordoba dadurch, dass im islamischen Herrschaftsbereich südlich des Mittelmeeres Anfang des 10. Jahrhunderts die abbassidischen Kalifen von Bagdad durch die Fatimiden von Kairo abgelöst wurden, die sich innerer Widerstände zu erwehren hatten. Intensive Handelsbeziehungen zwischen Spanien, dem Magreb und bis zum Sudan sorgten für Zufuhr von Gold, Elfenbein und Sklaven nach Spanien. Arabische, jüdische und fränkische Händler vertrieben Sklaven aus Mittelosteuropa und dem östlichen Mittelmeerraum ins Kalifat von Cordoba. Die auf den Eroberungszügen eingebrachte Beute, die Tributleistungen der christlichen Herrschaftsbereiche Nordspaniens aber auch die entwickelte Landwirtschaft (Bewässerung) und gewerbliche Produktion (Stoffe, Leder, Seide, Metallwaren) der spanischen Muslime selbst schufen eine florierende Wirtschaft, die kulturelle Höchstleistungen in den Bereichen Architektur, Literatur und Wissenschaft möglich machte.

Auseinandersetzungen zwischen den Nachkommen des Ministers Almanzor und des Kalifen Abderrahman brachten seit dem ersten Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts den schnellen politischen Niedergang des Kalifats von Cordoba und begünstigten den Wiederaufstieg der christlichen Reiche des Nordens. Aber auch in der Zeit der sogenannten Almoravidenreiche (1062-1145) blieb der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen Südspanien und Nordafrika und damit die Goldzufuhr erhalten. Die Goldmünzen der Almoravidenreiche, morabotini, waren im gesamten Mittelmeerhandel geschätzt. Bei der nun verstärkt einsetzenden "Reconquista", der christlichen Rückeroberung ehemals an die Muslime verlorener Gebiete, ihrer Besiedlung und Rechristianisierung hatte das Königreich Asturien-León-Kastilien im 11. Jahrhundert die Führungsrolle. Unter dem König Sancho II. von Kastilien (1065-1072) erfocht in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts Rodrigo Diaz el Vivar, den die spanische Legende und Literatur als el Cid (arab. "sidi" = Herr) kennt, seine militärischen Erfolge - übrigens nicht nur gegen Muslime sondern auch gegen christliche Feinde des Königs von Kastilien, und mehrfach auch im Bündnis mit rebellierenden Muslimen. Die christliche Oberherrschaft konnte bis zur Mitte der Halbinsel ausgedehnt (Valencia-Toledo-westwärts) und dauerhaft gehalten werden. Neben den christlichen Königen von León-Kastilien, den Schutzherren des Pilgerzentrums von Santiago de Compostela, spielten die Könige von Navarra und Aragon eine geringere Rolle. Die Könige von Aragon suchten früh den Kontakt zu den Reformpäpsten. Päpstliche Legaten trugen die Gedanken der Kirchenreform nach Spanien, wie umgekehrt die Kampfhaltung der Reconquista nicht ohne Auswirkung auf die Ende des 11. Jahrhunderts unter Förderung der Reformpäpste Gregor VII. und Urban II.entstehende Kreuzzugsbewegung blieb. Zwischen dem katalanischen Adel (Grafschaft Barcelona) und dem Adel des Languedoc und der Provence bestanden politische und dynastische Kontakte aus westfränkischer Tradition, die die Vorstellungen der christlichen Reconquista, des Kampfes gegen die Muslime, in die Fürstentümer nördlich der Pyrenäen vermittelten. Beim Grafen Raimund von Toulouse hielt sich Papst Urban II. auf, ehe er im November 1095 von Clermont aus zum Kreuzzug aufrief, und Raimund von Toulouse (St. Gilles) war einer der prominentesten Anführer des 1. Kreuzzugs.

