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Jakob Arjouni über Krimis, Theater und den Balkan-Konflikt

Arjouni, Jakob: "Ich schreibe Metaphern und Märchen"

Von Barbara Freitag

Jakob Arjouni wurde 1964 in Frankfurt/Main geboren, und lebt heute in Südfrankreich. 1985 erschien sein erster Kayankaya-Roman "Happy Birthday, Türke" (von Doris Dörrie 1991 verfilmt). Die anderen: "Mehr Bier", "Ein Mann ein Mord" und zuletzt "Kismet". Ohne den türkischen Detektiven: "Magic Hoffmann" (alle erschienen im Diogenes-Verlag). Theaterstücke: "Die Garagen", "Nazim schiebt ab", und "Edelmanns Tochter".

Wiener Zeitung: Ihre "Kayankaya"-Romane spielen vorwiegend im Krimi-Milieu. Wie recherchieren Sie Ihre Geschichten?

Jakob Arjouni: Kaum. Höchstens mal eine Telefonnummer. Mir fallen ja nur Geschichten zu Orten, Menschen oder Verhältnissen ein, die ich kenne, also muss ich auch nicht recherchieren. Der Rest ist Fantasie. Aber mein Ausgangspunkt sind eher philosophische oder moralische Fragen. Bei "Ein Mann ein Mord" zum Beispiel hat mich interessiert, was mache ich, wenn einer meiner besten Freunde etwas tut, was ich moralisch wirklich schlimm finde. Helfe ich ihm? Verstoße ich ihn? Bei "Kismet" habe ich gefragt, was mache ich, wenn ich jemanden getötet habe? Wie verhalte ich mich, wenn ich relativ schuldlos in ein gewalttätiges Geschehen verwickelt werde? Ich schreibe keine journalistischen Romane, sondern Metaphern und Märchen.

W. Z.: Sie haben schön öfters gesagt, dass Sie Krimis eher zufällig schreiben.

Arjouni: Mich interessiert die Figur Kayankaya, und die ist nun mal als Privatdetektiv eingeführt. Den ersten Kayankaya-Roman, "Happy Birthday, Türke", habe ich mit neunzehn geschrieben, da haben mir die Krimiregeln sicher geholfen, mich nicht in Pseudoliteratur zu verlieren. Das war wie fast alles beim Schreiben eine halb bewusste, halb instinktive Entscheidung. Heute würde ich sicher keinen Privatdetektiv als Hauptfigur nehmen. Aber ich kann aus Kayankaya jetzt auch keinen Postboten mehr machen. Ich will auch nicht Hardcore-Frankfurt beschreiben, sondern eine Geschichte erzählen, die zufällig dort spielt, weil ich das ganz gut kenne.

W. Z.: In "Kismet" geht es um eine Bande von Schutzgelderpressern im Frankfurter Bahnhofsviertel und deren blutiges Treiben.

Arjouni: Das ist die Geschichte. Aber das Thema ist der Jugoslawien-Krieg, und allgemeiner Nationalismus und Rassismus. Und inmitten dieser ganzen Gewalt und Dummheit verliebt sich Kayankaya in eine Frau, deren Tochter er vertritt, und die er in einem Videofilm sieht. Sicher, weil er die Sehnsucht nach einer großen Liebe sowieso in sich trägt, aber vielleicht auch, weil verliebt sein die einzige Möglichkeit ist, das alles auszuhalten.

W. Z.: In einigen Rezensionen wird der verstärkte Einsatz von Gewalt in "Kismet" getadelt.

Arjouni: Im Krieg sterben nun mal mehr Leute als im Frieden.

W. Z.: Sie sprechen in Interviews gelegentlich von den "Sehnsuchtsorten" Ihrer Kindheit, Sarajewo und Beirut. Kriegsschauplätze . . .

Arjouni: Es gibt noch einen dritten, Odessa. Also, der Krieg hat damit nichts zu tun, obwohl beide Städte erschlagen wurden. Als Kind faszinierte mich der Klang der Namen. Ich dachte, dort müsste es bunt zugehen, oder besonders riechen. Das ehemalige Jugoslawien hat schon immer eine starke Faszination auf mich ausgeübt. Mein Vater war ein großer Tito-Fan. Der Balkan fasziniert ja viele.

W. Z.: Österreicher haben dazu ein eher ambivalentes Verhältnis.

Arjouni: Sind ja selber Balkan. Oder recht nah dran.

W. Z.: Der Jugoslawienkrieg beschäftigt Sie offenbar ständig?

Arjouni: Sehr. Ich finde die Entwicklungen der letzten zehn Jahre dort nach wie vor unglaublich, und besonders das Verhalten Europas - genauer Deutschlands. Die frühe Anerkennung Sloweniens und Kroatiens musste zum Krieg führen. Ich fand auch immer die Position Peter Handkes als einsamer Rufer, der er anfangs war, spannend. Bevor er begonnen hat, Gedichte auf serbische Flüsse oder sowas zu machen, war er der Einzige, der gesagt hat, in den Medien wird hauptsächlich Propaganda gemacht. Was ja stimmte.

