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Vom Niedergang der Zuckerindustrie auf den Philippinen

Philippinen: Bittersüße Zeiten

Von Günter Spreitzhofer

Die Negros Slashers, 1998 Basketball-Champion der philippinischen First Southern Conference, haben mittlerweile im altehrwürdigen Zuckermuseum von Negros Okzidental in Bacolod ein Ehrenzimmer mit Trophäen und Spielerporträts bekommen. Dazu eine grelle Ehrentafel vor der Kathedrale San Sebastian, mit den besten Wünschen für das neue Millennium.

Sonst bleibt wenig zu feiern, denn die glorreichen Zeiten der Zuckerbarone scheinen so sehr Vergangenheit wie die vergilbten Aufnahmen prunkvoller Haciendas der frühen 20er Jahre, als die ehemalige spanische Kolonie zum weltgrößten Zuckerproduzenten aufstieg. Von 1925 bis 1970 Sitz der Gouverneure von Negros, ist der klassizistische Prunkbau in zartem Hellrosa - mit steinernen Zuckerarbeitern anstelle griechischer Gottheiten am Sims - zum kuriosen Symbol einer schnelllebigen Vergangenheit geworden: Eingezäunt und unter tropischer Blütenpracht verschwindend, längst nicht mehr im Zentrum der rasch wachsenden 300.000-Einwohner-Stadt, schläft das ehemalige Kapitol einen Dornröschenschlaf. Doch wer soll Glanz und Glorie zurückküssen?

Negros zählt zum Inselarchipel der Visayas im Herzen der Philippinen. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts landwirtschaftlich ungenutzt und von tropischem Regenwald überwuchert, veränderten zunächst die ersten Zucker-Monokulturen und danach auch andere koloniale Cash-Crops wie Kaffee und Kakao die Landschaft am Fuß des Kanlaon-Vulkans. Großplantagen wie die Hacienda San Ildefonso de Minulman entstanden, doch der eigentliche Take-Off zur Zuckerweltmacht ließ noch einige Jahrzehnte auf sich warten: Besagter Haciendero produzierte noch 1945 in fünf Zuckerfabriken 12.884 t, bereits 1958 in 25 Fabriken 1,313.081 t. Die "Planter-Miller"-Kooperation des späten 19. Jahrhunderts hielt, solange beide Seiten profitierten: Die Zuckerrohrpflanzer (Planters) verpflichteten sich, die Hälfte ihres Landes mit Zuckerrohr zu bepflanzen und erhielten dafür 50 bis 70 Prozent des Ertrages; die Zuckerfabrikanten (Millers) profitierten zu 30 bis 50 Prozent, garantierten im Gegenzug den Abtransport des Zuckerrohrs und legten ein privates - ausschließlich güterorientiertes - Schienennetz von über 700 km über die Insel, der nur kurze staatliche Souveränität beschieden war: Am 7. November 1898 ausgerufen, wurde die Republik Negros bereits am 6. Februar 1899 - nach US-Ratifikation des Vertrages von Paris - wieder aufgelöst. Die Exporterlöse der Zuckerverfrachtungen nach Japan, China, Australien, Großbritannien, Kanada und in die USA sorgten für einen Zuckerboom, der die Haciendas der wenigen Zuckerbarone mit dem Luxus der Alten Welt füllte.

Die Vereinbarungen der Anfangsjahre wurden allzu bald geflissentlich negiert. Saisonarbeiter bekamen in Boomjahren gerade genug zum Überleben, ansonsten gar nichts - ein System der sozialen Ausbeutung, das bis 1985 einige Tycoone mit schmutzigweißer Weste in blütenweißen Cadillacs hervorbrachte. Dann fielen die Weltmarktpreise für Zucker so rapide, dass sich nicht einmal mehr das Schneiden der Ernte rechnete. Ein Viertel der insgesamt einer Million Sacadas, der Tagelöhner auf den Plantagen, war mit einem Sensenschlag arbeitslos; die Dumaan wiederum, die festen Arbeitskräfte einer Hacienda und de facto im Besitz des Hacienderos, gerieten noch tiefer in die Schuldenfalle, wurden sie doch mitsamt ihren Familien traditionell auch in Zwischenerntezeiten, quasi als Lohnvorschuss, von den Hacienderos versorgt, die sich um die staatlich festgelegten Mindestlöhne selten kümmerten: 7 Prozent der Pflanzer besitzen die Hälfte der Insel. Gleichzeitig waren bis in die 90er Jahre zwei Drittel der Kinder auf Negros unterernährt. Die Insel gilt stärker denn je als das Armenhaus der Philippinen.

