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Schlecker Jeder Cent an Kosten ist ein Cent zu viel Schlecker verkauft mehr als irgendein anderer Drogeriemarkt in Europa Jeder muss einkaufen. Der Besuch in Läden, Kaufhäusern und Tankstellen gehört zu den festen Bestandteilen des Lebens. Aber wer steckt hinter diesen Geschäften? Unsere Serie gibt darauf Antwort. Heute: die Schlecker-Märkte.
Schlecker ist eigen. Die Besitzer, die Läden, der Erfolg: alles einzigartig und eigenartig zugleich. Das Chef-Ehepaar, der Firmengründer Anton Schlecker und seine resolute Gattin Christa, zieht zu Kontrollzwecken gern unangemeldet durch die eigenen schmucklosen Läden. In manchen stehen die Regale so eng, dass zwei Normalbeleibte in den Gängen kaum aneinander vorbeikommen. Aus Fernsehern rieselt monotone Werbung, und trotzdem wird so viel gekauft wie nirgendwo sonst: Schlecker ist in Europa die Nummer eins unter den Drogeriemärkten. Umsatz 2002 6,2 Milliarden Euro, 10 150 Filialen und 17 Läger allein in Deutschland. Und immer noch stramm auf Expansionskurs.
Kein Protzen, nirgends. Es ist ein einfaches Geschäftsprinzip: Jeder Cent an Kosten ist ein Cent zu viel. Es gibt zum Beispiel keine Lebensmittel, die gekühlt werden müssen. Geschenkte Ein-Cent-Münzen hat die Verkäuferin ebenso wie Fundgeld genauestens abzurechnen. Und wenn der Betriebsrat ein Faxgerät braucht, dann muss er schon mal klagen. Vor Gericht. Sonst zahlen Schleckers nicht.
Zur großen Eröffnung des neuen Warenlagers am Stammsitz in Ehingen bei Ulm vor drei Jahren gab es nicht einmal ein paar Häppchen. Es war kein Landrat da, kein Abgeordneter und auch sonst niemand, der die übliche Rede über Standortstolz und Unternehmergeist hätte halten können. Denn es gab gar keine große Eröffnung. Schlecker hat das rund 30 Millionen Euro teure, viereinhalb Hektar große vollautomatische Lager für den Internethandel, das angeblich modernste in Europa, so umstandslos in Betrieb genommen wie etwa einen neuen Bürostuhl. Feiern? Kostet nur Geld und bringt nichts.
Der Chef hat früh das Rechnen gelernt - im Betrieb seines Vaters, der in Ehingen eine Großmetzgerei mit acht Filialen führte. Die Stunde des Juniors schlug, als die Preisbindung für Drogerieprodukte fiel. Mit 31 Jahren gründete er in Kirchheim/Teck den ersten Billig-Drogeriemarkt, es ist das Jahr 1975, der Beginn einer "einzigartigen Erfolgsgeschichte", wie Ehingens Oberbürgermeister Johann Krieger sagt. Krieger, seit 16 Jahren im Amt, lobt das bürgerschaftliche Engagement Schleckers, der in Ehingen nicht nur 700 Arbeitsplätze geschaffen hat, sondern auch ein Profihandballturnier und den Druck eines Wanderführers finanziert. Man spreche oft miteinander, sagt Krieger, aber er halte sich an Schleckers Wunsch nach Diskretion. Die Familie lebe "sehr zurückgezogen".
Zum Teil erklärt sich die Zurückhaltung wohl aus dem Drama von 1987, als die Kinder Lars und Meike, damals 16 und 14 Jahre alt, gekidnappt worden waren. Die 1999 verurteilten Entführer forderten 18 Millionen Mark Lösegeld. Anton Schlecker handelte sie mit pragmatischen Argumenten ("So viel hat keine Bank vorrätig") auf zweimal 4,8 Millionen herunter. Seine Kinder kamen unversehrt wieder frei, heute sind beide im Familienunternehmen tätig. Lars Schlecker soll vor allem beim Internetgeschäft des Konzerns mitwirken. Gemeinsam mit Marc Schrempp, dem Sohn des Daimler-Chefs, beteiligte er sich außerdem an einem Internetmarktplatz für Gebrauchtmaschinen, Surplex.com. So verschwiegen wie der Vater, der keine Interviews gibt, ist das ganze Unternehmen. Anfragen bei Pressestelle und Marketingchef bleiben unbeantwortet.
