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Vergangenheit und Gegenwart kultureller Begegnungen

zwischen Japan und Wien

Vorstadtmädel im Kimono

Von Ernst Grabovszki

Was haben japanische und österreichische Kultur gemeinsam? Auf den ersten Blick nur: Sushi, Toyota und Sony. Aber die Spuren mitteleuropäischer und fernöstlicher
Begegnungen reichen über diese Assoziationen weit hinaus. Wien zählt an die 50 Sushi-Läden, die Restaurant-Kette „Akakiko" befindet sich auf Expansionskurs. Den Wienern ist das nur recht, denn sie
haben das fernöstliche Edelessen für sich entdeckt, die Spezialisten kennen sogar die feinen Variatonen von Futo-Maki bis Orange-Kamo. Und wie man die Fischröllchen und den Reis mit filigranen
Stäbchen derart aus dem Teller zum Mund befördert, ohne schadenfrohe Blicke der Tischnachbarn auf sich zu ziehen, gehört auch schon zur mittäglichen Routine. Die kalorien- und fettarmen Speisen sind
längst keine Manager-Happen mehr, sondern Gustostückerl für die breite Masse.

Aber was wissen wir noch über Japan und die Japaner? In erster Linie das, was wir zu sehen bekommen: fotografierende Touristen, Musikstudenten, vielleicht noch kunstvolle Schriftzeichen, unter denen
wir uns sowieso nichts vorstellen können. Die Beziehungen zwischen Wien und Japan beschränken sich keinesfalls auf Sushi, Gesangsunterricht und Elektrogeräte, sie haben viel mehr eine
abwechslungsreiche Tradition. Sie lassen sich, oberflächlich betrachtet, bis ins Jahr 1873 zurückdatieren. Die Weltausstellung, die in diesem Jahr in Wien stattfand, zog nicht nur die fernöstlichen
Geschäftsleute an, sondern beeinflusste auch die bürgerliche Mode: Japanische Kostüme waren en vogue und brachten Umsatz. Der K.u.k.-Hoflieferant G. Singer wusste die Japonismus-Welle in bare Münze
zu verwandeln. Seine Firma „Au Mikado" avancierte zum größten Import-Haus von Japan-, China- und Indien-Waren in Österreich/Ungarn. Das Kimono-Modell „Sada Yacco" war um 16 Kronen, das Modell „Tokio"
um 90 Kronen zu haben. 1895 veranstaltete der Schubertbund ein „Japanisch-chinesisches Friedensfest", im Jahr zuvor hatte der Männerchor Donaustadt zu einem einschlägigen Faschingsfest geladen:
„Es wird gebeten, in japanischen oder ähnlichen Kostümen zu erscheinen. Die Herren haben an der Kassa die landesübliche Kopfbedeckung zu kaufen." Detail am Rande: Die „Kopfbedeckung" war nichts
anderes als ein geflochtener Zopf, der sich in der Vorstellung der Veranstalter zu einem Hut ausgewachsen hatte.

1897 wurde das „Vergnügungs-Etablissement Japan" in der Schiffgasse eröffnet, ein „Café im japanischen Styl". Das Kirschblütenfest in der Praterrotunde im Mai 1901 war schließlich Beweis dafür, dass
japanisches Outfit gesellschaftsfähig geworden war. Rund 150.000 Besucher wurden gezählt, unter ihnen die Fürsten Montenuovo, Schwarzenberg, Liechtenstein, Esterházy, Kinsky und Auersperg. Die
„Neue Freie Presse" berichtete, dass „man sich in eine japanische Zauberstadt versetzt glaubte. Alle sahen in den japanischen Costümen reizend aus. Rasch haben sich unsere Frauen und Mädchen
an die fremdartige Tracht gewöhnt, sie bewegten sich darin so frei und ungezwungen, als wäre bei uns die Kimona, das lange, faltige Kleid, schon lange modern, und auch die japanische Frisur stand den
meisten ausgezeichnet zu Gesicht."

Aber nicht nur die Weltausstellung und ein paar Feierlichkeiten zeugen von der japanisch-wienerischen Begegnung. Wir können noch weiter zurückblicken und treffen etwa auf den Japan-Forscher Philipp
Franz von Siebold, der 1837 der Kaiserlichen Hofbibliothek rund 60 japanische Bücher vermachte, die wiederum den Grundstock für August Pfizmaiers (1808 bis 1887) Auseinandersetzung mit dem fernen
Land bildeten. Siebolds Sohn Heinrich war später über zwei Jahrzehnte als Diplomat an der österreichischen Gesandtschaft in Tokio tätig. Pfizmaier fertigte 1847 die erste Übersetzung japanischer
Belletristik in eine europäische Sprache an: Der Roman „Ukiyogata rokumai byôbu" von Ryûtei Tanehiko war für das deutschsprachige Publikum unter dem hintergründigen Titel „Sechs Wandschirme in
Gestalten der vergänglichen Welt" erhältlich. Der rührige Japanologe, Mitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, ließ noch durch weitere Übertragungen literarischer und historischer Texte
aus dem Chinesischen und Japanischen aufhorchen, die Nachwirkung war ihm aber versagt geblieben. Innerhalb der Kaiserlichen Akademie wies schließlich noch der Wiener Linguist Anton Boller (1811 bis
1869) darauf hin, „dass das Japanische zum ural-althaischen Stamme gehört", und lenkte damit die Aufmerksamkeit der vergleichenden Sprachwissenschaft auf den Fernen Osten.