Fehlende Regierungsnotprogramme und die Weigerung der Hacienderos, ihr Land dem Getreideanbau zu öffnen, trieben zahlreiche Negrenser in die Berge, um sich den regierungsfeindlichen (kommunistischen) NPA-Guerillas anzuschließen, die bald den Status einer Sozialinstitution einnahm. Antonio Fortich, streitbarer Bischof von Bacolod, organisierte nach 1985 Lebensmittelverteilungen, fand daraufhin seinen Bischofspalast brennend wieder und überlebte einige Bombenattentate. Die "Todesschwadronen", Privatarmeen der Hacienderos, bekämpfen seitdem Gewerkschafter und Landreformer mit allen Mitteln.

Kein Vertrauen in Garnelen

Der derzeit politisch propagierten wirtschaftlichen Neuorientierung auf Rattanmöbel und Garnelenzucht, angeblich potentielle Exportschlager und Hoffnungsperspektive für Negros, begegnet man vielerorts mit Skepsis: Einer Zukunft mit Penaeus monodon, der schwarzen Tigergarnele, sehen die gestandenen Pflanzer mit Argwohn entgegen. Mit Freizeit konnte die bäuerliche Gesellschaft ohnedies nie viel anfangen, wie der bröselnde Charme des Mambucal Summer Resort am Fuß des Kanlaon Vulkans zu beweisen scheint: Philippinische Binnentouristen bevorzugen Küstenresorts und die Zuckerbarone Florida. Die heißen Schwefelquellen sind verlassen und Edwin Gatia vom Negros Mountaineering Club (NMC) hat wenig zu tun. Der Arbeitskräftebedarf der Keramikfabriken Bacolods ist begrenzt, und auch das herbstliche Masskara-Fest konnte Negros noch keine andere Identifikation geben: Von den jährlich zwei Millionen Touristen auf den Philippinen verschlägt es nur einen Bruchteil nach Negros Okzidental.

450.000 ha, mehr als die Hälfte der Landfläche, sind heute immer noch dem Anbau von Zuckerrohr gewidmet. 350.000 Menschen, zwei Drittel aller philippinischen Zuckerarbeiter, schufteten noch vor einem Jahrzehnt auf Negros, Tendenz sinkend. Winter ist Erntezeit, doch Winter heißt immer noch Nachttemperaturen von 30° C. Abgeerntete Felder, wo noch die Glutnester lodern, die nach der Ernte die letzten dürren Stängel verbrennen sollen. Traktoren mit riesenhaften Sonnendächern ackern sich durch die kahlen Weiten: Die nächste Aussaat kommt bestimmt. Einige wenige Wasserbüffelkarren plagen sich verloren durch die Staubwolken hinter uralten türenlosen Trucks, die sich vollbeladen den Weg durch die kerzengeraden Schlaglochpisten bahnen. Die weißen Rauchfahnen über den rostigen Schornsteinen der HPS, der Hawaiian-Philippine Sugar Co, sind ein gutes Zeichen. Beißend-süßlicher Geruch liegt in der Luft und mischt sich mit den bläulichen Abgasen der voll besetzten Jeepneys, pittoresken Relikten der US-Vergangenheit, die die einzige Anbindung der Werkssiedlung zur Hauptstraße bieten. Es gibt eigene Schulen, eigene Basketballplätze, eigene Werksmärkte wie den Pepsi Hope Market, wo Softdrinks den Rekordtiefstpreis von 5 Pesos kosten und trotzdem niemand mehr kauft. "No money", sagt Corejo und presst sich wieder ein feuchtes Tuch gegen das Gesicht: "It stinks."

