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Vor 100 Jahren starb der Schriftsteller Karl Emil Franzos

Franzos, Emil: Chronist einer verlorenen Welt

Von Oliver Bentz

Es ist eine fremde, längst verschwundene Welt, in die der Leser der Reiseberichte, Erzählungen und Romane von Karl Emil Franzos entführt wird: Die Welt des galizischen Ghettos, angefüllt von Käuzen und Sonderlingen, wie sie nur das jüdische Milieu des osteuropäischen Raumes hervorbrachte. Sie wurde ausgelöscht durch ein Deutschland, das dort im Rassenwahn in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Juden fast vollständig ausrottete. Von dieser vernichteten Welt blieben nur vergilbte Fotos - und eben die Schilderungen von Schriftstellern wie Karl Emil Franzos. Vor 100 Jahren, am 28. Jänner 1904, starb der

Autor dieser heute kulturgeschichtlich so wertvollen Beschreibungen in Berlin.

Es war tragischerweise gerade die Orientierung an Deutschland, von der sich Karl Emil Franzos eine Besserung der rückständigen, ärmlichen Lebensumstände der Ostjuden erhoffte. Denn Franzos, der 1848 im galizischen Czortków als Sohn eines jüdischen Arztes geboren wurde, war wie schon sein Vater durch und durch "deutsch"

eingestellt. In der deutschen Kultur und Literatur sah er das Mittel,

die Aufklärung auch in diesen

Winkel Osteuropas zu tragen und damit die Lebensverhältnisse der dor lebenden Menschen zu verbessern.

Doch im Laufe seines Lebens musste Franzos erkennen, dass die Assimilation, die er von den Juden verlangte, aufgrund der orthodoxen, starren Konventionen im Ghetto und der ablehnenden Haltung seitens der nichtjüdischen Umwelt zum Scheitern verurteilt war. Dies muss auch Sender Glatteis, die Hauptfigur seines bekanntesten Romans, "Der Pojaz. Eine Geschichte aus dem Osten", erfahren: "Wisst Ihr, wie mir mein bisschen Bildung vorkommt? Da hab' ich da einen bunten Fleck auf meinen Kaftan geheftet und dort einen - wie ich sie eben bekommen konnte, aber ein deutscher Rock ist daraus nicht geworden."

Karl Emil Franzos verspürte die Ablehnung, die den um Akkulturation bemühten Juden von nichtjüdischer Seite entgegenschlug, oft am eigenen Leibe. So schreckte er wegen des zunehmenden Antisemitismus in Deutschland und Österreich am Ende des 19. Jahrhunderts auch davor zurück, den schon 1893 abgeschlossenen "Pojaz" zu seinen Lebzeiten zu veröffentlichen. Das in humoristischem Ton gehaltene Buch, das den gescheiterten Ausbruchsversuch eines jungen, von der Schauspielerei begeisterten Juden und Bajazzos (Spaßmachers) aus dem Ghetto schildert, kam erst 1905 auf den deutschsprachigen Markt.

Aufgrund der negativen Erfahrungen als assimilationswilliger Jude änderte Franzos im Laufe seines Lebens seine Einstellung zur jüdischen Welt des Ostens: In den späteren Werken wich der eher herablassende Blick, den Franzos mit den Augen eines sich überlegen fühlenden, den Maßstäben der Aufklärung und des Liberalismus folgenden, westeuropäischen Menschen lange auf die Ghetto-Juden seiner Heimat geworfen hatte, einer verständnisvollen Darstellung dieser Lebenswelt.

In Czernowitz aufgewachsen, wohin die Familie 1859 nach dem frühen Tod des Vaters zog, entschloss sich der junge Karl Emil Franzos, in Wien und Graz Jura zu studieren, weil ihm als Juden eine Universitätskarriere als Literaturwissenschaftler versagt bleiben musste. Da er jedoch trotz guter Examen wegen seiner Mitgliedschaft in einer deutsch-nationalen Burschenschaft, in der er für den Anschluss Österreichs an Deutschland agitierte und deshalb in Konflikt mit der Polizei geriet, weiterhin vom Staatsdienst ausgeschlossen blieb, wandte sich Franzos 1872 dem Journalismus zu. Nach kurzer Zeit

beim "Ungarischen Lloyd" in Budapest wurde der begabte Journalist nach Wien geholt, wo er zunächst für die "Neue Freie Presse" schrieb und danach als Herausgeber der "Wiener Illustrierten Zeitung" arbeitete.