Schnitzlers Japan-Bild

Nicht nur die Geschichte der Wiener Wissenschaft, auch die außenpolitischen Bemühungen Österreichs geben Zeugnis von der Auseinandersetzung vor allem mit dem benachbarten eurasischen Raum. Die
Kontakte zu Japan kamen zwar nur zögerlich, schließlich aber doch zustande: 1868 wurde eine österreichisch-ungarische Ostasien-Expedition unter der Leitung von Karl Ritter von Scherzer (1821 bis
1903) durchgeführt, 1869 ein Freundschafts-, Schiffs- und Handelsvertrag unterzeichnet. Scherzer versorgte die österreichische Bevölkerung in einem landeskundlichen Kompendium schließlich mit
Detailinformationen zu Finanzwesen, Transport, Verkehr und Landwirtschaft in Japan. 1884 wurde ein Konsulat der Monarchie in Yokohama eingerichtet, 1935 eine japanisch-österreichische Gesellschaft
gegründet. Dass die alltagshistorischen, wissenschaftlichen und politischen Kontakte zwischen Österreich und Japan auch Spuren in der Wiener Kunstszene hinterlassen mussten, ist naheliegend. Die
Atmosphäre von Ferne und Exotik war eben anregender als alles Nahe und Bekannte. Arthur Schnitzler etwa gehörte zu jenen, denen Japan nicht nur eine oberflächliche Folie zur Projektion von Exotismus
war, sondern dessen Bild von Kultur und Tradition Japans sich zu einer realistischen Vorstellung wandelte. In seinem Tagebuch finden sich zwischen 1879 und 1930 mehr als 40 Eintragungen, die in
irgendeiner Weise mit Japan zu tun haben. Aufgrund der Japonismus-Welle fiel eine solche Auseinandersetzung auch nicht schwer: Schnitzler besuchte 1900 beispielsweise die mit rund 700 Objekten bis
dahin größte Japan-Ausstellung in Europa in der Wiener Secession, die von dem Kunstsammler Adolf Fischer realisiert worden war. Er lernte den japanischen Arzt Ishihara, den Dramatiker Matsui und den
Kabuki-Schauspieler Sadanji kennen, las aufmerksam das „Buch vom Thee" von T. Okakura, und seine Bibliothek wurde zusehends mit Übersetzungen seiner Werke ins Japanische ergänzt.

Schnitzlers Zeitgenosse Paul Goldmann, Redakteur und Korrespondent der „Neuen Freien Presse" und der „Frankfurter Zeitung", konnte dem Wiener Autor aus erster Hand berichten. Goldmann
hatte 1898 eine Reise durch Ostasien unternommen und machte aus seinen Eindrücken in einem Brief an Schnitzler kein Hehl: „Mein lieber Freund, ich habe drei Tage in Kyoto, der alten japanischen
Hauptstadt, verlebt, die zu den schönsten meines Lebens gehören. Das einzige Mal, dass ich den Eindruck hatte, ganz aus der Wirklichkeit heraus zu sein! Ich bin gerade so kurze Zeit dagewesen, dass
der Zauber nicht verfliegen konnte. Und ich spreche vom Lande allein, nicht von den Mus'mes (Mädchen) und leichter Liebe, · nein allen von dem Zauber dieser herrlichen Berge mit ihren Nadelwäldchen
und herbstrothen Ahorn-Bäumchen, von dem Zauber dieser seltsamen, seltsamen Stadt mit ihren wundervollen Tempeln und den stillen Straßen, in denen das sanfte Flötenspiel der Priester klingt. Keine
Feder vermag das zu beschreiben."

