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Experiment Demokratie: Indonesien steht am 7. Juni vor

der Qual der Wahl

Indonesien: Große und kleine Suhartos

Von Günter Spreitzhofer

Die Gegenwart scheint unerträglich und alle wollen Veränderung: Die einen mehr Islam, die anderen mehr Militär, die dritten mehr Autonomie · der südostasiatische
Vielvölkerstaat taumelt nach 32 Jahren Suharto von einer Krise in die nächste. Das schlimmste Wirtschaftschaos seit Jahrzehnten, dazu der volkswirtschaftliche Schaden der jüngsten Waldbrände im
Ausmaß von 4,5 Milliarden US- $ und die Ernteausfälle durch El Nino. Ethnische und religiöse Pogrome erschüttern den Archipel, seit die starke Hand aus Jakarta fehlt · Bahruddin Yussuf Habibie, seit
einem Jahr zumindest Präsident des Übergangs, ist wahrlich nicht zu beneiden, denn die Spirale der Gewalt scheint auch gerade durch seine (erzwungene) Politik der sozialen Liberalisierung nicht zu
stoppen: Viel Zuckerbrot und wenig Peitsche, um das soziale Pulverfaß nach drei Jahrzehnten Autokratie nicht frühzeitig zu sprengen.

Suhartos Motto „Bhineka Tunggal Ika" (Einheit in der Vielfalt) ist jedenfalls Geschichte. Indonesien ist heute das viertgrößte Land der Welt · doch die ethnische, religiöse und sprachliche
Vielfalt des 205-Millionen-Staates war stets größer als seine verordnete Einheit, die die Armeen und Beamtenheere der Autokraten Sukarno (1945 bis 1965) und Suharto (1966 bis 1998) garantierten. Coca
Cola und Toys 'R Us in Java (Bevölkerungsdichte 814 Menschen/km), Reisschnaps und Steinaxt in Irian Jaya (Bevölkerungsdichte 4 Menschen/km): die Disparitäten der 17.508 Inseln, gesamt 61mal größer
als Österreich, werden um so bewußter, je schwächer der politische Druck aus Jakarta wird.

„Javanisierung"

Der wirtschaftliche Take-Off zum asiatischen Supertiger war spätestens 1997 beendet. Der folgende glanzlose Abgesang des Suharto-Clans öffnete Gräben, deren Existenz am Fuße der massivsten
Vulkankette der Welt keiner wahrhaben wollte. Die UNO prognostiziert für 7,5 Millionen Menschen akute Engpässe in der Lebensmittelversorgung innerhalb des nächsten Jahres. Selbst
Regierungsstatistiker konzedieren 47 Prozent der Bevölkerung unter der offiziellen Armutsgrenze, gegenüber lediglich 11 Prozent zur Zeit des Wirtschaftswunders 1996. Trotz oder wegen der IWF-
Milliarden: Es fehlt nicht nur an Nahrung, sondern auch an Visionen.

Habibie kann eigentlich nichts dafür, daß der diktierte Frieden der letzten Jahrzehnte Vergangenheit ist: Hunderte neue Interessensgrüppchen drängen in die wiederentdeckte Demokratie und
separatistische Bestrebungen an der bislang ignorierten Peripherie des Archipels gewinnen an Bedeutung: Seit der „Neuen Ordnung" Suhartos (1966) gingen über zwei Drittel sämtlicher Investitionen in
die indonesische Hauptstadtregion Jabotabek (Jakarta, Bogor, Tangerang, Bekasi) im Westen Javas, wo auf nur 7 Prozent der Staatsfläche 65 Prozent aller Indonesier leben:
125 Millionen auf Java, davon fast 20 Millionen in Metro-Jakarta. Für die Außeninseln blieb zwar kaum Finanzkapital, dafür umso mehr Menschenmaterial. Die gezielte Umsiedlung Hunderttausender Bauern
aus dem übervölkerten Zentralbereich von Java, Bali und Madura zur Urbarmachung der Regenwälder Kalimantans (Indonesisch- Borneo), Sumatras, Sulawesis, der Molukken und Irian Jayas („Transmigrasi")
schuf glosende Spannungsfelder, die das gegenwärtige politische Vakuum aufflammen ließ.

Bereits zur holländischen Kolonialzeit (1905) begonnen, wurde „Transmigrasi" unter Suharto Bestandteil des nationalen Entwicklungsmodells und zum größten Umsiedlungsprogramm der Welt. Zwischen 1969
und 1993 wurden derart 1,7 Millionen Familien umgesiedelt · großteils freiwillig, mit Regierungsunterstützung, die den Transmigranten zumindest zwei Hektar Land, Saatgut, Geräte und Fertigteilhäuser
zur Verfügung stellte. Zwei Moskitos auf einen Schlag: Soziale und ökonomische Motive · Bevölkerungsumverteilung, Förderung der Bodenschätze (Öl, Gold, Kupfer) und Regenwaldbewirtschaftung zur
Armutsbekämpfung · genossen vordergründige Priorität. Die politische Relevanz blieb vielfach verborgen. Javanisierung des Archipels, das erlaubte bürokratische und militärische Präsenz in
traditionellen Unruhegebieten. Dazu Verbreitung des Islam in christlichen und animistischen Kulturkreisen, nicht zu unterschätzen im größten muslimischen Land der Welt.

