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Zum 200. Geburtstag des Weltschmerz-Dichters Nikolaus Lenau

Lenau, Nikolaus: "Und finde keinen Trost"

Von Reinhard Ebner

Weltschmerz, Spleen und Melancholie sind jeweils zeitbestimmte Bezeichnungen für eine Welthaltung, die für so manchen Großen der Weltliteratur Schicksal und lebenslanger Begleiter wurde. Ein Übermaß an schwarzer Galle wurde in der Antike und auch noch Jahrhunderte später gemäß der Galenischen Säftelehre für eine Erkrankung verantwortlich gemacht, deren Symptome Soranos von Ephesos mit Beklemmungen, Niedergeschlagenheit und "wortloser Traurigkeit" beschrieb.

Zumindest letzterer Befund schien keineswegs für jeden Melancholiker zuzutreffen: Dichter wie Lord Byron, Leopardi und Baudelaire verschafften ihrem Leiden wortreichen Ausdruck und nützten dieses für eine kommerziell gewinnträchtige Selbststilisierung. Schließlich galt die Melancholie spätestens seit der Renaissance als ein Paradeleiden empfindsamer Dichterseelen (und -gallen). "Unter dem Einfluss des Marsilius Ficinus und seiner platonischen Schule in Florenz erscheint das melancholische Temperament sozusagen als ausschließliches Leibgeding der Dichter, Künstler, Fürsten und besonders der wahren Philosophen", meint dazu der Genfer Historiker Jean Starobinski. Selbstredend rechnete sich Plato-Übersetzer Ficino selbst zu dieser illustren Gesellschaft; er führte die trübsinnige Disposition auf eine Geburt unter dem Zeichen Saturns zurück.

Schwerblütiger Ungar

Unter welchem Gestirn der "altösterreichische" Dichter Franz Nikolaus Niembsch Edler von Strehlenau, der später unter dem Pseudonym Nikolaus Lenau Bekanntheit erlangte, geboren wurde, ist aus heutiger Sicht schwer zu eruieren. Leichter ist da schon eine geografische Lokalisierung: In Csatád bei Temesvár im damaligen Ungarn und heutigen Rumänien erblickte der Sohn von Franz August und Therese Niembsch am 13. August 1802 das Licht der Welt. Die Kindheit verbrachte Lenau in großer Armut: Der Vater starb eines frühen Todes, nachdem er das gesamte Vermögen der Familie am Spieltisch durchgebracht hatte, die Mutter musste die Kinder schweren Herzens zu den Großeltern väterlicherseits geben. Den Großteil seiner Jugend und Studentenzeit fristete Lenau in finanzieller Abhängigkeit von diesen.

Schon früh war es seine Überzeugung, im Hinblick auf die psychische Veranlagung ein Melancholiker zu sein. Eine Überzeugung, die seine Dichtungen, insbesondere seine Lyrik wie die bekannten "Schilflieder", prägen sollte. Wie man aus den Erinnerungen seines Freundes Anton Xaver Schurz weiß, begann Lenau im Alter von 19 Jahren zu schreiben, wobei er sich zunächst noch stark an gefeierten Dichtern seiner Zeit wie Klopstock und Hölty und der von diesen gepflegten antikisierenden Odenstrophe orientierte. "Meine Lieblingsbeschäftigung ist nun Gedichte zu lesen und zu schreiben", schrieb er 1821 an die verehrte Mutter. Fürs Studium, das er bis in seine 30er in stets wechselnden Fächern wie Jus oder Medizin betrieb, blieb da wenig Zeit. Nach heutigen Maßstäben also ein ewiger Student, der seine akademische Ausbildung nie abschließen sollte. Nach einer Erbschaft durch den Tod seiner Großeltern, mit der sich vorläufig recht komfortabel leben ließ, und ersten literarischen Erfolgen bestand hierzu auch keine Notwendigkeit mehr.

Mutterbindung

Der Tod der Mutter, die im Jahre 1829 einem Gebärmutterkrebs erlag, traf ihn tief. Die Armut von Therese Niembsch, mit der ihn ein inniges, fast schon krankhaft zu nennendes Verhältnis verband, wird aus dem k. k. Sterbedokument deutlich: Unter dem Punkt "Vermögen" heißt es dort lakonisch: "Nichts, nachdem die wenig vorhanden gewesene Leibkleidung

und Wäsche noch bei ihren

Lebzeiten verkauft werden musste, um ihr die ärztliche Hülfe und nötige Nahrung verschaffen zu können."

Immer wieder sollte er Frauen, die er kennen lernte, mit seiner Mutter vergleichen. Dabei war Lenau trotz seiner psychischen Disposition durchaus als ein "Ladies' Man" zu bezeichnen. Die Frauenherzen flogen dem stets elegant gekleideten Ungarn mit dem waidwunden Blick zu. Sowohl aus seinem Ungarntum, als auch aus seiner Position als romantischer Weltschmerz-Dichter wusste Nikolaus Lenau durchaus Kapital zu schlagen. Den Briefen an von ihm hofierten Damen legte er gerne Abschriften der eigenen Gedichte bei. So durfte sich beispielsweise die junge Gmundnerin Nanette Wolf über Verse aus dem Gedicht "Nächtliche Wanderung" freuen, in dem es bereits in der ersten Strophe heißt:

"Die Nacht ist finster, schwül, bang,

Der Wind im Walde tost:

Ich wandre fort die Nacht entlang,

Und finde keine Trost."