Als literarischer Ertrag seiner weiten Reisen, die Franzos Mitte der 1870er Jahre nach Asien, Ägypten und vor allem durch den osteuropäischen Raum führten, entstanden seine ersten Bücher mit Reiseeindrücken und ethnographisch wertvollen Skizzen. "Aus Halb-Asien", "Vom Don zur Donau" und "Aus der großen Ebene" hießen die Bände seiner von 1876 bis 1888 erschienenen Trilogie von Reiseberichten, in denen er das Milieu der galizischen Juden schildert, dem auch die Hauptfiguren seiner späteren Novellen und Romane entstammen. Der "rasende Reporter" Egon Erwin Kisch bewunderte diese "Kulturbilder" so sehr, dass er Franzos zu seinen journalistischen Vorbildern zählte.

Ebenso wichtig wie die literarische Arbeit war für Karl Emil Franzos die Beschäftigung mit der Literaturgeschichte. Er war es, der die weitgehend vergessenen Werke des früh verstorbenen revolutionären Dichters Georg Büchner als erster zu einer kritischen Gesamtausgabe zusammenstellte und dessen "Woyzeck"-Fragment (Franzos las "Wozzeck") zu entziffern versuchte. Diese Textvorlage sollte später Alban Berg zur Komposition seiner 1925 uraufgeführten gleichnamigen Oper inspirieren.

Den österreichischen Kronprinzen Rudolf beriet Franzos in literarischen Fragen während der

Arbeit am ethnographischen

Monumentalwerk "Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild", in dem die

Besonderheiten und Gegensätze der verschiedenen Bevölkerungsgruppen des Habsburgerreiches aus historischer, geographischer, volkstümlicher und kultureller

Sicht beschrieben und illustriert wurden.

Im Herbst 1887 übersiedelte Franzos zusammen mit seiner Frau nach Berlin - wahrscheinlich weil ihm die Publikationsmöglichkeiten dort günstiger erschienen. In Berlin gab er die Literaturzeitschrift "Deutsche Dichtung" heraus, in der bekannte Autoren wie Conrad Ferdinand Meyer, Marie von Ebner-Eschenbach oder der junge Stefan Zweig veröffentlichten.

In seinem letzten Lebensjahrzehnt zog sich Franzos, in seinen Akkulturationsvorstellungen desillusioniert, mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück. Zu sehr verbitterten ihn die Zurücksetzungen, die er als Jude zu spüren bekam und die er in Briefen an Freunde beklagte.

Am 28. Jänner 1904 starb Karl Emil Franzos in Berlin, wo er auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee beigesetzt wurde.

"Sollte jemals eine Zeit kommen", schrieb das "Hamburger Fremdenblatt" ganz die Stimmung der damaligen Zeit widerspiegelnd im Nachruf auf den Autor, "wo die osteuropäische, die halb-asiatische Unkultur, auch die der östlichen Juden, verschwunden sein wird, dann wird sie in den Erzählungen Franzos' 'Aus Halb-Asien', aus der Sammlung 'Vom Don zur Donau' (. . .) zu einem erstaunenden Literaturleben erwachen."

40 Jahre später war diese Welt

vernichtet. Karl Emil Franzos lässt sie uns jedoch in seinen Büchern heute noch erahnen. Denn er entführt den Leser, wie er selbst über sein Werk einmal sagte, "in ein einsames, trauriges, wenig von Reisenden besuchtes, von der Geschichte fast vergessenes Land, in die weite, weite Ebene, welche

sich von den östlichen Abhängen der Karpaten bis zu den Ufern

des Dnjepr erstreckt, das Land

Podolien."

Freitag, 30. Jänner 2004

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