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Joseph von Eichendorffs Heidelberger Inspirationen

Der Dichter als Herz der Welt

Von Otto A. Böhmer

Am 5. Mai 1807 verließ der Student der Rechte und angehende Dichter Joseph von Eichendorff zusammen mit seinem knapp zwei Jahre älteren Bruder Wilhelm das heimische, auf den Anhöhen über der Oder gelegene Schloss Lubowitz, um zu einer beschwerlichen Reise aufzubrechen, an deren Ende ein leuchtendes Ziel wartete: Heidelberg, die heimliche Hauptstadt der deutschen Romantik. Dafür nahm man gern Strapazen in Kauf, denn das Reisen war seinerzeit mehr Tortur als reine Freude. Die Postkutschen rumpelten dahin, nutzten die Ungunst der Wege in voller Breite und ließen die Sehnsüchte der Fahrgäste zu einem einzigen Wunsch zusammenschnurren, der da lautete: Mit heiler Haut ankommen . . .

Am 9. Mai erreichten die Brüder Eichendorff Budweis und fuhren tags darauf in Österreich ein. In Linz an der Donau musste ihre Kutsche repariert werden. Weitere sieben Tage mühsamer Fahrt lagen noch vor ihnen . . . Endlich war es soweit, Heidelberg rückte näher, die Spannung wuchs - was auch aus Joseph von Eichendorffs Tagebuch-Aufzeichnungen jener Zeit herauszuhören ist: "In der mondhellen Nacht passierten wir das Städtchen Neckarsteinach, das, ein Vorspiel von Heidelberg, höchst romantisch und ganz eng zwischen felsigen, belaubten Bergen ruht . . . Zu beiden Seiten hohe steile, belaubte und blühende Berge voll Vögel, die dem dämmernden Morgen entgegensangen; in der Mitte des engen Tals der Neckar, links am Ufer die Chaussee. Wir gingen ein Stück zu Fuß. Endlich um 4 Uhr morgens fuhren wir mit Herzklopfen durch das schöne Triumphtor in Heidelberg ein, das eine über alle unsere Erwartung unbeschreiblich wunderschöne Lage hat. Enges blühendes Tal, in der Mitte der Neckar, rechts und links felsige, laubige Berge. Am linken Ufer Heidelberg, groß und schön, fast wie Karlsbad. Nur eine Hauptstraße mit mehreren Toren und Märkten. Links überschaut von dem Abhange eines Berges die alte

Pfalzburg, gewiss die größte und schönste Ruine Deutschlands, majestätisch die ganze Stadt. Alles schlief noch. Nur Studenten, wie überall gleich zu erkennen, durchzogen mit ihren Tabakspfeifen schon die Straßen . . ."

Die "komischen Brüder"

Überwältigt von ihren Eindrücken, bezogen die Eichendorffs das vorbestellte Quartier auf dem Paradeplatz und versuchten zu schlafen, was nicht recht gelingen wollte. Zu aufgewühlt waren sie noch von der langen Reise, die nun ihr Ende gefunden hatte.

Gegen Mittag erkundeten die "unzertrennlichen und heilig komischen Eichendorff-Brüder", wie sie der spottlustige Clemens Brentano später nannte, erstmalig ihre Umgebung: Wilhelm besah sich die Stadt, während Joseph den Heidelberger Hausberg bestieg. Die Aussicht, die er dort oben bereits auf halber Höhe hatte, kam ihm großartig vor.

Was Joseph von Eichendorff in Heidelberg widerfuhr, war das Aufdämmern einer Ahnung, die zur Gewissheit wurde. Inspiriert von einem Ort und einer Umgebung, die sich als so unerbittlich romantisch herausstellten, wie Eichendorff es vermutet hatte, keimte in ihm die Einsicht, dass sich das Geheimnis der Welt erschließen ließ - es lag jenseits der bekannten Vordergründigkeiten und verlangte eine behutsame Annäherung, ein Hinhören auf den Wesensgrund der Dinge, der seine eigene Sprache spricht. Der Glanz des Daseins, das Begreifliche im Unbegreiflichen, gab sich für den zu erkennen, der in der Lage war, das "Zauberwort" zu treffen, von dem Eichendorffs berühmtester Vierzeiler spricht: "Schläft ein Lied in allen Dingen, / Die da träumen fort und fort, / Und die Welt hebt an zu singen, / Triffst du nur das Zauberwort."