Die tatsächliche Herrschaft der kapetingischen Könige von Frankreich beschränkte sich auf den Norden des Landes im und um den Bereich der Krondomäne zwischen Laon, Paris und Orléans. Mitspracherechte bei den Bischofseinsetzungen hatten sie über die Krondomäne hinaus in einer Reihe weiterer Bistümer Nord- und Mittelfrankreichs. Die lehnrechtliche Zugehörigkeit der großen Fürstentümer im Norden und Süden, Herzogtümer Bretagne und Normandie, Grafschaften Flandern und Champagne, Loiregrafschaften, Herzogtümer Burgund und Aquitanien, Grafschaften Toulouse und Poitou um die wichtigsten zu nennen, zur Herrschaft der frühen Kapetinger manifestierte sich kaum in deren militärischer Gefolgschaft oder durch Besuche beim König, wohl aber bei den Königserhebungen, bei den förmlichen Belehnungen der fürstlichen Erben und durch die Wahrnehmung der Lehnsvormundschaft vonseiten des königlichen Herrn im Fall der Unmündigkeit männlicher Erben oder der Nachfolge der Witwe oder Tochter. Durch dynastische Verbindungen mit den Fürstengeschlechtern suchten die kapetingischen Könige und Prinzen ihre Gefolgschaft zu festigen. Adlige Streitigkeiten und unsichere Herrschaftssituationen führten zu zahlreichen, die Bevölkerung belastenden Kriegshandlungen, gegen die die Kirche, Bischöfe und Synoden, durch Verkündung verpflichtender "Gottesfrieden" vorzugehen versuchten. Gottesfrieden sollten wenigstens die Sonn- und Feiertage, die Ruhe- und Einkehrzeiten des Kirchenjahres wie Advent und Fastenzeit sichern und heiligen. Für die zahlreichen Klöster des Kö nigreiches, vor allem die besonders im Süden verbreiteten der cluniazensischen Reform, für die Domschulen an den Bischofskirchen des Nordens und Ostens, vor allem die Domschulen von Laon, Paris, Reims und Chartres und ihre zahlreicher werdenden und von weit her anreisenden Schülerscharen, und natürlich auch für den Handel war die Sicherheit der Wege und der Schutz des Besitzes lebensnotwendig. Im Episkopat baute der Erzbischof von Reims seine Vorrangstellung aus, dadurch dass er immer dezidierter das Recht der Königssalbung für sich beanspruchte. Am ausführlichsten sind uns in diesem Jahrhundert Wahl und Salbung 1060 für den noch im Kindesalter stehenden Kapetinger Philipp I. bezeugt. Obwohl an der Königswahl festgehalten wurde, etablierte sich faktisch dadurch, dass stets ein männlicher Erbe zur Verfügung stand, und durch Designation und Mitkönigserhebung zu Lebzeiten des königlichen Vaters die Erblichkeit des Königtums.

Für England war das 11. Jahrhundert eines der turbulentesten seiner Geschichte. Die Eroberungen der Dänenkönige Sven und Knut in den Jahren 1009 bis 1014 und der Tod des angelsächsischen Königs Aethelred und seines Sohnes Edmund kurz hintereinander im Jahr 1016 eröffneten Knut die unangefochtene Nachfolge der Könige von Wessex. Norwegen, Dänemark und England unterstanden seiner Königsherrschaft. Er ließ sich taufen und heiratete die Witwe König Aethelreds, Emma, Schwester Herzog Richards II. von der Normandie. Während Emma 1017 zum Zweck der Heirat nach England, aus dem sie mit ihrem kleinen Sohn Eduard nach dem Tod ihres Mannes Aethelred geflohen war, zurückkehrte, blieb ihr Sohn Eduard in der Normandie. Die Dänenherrschaft über England überdauerte den Tod Knuts (1035). Zwei Söhne folgten Knut nacheinander, der zweite von ihnen, Hardeknut, aus Knuts Ehe mit Emma. Als Hardeknut 1042 starb, wurde seinem Wunsch entsprechend sein Halbbruder Eduard aus der Normandie nach England zurückgeholt und dort als König akklamiert. Eduard wurde später wegen seiner Frömmigkeit der Beiname "der Bekenner" beigelegt. Schon er brachte zahlreiche normannisch-französische Ratgeber und Geistliche nach England mit. Seine Königszeit ist durch innere Unruhen geprägt, geschürt durch die Bevorzugung der Normannen und durch seine Kinderlosigkeit. Als er 1066 starb, gab es zwei Hauptanwärter auf die Nachfolge: den Herzog Wilhelm von der Normandie, Enkel Richards II., des Onkels Eduards, und den mächtigsten Adligen angelsächsischer Herkunft, Harald Godwinson von Wessex. Darüber hinaus nutzte auch ein Nachfahr des norwegisch-dänischen Königsgeschlechts die Unsicherheit der Situation, um Ansprüche geltend zu machen. Harald Godwinson wurde zunächst vom angelsächsischen Adel als König anerkannt und gekrönt, konnte auch den norwegischen Prätendenten besiegen, aber unterlag den Truppen Wilhelms von der Normandie, Lehnskontingenten und Söldnern, bei Hastings. König Harald fiel in der Schlacht und Wilhelm ( "der Eroberer") wurde in Westminster zum König von England gekrönt. Der angelsächsische Adel leistete über zwanzig Jahre heftigen, nach und nach gebrochenen Widerstand. Die kriegerische Durchsetzung der normannischen Herrschaft hatte für England tiefgreifende Folgen.

