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Vor 200 Jahren starb Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis

Novalis: Tätig, liebevoll und treu

Von Otto A. Böhmer

Er hieß eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg und stammte aus altem niedersächsischem Adelsgeschlecht. Den Namen, unter dem er bekannt wurde, nämlich Novalis, nahm er erst später an und benutzte ihn vorwiegend für seine literarischen Arbeiten. Novalis heißt soviel wie "Der Neuland-Besteller" und als ein solcher hat sich der Freiherr von Hardenberg, der ein Mann von beträchtlichen Talenten war, auch tatsächlich gesehen: Er betrat Neuland, das bei genauerem Hinsehen aber so neu gar nicht war, sondern nur die andere Seite der bekannten und durchdachten Welt, von der wir uns ein Bild machen. Dieses Bild zu verschönern, es aufzuhellen auf Erden und unter einem der Ewigkeit verschworenen Himmel - das war das Bestreben des Freiherrn von Hardenberg genannt Novalis, der dafür jedoch nicht viel Zeit hatte; sein Leben war kurz bemessen.

Am 2. Mai 1772 wird er im elterlichen Schloss Oberwiederstedt im damaligen Kursachsen geboren. Heinrich Ulrich Erasmus von Hardenberg, Novalis' Vater, ist ein strenggläubiger Mann: Er hat sich, nachdem ihm in erster kinderloser Ehe die Frau weggestorben war, der Herrenhuter Brüdergemeinde angeschlossen und hängt seinem eigenen Gottesweltbild an, das vom Grau-in-Grau der irdischen Sündhaftigkeit grundiert wird. Gut, dass es da noch die Mutter gibt: Bernhardine Auguste von Bölzig, Hardenbergs zweite Frau, war als arme Verwandte vom Hausherrn geehelicht worden, was sie immer wieder zu spüren bekommt. Sie lässt es sich jedoch nicht verdrießen, ist lebensbejahend und verständnisvoll. Elf Kinder - sieben Söhne und vier Töchter - bringt sie zur Welt, von denen nur ein einziges, der 1781 geborene Georg Anton von Hardenberg, die Mutter überlebt. Der Tod, so scheint es, hat schon frühzeitig sein besonderes Augenmerk auf die Hardenberg-Kinder gerichtet; für den Vater ist dies eine Bestätigung seines freudlosen Gottesglaubens.

Friedrich von Hardenberg ist der Älteste, ein zunächst merkwürdig schwächliches Kind, an dem keine besonderen Geistesgaben zu entdecken sind, im Gegenteil. Sein Blick, meint man, ist träge, seine Bewegungen muten langsam an, von frühen Begabungen kann keine Rede sein. Der Vater macht sich schon Sorgen, ob ihm da nicht eine weitere schwere Probe zugemutet werde, indem ihm der Herrgott ein zurückgebliebenes Kind ins Haus gesetzt hat; die Mutter jedoch hängt an ihrem Erstgeborenen mit besonderer Zärtlichkeit, was ein Leben lang anhält. Friedrich dankt es ihr mit einer Liebe, die über das übliche Maß hinausgeht; die Mutter wird ihm zur Geliebten schlechthin, sie weckt Begehrlichkeiten in ihm, die mit eingehen in sein späteres Frauenbild.