Dieses Zauberwort ist der Schlüssel zur natürlichen Existenz; es lässt die Zeit stillstehen und verleiht dem Dasein einen anrührenden Schimmer, von dem man annehmen muss, dass er göttlichen Ursprungs ist. Eichendorff lernte in Heidelberg begreifen, dass sehr wohl zusammenging, was im Zuge einer neuen Schärfe und Überschwenglichkeit des Denkens auseinandergerissen worden war: der Glaube an Gott, mit dem der Dichter Eichendorff fröhliche Lebensinnigkeit verband, und jene Demut des Wissens, die der Ursprünglichkeit der Natur mehr abzugewinnen vermag als den Lehrmeinungen hochfahrender Vernunft.

Umstrittener Lehrer

Der Mann, der Eichendorff zu dieser Einsicht brachte, war ein umstrittener Hochschullehrer: Joseph von Görres, ehemaliger Journalist, gelehrter Autodidakt und Naturphilosoph, der im Herbst 1806 an die Universität Heidelberg berufen worden war. Görres' Vorlesungen, von seinen Gegnern als "Laffen-Gewäsch" verhöhnt, waren für Eichendorff wie eine kleine Offenbarung: Mit einem Mal fühlte er sich auf die tatsächliche Bedeutung einer poetischen Existenz vorbereitet, und er glaubte zu verstehen, worin die ihm zugemutete Wahrheit bestand. Von Görres schien er lernen zu können, was Gläubigkeit meinte, nämlich Gottvertrauen, Bescheidenheit vor der Schöpfung und eine vorbehaltlose Annahme des Lebens als Geschenk.

Die Görres'sche Botschaft, die Eichendorff vernahm, bestimmte fortan sein Denken. Im Treiben der Heidelberger Studenten mischte er mit, legte dabei jedoch Wert auf einen gewissen Sicherheitsabstand. Eichendorff, von Kindheit an tief gläubig, lebte mit einer hartnäckigen Sehnsucht, die ihm vertraut geworden war: Sie kreiste um die Vergänglichkeit - eine Vergänglichkeit, in der auch frühe Geborgenheit, das allererste, ständig erinnerte Kinderglück, zur unheimlichen, dem Tod anempfundenen Ruhe kam.

Eichendorffs Heidelberger Existenz glich zunächst einer heiteren Kommandounternehmung, die nichts anderes im Sinn hatte, als der Poesie des Lebens nachzustellen und sie dingfest zu machen. Die Romantik allerdings war nicht mehr ganz neu, und sie pflegte ihre eigenen Manierismen und Selbstbespiegelungen. Eichendorff hat, mit einiger Verzögerung, die Fallstricke gesehen, die auf dem Weg zu einer umfassenden Romantisierung des Daseins ausgelegt waren; er selbst verfing sich nicht darin, wohl aber der eine oder andere seiner Kollegen, was er, im Blick zurück, mit milder Schadenfreude kommentierte.

Einer der in Heidelberg Hof haltenden Berufsromantiker war der schriftstellernde Graf Otto Heinrich von Loeben, dem der 20-jährige

Eichendorff zunächst bewundernd gegenüberstand. Die Bewunderung hielt allerdings nicht lange an und schlug ins Gegenteil um; Loeben wurde ihm zum Inbegriff verstiegener Empfindsamkeit, ja zur Karikatur einer romantischen Weltauffassung, die sich der Welt entledigte, um nur noch Auffassung zu sein:

"Die Romantik . . . hatte damals schon ihren sehr bedenklichen Afterkultus. Graf von Loeben war in Heidelberg der Hohepriester dieser Winkelkirche . . . Er besaß eine ganz unglaubliche Formengewandtheit und alles äußere Rüstzeug des Dichters, aber nicht die Kraft, es gehörig zu gebrauchen . . ."

Romantischer Jugendkult

Die Ablösung von Loeben vollzog sich für Eichendorff durch die Erkenntnis, dass echte Romantik nicht darin bestehen konnte, sich schnell wechselnden Gefühlsströmungen anzuverwandeln, sondern eines einzigen, unteilbaren Glaubens an Gott und das Leben bedurfte. Eichendorff ließ sich davon in einer Weise inspirieren, die den Gegebenheiten und dem Stand seiner Jahre entsprach. Er war jung, und die Romantik, der er sich zugehörig fühlte, hatte strenge Jugendbewegtheit auf ihre Fahnen geschrieben.

