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SCHWEIZ

Klare Absage

Nach der Bluttat in Zug muss die Waffenlobby klein beigeben. Schweizer fordern ein schärferes Gesetz.

Von Marco Lüssi, Mitarbeit: Mario Poletti

Der Zuger Amokläufer Friedrich Leibacher war mehrfach vorbestaft - unter anderem wegen illegaler Einfuhr von Faustfeuerwaffen. Dennoch wurden ihm im Kanton Zug drei Waffenerwerbsscheine ausgestellt. 1998 bedrohte Leibacher in einem Restaurant einen Gast mit einer Schusswaffe. Trotzdem nahm ihm die Polizei sein Waffenarsenal nicht weg. «Es fehlte damals die rechtliche Grundlage, seine Waffen zu beschlagnahmen», sagte Polizeisachbearbeiter Josef Huwyler gegenüber der «Aargauer Zeitung».

Eine repräsentative FACTS-Umfrage bei 600 Schweizerinnen und Schweizern hat ergeben, dass 77 Prozent der Bevölkerung eine Verschärfung des Waffengesetzes fordern. Nur 18 Prozent sind dagegen. Das geltende Waffengesetz ist erst seit zwei Jahren in Kraft - und schon revisionsbedürftig. Von der Waffenlobby wurde es so stark verwässert, dass es vor Mängeln strotzt. Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Urs von Daeniken, Bundesamt für Polizei, entwickelt nun Revisionsvorschläge. Der Arbeitsgruppe gehört auch der Lausanner Strafrechtsprofessor Martin Killias an.

Vor allem die jetzige Regelung des privaten Handels mit Waffen stösst auf Kritik. Für den Privatverkauf genügt ein kleiner schriftlicher Vertrag, in dem nur der Waffentyp sowie die Indentität des Käufers und Verkäufers verzeichnet sein müssen. Pro Tell, die «Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht», bietet auf ihrer Homepage sogar einen Mustervertrag an.

Wer die Waffe im Laden kauft, benötigt einen Waffenerwerbsschein. Dafür braucht es ein reines Leumundszeugnis. «Oft werden nicht mehr aktuelle oder gefälschte Zeugnisse verwendet», sagt Nationalrat Paul Günter (SP). Wie Professor Killias fordert er die Einrichtung einer zentralen Waffendatenbank, die alle relevanten Informationen besitzt und sammelt. Beide wollen zudem die Eindämmung des privaten Handels: «Im Moment existiert ein völlig unkontrollierter Graumarkt», sagt Günter. Es sei gar möglich, dass «un-bescholtene» Bürger sich im Waffenladen eindecken und diese Waffen systematisch an Personen privat weiterverkaufen, die keinen Waffenerwerbsschein erhalten.

Nationalrat Jakob Freund (SVP) sieht das Problem woanders: «Der Datenschutz muss gelockert werden. Ich bin dafür, dass auch die Verfahren, die gegen eine Person am Laufen sind, im Strafregisterauszug aufgeführt werden. Auch sollten Vorstrafen nicht mehr so schnell gelöscht werden.»

Eine erstaunliche Kehrtwende: Noch im Juni hatten sich die Schützenkreise um Freund erfolgreich gegen die Forderung gewehrt, dass bereits einmalig Vorbestrafte keine Waffe besitzen dürfen. «Damit machten sie sich zu Anwälten der Ganoven», sagt Günter. Nach geltendem Gesetz muss jemand mehrere Verbrechen begehen, bis er das Recht auf eine Waffe verwirkt hat.

Eine Verschärfung des Waffengesetzes hält Freund weiterhin nicht für nötig. «Das Problem ist nie die Waffe, sondern der Mensch, der sie in der Hand hält», philosophiert er.

Seit Tell ist der Eidgenosse bekannt für sein inniges Verhältnis zur eigenen Schusswaffe. Doch selbst das Sturmgewehr im Schrank, Symbol für die Wehrkraft des Landes, ist den Schweizern nicht mehr heilig. Auf die Frage, ob es weiterhin zu Hause aufbewahrt werden soll, antworteten in der Umfrage 46 Prozent der Befragten mit Nein, 45 Prozent bejahten. Bei den Jungen bröckelt der Mythos um das eigene Gewehr: Nur 40 Prozent der 15- bis 34-Jährigen wollen es im Haus, während bei den über 55-Jährigen 52 Prozent die Waffe im Haus befürworten.

