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Ingeborg Bachmann und Klagenfurt - Eine Annäherung in Zitaten

"Heuboden und Taschenfeitln"

Von Wolfgang Ludwig

Man müsste überhaupt ein Fremder sein, um einen Ort wie Klagenfurt länger als eine Stunde erträglich zu finden (. . .) vor allem dürfte man nicht (. . .) auch noch wiederkommen.

Es waren nicht immer freundliche Worte, die Ingeborg Bachmann für ihre Heimatstadt Klagenfurt, in der sie am 25. Juni 1926 geboren wurde, fand. 1945, ein Jahr nach der Matura bei den Ursulinen, hat sie Klagenfurt verlassen, um erst in Innsbruck, dann in Graz und Wien Philosophie zu studieren. Und im Jahr 1953 verließ sie schließlich Österreich, ging ins "gelobte Land" - in ihrem Fall Italien -, wo sie sich mit etlichen Unterbrechungen bis zu ihrem Unfalltod am 17. Oktober 1973 aufhielt.

Von Kindheit an lebte Ingeborg Bachmann im Schnittpunkt dreier Kulturräume: des deutschen, slowenischen und italienischen Kulturraums: ". . . ich komme ja von der Grenze, von der italienisch-jugoslawischen; schon für meinen Vater war es selbstverständlich, Italienisch zu sprechen, er hat auch gewünscht, dass ich es lerne." Zwar war ihr dieser Schnittpunkt schon früh bewusst geworden, in Klagenfurt spielte er aber keine wesentliche Rolle, eher dominierte dort noch die Angst vor dem Fremden - bedingt durch die Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg.

Ingeborgs Kindheitserinnerungen waren nicht unbedingt positiv: In der ersten Wohnung der Familie Bachmann, in der Durchlassstraße, hieß es für die Kinder vor allem "die Schuhe ausziehen und in Strümpfen spielen", um den Hausherrn nicht in seiner Ruhe zu stören. Der zweite, nunmehr eigene Wohnsitz der Familie in der Henselstraße, war - wie auch die übrigen Häuser der ganzen Siedlung - mit Hypotheken belastet ("unter Hypotheken zahm und engherzig ausgekrochen") was eine starke finanzielle Einschränkung der Familie bewirkte. Der Vater führte "nie eines der Opfer ins Treffen (. . .), wie er das Haus angezahlt hatte und dann abgezahlt hatte".

Zertrümmerte Kindheit

Nicht nur die Situation vieler Familien, auch die wirtschaftliche Lage der Stadt war zeitweise so schlecht, dass die Löhne der Bediensteten nicht ausgezahlt werden konnten. Wirtschaftsprobleme und politische Radikalisierung spielten den Nationalsozialisten in die Hände, die bei den Gemeinderatswahlen 1931 bereits 9 der 31 Mandate gewinnen konnten.

Hitlers Besuch in Klagenfurt am 4. und 5. April 1938, seine Rede vom Balkon des "Sandwirt", die Fahrt durch die Straßen und über den Heiliggeistplatz, waren eine Zäsur im Leben der damals Zwölfjährigen. "Es hat einen bestimmten Moment gegeben, der hat meine Kindheit zertrümmert. Der Einmarsch von Hitlers Truppen in Klagenfurt. Es war etwas so Entsetzliches, dass mit diesem Tag meine Erinnerung anfängt." Die Stimme des Nachrichtensprechers fuhr "wie ein Kugelblitz" in der Küche umher. Die Kinder sitzen still da, "während es im Radio gewittert". Von den Nationalsozialisten organisierte Massenausspeisungen und öffentliche Gulaschkanonen konnten die wirtschaftlich prekäre Lage der Stadt und von Teilen der Bevölkerung kaum verbessern.

Der Krieg hinterließ ein Trümmerfeld in Klagenfurt: 60 Prozent der Wohnungen waren beschädigt oder zerstört. Am 8. Mai 1945 besetzten britische Truppen die Stadt, nur wenige Stunden vor den jugoslawischen Partisanenverbänden.

Das Klagenfurt der Nachkriegszeit hatte das Flair, Zentrum der einst mondänen Sommerfrischeorte am Wörther See zu sein, längst eingebüßt. Zunächst gab es überhaupt keinen Fremdenverkehr - und der allmählich aus Deutschland einströmende Tourismus war alles andere als mondän. "Außerdem ist unsere Provinz hier wirklich völlig ruiniert, den See habe ich schon vom Programm gestrichen, weil jeder Quadratmeter von Rhein-Ruhr-Menschen okkupiert ist (. . .), und wer da auf wen hereingefallen ist, das stelle ich dahin."

Das heute 90.000 Einwohner zählende Klagenfurt mit seiner modernen Infrastruktur, der Universität, der neu belebten Innenstadt, den Tourismus- und Funparks am Wörther See, hat mit der damals flächenmäßig viel kleineren und höchstens 30.000 Einwohner zählenden Kleinstadt, in der Ingeborg Bachmann aufwuchs, nicht mehr viel gemeinsam.

Jedes Mal, wenn Ingeborg Bachmann in ihre Geburtsstadt Klagenfurt zurückkehrte, war es für sie eine Reise in die Vergangenheit, eine Reise aus der weiten Welt in die Tiefe der Provinz. Das andere Klagenfurt, die Stadt ihrer frühen Jugend und Kindheit, begleitete sie aber ein Leben lang und fand in verschiedenster Weise immer wieder Eingang in ihr Werk. Vor dem Schreibtisch ihres Arbeitszimmers in Rom sitzend, fühlte sich Bachmann dem Heiliggeistplatz, den sie - von der Ursulinenschule kommend - so oft überquert hatte, der Henselstraße mit dem Haus der Eltern, der Radetzkystraße und dem Wörther See oft näher als der Via Bocca di Leone oder der Via Giulia vor der Türe.