Im Rückblick hat Eichendorff auch für das Leitmotiv superber Jugendlichkeit kritische Worte gefunden; ihm stellte er das Bild einer Jugend entgegen, das sich am Wesentlichen begnügt und erfreut: "Was ist denn eigentlich die Jugend? Doch im Grunde nichts anderes als das noch gesunde und unzerknitterte, vom kleinlichen Treiben der Welt noch unberührte Gefühl der ursprünglichen Freiheit und der Unendlichkeit der Lebensaufgabe."

Der Gefühlsüberschwang, den die Romantik auf die Wertmaßstäbe des gewöhnlichen Lebens ablud, barg Gefahren in sich, die gerade Eichendorff, als unmittelbar Beteiligter, wie kein Zweiter gesehen hat. Emotionale Hochspannung, bedingungslos inszeniert, wurde zur Überspanntheit; schiere Daseinsfreude schlug, ohne Vorwarnung, in ihr Gegenteil um, und die Schönheitsillusionen kollabierten vor dem Hintergrund massiv andrängender Todesahnungen.

Was die Melancholie aufscheinen ließ, waren die feinen Konturen eines Verfalls, der alle Formen des Lebens umfasste und sich, auf Seiten des empfindsamen Individuums, zu einem schmerzlich-glücklichen Gefühl der Traurigkeit bündelte. Eichendorff hat solche Gefühlsinnenräume oft und gern ausgeleuchtet; in seinem Prosatext "Viel Lärmen um nichts", zu dem sich ein anderer Schwermuts-Künstler, der dänische Philosoph Sören Kierkegaard, besonders hingezogen fühlte, nahm er ein Traumbild von Heidelberg zum Anlass, um eine Vergänglichkeit aufschimmern zu lassen, die nicht jenseitig ist, sondern mitwebt am hiesigen Diesseitsgeschehen: "Ihm träumte, er stünde auf den schönen Neckargebirgen von Heidelberg. Aber der Sommer war vorbei, die Sonne war lange untergegangen, ihn schauerte in der herbstlichen Kühle. Nur das Jauchzen verspäteter Winzer verhallte noch, fast wehmütig, in den Tälern unten; von Zeit zu Zeit flogen einzelne Leuchtkugeln in die stille Luft. Manche zerplatzte plötzlich in tausend Funken und beleuchtete im Niederfallen langvergessene, wunderschöne Gegenden. Auch seine ferne Heimat erkannte er darunter, es schien alles zu schlafen dort, nur die weißen Statuen im Garten schimmerten seltsam in dem scharfen Licht. Dann verschlang die Nacht auf einmal alles wieder . . ."

Munteres Studentenleben

Eichendorffs Heidelberger Studentenleben war, folgt man seinen privaten Notizen, ein wahrhaft munteres Treiben: Studiert wurde zwar auch, wenn es denn sein musste, aber zunächst standen Vergnügungen auf der Tages- und Nachtordnung; es wurde getrunken, gesungen, gefeiert, und man ließ, ein ums andere Mal, die Natur und die Liebe hochleben, denen die besondere studentische Wertschätzung galt.

Politische Ereignisse, wenn sie denn bis zum Neckarstrand vordrangen, wurden eher am Rande vermerkt; die dazugehörigen hochoffiziellen Würdenträger jedoch bedachte man gern mit Spott. So notierte Eichendorff am 25. Juli 1807 in seinem Tagebuch: "Kam der König von Württemberg, der den Napoleon in Frankfurt salutiert hatte, nach Heidelberg. Ich ging daher in den Karlsberg, wo er übernachtete, und sah ihn dort absteigen. - Echte Karikatur. Dicker Kopf, noch mit zwei Locken verziert. Ungeheurer Bauch in Bandagen, sonderbar herabhängend. Kurze Beinchen. Grüner Frack, kurze Stiefelchen . . ."

Das also war es auch, was die viel gepriesene Jugend zu ihren Vorrechten zählen durfte: Papierne Despektierlichkeit, Frechheit in Gedanken, die sich zwar frei gaben, aber vor realen Veränderungen zurückschreckten. In der Politik tummelten sich Karikaturen: Mit dieser Überzeugung ließ es sich leben, zumal man geübt darin war, der schnöden Wirklichkeit eine ideale Über- und Unterwelt entgegenzusetzen, deren Ansprüche sich nicht mit kleinlichem Abwägen und Bedenken ruhig stellen ließen.