Die adlige wie kirchliche Führungsschicht wurde im Lauf der Herrschaft Wilhelms (1066-1087) fast vollständig ausgewechselt. An die Stelle der Angelsachsen traten im Adel französisch-sprachige normannische "Barone", die die eroberten Ländereien als Lehen aus der Hand des neuen Königs erhielten, der sich im übrigen den Mammutanteil an der eroberten Gütern sicherte. Erst jetzt wurde das vom Festland übernommene Lehnswesen als strukturelles Element der Gesellschaft auf der Insel vollständig durchgeführt. Das Französische blieb bis ins 14. Jahrhundert die Sprache des Hofes und der adligen Führungsschicht. Das Angelsächsische, seit dem frühen Mittelalter Schriftsprache im Bereich des Rechts und der Literatur, in dem seit dem 9. Jahrhundert auch historiographische Werke (die Angelsächsische Chronik) verfasst wurden, bestand fort als gesprochene Sprache des Volkes. Die angelsächsische Chronik wurde Mitte des 12. Jahrhunderts eingestellt. Die historiographischen Werke der anglo-normannischen Zeit wurden fortan nur noch lateinisch geschrieben. Aus der französischen Sprache der adligen Eroberer wurde nach und nach in die angelsächsische Volkssprache ein umfangreicher Wortschatz, vor allem im Bereich der abstrakten Begriffe, übernommen. Kulturell (auch hinsichtlich der Architektur und der Kirchenreform) orientierte sich das anglo-normannische England zum Kontinent. Die Kombination von unabhängiger Stellung als König von England und vom französischen König lehnsabhängiger Stellung als Herzog der Normandie schuf bis zum Spätmittelalter Probleme.

Einer akuten skandinavischen Bedrohung und der Absicht Wilhelms des Eroberers, einen Überblick über Einkünfte und Reichtum des Landes zu erhalten, verdanken wir die einmalige Quelle des sogenannten Domesday Book von 1086, einer nach Grafschaften vorgenommenen Aufzeichnung von Königsgut, Kirchengut und Adelsgut des Landes, erstellt auf der Grundlage von rechtlich abgesicherten Befragungen durch Beauftragte des Königs. Das Domesday Book verzeichnet die Nutzungsweisen des Landes (Acker, Wiese/Weide, Wald), dessen Bearbeitungsweise, dessen Herren (namentlich), die Anzahl der mehrfach sozial abgestuften Bauern. Es lässt die rechtlich-sozialen Unterschiede zwischen dem dänischen Siedlungsland nördlich der Themse und den angelsächsischen und jütischen (Kent) Kerngebieten erkennen, die größere Bevölkerungsdichte im Osten des Königreiches, der zugleich einen größeren Anteil an Freien aufweist, sowie Zahl und Anzahl der abgabenpflichtigen Haushalte der Städte. Da die Abgabenleistungen ( "geld") zur Zeit König Eduards (d.h. bis 1066), nach der Eroberung und zum Stichjahr 1086 erfasst werden, werden Verluste und Verwüstungen durch die Eroberung erkennbar, das Auswechseln der Besitzerschicht, aber auch die Kontinuitäten, wie etwa die "geld"-Abgabe als solche und die Orientierung der Abgabe auf den "manor" (manerium). Schließlich enthalten einige Aufzeichnungen der Leistungen der Städte auch rechtliche Fixierungen für das Leben der Einwohner, richtige kleine Stadtrechte.

Nach dem Tod Wilhelms des Eroberers 1087 wurde die Verbindung von Herzogtum Normandie und Königreich England vorübergehend gelöst, da die Normandie an Wilhelms ältesten Sohn Robert, England an den zweiten Sohn Wilhelm II. ( "Rufus") kam. Erst als der jüngste Bruder Heinrich (I.) 1100 Wilhelm II. in England nachfolgte und in aufreibenden Kämpfen bis 1106 auch Robert als Herzog der Normandie verdrängte, war die Verbindung England-Normandie wiederhergestellt.

Die Bindung Englands an den nordischen Raum, die die Geschichte der Insel vom 9. Jahrhundert an bestimmt hatte, brach mit der normannischen Eroberung ab. In Skandinavien festigten sich die Königreiche Dänemark, das schon seit dem Ende des 10. Jahrhunderts christlich wurde, Norwegen und Schweden, die sich im Lauf des 11. Jahrhunderts zunehmend der Christianisierung öffneten. Das seit Ende des 10. Jahrhunderts vorwiegend von Norwegen aus besiedelte Island wurde um 1000 christlich. Hier wurden im 12. und 13. Jahrhundert die altnordischen Sagenstoffe schriftlich aufgezeichnet, die eine wichtige Quelle unserer Kenntnis von Götter- und Heldenwelt der Germanen und von frühen germanischen Rechtsvorstellungen sind. Von Island aus erfolgte im 10. Jahrhundert unter Erich dem Roten auch die Erforschung und (teilweise) Besiedlung Grönlands. Nach der Erikssaga kam Leif, der Sohn Erichs des Roten, von Grönland aus um 1000 nach Nordamerika (Labrador, Neufundland). Handelsaustausch zwischen Grönland und Neufundland ist bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts nachweisbar, und archäologische Funde haben die Verbindung bestätigt.

Burg Canossa 2

Heinrich IV. lagerte im Januar 1077 mit seinem Gefolge vor der Burg Canossa,
deren Tore ihm erst am dritten Tag seines Bußgangs geöffnet wurden.
Die Burg ist heute eine Ruine im Apennin südlich von Reggio/Emilia.

