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Reise durch das Grenzgebiet von Vietnam, Laos und Thailand

Highway der Hoffnung

Von Marc Tornow

Früh am Morgen taucht hinter einer mit grauen PVC-Platten ausgekleideten Theke im staatlichen Dong-Ha-Hotel ein Kellner auf. Das bestellte thailändische Sportgetränk mit dem Wachmachereffekt wird feierlich wie eine Monstranz auf einem zerkratzten Tablett serviert. Mit 10.000 vietnamesischen Dong (zirka 10 Schilling) ist dies für viele Vietnamesen noch immer ein unbezahlbarer Luxus. Die Vietnamesen, draußen auf dem Vorplatz des Busbahnhofes, sitzen stattdessen auf winzigen Plastikhockern bei ca-phe-sua und tra-xanh.

Die trübe Atmosphäre am Busbahnhof der mittelvietnamesischen Provinzhauptstadt Dong Ha spiegelt den düsteren Vortag wider. Da hatte Reiseleiter Quyen einem Dutzend westlicher Touristen seine Heimat gezeigt, die Provinz Quang Tri: "Hier", hatte Quyen gesagt und eine ausladende Handbewegung gemacht, "hier war bis 1975 die Demilitarised Zone. Als ich noch ein Kind war, sah es hier aus wie auf dem Mond!" Tatsächlich hat der erbitterte Krieg in wenigen Jahren die fruchtbare Gegend um den Ben-Hai-Fluss in eine von Chemikalien verseuchte und von Bomben umpflügte Landschaft verwandelt. So wurde der Nationalstraße Nr. 1 hier in Quang Tri der Beiname "Straße ohne Freude" zuteil.

Inzwischen sind dichte Regenwolken über Dong Ha aufgezogen und auf der Scheibe eines indischen TATA-Busses tanzt ein magerer Scheibenwischer in unregelmäßigem Takt gegen die Fluten. Der Bus fährt nach Lao Bao, zur vietnamesisch-laotischen Grenze. Fahrer Ho Van Dong tritt die Pedale durch und steckt sich eine Zigarette an. Diese scheint auch während der gesamten, zweistündigen Fahrt hinauf ins 89 km entfernte Lao Bao nicht zu erlöschen. Selbst als wenig später an einer Tankstelle reichlich Treibstoff und Kühlwasser nachgefüllt werden, die Luft im Innern des vollbesetzten Busses erfüllt ist vom Gestank des Benzol, hält Ho die glühende Zigarette zwischen seinen knöcherigen Fingern. Im Gegenteil steckt Ho noch auf dem Gelände der Tankstelle rauschend ein Streichholz an, um mit einem brennenden Räucherstäbchen im Altar der Fahrerkanzel eine gute Fahrt hinauf auf das Truong-Son-Plateau zu erbitten.

Westwärts

Bald darauf bewegt sich der Bus auf dem Highway Nr. 9 Richtung Westen. Die Straße war ursprünglich von den Franzosen als Teil eines Straßennetzes gebaut worden, das alle Kolonien in Französisch- Indochina gleichermaßen miteinander verknüpfen sollte. Erst kürzlich war Highway Nr. 9 mit gewaltigem Aufwand erneuert und von den Schäden des Krieges und der Mangelwirtschaft befreit worden.

Reste der vietnamesischen Mangel- und Misswirtschaft sind in der Provinz Quang Tri heute noch in Form des staatlichen vereinten Betonkombinates von Dong Ha zu erkennen. Die Fabrik ist tief verschuldet, weil unwirtschaftlich und mit veralteter Technik ausgestattet. Sie steht vor dem Aus. "Damit", so ein deutscher Entwicklungshelfer in Quang Tri "wird sich die verheerende Arbeitslosigkeit in dieser vom Krieg verwüsteten Region weiter verschärfen."