Ohne Erlaubnis der Werksverwaltung aus Silay City gibt es keinen Zutritt, wie der Mann mit Spiegelbrille am Stacheldrahtzaun grimmig erklärt, bevor er sich wieder dem Kartenspiel mit seinen Kollegen widmet. Die Runde hockt im Schatten eines knallroten Lkw-Oldtimers, der unter der Last des Zuckerrohres knapp vor den rettenden Eisenbahnkränen zusammengebrochen ist. Achsbruch, you know, vor drei Wochen. Wie von Geisterhand betrieben, schwanken plötzlich Schmalspurwaggons hinter pfeifenden Dampfloks vorbei. Baujahr 1920, Henschel 0-6-0, blau-schwarz lackierte Ungetüme, die im Zweiten Weltkrieg vor den Japanern im Dschungel erfolgreich verborgen wurden und auch heute noch pfauchend ihren Hochsaisondienst versehen. 180 km Streckenlänge hat das Schienennetz der HPC, gar 349 km das der VICMICO (Victorias Milling Company, VMC), das längste der Welt, das mittlerweile radar-ferngesteuerte Transportbewegungen erlaubt.

1919 von Don Miguel Ossorio gegründet, war die VMC die modernste Anlage ihrer Zeit. Mit eigenen Forschungsabteilungen und Hafenanlagen wurde die VMC 1929 zum ersten regelmäßigen Zuckerexporteur in die USA. Nach mehreren Unternehmenszusammenbrüchen im Zuge des Zweiten Weltkriegs nahm die VMC 1946 die Produktion wieder auf und expandierte weit über den eigentlichen Zuckermarkt hinaus: Man engagierte sich im Agrobusiness (Schweine- und Rinderzucht, Düngerproduktion, Aquakulturen), im Schiffszubehör, in der Lebensmittelweiterverarbeitung, sogar in Management und Consulting. Die sogenannte VMC Walkers Mill, vom australischen Konzern Walkers Limited technisch aufgerüstet, machte das Unternehmen zur führenden Zuckerfabrik des Landes - ein Modernisierungsprogramm, das nach der Liberalisierung des Zuckermarktes 1993 zur Überlebensstrategie wurde. Der permanente Verfall der Zuckerpreise zwang das Unternehmen, sämtliche Projekte außerhalb der eigentlichen Zuckerproduktion weitgehend einzustellen: Schulen, Reedereien und der gesamte Bereich des Agrobusiness wurden ausgegliedert, um mittelfristig wieder weltweit konkurrenzfähig zu werden.

Gästebuch ohne Gäste

Die VMC ist immer noch die Vorzeigezuckerfabrik von Negros. Regelmäßige Führungen für jedermann sind möglich, vorausgesetzt interessierte Besucher zeigen sich ohne Sandalen, Minirock oder Shorts. Ein Gästebuch ohne Eintragungen, auch wenn sich angeblich Besucher aus aller Welt die Klinken in die Hand geben. Germany and France waren zuletzt da, wie Manolo, der Türsteher (blütenweißes Hemd, schmutzigweißer Colt), stolz verkündet. Das ist Monate her, doch so lebhaft in Erinnerung, als ob es gestern gewesen wäre. Im Mini-Souvenirshop nebenan finden sich VMC-Kappen, VMC-Shirts und VMC-Feuerzeuge. No pictures, please. Die VMC Walkers Mill deckt

mit einem Einzugsbereich von 70.000 ha 60 Prozent des täglichen Zuckerbedarfs der Philippinen, könnte täglich 15.000 t Zuckerrohr verarbeiten und damit 1.500 t Zucker produzieren - weiterverarbeitet 27.000 50-kg-Säcke Raffineriezucker. Nach Werksangaben ist die VMC die modernste Zuckerraffinerie Asiens, "vielleicht der Welt". Über 200 Pesos bekommen die Arbeiter für einen 8-Stunden-Tag, "viel mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen 150 Pesos", dazu Schweinefleischgeschenke zu Weihnachten, wie der distinguierte Herr Rodriguez vom VMC Public Affairs and Media Services Department nicht müde wird zu betonen. Krise? Ja, die gibt es, und zwar seit 1996, als ausländischer Billigzucker den Markt überschwemmte. Dazu kommt seit geraumer Zeit auch El Nino, der Negros extreme Trockenheit bringt und die Ernten weiter reduziert. 600 Fabrikarbeiter wurden seit 1996 entlassen, mehr als zwei Drittel der Belegschaft.