Eichendorff begnügte sich in Heidelberg damit, die Gunst einer reinen Episode wahrzunehmen, und er war klug genug, sich vom romantischen Tross rechtzeitig wieder abzusetzen. Einer Dichtkunst, die nur noch mit den abgenutzten Versatzstücken der eigenen Ästhetik arbeitete, setzte er "die Poesie selber" entgegen, aus der, wie er schrieb, eine bis ins Erhabene hinaufreichende Begeisterungsfähigkeit erwächst, der nichts Geringeres als "das ursprüngliche, freie, tüchtige Leben" zu Grunde liegt, "das uns ergreift, ehe wir darüber sprechen".

Eichendorff blieb nur ein Jahr in Heidelberg; der schöne Schein aber, der von dieser Zeit ausging, hielt ein Leben lang an. Der Dichter nahm ihn als Leitmotiv, als Idee auch für schlechtere Tage, die sich alsbald mit verbissener Regelmäßigkeit einstellten. Die Heidelberger Erinnerungen ließen sich als literarisches Programm handhaben, dem Eichendorff die wesentlichen Klangfolgen menschlicher Grundstimmungen beizugeben wusste: Sehnsucht und Glück, Liebe und Leid; Flucht in die Ferne, Rückkehr nach Haus; das Jahr in der Natur, Waldeinsamkeit, Träume, fahrende Dichter, Vergänglichkeit - und, all das bergend und in sich bewahrend, das Vertrauen zu Gott.

Hoffnungslos verschuldet

Eichendorffs äußeres Leben allerdings blieb vom schönen Schein weitgehend ausgespart: Die Eltern waren hoffnungslos verschuldet; 1819 wurde Schloss Lubowitz zur Versteigerung freigegeben, und Eichendorff entschied sich, der Not gehorchend, für die, wie er sie nannte, "gewöhnliche juristische Laufbahn". Trotz guter Examina fand er erst mit 34 Jahren, damals schon Vater von vier Kindern, eine halbwegs auskömmliche Stellung im Staatsdienst. Nahezu drei Jahrzehnte mühte er sich als Beamter ab - nicht ohne Ehrgeiz, aber von zunehmender Resignation bestimmt. Er wurde zwischen verschiedenen Ministerialbehörden hin- und hergeschoben und quittierte schließlich am 1. Juli 1844 den Dienst. 13 Jahre waren ihm noch vergönnt, in denen er Anschluss fand an die Einsichten seiner Jugend, die er, mehr denn je, im himmlischen Ratschluss aufgehoben glaubte: "Das Herz weit und hoffnungsreich, das Auge frei und fröhlich, ernste Treue erfrischend über mein ganzes Wesen, so ist mein Sein, ich möchte fast sagen, mein Verliebtsein in die unvergänglich jungfräuliche Schöne des reichen Lebens. Meine einzige Bitte zu Gott ist: Lass mich das ganz sein, was ich sein kann!"

Der schöne Schein von Heidelberg war ergiebig; er gab Eichendorffs Weltanschauung Grund und wurde zu einem Erinnerungsmodell, in dem die Träume seiner Jugend abrufbar blieben. "Der Dichter ist das Herz der Welt!", notierte er als eine der kühnen Einsichten, die ihm in Heidelberg nahe gelegt worden waren, und er leitete daraus seine ganz persönliche, "höhere Pflicht" ab, die er als wahres Wort nahm, das niemals altern kann. In Eichendorffs 1834 erschienenem Roman "Dichter und ihre Gesellen" findet sich das dazugehörige Bekenntnis: "Er sann lange nach . . ., sang immerfort ein längst verklungenes Lied leise in sich hinein, ohne zu wissen, woher der Nachhall kam. Da fiel es ihm plötzlich aufs Herz: wie in Heidelberg lagen die Häuser da unten zwischen den Gärten und Felsen und Abendlichtern, wie in Heidelberg rauschte der Strom aus dem Grunde, und der Wald von allen Höhen! So war er als Student manchen lauen Abend sommermüde von den Bergen heimgekehrt und hatte über die Feuersäule, die das Abendrot über den Neckar warf, in die duftige Talferne gleichwie in sein künftiges, noch ungewisses Leben hinausgeschaut . . ."

Freitag, 17. August 2001

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