Das Reformpapsttum und die Konflikte mit Heinrich IV. in Deutschland, Philipp I. von Frankreich und den anglonormannischen Königen

Nach dem Tod des Papstes Alexander II. im Frühjahr 1073 wurde schnell und vom römischen Volk aktiv unterstützt der Mönch und römische Kleriker Hildebrand, die "graue Eminenz" seit dem Pontifikat Nikolaus II., zum neuen Papst erhoben. Er nahm - in Anlehnung an den ersten Mönchspapst Gregor I. und an seinen Förderer, den 1046 abgesetzten Gregor VI. - den Namen Gregor (VII.) an und sandte Schreiben, die seine Erhebung bekannt machten, an mehrere Fürsten, u. a. auch an den König Heinrich IV. Das im Original erhaltene Papstregister (= Kanzleibuch, das die ausgehenden Schreiben und weitere von der Kanzlei für wichtig gehaltene Dokumente enthält) Gregors VII. hat uns diese "Antrittsschreiben" sowie weitere wichtige Dokumente erhalten. Der Schriftverkehr zu einigen strittigen Bischofseinsetzungen dokumentiert, dass Gregor zunächst eine Konflikteskalation zu vermeiden suchte, wenn er auch die Exkommunikation der Berater Heinrichs IV. bekräftigte. Das Register Gregors VII. enthält freilich ein auf März 1075 zu datierendes Dokument, den berühmten Dictatus papae, über dessen Charakter und Bedeutung viel gerätselt worden ist. In 27 knappen Leitsätzen enthält er kirchenrechtliche Grundsätze, die die Vorrangstellung des römischen Papstes in der kirchlichen Hierarchie, in Kirchenrechts- und Glaubensfragen prägnant formulieren. Bis auf zwei dieser Sätze wurden alle anderen in älteren Kirchenrechtssammlungen nachgewiesen, aber nirgendwo in dieser geballten Konzentration. Die zwei in früheren Texten nicht nachgewiesenen Sätze betrafen das Recht des Papstes, Kaiser abzusetzen und Untertanen vom Treueid gegenüber ungerechten Herren zu lösen. Sind sie auch nicht als Programm zu verstehen, so sollten sie doch bald für Zündstoff sorgen. Unterdessen spitzten sich die Konflikte in Deutschland zwischen 1073 und 1075 zu. Heinrich IV. gelang es im Spätsommer 1075, aus schwieriger Situation heraus einen durchschlagenden Sieg gegen die sächsische Opposition zu erringen; nun meinte er auch, das Mailänder Schisma zwischen dem von der Pataria und Rom gestützten Erzbischof und dem von ihm eingesetzten dadurch beenden zu können, dass er seinen bisherigen Kandidaten durch einen anderen ersetzte - freilich den Erzbischof der Pataria weiterhin ablehnte. Im Herbst 1075 hatte der König seine Stellung in Sachsen soweit gesichert, dass er es mit seinem Gefolge wagen konnte, Weihnachten in der sächsischen Pfalz Goslar zu feiern. Im Dezember 1075 entschloß sich Gregor VII. eine Gesandtschaft an Heinrich zu schicken, die ihm Vorhaltungen wegen der exkommunizierten Berater und der Mailänder Angelegenheit machen sollte. Der im Papstregister überlieferte Brief ist scharf mahnend und vorwurfvoll gehalten, aber der mündliche Auftrag der Gesandten ging weiter: sie sollten Heinrich ein Ultimatum setzen, in den strittigen Fragen bis zum Beginn der Fastenzeit 1076 nachzugeben, widrigenfalls ihm selbst die Exkommunikation angedroht wurde. Die Eilbedürftigkeit, die der Papst der Sache zumaß, wird durch die Umstände deutlich: eine berittene Gesandtschaft im Dezember über die Alpenpässe zu schicken, vermied man normalerweise. Die Boten des Papstes müssen sich enorm beeilt haben. Nach dem 8. Dezember von Rom aufgebrochen (von diesem Tag datiert der Papstbrief), erreichten sie am Neujahrstag Goslar. Der junge König reagierte auf die römische Botschaft schnell und heftig: zum 24. Januar 1076 berief er eine Synode der deutschen Bischöfe nach Worms ein; wiederum mussten sich die von Goslar ausgesandten Königsboten und natürlich auch die Bischöfe sputen - Zeit zu ruhiger Überlegung blieb nicht. Die Wormser Synode erklärte, dass Gregor (der im Schreiben als "Mönch Hildebrand" angeredet wurde) nicht rechtmäßig zum Papst erhoben worden sei, das angemaßte Amt schlecht ausgeübt und jetzt sogar den König angetastet habe, und forderte ihn zum Rücktritt auf. Eine förmliche Absetzung oder gar Papstneuwahl wurde nicht verfügt (das letzte wäre nach dem Papstwahldekret von 1059 auch unrealistisch gewesen), sodass man den Wormser Beschluß wohl nur als eine Drohung verstehen kann, die Gregor zum Einlenken veranlassen sollte. Boten mit dem Wormser Beschluss wurden (wiederum über die verschneiten Alpenpässe) nach Rom gesandt. Eine eilends zusammengetretene Synode lombardischer Bischöfe schloss sich den Wormser Beschlüssen an. Die Boten mit dem Wormser Schreiben erreichten Rom erst im Februar 1076, als dort die Synode bereits unter Vorsitz Gregors zusammengetreten war. Das Wormser Schriftstück löste Empörung aus und der Papst, auf römischem Boden und mit den eigenen Anhängern im Rücken, verkündete am folgenden Tag in einem feierlichen Gebet an den Hl. Petrus die Exkommunikation gegen Heinrich IV., dessen Absetzung als König und die Lösung der Untertanen vom Treueid.

