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Der Astronom Johann Tobias Bürg und die Antares-Bedeckung

Sternfinsternis in Wien

Von Christian Pinter

Im Norden des Mondes geht das Meer der Heiterkeit gemächlich in den See der Träume über. An ihn grenzt Lacus Mortis, der See des Todes. Dort können Fernrohrbesitzer, am besten fünf oder sechs Tage nach Neumond, einen ausgeprägten, 40 km großen Krater erspähen. Der deutsche Astronom Johann Heinrich Mädler, ein renommierter Mondkartograf und Beobachter von Doppelsternen, taufte ihn 1837 "Bürg" - nach einem damals berühmten österreichischen Kollegen, der wenige Jahre zuvor verstorben war.

Johann Tobias Bürg kommt am Weihnachtstag des Jahres 1766 in Wien zur Welt. Nach dem Studium der Mathematik und der Astronomie unterrichtet er Physik am Klagenfurter Lyzeum. Doch schon nach einem Jahr kehrt er an die Donau zurück.

Am Dach des alten Universitätsgebäudes, in das später die Akademie der Wissenschaften einziehen wird, hat Pater Maximilian Hell 1755 ein Observatorium errichtet. Gerade ist Franz de Paula Triesnecker Sternwartedirektor geworden. Der aus Kirchberg am Wagram stammende ehemalige Jesuit leitet die erste genaue Kartierung Niederösterreichs und gibt die Wiener "Ephemeriden" heraus. Daraus kann man die täglichen Positionen von Sonne, Mond und Planeten ableiten. Bürg, seit 1791 Sternwarteassistent, rechnet am Tafelwerk mit.

Darüber hinaus publiziert er im "Berliner Astronomischen Jahrbuch" sowie in der "Monatlichen Correspondenz" des ungarischen Barons Franz Xaver von Zach. Beide Schriften beschleunigen den Gedankenaustausch zwischen Himmelsforschern. Schon hat das Pariser Nationalinstitut Bürg einen ansehnlichen Preis für seine Tafeln der Mondbewegung verliehen, die auf 3.000 Beobachtungen fußen. Napoleon Bonaparte bedankt sich bei Bürg mit einem Kilogramm Gold.

Der Mond als Uhrzeiger

Das rege Interesse an der Mondbahn hat historische Gründe: Die Kolonialmächte brauchen dringend sichere Navigationsverfahren. Um den aktuellen Schiffsort zu bestimmen, ermitteln Seeleute Gestirnhöhen über dem Horizont. Sie benötigen aber auch die akkurate Uhrzeit ihrer Messungen. Herkömmliche Uhren taugen nicht, da sie von der rauen See aus dem Takt gebracht werden. Deshalb will man die Zeit ebenfalls vom Firmament ablesen. Sein eiliger Lauf durch die Sternbilder könnte den Mond zum Zeiger einer solchen "Himmelsuhr" machen, mit den Fixsternen als Zifferblatt! Um dies zu beobachten wird 1675 nahe London die Sternwarte Greenwich gegründet.

Doch der Erdbegleiter ändert seinen Schritt. Manchmal beschleunigt er, dann fällt er zurück. Seine Bahn unterliegt Störungen. Um diese möglichst genau zu bestimmen, lotet man seine Position am Sternenhimmel immer wieder neu aus. Luftunruhe und Instrumentenfehler setzen der Messgenauigkeit Grenzen. Astronomen kennen aber einen Trick: Tritt der Trabant vor einen Fixstern, kappt er dessen Lichtstrahl schlagartig. Der Stern wird "ausgeknipst". Ebenso abrupt taucht er am anderen Mondrand wieder auf. Die Zeitpunkte solcher "Sternbedeckungen" liefern unvergleichbar präzise Mondörter.

1755 ist die Bahn des Erdtrabanten gründlich genug erfasst, um die Träume von der Monduhr Realität werden zu lassen. Leider ist ihr Gebrauch mit enormem

Rechenaufwand für die Seefahrer verbunden. Erste Tests mit

ganggenauen, hochseetüchtigen

Schiffschronometern lassen auf ein rascheres Verfahren zur Zeitbestimmung hoffen.

Anfangs sind die Präzisionsuhren unerschwinglich. Doch um 1815 stehen bereits 5.000 im Einsatz und drängen den Mond in den Hintergrund. Rechtzeitig haben Wissenschaftler eine neue Rolle für ihn gefunden - als Prüfstein für die Gravitationstheorie. Newton hat die zahlreichen Störungen der Mondbahn mit den Anziehungskräften von Sonne und Planeten erklärt. Speziell die nahe Venus und der an Masse reiche Jupiter sind arge Störenfriede. Motiv genug, die Mondbahn noch sorgfältiger zu studieren.

Professor Bürg, der höhere Mathematik an der Universität lehrt, leidet an Hörproblemen. 1813 legt er die Arbeit nieder und zieht sich aufs Land zurück. Dennoch finden wir ihn am 13. April 1819 wieder am Teleskop der Wiener Universitätssternwarte. Er richtet es einmal mehr auf den Mond, der gerade Antares, den Hauptstern des Skorpions, bedeckt hält. Bürg fiebert dem Wiederauftauchen des Antares entgegen: Das ist eine Nagelprobe für die Exaktheit der preisgekrönten Mondtafeln.

Knapp vor Mitternacht lässt der pensionierte Astronom den dunklen Mondrand keine Sekunde mehr aus dem Auge. Gleich muss der hell funkelnde Antares aufblitzen. Doch stattdessen erscheint bloß ein mattes, völlig unspektakuläres Sternchen. Bürg hält den Atem an. Dann, fünf Herzschläge später, strahlt der zarte Lichtpunkt doch noch kräftig auf. Was ist geschehen?