Wirtschaftskrisen brauchen Sündenböcke. Nach jahrhundertelanger Tradition galt der nationale Volkszorn zunächst den Chinesen, die · obwohl nur 3 Prozent der indonesischen Gesamtbevölkerung · rund 70
Prozent des Einzelhandels kontrollieren. Doch die ersten Pogrome in Jakarta und Umgebung (1997) sind längst zum Flächenbrand geworden. War Suhartos Regierung stets verstrickt in Geschäfte mit
christlich-chinesischen Finanzkonglomeraten, so sind Habibies verzweifelte Kooperationen mit muslimischen Oppositionsgruppen bereits Legende; trotz halbherziger Konzessionen an regionale
Autonomiebestrebungen scheint dennoch nur Ost-Timor · mit UNO-Unterstützung · der Unabhängigkeit nahe. Der regionale Nationalismus blüht unter dem Deckmäntelchen religiöser Selbstbestimmung.

Die Transmigranten büßen. Da ist Aceh in Westsumatra, stets die Kernregion eines glühenden Islam, die lieber heute als morgen autonom wäre. Irian Jaya und Ost- Timor (1969 bzw. 1975 annektiert)
liebten Indonesien noch nie. Blutige Zusammenstöße zwischen Christen und Moslems in Kalimantan, Sulawesi und auf den Molukken haben die Chinesenhatz des vergangenen Jahres abgelöst · die
muslimischen Zuwanderer stehen mehr denn je für Java, Korruption und Ausbeutung. Feuer in über 700 Kirchen und Moscheen von Ambon, Medan und Pontianak: Speer gegen Machete, täglich irgendwo auf den
Pfefferinseln . . .

Kandidierende Parteien gibt es mittlerweile genug, gegenüber lediglich drei zu Suhartos Zeiten. Nach Angaben der nationalen Wahlkommission haben sich bereits rund 85 Prozent der Wahlberechtigten
registrieren lassen, trotz regionaler Drohgebärden separatistischer Kreise, die den offiziellen Wahlkampf etwa Acehs bislang nur unter massiver Militärpräsenz möglich machten. Natürlich geht es
vorrangig um die neue Zusammensetzung des Parlaments (DPR): Je nach Wahlergebnis in den 27 Provinzen werden am 7. Juni 462 Sitze vergeben, dazu kommen 38 Sitze, die traditionell für die Militärs
reserviert sind. Das Parlament umfaßt somit 500 Personen, die ihrerseits Teil der 700 Mitglieder starken „Beratenden Volksversammlung" (MPR) sind · 135 Positionen werden von Provinzparlamenten
bestimmt, 65 Kandidaten werden von Wohlfahrtsorganisationen und dem Präsidenten persönlich ernannt. Die kommenden Juniwahlen, deren Ergebnis frühestens Anfang Juli erwartet wird, sind das
Vorgeplänkel für die entscheidende Präsidentschaftswahl im November, die Chefsache der MPR ist.

48 Parteien kandidieren

Seriöse Chancen werden nur zwei der 48 Gruppierungen eingeräumt: Golkar und PDI-P. Die Golkar, traditionell Partei der Beamten und Militärs, hat Indonesiens Politik seit drei Jahrzehnten dominiert
und bei allen (pseudo)demokratischen Anlässen stets überwältigende Siege eingefahren · selbst die erwartete Halbierung des Stimmenanteils würde noch immer an die 35 Prozent der Parlamentssitze
bringen. Es ist die Partei Habibies und General Wirantos, Oberbefehlshaber der Streitkräfte, der nach Volksmeinung die Ordnung nach den blutigen Unruhen im Zuge des Machtwechsels von Suharto zu
Habibie wiederhergestellt hat. Die Golkar punktet voraussichtlich weiter in den ruralen Regionen, wo kaum Konkurrenz zu befürchten ist. „Wir mögen keine neue Partei sein", streicht Eki
Syachrudin, Parlamentarier der Golkar und leitender Verantwortlicher der „Wahlsiegkommission" heraus, „aber wir bekennen uns zu Reform und Demokratie, wir sind die Partei der Mitte."