Diese Maßnahme war beispiellos. Sie richtete sich gegen den imperator futurus, zu dessen traditionellen Funktionen der Schutz der Kirche und des Kirchenstaates gehörte. Sie verwies, wie jede Exkommunikation, den Betroffenen in den Status des Büßers, sonderte ihn aus der Gemeinschaft der Christen aus, die mit ihm keinen Umgang pflegen sollten (insofern waren die Absetzung und die Lösung der Untertanen vom Treueid logische Folgen der Exkommunikation) und bezweckte seine Bußfertigkeit und Unterwerfung unter die kirchliche Disziplin. In den Streitschriften der folgenden Jahre erregte besonders die Lösung der Untertanen vom Treueid Anstoß, weil der Eid als ein feierliches und öffentliches Versprechen im Angesicht Gottes und als jedem menschlichen Zugriff entzogen galt. Mit der Eidlösung stellte sich der Papst zwischen Gott und die Menschen wie mit der Exkommunikation zwischen Gott und den König (den "Gesalbten des Herrn").

Die eben erst besiegte Fürstenopposition formte sich schnell neu gegen den exkommunizierten König. Dass die Mehrheit des Episkopats in Deutschland zu Heinrich hielt, war nicht nur das Resultat der bislang praktizierten Einsetzungsweise, sondern auch des episkopalen Widerstandes gegen päpstliche Einwirkungsansprü che auf allen Ebenen der kirchlichen Hierarchie. Das Bemühen um die Bewahrung episkopaler Eigenständigkeit führte dazu, dass Heinrich auch im norditalienischen Episkopat viele Anhänger hatte und behielt. Im Oktober 1076 trafen sich die aufständischen Fürsten mit Bischöfen, die zu ihnen tendierten, und päpstlichen Legaten in Tribur nahe Frankfurt. Ein Gegenlager Heinrichs IV. und seiner Anhänger im benachbarten Oppenheim geriet schnell in die Defensive. Die aufständischen Fürsten wollten einen neuen König wählen, das aber verhinderten die päpstlichen Legaten. In Verhandlungen mit Heinrich wurde dessen Verzicht auf die Wahrnehmung der Königsgewalt bis zu seiner Lösung von der Exkommunikation, die bis zur kommenden Fastenzeit zu erfolgen hatte, vereinbart - widrigenfalls eine Königsneuwahl in Anwesenheit des Papstes, der sich dazu nach Augsburg begeben sollte, in Aussicht genommen wurde. Da durch Einschaltung von Gesandten die Exkommunikationslösung nicht zu erreichen war, machte sich Heinrich mit Familie und Gefolge im äußerst strengen Winter 1076/1077 auf den Weg nach Italien über die Westalpen, da die Herzöge von Schwaben, Bayern und Kärnten zu den Aufständischen zählten, erreichte die Lombardei über die Markgrafschaft Turin, die Heimat seiner Frau Berta, machte den mit militärischen Kontingenten herbeigeeilten lombardischen Bischöfen klar, dass er keinen Krieg sondern eine Zusammenkunft mit Papst Gregor beabsichtige und begab sich vor die Burg Canossa, im Apennin südlich von Reggio/Emilia gelegen, wo Papst Gregor bei der Markgräfin Mathilde von Toskana Aufnahme gefunden hatte. Dreimal erschien der König vor der Burg als Büßer, während unter der Obhut der Burgherrin Mathilde, der Markgräfin von Turin (Heinrichs Schwiegermutter), des Abtes Hugo von Cluny (Heinrichs Taufpate) und einiger deutscher Bischöfe Vermittlungsverhandlungen mit Gregor liefen. Am dritten Tag wurde Heinrich das Burgtor geöffnet und Gregor löste die Exkommunikation. Der Papst behauptete zwar später, er habe Heinrich keineswegs wieder als König anerkannt, aber faktisch behandelte er ihn nach Canossa wieder als König. Konkrete Vereinbarungen, etwa in der Mailänder Frage, sind offenbar nicht getroffen worden - Gregor handelte in seiner priesterlichen Funktion gegenüber dem bußfertigen Sünder. Mit der Fürstenopposition in Deutschland war das Verfahren zu deren Empörung nicht abgesprochen. Obwohl Heinrich nicht mehr unter Exkommunikation stand, vollzogen diese im März 1077, wenn auch nicht in Anwesenheit des Papstes so doch päpstlicher Legaten, die Wahl des Herzogs Rudolf von Schwaben zum (Gegen-)König.