Der kleine Friedrich von Hardenberg, von der Mutter geliebt und vom Vater argwöhnisch beäugt, bleibt zunächst das merkwürdig schwächliche Kind. Das ändert sich erst, als er seine erste große Kraftprobe besteht: Friedrich, gerade neun Jahre alt geworden, trotzt einer der heimtückischen Krankheiten seiner Zeit, der Ruhr. Wochenlang liegt er darnieder, die Ärzte machen sorgenvolle Gesichter. Sogar der Vater lässt sich erweichen und bangt um seinen Sohn. Als der kleine Friedrich, allen ungünstigen Prognosen zum Trotz, die Krankheit besiegt, steht er, so scheint es, als ein anderer vor den Eltern: Er wirkt selbstbewusster, nicht mehr so verhuscht und verschüchtert, und auf einmal interessiert er sich für alles, was um ihn herum vorgeht. Der Vater sieht es mit Wohlwollen, beginnt, sich ernsthaft für seinen ältesten Sohn zu interessieren. Heinrich von Hardenberg hat allerdings wirtschaftliche Sorgen; er bewirbt er sich um den Posten des Direktors der kursächsischen Salinen. Die Bewerbung hat Erfolg, er erhält eine zusätzliche Besoldung von 650 Talern im Jahr. So zieht die Familie 1785 in die kleine Stadt Weißenfels um, die damals knapp 4.000 Einwohner hat und verkehrsgünstig im Dreieck Leipzig, Jena, Weimar liegt. In dieser Region, so zeigt sich später, fühlt sich Novalis zu Hause; er bleibt ein Kursachse, der zwar gelegentliche Reisepläne hegt, aber den anmutigen Landstrich zwischen Harz, Thüringer Wald, Erzgebirge und Elbe nicht verlassen mag. Hier findet er seine Welt, in der sich die Grenzen zwischen Tag und Traum, zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit zu Gunsten einer anderen Wirklichkeit auflösen lassen.

Studentenjahre

Friedrich von Hardenberg wird von Hauslehrern unterrichtet; er zeigt sich als fleißiger Schüler. Zur Literatur fühlt er sich hingezogen, auch zur Philosophie und Rechtswissenschaft, und er hat sich, eher spielerisch denn systematisch, bereits selbst als Dichter versucht, dem es allerdings noch an Originalität mangelt, was er selbst freimütig zugibt. Am 23. Oktober 1790 wird er als Student der Jurisprudenz an der Universität Jena eingeschrieben, die damals bei etwa 4.500 Jenenser Einwohnern immerhin 800 Studenten zählt und besonders in den Geisteswissenschaften einen ausgezeichneten Ruf hat. Als Berühmtheiten gelten der Philosoph Karl Leonhard Reinhold, ein Kantianer auf der Suche nach einer eigenständigen Philosophie, und der Dichter Friedrich Schiller, der in Jena als außerordentlicher Professor der Geschichte und Philosophie wirkt und, passend dazu, auf den jungen Novalis sogleich einen außerordentlichen Einfluss ausübt; - "sein Blick warf mich nieder in den Staub und richtete mich wieder auf", bekennt er und fühlt sich in einer Weise inspiriert, die er zuvor nicht gekannt hat.

In Jena bleibt Friedrich von Hardenberg, trotz Schiller, nur ein Jahr; danach wechselt er an die Universität Leipzig. Im Vergleich zu Jena ist Leipzig eine Großstadt von 30.000 Einwohnern. Es gibt für den Studenten Hardenberg nicht nur die Wissensangebote, sondern auch diverse Zerstreuungen, so dass er Mühe hat, seine guten Vorsätze in die Tat umzusetzen. Die Unstetheit, das eigenartig Getriebene seines Wesens, das er schon früh in sich entdeckte und zu disziplinieren sucht, wird er so schnell nicht los. Er spielt mit dem Gedanken, Offizier zu werden. Davon erhofft er sich, wie er mitteilt, mehr "Männlichkeit" und ein "Festerwerden" seines Charakters. Die Zeiten sind zudem so, dass die Militärs gebraucht werden. In Frankreich hat sich, begrüßt von nicht wenigen deutschen Intellektuellen, die Revolution durchgesetzt. Am 20. April erklärt die Gesetzgebende Versammlung in Paris Österreich den Krieg, wovon auch das verbündete Preußen betroffen ist. Hardenbergs Pläne sind indes nicht mehr als Planspiele; er hat zudem nicht genug Geld, um sich in eine Offizierslaufbahn einzukaufen. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als, umgeben von äußeren Konflikten, seinen inneren Konflikt mit sich selbst auszutragen.