Die Golkar mag unter der städtischen Bildungsschicht als synonym für Korruption und Arroganz stehen, doch die ländliche Bevölkerung · 65 Prozent der Wahlberechtigten · weiß Personenkult und
Parteiprogramm auseinanderzuhalten: Die Bekenntnis zur Pancasila, der liberal- säkularen Verfassung, könnte in Zeiten zunehmender Islamisierung der Opposition zum entscheidenden Pluspunkt für
harmonieorientierte Kreise werden, die aus ihrer Bewunderung für Habibie kein Hehl machen. Der ehemalige Technologieminister mit bundesdeutscher Ausbildung polarisiert, gilt er doch für die
bäuerliche Bevölkerung quasi als Genie. Gleichzeitig ist er das Feindbild für urbane Intellektuelle, die den ehemaligen Busenfreund Suhartos als Strohmann der alten Eliten verachten.

Die oppositionelle PDI-P, die „Indonesische Demokratische Partei des Kampfes", steht unter der Führung von Megawati Sukarnoputri. Sie ist die Tochter des nationalen Staatsgründers Sukarno, dessen
Experiment der „Gelenkten Demokratie" 1965 kläglich gescheitert war. Megawati verkörpert alte Werte der Bescheidenheit und Zurückhaltung · sie schweigt zu brisanten Fragen und stellt sich keiner
Diskussion: „Debatten sind nicht Teil der asiatischen Kultur", wie die „Orang Biasa" (Frau aus dem Volk) lapidar erklärt: Schwäche für die diskussionswillige Mittelschicht der Städte, Stärke
für die enorme Landbevölkerung Javas, die auf Megawatis romantisierenden Wahlkampf voller javanischer Mythen begeistert einsteigt und die PDI-P allen Prognosen zufolge auf zumindest 30 Prozent
treiben dürfte.

Und der Rest? Mehr als die Hälfte der verbleibenden 46 Parteien ist islamisch ausgerichtet, doch die unüberwindbare Kluft zwischen traditionellen (in Indonesien: liberalen) und modernistischen (in
Indonesien: fundamentalistischen) Strömungen läßt keine stimmenstarke Koalition erwarten · trotz des Charismas ihrer Leitfiguren Amien Rais (Partei des Nationalen Auftrags, PAN), stellvertretend für
die modernistischen Reformer, und Abdurrahman Wahid (Partei des Erwachens, PKB) für das traditionalistische Lager.

Javanisches Schattenspiel

Suhartos Clan, dessen legendäre Vetternwirtschaft das Land um geschätzte 250 Milliarden (!) Schilling erleichtert hat, zieht wohl weiter die Fäden im Hintergrund. Halbherzige
Untersuchungskomitees kommen und gehen, trotz des ersten Korruptionsprozesses gegen Hutomo „Tommy" Mandala Putra, den jüngsten Sohn Suhartos. Die guten alten Zeiten werden vielfach wieder
herbeigesehnt, als der Archipel seinen unruhigen Schlaf schlief und das Leben friedlich war · sofern man sich nicht als Regimegegner deklarierte. Dudy Karamoy, einer der Straßengitarristen in
Jakartas Stadtbussen, spricht wohl für viele: „Natürlich gab es Betrug damals. Aber Arbeit war leicht zu finden ·und welche Politik ist schon ehrlich?" Der großen Mehrheit sind Parteipolitik
und ideologische Überlegungen reichlich egal, solange die Sicherheit von Arbeit und Leben wieder gewährleistet ist.

Prädestinierte Nachfolger sind jedenfalls keine in Sicht, das Führungsvakuum ist evident. „Neue Führer gibt es viele, aber zuwenig Führung", meint Eros Djarot, Journalist und Chefberater von
Megawati, „der große Suharto ist gegangen, statt ihm kamen nur viele kleine Suhartos." Gerade die Instabilität ist die große Chance der Golkar, die kurz nach den traumatischen Mai-Unruhen des
Vorjahres am Ende schien. Nur Großparteien können Ruhe schaffen, und der Alptraum allzu großer Veränderung in allzu kurzer Zeit ist allgegenwärtig. Allgemeiner Stimmenkauf ist einkalkuliert, längst
auch von den neuen Oppositionsparteien, die die Golkar stets massiver Wahlbetrügereien bezichtigten. „Ich kann soviele Stimmen organisieren wie Sie wollen, ob für eine der großen Parteien oder
auch die kleinen", läßt einer der anonymen Capos der Straßenhändler von Surabaya, Indonesiens zweitgrößter Stadt, keinen Zweifel an drohender Manipulation.

Es gibt viel zu verlieren: Alte Pfründe und neue Rechte, Geld und Positionen. Bei allen Vorbehalten, Indonesien braucht mehr als den Hauch von Demokratie: „Wenn es wieder eine Regierung für die
Menschen sein soll, sind Wahlen ein Muß", ist Politologe Sujati Jiwandono überzeugt. Es werden die ersten Wahlen der Post-Suharto- Ära werden, ein gewaltiges Experiment ganz ohne Probedurchgang.
Die Zukunft hat begonnen.

Freitag, 04. Juni 1999

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