Mehrere ihrer Erzählungen und Texte beschäftigen sich mit der Vergangenheit und mit der Rückkehr. Durch die Wiederbegegnung mit den Orten der eigenen Kindheit, durch das Wiedersehen mit den Eltern, durch das Treffen mit einstigen, ihr nun völlig fremd gewordenen und in einer anderen Welt lebenden Freunden wird ihr der Fortgang der Zeit besonders bewusst.

Veränderungen allerorts

In der Henselstraße ist es still geworden, "denn in dem ganzen Viertel, das einmal voller Leben gewesen war (. . .), alle Häuser anbezahlt von jungen Ehepaaren mit Kindern, wohnten nur noch wenige alte Leute". Elisabeth, Bachmanns Alter ego in "Drei Wege zum See", wollte bei einem Besuch daheim "das Einkaufen versuchen, um die Veränderung zu sehen, sah sich gleich erkannt von den neuen Leuten und ging verlegen herum".

Was verstanden die Eltern noch von dieser Tochter, die aus der weiten Welt ins kleine Klagenfurt kam, dauernd Anrufe "von Männern, die nicht Deutsch konnten", bekam, die "schlecht mit ihrer Gesundheit wirtschaftete" und deren Leben sie sich "mit raffinierten Mittagessen und Abendessen, Champagner und Kaviar" vorstellten, während ihr eigenes ruhig verlief und "nur manchmal Erschütterungen erfuhr durch Telegramme und Briefe der Kinder, Ansichtskarten aus fremden Ländern mit Grüßen".

Auch die Lektüre der lokalen Presse verstärkte Ingeborg Bachmanns Distanz zur alten Heimat. Wie wäre wohl ein simpler Eifersuchtsmord in den Zeitungen von Paris oder New York behandelt worden? "Jeder kleine Journalist der Boulevardpresse (hätte) gewusst, wie man so etwas machte, aber die wussten es eben hier nicht." Hier klang es nach "Heuboden und Taschenfeitln".

Die baulichen Veränderungen der Stadt und ihrer zentralen Plätze und Verkehrswege nach dem

Krieg haben Bachmann den Fortgang der Zeit deutlich vor Augen geführt. Die alte Straßenbahn, die "elektrischrot und großmäulig" durch die Straßen fuhr, wurde nach und nach durch Busse ersetzt. Keine offenen Sommerwagen mit "den vielen Kindern, die auf den Trittbrettern hingen", rollten mehr vom Heiliggeistplatz zum Wörther See oder durch die Radetzkystraße; die Wege zum See über das Kreuzbergl führten nicht mehr zum See, sondern endeten irgendwo im Wald vor einer neuen Autobahn.

Traurige Abreise

Auch der Wörther See war nicht mehr der See aus Bachmanns Jugendzeit. Herr Matrei, der Vater Elisabeths in "Drei Wege zum See", formuliert es drastisch, in fast Bernhard'scher Manier: "Es sind ja nur noch Deutsche da, jetzt haben sie es endlich fertig gebracht, jetzt haben sie uns gekauft, und die haben denen keinen Riegel vorgeschoben, unsere Regierungstrottel (. . .) und die Speisekarten waren voll von irrsinnigen Ausdrücken, die kein Österreicher verstand."

Und der Heiliggeistplatz, das alte Verkehrszentrum und Herz der Stadt: War er früher nicht viel gemütlicher mit der Endstelle der Straßenbahn und den alten Bäumen, die allerdings schon irgendwann in den dreißiger Jahren abgeholzt wurden?

Die Abreise aus Klagenfurt: Elisabeth bittet einen Freund in Paris um ein fingiertes Telegramm des Inhalts, dass sie dringend benötigt werde, um den Aufenthalt in der Heimatstadt zu verkürzen. Denn sie habe sich "schrecklich gelangweilt, und das war doch vorauszusehen, dass man sich langweilt auf dem Land".

Ob es Ingeborg Bachmann auch so ergangen ist? Jede Abreise hat auch etwas Trauriges an sich. "Endlich kam der Zug, und sie stieg ein, nachdem sie ihn umarmt hatte. Ihr Vater hatte wieder diesen kindlichen Blick, den greisenhaften eines alten Mannes, den man zurückließ, allein ließ. Sie fürchtete, als der Zug anfuhr, ihn nie mehr wiederzusehen."

Seit 1977 wird in Klagenfurt im Rahmen der "Tage der deutschsprachigen Literatur" der Ingeborg-Bachmann-Preis vergeben. Der Wettbewerb läuft gerade - die Verleihung des Preises erfolgt am Sonntag, 27. Juni.

Die Textzitate stammen aus folgenden Büchern:

Ingeborg Bachmann: Drei Wege zum See.

Jugend in einer österreichischen Stadt. In: Sämtliche Erzählungen. Piper, München 1986.

Hans Höller: Ingeborg Bachmann. Rowohlt, Reinbek b. Hamburg 1999.

Dieter Jandl: Klagenfurt. Historischer Überblick. Johannes Heyn Verlag, Klagenfurt 2002.

Uwe Johnson: Eine Reise nach Klagenfurt. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1974.

Freitag, 25. Juni 2004

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