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Am 30. September wäre Truman Capote 75 Jahre alt geworden

Capote, Truman: „Ich bin ein sprachlicher Paganini"

Von Doris Griesser

An seiner Genialität hat er nie gezweifelt: als 1948 sein erster Roman erschien, war Truman Capote gerade 24 Jahre alt und besessen von der Idee, sich auf dem Olymp
der amerikanischen Literatur einen Ehrenplatz zu erkämpfen. Ein Ziel, das für den ehrgeizigen jungen Autor aus den Südstaaten durchaus nicht realitätsfremd war: immerhin hatten einige Kurzgeschichten
und die bloße Verheißung eines Romans genügt, dass in allen maßgeblichen Redaktionen und Verlagen Manhattans das angekündigte Werk des mädchenhaft zarten jungen Mannes mit der verstörend hohen
Kinderstimme voll Spannung erwartet wurde. Tatsächlich wurde „Andere Stimmen, andere Räume„ zum Bestseller. Die gigantische PR-Maschine, die ihn zeitlebens zum Star der Literatur- und
Gesellschaftsseiten machte und die er äußerst geschickt zu bedienen wusste, wurde allerdings nicht vom Roman allein, sondern auch von Capotes Foto auf der Titelseite des Buches in Gang gesetzt.

„Es erschien 12 Nummern lang keine „TIME", ohne dass etwas Boshaftes über mich darin stand", klagte er Jahre später. „Doch das Foto ist völlig harmlos. Da liege ich einfach auf dem Sofa und
blicke in die Kamera. Aber ich schätze, es lässt sich vermuten, ich läge auf diesem Sofa und gäbe mehr oder minder jemandem einen Wink, auf mich draufzusteigen."

Beißender Sarkasmus

Harmlos oder nicht · jedenfalls gab es damals kein Foto, das so heftig diskutiert wurde und eine literarische Karriere so nachhaltig beeinflusste. Außerdem habe es sein Liebesleben deutlich
gesteigert, wie er später bekannte. Ganz New York · in den Nachkriegsjahren noch das unbestrittene Zentrum der westlichen Kunst- und Kulturwelt · war von diesem Schriftsteller mit dem kindlichen
Äußeren und der messerscharfen Wahrnehmung fasziniert. „Neben ihm", erinnert sich ein Jugendfreund an Capotes Teenagerjahre, „wurden die Mädchen zu Mauerblümchen. Er war ungeheuer witzig und
hatte einen beißenden Sarkasmus."

Sein spektakuläres Debüt machte ihn über Nacht „zur Hoffnung der modernen Literatur", wie es Sommerset Maugham überschwänglich formulierte. Dass er wie kein anderer amerikanischer
Schriftsteller vor ihm auch in den exklusivsten Kreisen der Superreichen mit offenen Armen empfangen wurde, war wohl weniger seinem literarischen Talent zu verdanken als seiner frühen Berühmtheit und
seinen Entertainerqualitäten. Natürlich beruhte diese Anziehung auf Gegenseitigkeit: Er wurde von Party zu Party, von Jacht zu Jacht gereicht · es war in den fünfziger und sechziger Jahren ganz
einfach in, mit diesem scharfzüngigen, exzentrischen kleinen Homosexuellen befreundet zu sein.

Die fünfziger Jahre waren für den jungen Truman sowohl in künstlerischer als auch in gesellschaftlicher Hinsicht ein einziges großes Erfolgserlebnis: 1951 erschien sein poetischer Roman „Die
Grasharfe", sieben Jahre später der Kurzroman „Frühstück bei Tiffany", dessen liebenswert-leichtlebige Heldin Holly Golightly Millionen Leser in ihren Bann schlug; dazwischen Kurzgeschichten, Essays,
Portraits und Drehbücher. Er war ein Virtuose in fast allen literarischen Gattungen, der sich auch nicht scheute, selbst im Chor seiner vielen Bewunderer lauthals mitzusingen: „Ich habe mein
ganzes Leben gewusst, ich könnte ein Häufchen Wörter nehmen und in die Luft werfen, und sie würden genau richtig herabfallen. ( . . .) Ich bin ein sprachlicher Paganini."

Den absoluten Höhepunkt seiner Berühmtheit erreichte er mit „Kaltblütig", dem „besten Dokumentarbericht über ein Verbrechen in Amerika, der je geschrieben wurde", schwärmt die „New York
Review of Books". Sechs Jahre recherchierte und schrieb Capote an dieser Geschichte über den Mord an einer Farmerfamilie in Kansas, für die er über 4.000 Seiten getippte Notizen sammelte. Nach
fünf Jahren aufgestauter Neugier gab es für die Medien im Jänner 1966, als das Buch endlich erschien, nur ein Thema: Truman Capote. Sein Gesicht blickte von allen Titelseiten und er selbst tat sein
Bestes, um den Medienrummel noch weiter anzuheizen.