Dabei kommt ihm ein Freund zu Hilfe, der in der Folgezeit außerordentlich wichtig für ihn werden soll: der Dichter, Philosoph und Literaturkritiker Friedrich Schlegel, der, obwohl nur sieben Wochen älter als Novalis, damals in seiner Entwicklung schon so weit fortgeschritten ist, dass er Friedrich von Hardenbergs Talente deutlich zu erkennen vermag. Im Jänner 1792 schreibt er an seinen Bruder August: "Von einem muß ich doch noch erzählen: Das Schicksal hat einen jungen Mann in meine Hand gegeben, aus dem alles werden kann. - Er gefiel mir sehr wohl, und ich kam ihm entgegen; da er mir denn bald das Heiligtum seines Herzens weit öffnete. Darin habe ich nun meinen Sitz aufgeschlagen und forsche. - Ein noch sehr junger Mensch - von schlanker guter Bildung, sehr feinem Gesicht mit schwarzen Augen, von herrlichem Ausdruck, wenn er mit Feuer von etwas Schönem redet - unbeschreiblich viel Feuer - er redet dreimal mehr und dreimal schneller als wir andre - die schnellste Fassungskraft und Empfänglichkeit."

Im April 1793 verlässt Novalis Leipzig und wechselt an die Universität Wittenberg, an der gerade mal 250 Studenten eingeschrieben sind. Auch für Wittenberg stellt Novalis gute Vorsätze auf; sie sollen seinen Fleiß untermauern und reichen bereits über die Studentenzeit hinaus. Aber dann kommen doch die alten Zweifel wieder: "Mein Wesen besteht aus Augenblicken. Will ich diese nicht ergreifen mit männlicher Hand, so bleibt mir nichts übrig als eine unerträgliche Vegetation." Wenn dem aber so ist, wenn eigentlich nur der Augenblick zählt, dann muss man aus der Not eine Tugend machen: Das Leben als Abfolge von Augenblicken lässt sich steigern und erleuchten, wenn jedem dieser Augenblicke ein besonderes Gewicht verliehen wird. Inhaltsschwer und einzigartig muss jeder Augenblick sein - so als könnte er ein erstes und letztes Geschenk des auf Tiefe und Nachfragen angelegten Bewusstseins sein. Diesem Erkenntnisprogramm möchte er folgen als ein Wissender und Ahnender.

"Jedes Menschen Geschichte"

Am 14. Juni 1794 legt Friedrich von Hardenberg sein juristisches Staatsexamen ab; seine Leistungen werden, wie er beiläufig vermerkt, mit "der ersten Zensur" bedacht. Sein Selbstbewusstsein, noch immer ablenkbar und verführbar, hat sich gefestigt; er glaubt nun zu wissen, was er kann und was er will. Seine eigene, noch junge Geschichte hat er selbsttätig in die Hand genommen und mit Leben erfüllt, das auf einem deutlich erweiterten Wissen beruht. Man kann dies, möchte er glauben, sogar modellhaft sehen: Was seine Geschichte ausmacht, lässt sich nämlich auch als Bestandteil einer allgemeinen Geschichte denken, die, erhoben über das zeitlich Begrenzte, schließlich "jedes Menschen Geschichte" ist. Die Gewissheit, die Novalis daraus bezieht, reicht weit über die eigene Person hinaus, deren Wert er gerade erst entdeckt hat. Eine ungeheure Zeit steht ihm bevor - eine Abenteuerzeit des Denkens, in der vielleicht auch die Liebe, der nicht wenige seiner Tag- und Nachtträume gelten, ihren Platz findet: "Ich sehne mich ungeduldig nach Brautnacht, Ehe und Nachkommenschaft . . ."