Tatsächlich hoffen die deutschen Entwicklungshelfer, mit dem Einführen von Nutzpflanzen die Situation der Bevölkerung verbessern zu können: Kautschuk, Kaffee, Pfeffer und Seidenraupen sollen ein einträgliches Geschäft und Lebensgrundlage werden. Doch ein Erfolg scheint noch fern, zu groß sind die Probleme mit den noch immer verseuchten Böden und erodierten Bergen. Aktuell kommt man den hier lebenden Minderheiten ins Gehege. Vom Krieg und einer Politik der Gleichmacherei gleichermaßen bedrängt, sehen sich diese Minderheiten in ihrem angestammten Lebensraum bedroht. Die Bru-Van- Kieu- und Ta-Oi-Minoritäten, beide Angehörige der Mon-Khmer-Gruppe, sind in erheblichem Maße einem Assimilationsdruck ausgesetzt. Ihr abgeschiedenes Dasein wird konfrontiert mit neuen Straßen und einem aufkommenden Handelsverkehr. Mitten durch ihre Heimat verläuft der Highway Nr. 9 und darf man den Plänen aus Hanoi Glauben schenken, so soll schon innerhalb von 10 Jahren eine vierspurige Autobahn entlang der Grenze zu Laos, vom Norden in den Süden des Landes, nach Saigon verlaufen. Die Fahrzeit wäre durch diese Straße, die eng entlang dem "Knie" von Vietnam verlaufen soll, erheblich verkürzt. Fragwürdig bleibt aber das Schicksal der vielen Minoritäten im ganzen Land, die zumeist im Grenzgebiet von Vietnam und Laos leben und durch einen derartigen Superhighway beeinträchtigt würden.

Der Superhighway soll nicht nur den Handel erleichtern, sondern auch zu einer Touristenattraktion ausgestaltet werden, so die vietnamesische Tourismusbehörde. Denn die Autobahn folgt dem berühmten Ho-Chi-Minh-Pfad der nordvietnamesischen Widerstandskämpfer und wird dementsprechend auch nach dem früheren Revolutionär benannt werden. Doch noch ist es nicht soweit und die Minderheiten werden weiter in der Einöde dieser wilden, bergigen Landschaft ihrem Schicksal überlassen.

Inzwischen hat der Bus das etwa 1.000 m hoch gelegene Khe Sanh erreicht. Dies war früher eine erbittert umkämpfte Basis der US-amerikanischen Streitkräfte. Hoch auf einem Bergrücken hatten die USA hier einen Flugplatz eingerichtet und vergebens versucht, die Infiltration der Nordvietnamesen in den Süden zu verhindern. Heute ist auf der ehemaligen Luftwaffenbasis von Khe Sanh Ruhe eingekehrt und nur ein paar Fotos in einem kleinen Museum, ein verrosteter Panzer und ein Denkmal erinnern noch an die blutigen Jahre, hier oben in den friedlich wirkenden Bergen des Truong-Son-Plateaus.

Laos spricht

Gleich hinter Khe Sanh wird die asphaltierte Straße nach Lao Bao erheblich schlechter. Es geht in jedweder Hinsicht bergab, hinunter ins nur noch 268 km entfernte Savannakhet in Laos. Fahrer Ho drückt die letzte Zigarette aus und lenkt sein Fahrzeug geschickt auf die Busstation von Lao Bao. Im Vietnamesischen kann Lao Bao mit "Laos spricht" übersetzt werden. Tatsächlich ist das Nachbarland nur noch drei Kilometer vom Busparkplatz entfernt. Still und verträumt präsentiert sich der kleine Ort in den Bergen, der knöcheltief im Morast versinkt. Bis auf die wild gestikulierenden Vietnamesinnen mit kleinen Handtaschen über eleganter Kleidung und dicken Bündeln laotischer Kip-Scheine zwischen gut manikürten Fingern. Das ist der cho tien, der Geldmarkt von Lao Bao. Nahezu jede Währung kann hier gegen Kip- oder Dong-Scheine eingetauscht werden. Verwunderlich ist der Organisationsgrad der mafiös agierenden Frauen: Im überaus scharf bewachten Grenzgebiet und zwischen den Kontrollpunkten sind diese laufenden Bankschalter ungehindert von einem ins andere Land unterwegs. Kein Beamter oder Wachsoldat scheint davon Notiz zu nehmen, niemand hält die Frauen zurück. Selbst nicht, als in der bescheidenen Wachstube auf vietnamesischem Gebiet der Ausreisestempel erwartet wird.

