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Vor 25 Jahren starb die Lyrikerin Mascha Kaléko

Kaleko: Poesie des Büroalltags

Von Rolf-Bernhard Essig

Sprunghaft ist mit der Verhauptstädterung die Zahl der kleinen Angestellten, der Sekretärinnen in Berlin gestiegen und damit die Zahl potentieller Leserinnen von
Mascha Kalékos erstem Gedichtband, dem „Lyrischen Stenogrammheft". Erstens lesen überhaupt und dann noch Lyrik nur die Frauen (sagen all die Männer in den oberen Etagen der Verlage, und ihre
Pressefrauen nicken heftig, sehr zu Recht). Zweitens aber gibt es keine Lyrik, die so aus der Perspektive der weiblichen Büromenschen geschrieben wurde, ob man sie „Vorzimmerdamen", „persönliche
Assistentinnen" oder „Kaffeekocherinnen" nennt. Im „Lyrischen Stenogrammheft" finden sie Verse für die U-Bahn-Lektüre: lakonisch, melancholisch und mutwillig-munter. Singleschicksale zwischen
Büroalltag und viel zu kurzem Feierabend, Gedichte über verlorene Illusionen, doch immer ironisch gebrochen: „Es hieß, wir sollten jetzt ins Leben treten. / Ich aber leider trat nur ins Büro."

Poesie in und über harte Zeiten, unerfreulich aktuell, doch nie larmoyant: „Letzter Akt. Der Eisenvorhang fällt, / Denn mein Chef hat statt der Sekretäre / Lediglich die Zahlung eingestellt. / Der
Beamte auf dem Nachweis meinte, / Dass ich tot fürs Wirtschaftsleben wär." Bangemachen gilt hier nicht, denn bei so vielen Menschen auf einem Haufen gibt es vielleicht doch noch irgendeine
Chance. Vergnügen kann man sich auch mit schlecht gefülltem Portmonee und verlieben in lauen Lüften sowieso: „Großstadtqualm statt Maiendüfte. · Frühling über Groß-Berlin · Süße, wohl bekannte
Düfte . . . Stammen höchstens von Benzin."

Außer Ausflügen ins Grüne oder in sachliche Romanzen („Man spricht konkret und wird nur selten rot"), die manchmal schon nach einer Nacht vorbei sind („Ich zog mich an / du prüftest
meine

Beine"), macht das Leben der Angestellten in den Dreißigern wie heute vor allem eines aus: Arbeit. Ist man einmal krank, scheint die selten gebrauchte Wohnung ganz ungewohnt: „Man kennt sein
Zimmer nur vom Abend her". Natürlich klingen im „Lyrischen Stenogrammheft" manche Worte nicht mehr zeitgemäß, 67 Jahre sind kein Pappenstiel. Doch ersetzt man „Tippen" und „Kurzschrift" durch
„Bürokommunikation", merkt man, dass die Wahrheiten darinnen unbegrenzte Haltbarkeit besitzen. Mit weit über 200.000 verkauften Exemplaren steht das Buch hinter Goethes Gedichten auf Platz 2 der
meistverkauften Lyriksammlungen in Deutschland.

Am 21. Jänner vor 25 Jahren starb Mascha Kaléko, schon damals von den Feuilletons und der Literaturgeschichte nicht so richtig ernst genommen. Das Verständliche, Gefühlvolle und Ironische in vielen
ihrer Verse steht dem entgegen, mehr noch, dass man sich in etlichen Bereichen mit ein paar Repräsentanten begnügt. Für Großstadt-Lyrik mit Schuss (Herz und Sozialkritik) gab es schon Tucholsky und
Kästner, für Exil-Lyrik, Abteilung weiblich, Else Lasker-Schüler oder Nelly Sachs. Mascha Kaléko, die selbst eine Zeit als Schreibmaschinenfee arbeitete, setzte sich auch zu spät durch. Zwischen 1930
und 1933 publizierte die „Vossische Zeitung" ihre Gedichte, die schnell auch als Chansons Erfolg hatten und von Thomas Mann bis Alfred Polgar gelobt wurden.

1933 im Jänner erschien das „Lyrische Stenogrammheft", wurde begeistert rezensiert, gut verkauft und im Mai schon von den Nazis verbrannt. Trotzdem druckte Rowohlt 1935 eine zweite Auflage, trotzdem
blieb Mascha Kaléko mit ihrem Mann Chemjo Vinaver bis 1938 in Deutschland, weil sie den Verlust ihrer Sprache und Heimat zu sehr fürchtete. In letzter Minute konnte sie nach Amerika flüchten, wo sie
· neben dem Broterwerb durch Reklamesprücheschmieden · weiter dichtete. Die Leichtigkeit und spöttische Eleganz ließ sie sich nicht austreiben, prägten jetzt auch zunehmend Verzweiflung, Angst und
Unsicherheit ihre Gedichte.

Nach dem Krieg fand Mascha Kaléko in Deutschland schnell wieder Leser mit ihren „Versen für Zeitgenossen". Martin Heidegger schrieb ihr 1959: „Aber Ihr ,Stenogrammheft` sagt, dass sie alles
wissen, was Sterblichen zu wissen gegeben." Auch öffentlich wollte man sie ehren · mit dem Fontane-Preis. Da das Jury-Mitglied H. E. Holthusen aber vier Jahre SS-Mitglied gewesen war, lehnte sie
ab. Einen Preis bot man ihr nie wieder an. (Noch Marcel Reich-Ranicki berichtet, er habe einen Empfang, auf dem Albert Speer zugegen war, nicht verlassen, aus Furcht, seine Arbeit zu verlieren.)
Unglücklich verlief ihr restliches Leben, zerquält von Krankheit, Einsamkeit und Isolation in Israel, wo sie wegen ihres Mannes seit 1966 lebte. Erfolgreiche Lesungen in Deutschland und der Schweiz
und einige bescheidene Bucherfolge halfen ihr nicht mehr, und schließlich zerstörten schwere Schicksalsschläge ihren Lebenswillen. 1968 starb ihr Sohn, ihr Mann 1973, nur 14 Monate später folgte sie
ihm.

Ihr Werk erzielte seitdem in Taschenbuch-Ausgaben, die teils leider geschmacklos illustriert wurden, immer höhere Auflagen, eine Zeit lang waren Kaléko-Programme mit Chansons und Gedichten sehr en
vogue, und bis heute gehören ihre Bücher zu den heimlichen Steadysellern.

Freitag, 21. Jänner 2000

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