Dennoch konnten weder der Ruhm noch die Dollarmillionen, die ihm dieses Buch einbrachte, sein Bedürfnis nach Anerkennung stillen. So war er zutiefst darüber gekränkt, dass nicht er, sondern Norman
Mailer den Pulitzer-Preis und auch den National Book Award bekam.

Wie ein vorlautes Kind nahm sich Capote nie ein Blatt vor den Mund · selbst wenn er sich damit lächerlich machte. Seine oft drastischen Urteile über Schriftstellerkollegen und andere Berühmtheiten
haben Interviews und Talk-Shows jene Würze gegeben, die jeden seiner Auftritte (nicht nur die öffentlichen) zum Event machte. Amüsant waren seine boshaft-treffenden Beschreibungen zumindest für alle,
die es nicht selber traf. Auch Sartre, den er während seiner gelegentlichen Paris-Aufenthalte sah, bekam seinen Teil ab: „Schieläugig, Pfeife lutschend, käsig bleich, so meist hockte Sartre mit
seiner altjungferlichen Braut de

Beauvoir in der Ecke, wie ein Pärchen vergessener Bauchrednerpuppen."

Sittenbild der Upper-Class

Der durchdringende Blick des kühlen Beobachters verband sich bei Truman Capote mit der Gabe, seinen Gesprächspartnern ihre privatesten Gedanken und Geschichten zu entlocken. Eine optimale
Voraussetzung für seine journalistische und literarische Arbeit · jedoch nicht ganz ungefährlich für seine Freunde und Gesprächspartner, wie die ersten im „Esquire" veröffentlichten Kapitel
seines jahrelang angekündigten „Non-Fiction-Romans" über die amerikanische Upper Class „Erhörte Gebete" zeigten.

Zu diesem Zeitpunkt · Mitte der siebziger Jahre · erkannten seine reichen Freunde erstmals, dass ihr verhätscheltes Schoßhündchen auch beißen kann: pötzlich waren ihre intimsten Geheimnisse · von
peinlichen Seitensprüngen bis zum vertuschten Mord · Lese- und Gesprächsstoff für Millionen. Dennoch ist „Erhörte Gebete" viel mehr als literarisch verarbeiteter Tratsch: es ist das Sittenbild einer
Gesellschaftsschicht, in die vor ihm nur wenige Schriftsteller so tief eingedrungen waren · einer davon Proust, in dessen Nachfolge sich Capote, etwas großmäulig wie immer, auch sah. „Ich bin der
einzige Mensch in diesem Land, der dieses Buch schreiben könnte . . . Ich habe mein ganzes Leben dafür aufgewendet, das Handwerk, den Stil und die Unverfrorenheit zu entwickeln, um das hier schreiben
zu können. Es ist die raison d'être meines ganzen Lebens."

In einem anderen Kapitel des erst posthum veröffentlichten, unvollendet gebliebenen Romans fand er seine Zielscheiben vor allem unter seinen Schriftstellerkollegen: Katherine Ann Porter etwa,
damals bereits 85, fand sich darin als sexhungrige „Grande Mademoiselle der Kulturzeitschriften" wieder. Kein Wunder, dass nun die meisten Türen, die sich ihm seit seiner Jugend so bereitwillig
geöffnet hatten, zornig zugeknallt wurden. Capote schien das zunächst nicht besonders zu beeindrucken: „Ich begreife gar nicht, warum alle so verstört sind. Was dachten sie wohl, wen sie bei sich
hätten · einen Hofnarren? Sie hatten einen Schriftsteller vor sich."

Vermutlich gingen die Wogen der Ablehnung doch nicht spurlos an ihm vorüber: Alkohol, Drogen, Depressionen und zahllose Klinikaufenthalte bestimmten in den siebziger und achtziger Jahren sein Leben.
„Was wird geschehen, wenn Sie Ihr Alkohol- und Tablettenproblem nicht meistern können?", wurde er im Alter von 54 Jahren einmal in einer Talk-Show gefragt. „Die nahe liegende Antwort ist,
dass ich mich früher oder später umbringen werde." Er tat es · zumindest vorläufig · nicht, sondern bemühte sich um einen neuen Anfang: er ließ sich das Gesicht liften, Haare transplantieren,
speckte ab, trank weniger und konnte sogar seine Schreibhemmung überwinden. Das Ergebnis dieses letzten Kraftaktes war eine grandiose Sammlung von Kurzgeschichten, die später unter dem Titel „Musik
für Chamäleons" erscheinen sollte.

Danach überließ er sich endgültig „seinen Dämonen". Er starb am 25. August 1984, vermutlich an den Folgen einer Überdosis diverser Psychopharmaka.

Freitag, 01. Oktober 1999

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