Besonders skeptisch stehen der «Braut des Wehrmanns», wie das Gewehr bei Soldaten mitunter genannt wird, die Frauen gegenüber: Nur 34 Prozent wollen sie noch im Haus. «Verständlich», kommentiert Günter, «die Frau ist es ja, auf die der Mann die Waffe meistens richtet, wenn er zu seinem Sturmgewehr greift.»

Auch im VBS muss man umdenken. Im Juli enthüllte FACTS, dass der Generalstab mit dem Gedanken spielte, jene 250'000 Sturmgewehre, die wegen der Armeeverkleinerung überflüssig werden, an die aus dem Dienst entlassenen Armeeangehörigen gratis abzugeben. Ein Grossteil könnte dann über den privaten Handel in unbekannte Hände gelangen (FACTS 28/2001).

Inzwischen ist davon keine Rede mehr. In einem Brief an den Präsidenten der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats, Boris Banga (SP), schrieb VBS-Generalsekretär Juan F. Gut: «Der heutige Gesamtbestand Sturmgewehr 90 verbleibt in der Nutzung der Armee.»

FACTS Online Leser-Forum
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Total Leserbeiträge zu diesem Artikel: 3
Datum: 05.10.2001, 13:11

Nach der Lektüre des Artikels brannten mir die Finger. Aber nach Kenntnisnahme des Leserbriefs von Achim Schwalm finde ich meinen Kommentar überflüssig. Bravo!

Autor: Reto Derungs , Thailand - E-Mail: reto.derungs@altavista.net

Datum: 04.10.2001, 13:04

Die Bluttat ist sehr tragisch und bedrückend. Dies begründet aber keine Waffengesetzhysterie solange jeder dienstpflichtige Schweizer seine Waffe zu Hause aufbewahren kann/muss. Wenn Verschärfung des Gesetzes dann sollte man nicht dem Hobbyschützen das Leben schwer machen. Ein Graumarkt wird mit oder ohne schärferem Gesetz immer geben. Was sich ändern würde ist der Graumarktpreis. In Fall F.L. hatten die Behörden genung Anhaltspunkte zum Handeln gehabt.

Autor: Fredy Sutter , Rüti - E-Mail: sumacons@swissonline.ch

Datum: 04.10.2001, 12:21

Eine Umfrage vor dem Hintergrund der Zuger Bluttat kann nun wirklich höchstens für Propagandazwecke verwendet werden. Was heisst den Verschärft? es wird wohl den wenigsten der "representativen" 600 Personen klar sein, wie das Gesetz heute lautet, und genausowenig haben diese wohl eine konkrete Vorstellung was mit Verschärft gemeint sein soll. Das VBS wird sicher nicht bei allen Wehrpflichtigen nun die Sturmgewehre einziehen weil einer durchgedreht ist. Politische Lösungen vor dem Hintergrund einzelner isolierter Vorkommnisse zu fordern ist Sensationsjournalismus, bzw. Feuerwehrpolitik vom blödsten. Es macht genauso wenig Sinn nun allen Hunden in der EU Maulkörbe anzuziehen, nur weil ein süsser Junge publikumswirksam unter Beisein der CNN zerfleischt wurde, oder Bomben über Gebieten von Kopftuchtragenden abzuwerfen weil halt einigen die Ignoranz Mächtiger zu blöd wurde. Zum Vergleich werden nur in der CH jährlich ca. 700 Personen im Strassenverkehr "zerfleischt". Wen störts? ist halt nicht so publikumswirksam. Ich hoffe auf jeden Fall, dass die Politiker Ihre Zeit zu wichtigerem nutzen als sich allzuviele Sorgen zu machen über vielleicht 20 Schusswaffentote in der CH pro Jahr. Und wenn ein Nationalrat wirklich sowas wie «Verständlich», (dass die Frauen das Sturmgewehr nicht zu Hause wollen, Sinngemäss, Anm. von mir) kommentiert Günter, «die Frau ist es ja, auf die der Mann die Waffe meistens richtet, wenn er zu seinem Sturmgewehr greift.» fürchte ich um unsere Legislative... In der Schweiz bangt ja sicher mindestens jede 2te Hausfrau um Ihr Leben oder wurde schon von ihrem Mann mit dem Sturmgewehr bedroht, "meistens" wenn dieser zum Sturmgewehr greift... grosses Hausfrauensterben einmal pro Jahr vor dem WK, nicht? Herr Günter, wenn Sie die Armee abschaffen wollen dann tun sie das, Herr Freund, wenn Sie im Schützenclub rumballern wollen, dann tun Sie auch das, aber benützen Sie doch bitte die Zeit die "ich/wir" Ihnen bezahlen, zum Arbeiten, und nicht zum Polemisieren....und Herr Marco Lüssi, bringen Sie doch besser Facts, und machen Sie sie nicht selber!