Nach Abschluss seines Studiums findet Hardenberg im November 1794 eine Anstellung: Er wird Verwaltungsassistent am Kreisamt in Bad Tennstedt im nördlichen Thüringen. Wenig später kommt ein Ereignis über ihn, das er zwar erhofft, aber nicht unmittelbar erwartet hat: Er lernt die Liebe seines Lebens kennen. Sophie von Kühn heißt sie und lebt mit Mutter, Stiefvater und neun Geschwistern im Nachbarort Grüningen. Dass Sophie die Liebe seines Lebens ist, weiß er, wie er bekennt, "innerhalb einer Viertelstunde"; Sophie indes hat mit der Liebe eigentlich noch nicht viel im Sinn, denn sie ist jung, sehr jung, gerade mal zwölfeinhalb Jahre. Novalis kommt seine Liebe wie eine langersehnte Rettung vor; er hat einen Menschen für sich entdeckt, den er in den Mittelpunkt seiner heftig bewegten Gefühlswelt stellen kann. Er lebt auf in der Liebe, macht sie schließlich zu einem Welterklärungsmodell, das die Gegensätze versöhnt und auseinandertreibende Tendenzen wieder in eins führt. Sophie von Kühn, ein patentes und bodenständiges Mädchen, ist mit den Höhenflügen, die ihr zugedacht werden, überfordert; dennoch willigt sie ein, sich mit Hardenberg zu verloben, den sie, wohlwissend um seine Überspanntheiten, indes auf Distanz zu halten weiß. Novalis stört das nicht weiter; von der Liebe erwartet er mehr als eine schnell verglimmende Glut des Herzens. An Friedrich Schlegel schreibt er: "Mein Lieblingsstudium heißt im Grunde wie meine Braut. Sophie heißt sie - Philosophie ist die Seele meines Lebens und der Schlüssel zu meinem eigenen Selbst . . ."

Novalis wirft sich, beschwingt von der Liebe, der er überirdische Reichweiten zutraut, auf das Studium der Philosophie. Sein philosophischer Einflüsterer wird ein Denker, der gerade in aller Munde ist: Johann Gottlieb Fichte. Dessen waghalsiges Erkenntnisprogramm, das Universum aus einer grundlegenden Tathandlung des Ich hervorgehen zu lassen, wurde allgemein als kühner Entwurf angesehen, der etwas vollbrachte, was zuvor nur verschämt angestrengt worden war, nämlich aus dem Bannkreis des großen Kant herauszutreten. Von Fichte zeigt sich Novalis, der am Ich ja schon immer interessiert war, mächtig beeindruckt; er merkt jedoch bald, dass sich hinter dem Ich, wie absolut es auch immer gesetzt werden mag, noch etwas Größeres auftut - eine allererste, ganz und gar unabhängige Wahrheit. Sie nennt er Gott. Gott steht zwar über den Menschen, ist aber auch der Besatzer ihrer Herzen; Endlichkeit und Unendlichkeit sind in ihm innigst vereinigt. Wenn der Mensch, beseelt von der Liebe, sich für die Stimme Gottes offenhält, verfällt ihm die gewöhnliche Zeit, und er wird Teil der wahren Ewigkeit: "Wenn wir von uns sprechen, so reden wir von der Gattung und dem Einzelnen. Unser Ich ist Gattung und Einzelnes - allgemein und besonders. Die zufällige oder einzelne Form unsers Ich hört nur für die einzelne Form auf - der Tod macht nur dem Egoismus ein Ende . . . Was du wirklich liebst, das bleibt dir."

Mit dieser Einsicht wird Novalis schon bald auf eine schmerzliche Probe gestellt: Sophie erkrankt schwer. Die Lage ist ernst. Doch ist Sophie ungemein tapfer; ihre Leidensfähigkeit, die sich auch an den damaligen, aus heutiger Sicht geradezu furchteinflößenden Behandlungsmethoden der Medizin bemisst, wird von allen gerühmt. Sie unterzieht sich einer Operation in Jena, die kurzfristige Besserung bringt, dann jedoch das alte Leiden wieder hervortreten lässt. Anfang März 1797 sieht Friedrich von Hardenberg seine Sophie zum letzten Mal; sie stirbt, so steht es im Grüninger Kirchenbuch, am "19. März 1797, früh um 9 Uhr, 2 Tage nach ihrem fünfzehnten Geburtstag" an "den Folgen einer Lungensucht".