Für wenige Wochen mochte es scheinen, als sei Heinrich die Aufspaltung seiner Gegner, Fürsten und Papst, gelungen. Längerfristig überwogen die für Heinrich negativen Konsequenzen der Vorgänge: er hatte sich dem päpstlichen Rechtsspruch gebeugt, den Papst als Mittler zwischen Gott und dem König akzeptiert. Dies war eine Zurücknahme von Ansprüchen der Gottunmittelbarkeit, obwohl Unterwerfungsakte den Zeitgenossen weniger anstößig sein mochten als uns heute.

Der Papst kam durch die Wahl des Gegenkönigs in die Lage sich entscheiden zu müssen. In Deutschland hielten die Kämpfe zwischen Heinrich und der Fürstenopposition an, vor allem - aber nicht nur - in Schwaben, das Heinrich Rudolf und seinem Sohn entzog und an Friedrich (von Staufen) gab. In diese Phase der neuerlichen Eskalation des Konfliktes fiel im November 1078 das erste, von einer römischen Synode eindeutig ausgesprochene Verbot gegenüber dem König als Laien, Bischöfe überhaupt einzusetzen (zu investieren). Das Verbot der sogenannten Laieninvestitur (=Einsetzung Geistlicher durch Laien) wurde von nun an der zentrale Konfliktstoff zwischen der gregorianischen Reformpartei und den Anhängern König Heinrichs. Obwohl das Problem auch für die Stellung anderer Könige, den von Frankreich und England zum Beispiel, relevant war, musste sich diese Reformforderung für den König in Deutschland und Italien, der zugleich imperator futurus war, bei seiner bisher starken Stellung gegenüber der "Reichskirche", deren Bischöfe ihn militärisch und politisch gestützt hatten, und bei seinem Schutzanspruch über Kirchenstaat und Papst besonders gravierend auswirken. Wegen des Investiturverzichts verhandelte Gregor mit Rudolf und Heinrich, erkannte schließlich auf der Fastensynode des Jahres 1080 Rudolf als König an und wiederholte die Exkommunikation gegen Heinrich IV., dem es bis zu seinem Tod nicht mehr gelang, sich von dieser zu lösen. Im Juni 1080 beriet eine Synode deutscher und italienischer Bischöfe in Brixen über die Wahl eines neuen Papstes. Für diese Funktion wurde der Erzbischof Wibert von Ravenna ausersehen, der allerdings auch nach eigenem Verständnis dafür der Zustimmung des Kardinalskollegiums und der förmlichen Einsetzung in Rom bedurfte. Ein Kriegszug Heinrichs nach Italien war daher unabdingbar. Im Oktober 1080 erlitt der Gegenkönig Rudolf in Sachsen in einem Kampf mit Heinrich und dessen Anhängern eine Verwundung, an der er starb: den Verlust der rechten Hand (der "Schwurhand", mit der er einst Heinrich den Treueid geleistet hatte). Dies verstanden die Zeitgenossen als Gottesurteil. Die Partei seiner Gegner war so zerstritten, dass die Wahl eines (im übrigen unbedeutenden) neuen Gegenkönigs auf sich warten ließ und Heinrich sich zwischen 1081 und 1084 in Italien aufhalten konnte, ohne dass es größere Probleme in Deutschland gab. Dreimal zogen die kaiserlichen Truppen gegen Rom, ehe die Stadt bis auf die Engelsburg, in der Gregor sich mit seinen Anhängern verschanzt hatte, genommen werden konnte. Wibert von Ravenna konnte eine Mehrheit der unteren Kardinalsränge (Kardinalpriester und -diakone) für seine Wahl gewinnen, von den Kardinalbischöfen jedoch nur einen, wurde in Rom förmlich als Papst (Clemens III.) eingesetzt und krönte Heinrich zum Kaiser, dessen Frau Berta zur Kaiserin. Auf Gregors Hilferufe an die süditalienischen Normannen, seine Lehnsmänner, reagierten diese erst nach Abzug des Kaisers. Sie befreiten Gregor aus der Engelsburg, plünderten Rom und nahmen Papst Gregor mit nach Salerno, wo er 1085 starb. Für einen kurzen Zeitraum sah es so aus, als hätten Heinrich IV. und Wibert-Clemens den Kampf gewonnen, zumal es Streit unter den Anhängern Gregors VII. gab. Aber die Gregorianer wählten 1086 einen neuen Papst und nach dessen frühem Tod 1088 den Cluniazenser Urban II., der sich als geschickt und handlungswillig erwies. Das Schisma zwischen zwei Päpsten und zwei Kardinalskollegien setzte sich in vielen Bistümern Norditaliens und in manchen Bistümern Deutschlands fort und endete erst nach dem Tod des Wibert-Clemens 1100. In Norditalien trugen die Bistumsschismen zum Abbau stadtherrlicher Rechte der Bischöfe und zur Verselbständigung der Stadtbürgerschaften bei.