Das Angebot der Schlecker-Märkte umfasst rund 4000 Artikel, der Anteil der Eigenmarken am Umsatz liegt bei rund 15 Prozent. Tendenz: steigend. Natürlich haben die No-name-Produkte der größeren Gewinnspanne wegen vorne zu stehen, während die beworbenen Sonderangebote eher hinten im Laden zu finden sind. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala finden sich bei den Eigenmarken übrigens Billigzigaretten (Commodore) und AS-Tierfutter. Verkäuferinnen berichten, dass die Zahl der "Zettelkunden" steigt. Immer mehr kommen mit ausgetüfteltem Marschpapier, die Zahnpasta wird hier gekauft, das Deo aber dort. Zehn oder 20 Cent Preisunterschied bestimmen die Laufwege. Die schleckersche Expansion geht derweil ungebremst weiter. Jahr für Jahr werden hunderte von neuen Filialen gegründet. Nach wie vor sucht die Firma per Internet nach Verkaufsflächen "in allen Orten ab 2000 Einwohnern". Und zwar "in Fußgängerzonen, Haupteinkaufsstraßen, Randlagen, Seitenstraßen, Ausfallstraßen, Einkaufszentren, Vororten und Wohngebieten". Also überall - selbst in Lagen, die anderen Handelsketten nicht gut genug sind.
Auf dem Land ersetzt "der Schlecker" immer öfter den Tante-Emma-Laden. "Manche Filialleiterin fühlt sich wie eine Inhaberin, auch wenn sie nur in Teilzeit beschäftigt ist", berichtet eine Angestellte. Sie rede von "meinem Laden" und "meinen Fenstern", die - notfalls auch nach Dienstschluss - noch geputzt werden müssten. Auch die Kunden behandelten die Verkäuferin oft wie eine Eigentümerin. "Da wird man sogar sonntags bei der Kollekte auf das Geschäft angesprochen", sagt die Angestellte.
In der Stadt führt die Geschäftspolitik hingegen auch zu kuriosen Ballungen. So finden sich in Degerloch drei Schleckerfilialen auf 500 Meter Einkaufsstraße. "Aber jede hat ihre Stammkunden", sagt eine der Filialleiterinnen. "Viele kommen nicht nur, um Klopapier zu kaufen, sondern auch, um einfach eine Weile zu quatschen", berichtet eine Kundin. Ein wohl wesentliches Ziel der Dreifachpräsenz aber wurde verpasst: Zwischen den Schlecker-Märkten hat auch der Konkurrent dm noch ein Plätzchen gefunden.
Finanziert wird die rasante Expansion aus der eigenen Kasse. Kein Wunder, dass im Hause mit allen erlaubten Mitteln gespart wird. Und manchmal auch mit unerlaubten. 1998 haben Christa und Anton Schlecker einen Strafbefehl wegen Betrugs kassiert. Weil sie 610 Mitarbeitern bis 1995 eine tarifliche Entlohnung vorgegaukelt hatten, wurden sie zu jeweils zehn Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Danach hat sich manches getan. Im Jahr 2001 unterzeichnete der Handelsriese einen Anerkennungsvertrag mit der Gewerkschaft Verdi. Mittlerweile wird nach Tarif bezahlt, es gibt Betriebsräte in etwa einem Drittel der Schlecker-Bezirke, die zwischen 30 und 100 Filialen umfassen. Das Unternehmen ist "ganz gut domestiziert", wie ein Verdi-Sprecher sagt.
Knapp 400 Kilometer nordwestlich vom Firmensitz hat man daran noch Zweifel. Dort, in Plaidt in der Nähe von Koblenz, residiert über einem leer stehenden Schlecker-Markt der Gesamtbetriebsrat. Die Kommunikation mit der Geschäftsleitung ist spärlich, was nicht an der räumlichen Entfernung liegt. Nach wie vor versuche Schlecker, die Gründung von neuen Betriebsräten in den Bezirken aggressiv zu verhindern, klagt die Vorsitzende Birgit Berger. Nach wie vor müssten die Frauen häufig alleine die Stellung in den Läden halten. Und außerdem befürchte man, dass die Stundenzahlen der Teilzeitbeschäftigten so weit verringert werden, dass nur Minijobs übrig bleiben. Die Firmenleitung bestreite dies allerdings.
Wenigstens haben die einst gefürchteten Besuche der Schleckers an Schrecken verloren. Wenn Chefin Christa und Anton Schlecker unterwegs sind, warnen sich die Angestellten in der betroffenen Region vorher gegenseitig. Zwar sind die Telefone in den einzelnen Filialen noch immer nicht für Anrufe von außen freigeschaltet. Die Verkäuferinnen sind trotzdem erreichbar: Sie bringen einfach ihr Handy mit. Matthias Schmidt Aktualisiert: 21.05.2003, 11:21 Uhr |
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