Was du wirklich liebst, das bleibt dir - diese Erkenntnis lässt sich leicht aufschreiben, angesichts des leibhaftigen Todes aber nur schwer durchstehen: "Es ist Abend um mich geworden, während ich noch in die Morgenröte hineinsah. Meine Trauer ist grenzenlos, wie meine Liebe. Drei Jahre ist sie mein stündlicher Gedanke gewesen. Sie allein hat mich an das Leben, an das Land, an meine Beschäftigungen gefesselt. Mit ihr bin ich von allem getrennt, denn ich habe mich selbst nicht mehr." Kaum ist Sophie zu Grabe getragen worden, wird ihm der nächste Schicksalsschlag auferlegt: Kaum vier Wochen später, am Karfreitag 1797, stirbt sein Lieblingsbruder Erasmus an Tuberkulose; er ist noch keine 23 Jahre alt. Dieser zweite Todesfall innerhalb kürzester Zeit, der den Lebensschmerz eigentlich ins Unerträgliche steigern müsste, bewirkt erstaunlicherweise eine Beruhigung; aus all dem, so macht sich Novalis klar, kann es nur den Weg ins Licht geben. Der Tod ist nicht das Ende, er zeichnet vielmehr, für jedes Menschen Geschichte, die unendlich feinen und eindringlichen Linien eines absoluten Neubeginns vor: "Das Blütenblatt ist nun in die andere Welt hinübergeweht, - der verzweifelte Spieler wirft die Karten aus der Hand und lächelt, wie aus einem Traum erwacht, dem letzten Ruf des Wächters entgegen und harrt des Morgenrots, das ihn zum frischen Leben in der wirklichen Welt ermuntert. Je ängstlicher die Träume, desto näher die erquickende Frühe . . . Ich habe noch einiges zu verrichten - dann mag die Flamme der Liebe und Sehnsucht auflodern und dem geliebten Schatten die liebende Seele nachsenden. Der Augenblick des Wiedersehens ist der freudigste Aufblick, den ich noch unter dieser Sonne habe."

Lebens- und Todespläne

Novalis gelingt es nun, sich dem wirklichen Leben zu widmen, ohne seine eigentliche Welt, die er "die unsichtbare Welt" nennt, aus den Augen zu verlieren. Er arbeitet konzentriert, ist um sein berufliches Fortkommen bemüht. Zugleich spricht in Briefen immer wieder davon, seiner Sophie "nachsterben" zu wollen; der rechte Zeitpunkt dafür sei nicht mehr fern. Je mehr er allerdings zurückfindet ins reale Leben, desto mehr verlieren seine Todespläne an Gewicht; sie werden, da er jetzt auch in seiner Philosophie festes Terrain erreicht, schließlich unerheblich und haben nur noch theoretischen Wert.

Novalis arbeitet inzwischen in der Behörde, der Heinrich von Hardenberg als Direktor dient; man hat seinen ältesten Sohn als Salinenassessor in Weißenfels angestellt. Da sein Wissensdurst ungestillt ist, entschließt er sich zu einem zusätzlichen Studium an der Bergakademie Freiberg, für das ihn die kurfürstliche Behörde im November 1797 freistellt. Mit dem Jahr 1798 tritt der Schriftsteller Novalis an die Öffentlichkeit: Bislang hat er eher in Verborgenen geschrieben; nun findet er, dass er sich hervorwagen darf. Friedrich Schlegel hat zusammen mit seinem Bruder August eine literarische Zeitschrift gegründet, die "Athenaeum" heißen soll, nachdem man zuvor ernsthaft erwogen hat, sie "Schlegeleum" zu nennen, was so ganz abwegig nicht gewesen wäre, da die Brüder die Absicht hegen, die meisten Beiträge selber zu schreiben.