Zwischen 1085 und 1090 traf Heinrich IV. in Deutschland Maßnahmen zur Festigung seiner Stellung, ließ unter anderem seinen Sohn Konrad zum König wählen. Dann aber riefen ihn die Erfolge Urbans II. nach Italien, und hier erlitt er in den 90iger Jahren nicht nur militärische Niederlagen sondern auch das Umschwenken seiner zweiten Frau und seines Sohnes Konrad auf die Gegenseite. Erst 1096 konnte er sich mit dem Bayernherzog aus dem Fürstengeschlecht der Welfen einigen und nach Deutschland zurückkehren. Die Absetzung des jungen Konrad (der bald darauf starb) und die Königswahl des zweiten Sohnes Heinrich (V.) durch die Fürsten sowie Maßnahmen der Friedenswahrung sicherten zwar Heinrichs IV. Stellung, aber es gelang ihm weder die Einigung mit Urban II. (gestorben 1099) noch mit dessen Nachfolger Paschalis II. (obwohl er keinen Gegenpapst mehr gegen diesen unterstützte) und auch kein Erfolg gegen die sächsische Opposition. Bitter war das letzte Regierungsjahr Heinrichs IV., da der Nachfolger Heinrich V. sich wie zuvor Konrad gegen den Vater stellte. Dennoch gebot Heinrich IV. vor seinem Tod 1106 seinen Anhängern, den jungen Heinrich zu unterstützen.

Grundanliegen der Kirchenreform waren inzwischen durch Reformklöster auch in Deutschland aufgegriffen worden, die vom Kölner Erzbischof gestützte Siegburger Reform (auch Saalfeld/Thüringen) oder die vom schwäbischen Adel geförderten Schwarzwaldklöster Hirsau, St. Blasien, St. Georgen, auch Schaffhausen. Daneben wurden vor allem in Schwaben und Bayern Kanonikerstifte (gemeinschaftlich lebende, geweihte, in der Laienwelt wirkende Geistlichkeit) reformiert.

In der Zwischenzeit hatten sich Ereignisse zugetragen, die die Zeitgenossen intensiv beschäftigten: der von Papst Urban II. ins Leben gerufene 1. Kreuzzug, der die Anerkennung dieses Papstes in der westlichen Christenheit definitiv festigte. Die Reflexion über den Kaiser-Papst-Konflikt und das Investiturproblem hatte eine Reihe theoretischer Äußerungen hervorgebracht. Die Unterscheidung zwischen den geistlichen Inhalten (spiritualia) der Bischofsgewalt (=pastorale Funktionen, Disziplinar- und Weiherechte) und den weltlichen Inhalten (temporalia) (=alle Besitz- und Hoheitsrechte als Inhaber von Grund und Boden) bahnte die Lösung in Form einer differenzierten Aufspaltung des Einsetzungsaktes vor. In Frankreich hatte sich auf dieser theoretischen Grundlage eine praktische Lösung des Investiturproblems eingespielt: Der Bischof wurde "kanonisch" (d. h. von den nach Kirchenrecht zuständigen Instanzen, Geistlichkeit und Volk der Bischofsstadt) gewählt, von einem Mitbischof geweiht (und war damit amtsfähig) und erst danach vom König mit den Temporalien ausgestattet. Ring und Stab als geistliche Symbole wurden nicht mehr vom König vergeben, sondern die Bindung nur noch durch ein lockeres Treueversprechen des Bischofs hergestellt. Tatsächlich dominierte die Geistlichkeit bei der Bischofswahl, doch war auch ein Einfluss des Königs nicht ausgeschlossen. Diese Lösung war in den mit dem Königtum enger verbundenen englischen und deutschen Bischofskirchen kaum gangbar. Vor allem die Qualität der Treuebindung (Lehnsbindung mit daraus resultierenden Pflichten) war umstritten.

Im übrigen wurde Philipp I. von Frankreich (1060-1108) vom Papst wegen einer Eheangelegenheit ebenfalls exkommuniziert, doch führte dies nicht zu einem Abbruch der Beziehungen zwischen Papst und französischem König. Weniger die Bischofsinvestituren durch Wilhelm II. (1087-1100) als die langen Vakanzen, die dieser englische König entstehen ließ, um in den Vakanzzeiten die Kirchengüter nutzen zu können, verursachten Konflikte mit Rom, die jedoch nie die Heftigkeit der Auseinandersetzungen Heinrich IV.-Päpste erreichten. Freilich erhoben weder der französische noch der englische König Anspruch auf die Herrschaft in Norditalien und das Kaisertum: die Konfliktmöglichkeiten gegenüber dem Papst waren für sie geringer.