„Japanische Duse"

Aufsehen erregte nicht zuletzt das Gastspiel einer Theatertruppe mit der Schauspielerin Sadayakko im Februar 1902, das in Schnitzlers Tagebuch lapidar mit „Sada Yacco, Fuller" abgehandelt
wird. Die einstige Geisha, als Schauspielerin zur „japanischen Duse" aufgestiegen, war die erste weibliche Darstellerin der Neuzeit. Frauen blieben (und bleiben zum Teil bis heute) aufgrund ihrer
erotischen Ausstrahlung, so heißt es, von der japanischen Bühnenkunst ausgeschlossen. Die Stücke „Die Geisha und der Ritter" und „Kesa", beides Liebesgeschichten mit tödlichem Ausgang, spalteten die
Wiener Theaterkritik. Die „Neue Freie Presse" war von der Begegnung mit der fernöstlichen Theatertradition überfordert: „Diese Kunst ist uns ferner, fremder, unverständlicher als das Land,
aus dem sie herkommt."

Ob dieses Urteil auch heute noch Gültigkeit besitzt, sei dahin gestellt. Die Bemühungen um die Auseinandersetzung mit japanischer Kunst und Kultur halten auf jeden Fall an. Das Wiener Konzerthaus
etwa veranstaltet(e) im März und April ein Japan-Festival, das weniger Exotismus, sondern vielmehr Authentizität vermitteln wollte: Japanische Tänze und Gesänge, Koto- und Shamisenmusik, Schwerttanz
oder Teezeremonien mit abschließender Sushi-Verkostung bildeten ein umfangreiches Programm. Den Verehrern japanischer Küche ist außerdem die Ausstellung „Artificial Food" in bester Erinnerung, die
die ganzheitliche japanische Ästhetik, welche eben auch den Alltag und somit das Essen umfasst, hervorkehrte. Die gegenseitige Befruchtung und kulturelle Wechselwirkung ging aber auch in die
umgekehrte Richtung: Gustav Mahler etwa wurde zu einem vielbeachteten und hoch geschätzten Exportartikel, dessen Rezeption 1927 mit einer Teilaufführung der ersten Symphonie durch den Dirigenten
Hidemaro Konde begann und in den dreißiger Jahren durch Klaus Pringsheim, dem Leiter des Orchesters an der Akademie von Tokio, fortgesetzt wurde.

Was reizt den hastenden, technikverwöhnten Mitteleuropäer also an der Lebensart oder Kunst eines Landes, dessen präzise und nur mit dem Notwendigsten auskommende Ästhetik unserer
Überflussgesellschaft eigentlich fremd sein müsste? Wahrscheinlich gerade die Negation jedes Überflusses und die Propagierung des Nichts, des Innehaltens in einer ziellosen Welt. Diese Ästhetik hat
mittlerweile auch die Oberfläche Wiens geprägt: Der Einfluss japanischer Kulturtradition auf das Stadtbild Wiens hat die Jahrzehnte bis in die Gegenwart überdauert. Im Herbst 1996 erhielt der Leiter
der Bundesgärten Wien, Dr. Peter Fischer-Colbrie, ein Schreiben der Japan Gardening Association mit der Bitte, den japanischen Garten in Schönbrunn untersuchen zu dürfen. Dieses Schreiben wurde
zuerst mit Verwunderung zur Kenntnis genommen, denn bis dahin war der vermeintlich japanische Garten in Schönbrunn als Alpensteingarten betreut und geführt worden. Umso erstaunter war man, als im
Jahr darauf japanische Experten an der Südseite des Palmenhauses eine Fläche entdeckten, deren Bepflanzung und Steinformationen den Richtlinien japanischer Gartenbaukunst entsprachen.

Recherchen ergaben, dass der 1913 erbaute Steingarten einem japanischen Vorbild auf der Gartenausstellung in London von 1912 nachempfunden war. Nun stand einer Restaurierung nichts mehr im Weg: die
Japan Gardening Association lukrierte aufgrund eingehender Berichterstattung in japanischen Medien Spendengelder, und ein österreichisches Unterstützungskomitee zur Revitalisierung des japanischen
Gartens in Schönbrunn tat das ihre, um das neu entdeckte Juwel originalgetreu wiederherstellen und erweitern zu lassen. Die Besucher des Tiergartens haben seit Mai 1999 also eine kleine
Sehenswürdigkeit mehr, einen meditativen Zwischenstopp, der aufgrund seiner Schlichtheit und Kargheit zur Muße und Einkehr einlädt. Die neu angelegten Gartenteile · Kare-sansui (trockener
Landschaftsgarten) und Cha-niwa (Teegarten) · sollen nicht zuletzt Ausdruck der Verbundenheit zwischen Japan und Österreich sein. Wer den Weg bis zum Schönbrunner Tiergarten nicht zurücklegen
möchte, kann auch in den 9. Wiener Gemeindebezirk pilgern: Den zweiten Hof des Universitäts-Campus schmückt seit kurzem ein kleiner Steingarten, dessen Schlichtheit schon so manchen Spaziergänger hat
leiser treten lassen.

Freitag, 07. April 2000

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