Im "Athenaeum" erscheint im April 1798 unter dem rätselhaft- einschmeichelnden Titel "Blütenstaub" die erste selbständige Arbeit Friedrich von Hardenbergs, der sich als Schriftsteller Novalis nennt. Es sind "Vermischte Bemerkungen", die da das Licht der Öffentlichkeit erblicken, "romantische Fragmente", in denen der Autor, wie er selbst bekennt, "Bruchstücke des fortlaufenden Selbstgesprächs in mir" nach draußen lässt. Obwohl er mit dieser Form nicht sonderlich zufrieden ist und auch an den Inhalten nachträglich einiges zurechtgerückt wissen will, enthält die Sammlung "Blütenstaub" bereits wesentliche Bekenntnisse des Dichters und Denkers Novalis. Er formuliert einige seiner Grundgedanken, die um das Verhältnis von Endlichkeit und Unendlichkeit, von Tod und Leben, von Zeit und Zeitlosigkeit kreisen. Novalis, der im wirklichen Leben zu einem pflichtbewussten Beamten geworden ist, sieht sich als Bürger einer höheren Welt. Diese höhere Welt ist unsichtbar und lebt vom reichen Seelenleben, das jeder Mensch in sich trägt: "Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefe unseres Geistes kennen wir nicht. - Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns und nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft." Dennoch wäre der Mensch schlecht beraten, wenn er sich nur darauf beschränkte, die Tiefen seiner Seele auszuloten. Die Außenwelt, das wirkliche Leben darf nicht gering geschätzt werden: "Der erste Schritt wird Blick nach Innen, absondernde Beschauung unseres Selbst. Wer hier stehen bleibt, gerät nur halb. Der zweite Schritt muß wirksamer Blick nach Außen, selbsttätige, gehaltvolle Beobachtung der Außenwelt sein." Das Band, das die ideale Verbindung zwischen Innen- und Außenwelt schafft, ist die Poesie. Ihr mutet Novalis viel, wenn nicht gar alles zu: Poesie, wie er sie versteht, steht sogar noch über Philosophie und Religion, ja, sie soll auch die geheime Triebfeder sein, die das Staats- und Gesellschaftsleben prägt.

Inzwischen hat Friedrich Schlegel seine Überlegungen aufgenommen; im "Athenaeum" nennt er die Poesie, der sein Freund Novalis zutraut, "die Welt zu romantisieren", eine "progressive Universalpoesie", die nichts Geringeres bewirken soll, als "die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch" zu machen. Novalis sucht derweil nach einer Art Weltformel. Sie soll die geheime Klammer des Wissens benennen, die das Kleine mit dem Großen, das Innere mit dem Äußeren verbindet; sollte es sie geben und sollte sie, dies vor allem, den Menschen zugänglich sein, wäre sie der eigentliche Schlüssel zum Reich Gottes.

Von den zeitgenössischen, an sich ja wagemutigen Entwürfen der Philosophie hat sich Novalis inzwischen entfernt; er glaubt, die Philosophie Fichtes hinter sich gelassen zu haben, weil er eben nicht beim Ich stehengeblieben ist, sondern die ganze Reichhaltigkeit des Lebens, das sich durch reine Begriffe nicht fassen lässt, in sein Denken mit einbezieht. Leben ist magisch - diese Erkenntnis, die ihn nicht schaudern lässt, sondern noch ergriffener und neugieriger macht - wird ihm zur erkenntnisleitenden Idee: "Zur Welt suchen wir den Entwurf - dieser Entwurf sind wir selbst . . . Wir werden die Welt verstehn, wenn wir uns selbst verstehn, weil wir und sie integrante Hälften sind." Als Dichter sieht er sich indes nicht, wohl aber als Autor, der sein Schreiben wie sein Denken dazu benutzt, zu höheren Einsichten zu gelangen: "Die Schriftstellerei ist eine Nebensache . . . Wenn ich gut, nützlich, tätig - liebevoll und treu bin - so lassen Sie mir einen unguten Satz passieren. Schriften unberühmter Menschen sind unschädlich - denn sie werden wenig gelesen und bald vergessen. Ich behandle meine Schriftstellerei als ein Bildungsmittel - ich lerne etwas mit Sorgfalt durchdenken und bearbeiten - das ist alles, was ich abverlange. Kommt der Beifall eines klugen Freundes hinzu, so ist meine Erwartung übertroffen."