W. Z.: Warum wurde daraus eine "Kayankaya"-Story?

Arjouni: Weil ich schnell gemerkt habe, dass ich mit ihm, einem türkischstämmigen Frankfurter, und seinem Blick auf die Welt sehr viel von dem erzählen kann, was ich erzählen wollte. Das ist ja auch eine politische Entscheidung, und zwar die einzige, die man als Autor trifft: mit welcher Hauptfigur, das heißt, aus welcher Perspektive erzähle ich etwas.

W. Z.: Sie schreiben auch für das Theater?

Arjouni: Der Wechsel ist gut für mich. Ich bekomme dadurch Abstand zu der einen Form und laufe nicht Gefahr, immer den gleichen Roman zu schreiben.

W. Z.: Wann wird eine Idee ein Stück?

Arjouni: Prosa ist für mich etwas, das eher gemütlich stattfindet. Man kann zu Hause lesen und ein Glas Wein dazu trinken. Es soll irgendwie Mut machen. Theater muss aufregen, auch im Negativen. Es muss intellektuell verstören. Auf der Bühne findet die These statt, im Zuschauerraum die Antithese, und die Synthese danach in der Kneipe. Das hat viel mit Diskussion zu tun.

Aber das erlebe ich selten. Es heißt ja immer, dass Theater die Gesellschaft spiegelt. Dann ist es nur logisch, dass da im Moment nichts los ist. Das Theater ist so wie die Gesellschaft immer eitler, verwöhnter, belangloser geworden.

Aus dieser "Ist-eh-alles-unwichtig-Haltung" im reichen Europa konnte, denke ich, auch so etwas wie der Jugoslawien-Krieg entstehen.

W. Z.: Ist Theater heute eher Luxus?

Arjouni: Dabei ist es vom Konzept her die proletarischste Kunst: Man geht auf den Markt und erzählt eine Geschichte. Dann redet man darüber. Heute gibt es aber keinen Raum für Diskussionen, sondern nur für Theaterdiskussionen, welche Inszenierung ist besser, oder wie geht man heute mit Shakespeare um oder so. Der Jugoslawien-Krieg, auf den komme ich immer wieder zurück, ist auch dafür ein Beispiel, da gab es am Theater nichts dazu. Das war eine diskussionsfreie Zeit in Deutschland kurz vor Kriegseintritt.

W. Z.: Kann man so etwas am Theater überhaupt verhandeln?

Arjouni: Klar. Fernsehen ist kein Medium zum Diskutieren. Im Theater riecht man, spricht man. Jeder Abend ist neu. Wenn dir von der Bühne gesagt wird, du bist ein Arschloch, kann dich das treffen.

W. Z.: Haben Sie Vorbilder am Theater?

Arjouni: Viel weniger als in der Prosa. "Gerettet" von Edward Bond hat mich mit sechzehn sehr beeindruckt. Da habe ich kapiert, was für eine Wucht Theater haben kann. Und Büchner natürlich, besonders "Dantons Tod". "Leonce und Lena" ist ganz nett, "Woyzeck" ist eher etwas für Dramaturgen.

W. Z.: Gehen Sie oft ins Theater?

Arjouni: Selten, und wenn, dann in Deutschland mit dem immer gleichen Ergebnis: dass danach in der Kneipe bestimmt keine Synthese stattfindet, sondern nur fressen und froh sein, dass es vorbei ist. Da gibt es entweder Boulevard oder überhöhte Kunstkunst.

W. Z.: Wie wichtig ist für Sie als Autor die Inszenierung Ihrer eigenen Stücke?

Arjouni: Sehr wichtig, natürlich. Denn der Text ist ja nur fünfzig Prozent der Theaterarbeit. Den Rest machen der Regisseur und die Schauspieler. Da gibt es natürlich Überraschungen, und ich finde es toll, was am Ende herauskommen kann. Am meisten schätze ich Paolo Magelli als Regisseur, der zwei Stücke von mir inszeniert hat. Der arbeitet so, wie ich mir das am Theater wünsche: lustvoll, intellligent und mitreißend anstatt eitel, halbklug und kalkuliert.

W. Z.: Sie haben in jungen Jahren eine Schauspielausbildung begonnen und abgebrochen. Wollten Sie tatsächlich Schauspieler werden?

Arjouni: Ach, ich habe, bis ich dreiundzwanzig war, einiges ausprobiert, weil ich glaubte, ich müsse noch irgendwas lernen, womit ich Geld verdienen kann. Aber immer nur halbherzig. Wirklich bei der Sache war ich nur beim Schreiben. Und dann kam ich zu Diogenes, und die Berufssuche hatte sich erledigt.

Freitag, 08. Juni 2001

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