Byzanz und das östliche Europa

Bald nach dem Tod des Kaisers Basileios II. 1025, der die Bulgaren besiegt hatte und dessen Schwester Anna mit dem Großfürsten Wladimir von Kiew verheiratet worden war, setzten Thronauseinandersetzungen und innere Probleme des byzantinischen Reiches ein. Als besonders gravierend erwies sich die Zunahme des Großgrundbesitzes und damit des Einflusses der Aristokratie und die Verarmung der kleinen Grundbesitzer und Stratioten, sodass die Anwerbung von Söldnern (und ihre Finanzierung) für die militärischen Belange des Reiches erneut nötig wurde. Nach der Eroberung des Bulgarenreiches und der Wiederherstellung der Donaugrenze als Nordgrenze des Reiches musste diese gegen Einfälle der halbnomadischen Steppenvölker der Petschenegen und Kumanen verteidigt werden. Die byzantinische Herrschaft in Kleinasien wurde durch das Vordringen des Turkvolkes der Seldschuken bedrängt. Die Normannen eroberten die Italia Byzantina und beendeten die sarazenische Vorherrschaft auf Sizilien. Die infolge dieser Veränderungen in Italien aufgenommenen Verhandlungen um Kirchenfragen zwischen dem Kaiser und Patriarchen einerseits, Rom andererseits endeten mit dem Schisma von Ost- und Westkirche im Jahr 1054. Mit der byzantinischen Niederlage bei Mandzikert 1071 verblieb den Byzantinern nur noch das nördliche Kleinasien, während die Seldschuken im übrigen Kleinasien ihr Sultanat mit Zentrum Ikonium/Konja etablierten. Damit ging dem byzantinischen Reich die Landverbindung nach Syrien und Palästina verloren. Die aggressiven Übergriffe der süditalienischen Normannen auf Griechenland Anfang der 80iger Jahre des Jahrhunderts, verwies die Byzantiner auf das Bündnis mit Venedig, dessen Flotte ihnen Hilfe brachte. Im Vertrag von 1082 kehrte sich das Verhältnis zwischen Byzanz und Venedig um: bislang ein Untertan des byzantinischen Reiches, stellte der dux (Doge) von Venedig dieses Verhältnis zwar nicht grundsätzlich in Frage, erreichte jedoch so umfangreiche Geld- und Handelsprivilegien, dass die Oberhoheit von Byzanz über Venedig fortan nur noch formal war. Die Kaisererhebung des fähigen Generals Alexios Komnenos im Jahr 1081 leitete erste militärische Erfolge ein und verschaffte der Komnenenfamilie bis Ende des 12. Jahrhunderts den Vorrang in Byzanz. Die Bitte des Kaisers Alexios 1095 an Papst Urban II. als Oberhaupt der westlichen Christenheit um militärische Hilfe wurde zum Auslöser der Kreuzzüge.

Hatten die militärischen Unternehmungen des polnischen Herzogs, dann (1024/1025) Königs Boleslav Chrobry seit Anfang des 11. Jahrhunderts auch das russische Großfürstentum Kiew bedroht, so setzten nach Boleslavs Tod (1025) in Polen Thronstreitigkeiten ein. Innere Wirren, in die auch die Salier Konrad II. und Heinrich III. eingriffen, bestimmten die Situation in Polen bis unter Boleslav II. (1058-1079) die jüngeren Brüder unter dem Senior an der Herrschaft beteiligt wurden. Eine vergleichbare Entwicklung vollzog sich bei den Ostslaven nach dem Tod des Großfürsten Jaroslav von Kiew im Jahr 1054. Aus der Kiewer Herrschaft, die von Beginn an auf einem System befestigter Stützpunkte fundiert war, sonderten sich die Teilfürstentümer Cernigov, Perejaslavl, Wolhynien und Smolensk heraus, während Nowgorod (und damit der Dnjepr-Ostsee-Handelsweg) unter Kiewer Herrschaft verblieb. Zusammenarbeit und Einigkeit hing von den Fürstenpersönlichkeiten ab. Die Entwicklung von Teilfürstentümern hatte kaum negative Folgen, da auch die Steppenvölker, die immer wieder einmal die Fürstentümer bedrängten, keine stabilen Einheiten waren. Die Kontakte der russischen Fürstentümer zum Westen zeitigten immerhin zwei hochrangige (wenn auch politisch unwirksame) dynastische Verbindungen: der Kapetinger Heinrich I. (1031-1060) heiratete (1052) eine Tochter des Großfürsten Jaroslav von Kiew, die dann Mutter des Thronfolgers (Philipp I.) wurde, und Praxedis, die zweite Frau des Saliers Heinrich IV., war eine russische Fürstentochter.

Die baltischen Völker an der Ostsee widersetzten sich wie unter Ottos III. Zeitgenossen Adalbert so auch Anfang des 11. Jahrhunderts westlichen Missionsversuchen (Brun von Querfurt). Auch die elbslavischen Stämme an mittlerer und unterer Elbe, deren Liutizenbund 983 den Zusammenbruch von Mission und sächsischer Markenorganisation bewirkt hatte, bewahrten ihre Eigenständigkeit. Erst seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts wurden einzelne Anführer für das Christentum gewonnen und der Zusammenhalt des Bundes verringerte sich.

Das seit Waik/Stephan christliche Ungarn der Arpaden hatte sich im Osten gegen Petschenegen und Kumanen zu behaupten und dehnte seine Herrschaft zeitweise über Teile der Südslaven (Slovenen und Kroaten) bis zur Adria-Küste aus.


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