Zu Beginn des neuen Jahrhunderts schreibt Novalis Gedichte nieder, die im August 1800 unter dem Titel "Hymnen an die Nacht" im letzten Heft des "Athenaeum" erscheinen. Sie ziehen eine lyrische Summe seines bisherigen Denkens, das sich zum magischen Idealismus geläutert hat, der, durch auf- und absteigende Potenzierungen, die unsichtbare mit der sichtbaren Welt vereinigen will und das Gewöhnliche mit dem Ungewöhnlichen zusammendenkt. Deshalb ist die Nacht, die Novalis besingt, auch nicht bedrohliche Finsternis, sondern die andere Seite des Lichts; in der Nacht kommt es zur Versöhnung, wird Liebe zur wahren Offenbarung. Gott, der kein persönlicher, kein strenger Gott ist, ruft die Seinen, und sie erkennen ihn, ihrer Zeitlichkeit enthoben, in seiner zugänglichen Ewigkeit. Es ist ein Moment, der für alle zählt, und Novalis beschreibt ihn als aufblitzende Vision, die die Wahrheit als Bild nimmt, das sich eingräbt, auch wenn es schon wieder verloschen ist: "Da kam aus blauen Fernen - von den Höhen meiner alten Seligkeit ein Dämmerungsschauer - und mit einemmale riß das Band der Geburt - des Lichtes Fessel. Hin floh die irdische Herrlichkeit und meine Trauer mit ihr - zusammen floß die Wehmut in eine neue, unergründliche Welt - du Nachtbegeisterung, Schlummer des Himmels kamst über mich - die Gegend hob sich sacht empor; über der Gegend schwebte mein entbundner, neugeborner Geist. Zur Staubwolke wurde der Hügel - durch die Wolke sah ich die verklärten Züge der Geliebten. In ihren Augen ruhte die Ewigkeit - ich faßte ihre Hände, und die Tränen wurden ein funkelndes, unzerreißliches Band. Jahrtausende zogen abwärts in die Ferne, wie Ungewitter . . ."

Obwohl seine Gesundheit immer wieder quertreibt, ringt Novalis sich weitere literarische Arbeiten ab: Er hat einen Roman begonnen, die "Lehrlinge von Sais", der aber liegen bleiben muss, weil ihm die Zeit fehlt; er schreibt "Geistliche Lieder", die wegen ihrer ergreifenden Schlichtheit zu Lebzeiten seine erfolgreichsten Werke sind; er bringt unter dem programmatischen Titel "Die Christenheit oder Europa" eine geschichtsphilosophische Abhandlung zu Papier, in der er Religion und politische Erwartungshaltung auf eine Weise zusammenführt, dass beide wie neu belebt erscheinen, was auch und im besonderen gegen den zeitgenössischen, sich philosophisch gebärdenden Materialismus geht, der gegen die alten Werte wettert, nur weil sie alt sind und einem rigorosen Fortschrittsverständnis widersprechen.

Im Dezember beginnt er mit der Arbeit an einem neuen Roman, der "Heinrich von Ofterdingen" heißen soll und von einem mittelalterlichen Dichter erzählt, der im 13. Jahrhundert, zusammen mit seinen Dichterkollegen Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogelweide und Reinmar von Hagenau, am legendären Sängerkrieg auf der Wartburg teilgenommen hatte. Dennoch ist "Heinrich von Ofterdingen" kein historischer Roman, sondern eher ein Glaubensbekenntnis in Romanform. Es geht wieder um die Poesie, die Novalis noch einmal beim Wort nimmt, auf dass sie - nunmehr im Erzählgang eines Romans - die ganze welt- und seelentrösterische Vielfalt ihrer Möglichkeiten darlege.