Aber schauen Sie sich doch lieber unsere neue Fabrik an, neue Generatoren aus Australien, hygienischer Mundschutz des Raffineriepersonals, Helmpflicht draußen an den Entladerampen. Herr Rodriguez trägt keinen Helm. Herr Rodriguez kann wegen des unsäglichen Lärms in den Hallen leider keine unangenehmen Fragen zur Lage der Entlassenen verstehen. Herr Rodriguez hat sofort nach der Führung Dienstschluss. Sorry sir, good bye.

Die Rollbalken der meisten anderen Zuckerfabriken auf Negros sind schon länger herunten. Die Biscom in Binalbagan, die Central Azucarera de la Carlota in La Carlota oder die Lopez Sugar Central in Tobosco werden zu überwucherten Zeugen präindustrieller Produktion. Die Monokultur schien gescheitert, die meisten steinzeitlichen Zuckerraffinerien auf Negros waren dem Untergang geweiht.

Lokalaugenschein in der Ma-ao Sugar Central, 50 Jeepney-Minuten und 17 Pesos (8 Schilling) von Bacolod entfernt: Raol und seine 32 Security-Kollegen bewachen eine rostige Fabriksruine vor der Plünderung. Uralte Oldtimer der werkseigenen MSC-Fire Brigade hinter zerborstenen Toren, und Dampflokomotiven, die der Dschungel längst wieder in Besitz genommen hat - Raol klettert auf den rostigen Tender und hackt mit einer Machete die Heizerkabine frei. Erst im Juli 1999 war das "Shut-down" des Werkes, das in Raols Jugend, in den 80ern, 900 Menschen beschäftigt hat. Dann waren es 500. Und dann "Finish", wie er in gebrochenem Englisch erklärt. "Maybe they open next year again, they didn't tell me". Hoffnung muss erlaubt sein. Die Hacienda der Planter's Association ist verlassen, ein beschauliches Plätzchen unter einer kühlenden Platanenallee, wo der Eismann auf seiner Zulieferrikscha nur mehr verhalten klingelt. Die Stimmung ist eisig genug, trotz der ausgelassenen Fröhlichkeit der Volksschulkinder in ihren adretten roten Schuluniformen.

Arbeitsmigration

Zumindest Nachwuchsprobleme kann man den Philippinen nicht nachsagen: Trotz einer Kindersterblichkeit von 3,8 Prozent wächst die Bevölkerung um jährlich 2,3 Prozent weiter. Die Kinder der Zuckerarbeiter suchen Arbeit in Manila und finden Arbeit am ehesten im Ausland, als Hausmädchen oder Krankenpfleger in den arabischen Emiraten, in Taiwan oder Hongkong. Der Arbeitskräftemarkt floriert lange schon besser als der Zuckerhandel: Die Überweisungen von im Ausland arbeitenden Filipinos betrugen 1997 5.742 Mill. US-Dollar, fast das Dreifache der Einnahmen aus dem Tourismus. Die SNDP, die Southern Negros Development Bank, bietet 10,5 Prozent Zinsen Minimum für Spareinlagen. Doch wer hat schon übriges Kapital gespart bei Inflationsraten von jährlich 9 Prozent, lange vor der jüngsten Wirtschaftskrise? Selbst offizielle Regierungsstatistiken konzedieren heute 27,5 Prozent der philippinischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze; in Bacolod selbst sind es geschätzte 70 Prozent. Julio X. Labayen, Bischof der Präfektur Infanta, kämpft seit Jahrzehnten für die Kirche der Armen, ohne die eine blutige kommunistische Rebellion wohl nicht mehr unterdrückbar wäre.

Die ungewöhnliche Wandmalerei des "Angry Christ" in der VMC-Werkskapelle "Hl. Josef der Arbeiter" scheint noch eine Spur grimmiger zu blicken als sonst. Das modernistische Gotteshaus in Victorias ist eine Fertigteilbetonkonstruktion am Rande der Werkssiedlung. Heißer Wind. Schweigen. Der chromblitzende Leichenwagen der Silay Lasting Peace Mortuary', eine strahlend weiße Chevy-Stretch-Limousine mit Sarg und Kerzenständer, rollt fast lautlos vorbei. Sugar baby, bye, bye.

Freitag, 17. November 2000

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