Autor: Achim Schwalm , Spanien

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FACTS Archiv

2001/40Klare Absage
2001/28Feuer frei
2001/21Lohnende Folter


Unter Schock
Karl und Peter Rust versuchen, die Bluttat zu bewältigen.

Von David Angst

«Genau solche Stiefel hatte er an.» Peter Rust steht auf dem Zuger Landsgemeindeplatz. Vor dem Rathaus brennen tausend Kerzen, und tausend Blumen liegen da. Aber Kantonsrat Rust betrachtet die Füsse des Polizisten. «Wenn ich diese Stiefel ansehe, packt mich ein Schaudern.» Neben ihm steht Karl Rust, auch er Kantonsrat, ebenfalls in der CVP. Nach dem Anschlag auf das Kantonsparlament suchten die beiden Brüder einander verzweifelt.

Peter Rust findet keine Ruhe. Zu Hause in Walchwil hält er es nicht aus. Er besucht die Verletzten im Spital, hilft, hört zu. «Schau endlich zu dir selbst, Peter.» Karl Rust sorgt sich. Mahnt seinen Bruder: «Auch du musst weinen können.»

Karl, der 62-jährige Zuger Bauingenieur, gilt als besonnener Politiker, der alles sorgfältig ergründen will. Sein Bruder Peter ist viel emotionaler. Der Bauunternehmer setzt sich beherzt für eine Sache ein. So verschieden die beiden politisieren, so unterschiedlich gehen sie mit ihrem Schmerz um. Karl Rust muss darüber reden, immer wieder. Mit seiner Frau, seiner Tochter, mit Freunden, Bekannten. Nachts, vor dem Einschlafen, setzt er sich hin und schreibt nieder, was ihm in den Sinn kommt. Erinnerungen an vier unendlich lange Minuten.

Es beginnt mit dem «vermeintlichen Knall eines Pultdeckels». Das ist der erste Schuss im Korridor. Dann ein Ruf: «Köpfe runter!» Karl Rust sitzt vorne rechts. Ohne sich umzuschauen, legt er sich flach auf den Boden. «Wann ist das alles vorbei?», denkt er nur noch. Er verbirgt sein Gesicht in den Armen, hört, wie die Schüsse durch den Saal peitschen, im Sekundentakt. Dazwischen kurze Pausen. Magazinwechsel. Karl Rust rührt sich nicht vom Fleck.

Anders sein Bruder in der hintersten Reihe. Neben ihm stürzt ein Kollege zu Boden. «Jetzt kommt er nach hinten und erschiesst mich», denkt Peter Rust. Er wirft sich zu Boden und robbt aus der Gefahrenzone, nach vorne. In der zweiten Reihe findet er Deckung. Neben ihm und hinter ihm liegen Verletzte. Plötzlich ein Knall. Peter Rust schaut auf. Vor ihm fällt eine Stange zu Boden, eingeschmiert mit einer roten Sülze. «Eine Rohrbombe», schiesst es ihm durch den Kopf. Auf den Tischen über ihm brennen die Akten lichterloh. «Die Flammen gaben mir Hoffnung, denn ich dachte: Dort, wo es brennt, schiesst er nicht mehr hin», erinnert sich Peter Rust.

Dann wird es still. Karl Rust hebt seinen Kopf. Endlich kommt Hilfe. Der Täter ist tot. Es brennt. Karl Rust beginnt zu löschen. Erst jetzt hört er die Hilferufe hinter dem Regierungspult und überall im Saal.

Er geht hin, findet einen Schwerverletzten. Herzmassage, bis die Sanitäter kommen. Karl Rust leistet weiter erste Hilfe, so gut es geht. Dann wählt er die Nummer 117: «Wir brauchen viel mehr Sanitäter.» Dann wird er hinausgeschickt. Er ruft seine Frau an: «Ich lebe.»

Zur gleichen Zeit telefoniert auch Peter Rust nach Hause. «Ich war kaum noch handlungsfähig. Stand mehr im Weg herum.»

Seine Frau weiss nun, dass er unverletzt ist. «Und dä Kari?» Peter Rust erschrickt. Er rennt zurück. «Hat jemand meinen Bruder gesehen?»