Schellenberg – das Gehirn hinter dem Swissair-Prozess

Von Von Constantin Seibt. Aktualisiert am 07.09.2012

Ohne den heutigen Militär hätte der grösste Prozess der Schweiz nie stattgefunden.

Selten wurde ein Name mit so viel Verachtung ausgesprochen wie jener von Aldo C. Schellenberg. Es waren die Angeklagten, aber auch die Anwälte im Swissair-Prozess, die dies taten. Ein Ex-Chef der Swissair, Philippe Bruggisser, tat sein Werk mit «Mumpitz» ab. Ein anderer Ex-Chef, Mario Corti, spottete zur komplexen Finanzlage der Swissair: «Das hätte nicht einmal Schellenberg-Consulting durchschaut.» Und die Anwälte sagten: Schellenberg zähle 2+2 zusammen, jedes Mal mit anderem Ergebnis: «Jeder Eierdiebstahl wird gründlicher untersucht.»

Tatsächlich hätte der längste, teuerste Prozess der Schweiz mit 19 Angeklagten aus der Wirtschaftselite nie stattgefunden ohne diesen zuvor unbekannten Mann, der ein winziges Consulting-Büro mit Frau und Tochter führte.

Aldo C. Schellenberg hatte vor dem Swissair-Prozess nie einen Konzern von innen gesehen. Er hatte in Zürich seinen Doktor in Betriebswirtschaft gemacht und dann eine Beratungsfirma eröffnet. Er spezialisierte sich in einem Wachstumsmarkt: als Profi-Gutachter.

Dieser Markt boomte nicht zuletzt wegen der Sparpakete in der Justiz. Je weniger Personal dort arbeitete, desto mehr Aufträge gingen an Private. Oft sind Wirtschaftsprozesse heute weniger die Schlacht zwischen Verteidigung und Anklage als die ihrer Gutachter.

Die weichste Stelle der Anklage

Warum die Staatsanwaltschaft III in dem «einmalig grossen», «einzigartig komplexen» Swissair-Fall (so Staatsanwalt Christian Weber) ausgerechnet Schellenbergs Mini-Familienbüro beauftragte, blieb ein Geheimnis. Einige vermuteten, weil alle grossen Revisionsgesellschaften schon für die Swissair gearbeitet hatten, also befangen waren. Anwälte sprachen von einer Militärfreundschaft. Jedenfalls entdeckten die 19 Staranwälte der 19 Angeklagten Schellenberg als weichste Stelle der Anklage: Dieser hatte nicht nur alle Gutachten erstellt, sondern war auch an Verhören zugegen, beriet die Ermittler, schrieb weite Teile der Anklageschrift und fungierte auch noch als Zeuge. Kurz: Er war das Gehirn hinter dem Prozess.

Dadurch, so argumentierten die Anwälte, waren fast alle Kernpunkte der Anklage wertlos: Da Schellenberg befangen sei, seien seine Zahlen nicht als Beweismittel, sondern nur als «pure Meinung» zu werten. Etwa im wichtigsten Anklagepunkt: bei der Frage, ob die Swissair-Fluglinien im März 2000 bankrott waren. Worauf die Sanierung des Mutterkonzerns illegal gewesen wäre.

Die 19 Anwälte zerpflückten Schellenbergs Zahlen. Und liessen Rechtschreibfehler, Sachfehler, Formfehler und einen 5,3-Milliarden-Berechnungsfehler in die Presse durchsickern. Schellenberg gab zu, der Fehler «habe eine gewisse Peinlichkeit», ändere aber nichts an der Sache. Er bedaure nichts – ausser «die Angriffe unter der Gürtellinie».

Das Gericht sprach alle 19 Angeklagten frei. Es folgte den 19 Anwälten und hielt Schellenbergs Berichte für «unverwertbar». Noch mehr: Seine Zahlen seien «nicht nachvollziehbar» und «fern der unternehmerischen Realität».

Selten wurde ein Experte öffentlich so diskreditiert. Die 2,1 Millionen Franken für seine Arbeit entpuppten sich im Nachhinein als Schmerzensgeld. Die Staatsanwaltschaft jedoch hielt an ihm als Experten fest für eine zweite Swissair-Anklagewelle, diesmal gegen die Revisionsfirmen. Sie kam nie.

(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

Erstellt: 06.09.2012, 20:40 Uhr

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