Ohne Zweifel ein düsterer Start für eine zarte Romanze!

Ein geselliger Mensch

Bei allen trüben Stimmungen, die der Dichter mit Geigenspiel zu beruhigen versuchte, war Lenau doch bis fast zuletzt, als er nach einem Schlaganfall in den Wahnsinn abglitt, ein geselliger Mensch.

Die kürzlich bei Deuticke erschienene, gewissenhafte Biografie des Dichters liest sich streckenweise wie ein Besuchstagebuch. Vor allem zwischen Wien und Stuttgart, wo er enge Kontakte zum so genannten Schwäbischen Kreis und seinem Verleger Johann Georg

Cotta pflegte, pendelte Lenau mit Zwischenstationen in Oberösterreich und Bayern unzählige Male hin und her, um sich oft wochenlang bei Schrifterstellerfreunden wie Gustav Schwab, Anastasius Grün und Gustav Pfizer einzunisten.

Auch Amerika, Land unendlicher Weiten und unberührter Natur, übte für den Naturromantiker einen besonderen Reiz aus, dem er schließlich erlag. Kaum sechs Monate und einige Indianergedichte später war er allerdings wieder in europäischen Gefilden. Für den laut Eigendefinition unpraktisch Veranlagten war das Leben als einfacher Farmer denn doch nicht das Richtige.

Sein damaliger Nachbar, ein Schweizer namens Brünnert, beschrieb ihn als einen Mann, der als Siedler eigentlich fehl am Platze war: Auch in Amerika war Lenau stets elegant gekleidet, hüllte sich in teure Pelzmäntel und führte die Axt - so heißt es - mit Glacéhandschuhen.

Rastloser Wanderer

In seiner Ruhe- und Rastlosigkeit, dem steten Hang zum Reisen und Wandern, der beträchtlichen Lebenszeit, die er in Postkutschen und Wirtshäusern verbrachte, fügt sich der Weltschmerz-Ungar letztlich ins Bild des Melancholie-Kranken, wie wir es aus dem 18. und 19. Jahrhundert kennen: Lenau suchte sein Heil im Reisen und in der Natur. Vor allem den Engländern erschienen Reisen und ausgedehnte Wanderungen als das geeignete Gegenmittel gegen die als "Spleen" bezeichnete Gemütserkrankung. In seinem dichterischen Werk "The Spleen" gibt Matthew Green Anweisungen zur Lebenskunst: "Schafft Abwechslung in euren Vergnügungen, zerstreut euch mit Maß, genießet abwechselnd die Ablenkungen der Stadt und die Freuden des Landlebens!"

Für Lenau lieferte die Naturbeobachtung dabei zugleich die Folie, auf der er seinem Gemütsleben Ausdruck geben konnte - in einem poetischen Verfahren der Parallelisierung von Natur und Mensch:

"Am Himmelsantlitz wandert ein Gedanke,

Die düstre Wolke dort, so bang, so schwer;

Wie auf dem Lager sich der Seelenkranke,

Wirft sich der Strauch im Winde hin und her."

Den Nerv seiner Zeit dürfte Lenau mit Gedichten wie diesen recht gut getroffen haben. Trotz seiner relativ kurzen Schaffensperiode gehörte er zu den erfolgreichsten und bestbezahlten Schriftstellern seiner Zeit. Sein dichterisches Selbstbewusstsein war entsprechend groß: Über bekannte Zeitgenossen wie Heinrich Heine äußerte er sich zumeist abfällig, für die österreichische Kollegenschaft - unter ihnen viele enge Freunde - hatte er hinter vorgehaltener Hand nicht viel mehr als Häme übrig.

Dabei verdankte er selbst seine Blitzkarriere weitgehend wohlmeinenden Dichterkollegen aus dem Umkreis der schwäbischen Romantik. Erst durch die Publikation seiner "Gedichte" in mehreren, nach und nach erweiterten Auflagen beim renommierten Verleger Cotta erlangte er auch in Österreich Bekanntheit. "Es geht mit den Dichtern in Österreich wie in Bremen mit Cigarren", beklagte er in einem Brief an Karl Mayer. "Die in Bremen gemachten Cigarren werden nach Amerika geschickt, dort bekommen sie die ausländische Signatur u. wandern dann wieder heim, u. alles wundert sich über den charmanten Geruch, den sie jezt haben, während sie früher keinem Teufel schmecken wollten."

Am 22. August 1850 starb Nikolaus Lenau an Auszehrung in einer

privaten Irrenanstalt in Wien-Döbling.

Michael Ritter: Zeit des Herbstes. Nikolaus Lenau Biografie. Deuticke, Wien - Frankfurt/Main 2002, 381 Seiten.

Freitag, 09. August 2002

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