Die blaue Blume

Man kann sagen, dass Novalis in seinen "Heinrich von Ofterdingen" alles hineinlegt, was er bisher erdacht, erfühlt, erlitten hat. In der berühmtesten Szene des Romans, aus der sich später die Zeichengebung einer übersteigerten romantischen Weltauffassung herauslesen ließ, erfährt Heinrich von Ofterdingen die visionäre Kraft der Erlösung, für die ein besonderes Symbol steht, die blaue Blume: "Er sah nichts als die blaue Blume und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blütenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte." Heinrich von Ofterdingen, der, wie sein Autor Novalis, eine starke Mutterbindung hat, die allerdings, soweit das überreicher Fantasie überhaupt möglich ist, im Sinne reiner Liebe von Zweideutigkeiten weitgehend freigehalten wird, darf schließlich, mit Blick auf die bestaunenswerten Grundfragen des Lebens, denen er Tag und Nacht nachsinnt, des Rätsels Lösung erfahren, das allerdings, wen wundert's, wiederum nur die Gewissheit des einen erfüllten Augenblicks anzubieten hat; darüber hinaus dreht sich das Geheimnis, in dem der Mensch und letztlich wohl auch sein Gott aufgehoben ist, im Kreise - eine unaufhörliche Bewegung, die den Schleier der Unwissenheit hebt, um ihn gleich darauf wieder fallen zu lassen: "Das große Geheimnis ist allen offenbart und bleibt ewig unergründlich. Aus Schmerzen wird die neue Welt geboren, und in Tränen wird die Asche zum Trank des ewigen Lebens aufgelöst. In jedem wohnt die himmlische Mutter, um jedes Kind ewig zu gebären . . ."

Inzwischen haben die Ärzte eine Lungentuberkulose bei Novalis diagnostiziert; sie verordnen Trinkkuren und regelmäßige Spaziergänge. Der Kranke macht sich seine eigenen Gedanken: Er besorgt sich heilkundliche Schriften und sucht darin nach einer Diagnose, die mit seiner Philosophie vereinbar erscheint. Schließlich kommt er darauf, dass Krankheiten, wie alles andere auf Erden auch, unter dem göttlichen Diktat freier Notwendigkeit stehen. Der Mensch soll die ihm auferlegte Krankheit als Herausforderung sehen: "Krankheiten zeichnen den Menschen vor den Tieren und Pflanzen aus - zu Leiden ist der Mensch geboren . . . Wahrscheinlich sind sie der interessanteste Reiz und Stoff unseres Nachdenkens und unserer Tätigkeit . . ."

Friedrich von Hardenberg genannt Novalis stirbt am 25. März 1801. Bald danach wird er zum Dichter einer Romantik erklärt, die das von ihm geprägte Gütezeichen der blauen Blume erhält - was sich jedoch als ein eher zweifelhaftes Qualitätssiegel herausstellt. Novalis' Werk nämlich ist deutlich vielschichtiger; sein magischer Idealismus unternimmt eine Denkanstrengung, die auch heute noch lohnend erscheint: Sie versucht, getrennte Sphären zu vereinigen, an denen wir mal schwach und demütig, mal großspurig und zukunftsversessen teilhaben. Das Sichtbare und das Unsichtbare, Natur und Geist, Innen- und Außenwelt, Rationalität und Gläubigkeit wollte Novalis zusammenbringen und darauf eine Religion des Wissens gründen, die zwar Bodenhaftung einfordert, aber zugleich hoch hinauf in die Göttlichkeit und in die unendlichen Weiten des Alls drängt.

Eine solche religiös grundierte Philosophie führt, wie Novalis kühnerweise annehmen konnte, "immer nach Hause"; ihr zu folgen, bedeutet, anders als es das blaublumige Romantik-Bild meint, nicht ausschweifendes Träumen, sondern die Teilhabe an einer realistisch gedachten und um die nötigsten Illusionen erweiterten Weltauffassung, aus der sich bewegende Andacht ebenso beziehen lässt wie Erkenntniszugewinn.

In seinem Tagebuch notierte der achtzehnjährige Novalis: "Alle unsre Wünsche bleiben unerfüllt, unsre Pläne scheitern, unsre schönsten Hoffnungen, unsre blühendsten Aussichten verschwinden. Oft schein ich mir allein in der Welt zu sein . . . Skeptizismus an Allen, trauriger Menschenhass muss unmittelbar daraus entstehen. - Unglücklicher, dem dies Schicksal zuteil ward. Bin ich der Unglückliche?" Auf diese Frage gab sich Novalis selbst seine Antworten; sie sind weit hergeholt und gehen gegen unsere heutigen, fast immer begründeten Überzeugung an, unglücklich sein zu müssen: Nein, lautet die Antwort in ihrer letztgültigen Fassung, eigentlich bin ich der Glückliche.

Freitag, 23. März 2001

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