Tatsächlich müssen der Grenzübergang von Lao Bao und die Provinz Quang Tri als eine Art privates "Königreich" begriffen werden. Davon sprachen jedenfalls zwei UNO-Mitarbeiter, unten in der Hauptstadt Dong Ha. Ungehindert, weil der Kontrolle von Hanoi entzogen, tue und lasse man hier in Quang Tri, was einem gefällt. So habe auch der Schmuggel auf dem Highway Nr. 9 über Lao Bao erhebliche Ausmaße angenommen: "Vor allem Nachts ist der Highway voll von donnernden Lkw, dass man keinen Schlaf finden kann" stellte einer der Mitarbeiter fest. Der Anblick ganzer Lastwagenkolonnen im Grenzgebiet überrascht dann kaum.

Fotografieren übrigens streng verboten! Mit voll gepackten Ladeflächen warten vietnamesische Lkw auf die Abfertigung. Dabei hatten Gesprächspartner in Dong Ha stets beteuert, niemals erhalten Vietnamesen einen Pass und eine Ausreisegenehmigung für Laos.

Wohltuend freundlich

Die laotischen Beamten grüßen nach einem kurzen Marsch durch eine weite Geröllhalde zwischen den beiden Ländern wohltuend freundlich und schon nach einem Kilometer Fußweg ist ein trostloses Dorf auf laotischem Staatsgebiet erreicht. Von hier fährt einmal am Tag ein Bus hinunter nach Savannakhet. Da diese Verbindung schon verpasst war und der Ort auch keine offiziellen Übernachtungsmöglichkeiten kennt, erscheint das Angebot einer Passage auf einem russischen Kamas-Lastwagen höchst willkommen. Vietnamesisch etikettierte Reis- und Zwiebelsäcke bieten Halt, als die Weiterfahrt losgeht. Denn von einer "Fahrt" im eigentlichen Sinne kann keine Rede sein.

Der Highway Nr. 9 ist in Laos nur noch eine sandige Lehmpiste, die sich in der Regenzeit im Handumdrehen in einen glipschigen Schlammpfad verwandelt. Durchschnittlich 5 km/h schleicht der Lastwagen durch Wasserlöcher, in denen bequem einer der vielen genügsamen Wasserbüffel ein Bad hätte nehmen können. In eben solch einem Loch hat sich ein anderer Lastwagen im Nirgendwo zwischen Lao Bao und Savannakhet festgefahren. Die Räder drehen hilflos durch, der Schlamm spritzt den Passanten am Wege um die Ohren. Doch der Kamas zieht seinen Kollegen heraus, die Laoten halten auf ihrer Landstraße zusammen. Nur die vielen vietnamesischen Lkw mit Fahrtrichtung Dong Ha bleiben unter sich.

Gegen Mitternacht ist endlich das völlig ausgestorbene Savannakhet erreicht. Am Ende des Highway

Nr. 9, der dem vietnamesischen Handel so hoffnungsvoll erscheint, wird ein ganz neues Zeit-Weg-Gefühl bestätigt. Mit eben solcher Gemütlichkeit legen die Fähren ab vom verschlafenen Savannakhet hinüber zum am westlichen Mekongufer liegenden Mukdahan. Dieses thailändische Städtchen erscheint schon vom weiten wie eine glitzernde Perle und vergessen sind in der Idylle des mächtigen Mekong die teils blutigen Grenzstreitigkeiten zwischen Laos und Thailand in der letzten Zeit.

Insgeheim ist Mukdahan Vorbild der Vietnamesen, die den Tag einer direkten Brückenverbindung an dieser Stelle herbeisehnen, um noch schneller thailändische Sportgetränke und andere Waren auf den aufstrebenden Markt hinter dem Truong Son schaffen zu können.

Freitag, 17. November 2000

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