Schon seit 16 Jahren wissen Bürg und seine Fachkollegen, dass manche Sterne im Fernrohr nicht nur in zwei Lichtpunkte zerfallen, sondern dass die beiden Sonnen einander im Lauf vieler Jahre sogar umkreisen. Die gegenseitige Anziehungskraft hält das Paar zusammen. Vor Bürg hatte niemand bemerkt, dass auch Antares zu diesen Doppelsternen zählt: die kräftige Hauptkomponente überstahlt den 60 mal schwächeren Begleiter. Zu Ende der Antares-Bedeckung vereitelte der Mond jedoch die Überstrahlung: Er gab den Begleiter frei, während er den hellen Hauptstern gerade noch verborgen hielt.

Am 25. November 1834 schließt Bürg im Kärntner Wiesenau seine Augen für immer. Zehn Jahre später löst der amerikanische Astronom Ormsby M. Mitchel Antares wieder auf. Das brandneue, 30 cm durchmessende Linsenteleskop der Cincinnati-Sternwarte macht die Sichtung des Begleiters auch ohne Assistenz des Mondes möglich. Heute gelingt dies bereits Amateuren mit Instrumenten ab etwa 15 cm Öffnung. Besitzer kleinerer Fernrohre müssen warten - bis zu einer seltenen Antares-Bedeckung.

Antares wiegt 16 Sonnenmassen. Er hat sich rasch verzehrt. Schon entfahren ihm heftige Sternwinde. Der alternde "rote Überriese" bläst sich mächtig auf, ist 700 Mal größer als unsere Sonne. Leicht brächten wir die Bahnen von Erde, Mars, ja sogar die von Jupiter in ihm unter. Während der Expansion sank seine Oberflächentemperatur auf relativ bescheidene 3.300 Grad Celsius.

Antares wird als Supernova enden. Zum Glück trennen uns 600 Lichtjahre von ihm. Schlechte Karten hat sein Begleitstern. Er umrundet den Todgeweihten alle 900 Jahre, und hält nur wenig Respektabstand. Weil der Kompagnon bloß halbe Antares-Masse besitzt, ging er mit seinem Brennstoffvorrat sparsamer um. Ihm steht die Aufblähungsphase noch bevor.

Der smaragdgrüne Stern

Sterne strahlen ihr Licht in allen Wellenlängen des sichtbaren Spektrums aus. Uns erscheinen sie schlicht weiß. Liegt deren Oberflächentemperatur über jener unserer Sonne, verschiebt sich das Maximum der Lichtabgabe in Richtung Ultraviolett. Dann ziert ein Hauch von Blau ihren Schein - so auch beim Antares-Begleiter.

Ist das Sternantlitz kühler, zieht das Maximum gen Infrarot. Nun mischt sich ein Schuss Rot ins Licht. Deshalb mutet Antares gelblich, golden oder orangefarben an. Die alten Griechen kürten ihn dafür zum Rivalen und Gegenspieler des Planeten Mars, dem Gestirn des blutrünstigen Kriegsgottes, griechisch Ares. So kam Ant-Ares zu seinem Namen.

Tiefes Rot oder Blau sucht man in der Fixsternwelt vergeblich. Die Farbsättigung ist stets gering. Grüne Sonnen gibt es gar nicht. Dennoch verwenden Doppelsternbeobachter oft ausmalende Beschreibungen: z. B. "kirschrot", "granatfarben", "purpurn", "indigoblau" und "violett". Ja sogar "blaugrün", "meeresgrün", "apfel-" oder "erbsengrün".

Oft erscheinen die beiden Sternpartner in starkem farblichen Gegensatz. Gern trägt der eine Gelb oder Orange, der andere Blau. Christian Doppler machte dafür die rasanten Bahngeschwindigkeiten verantwortlich, die beim Tanz der Sonnen um den gemeinsamen Schwerpunkt auftreten: Demnach sollte das Licht des gerade auf uns zurasenden Sterns sichtbar gegen Blau, das des forteilenden gegen Rot verschoben sein.

1842 stellte Doppler diesen Gedanken in der Schrift "Über das farbige Licht der Doppelsterne und einiger anderer Gestirne des Himmels" vor. Das hier formulierte "Doppler-Prinzip" revolutionierte die Himmelskunde. Doch ausgerechnet bei den Doppelsternfarben irrte der Salzburger Gelehrte.

Sie sind nämlich vor allem die Folge eines Kontrastphänomens. In der Umgebung einer dominierenden Farbe nimmt das Auge deren Komplementärfarbe verstärkt wahr; beide zusammen würden Weiß ergeben. Beim Blick auf einen Doppelstern übertreibt die Wahrnehmung kleine Farbdifferenzen. Die Partner werden heiter koloriert, das Paar verhübscht. Deshalb zaubert der gerötete Antares seinem blassen Begleiter ein Grün ins Gesicht. US-Astronom Robert Burnham verglich diesen sogar mit einem grünen Smaragd.

Ähnlich wie einst Bürg, nehmen heute Tausende von Hobby-Astronomen den Mond mit dem Teleskop ins Visier. Sie notieren Beginn- und Endzeiten von Bedeckungen der meist lichtschwachen Sterne. Und das möglichst auf die Zehntelsekunde genau. Die tatsächlichen Zeitpunkte hängen unter anderem vom Standort und der Seehöhe ab. Auch Unregelmäßigkeiten der Erdrotation und Störungen der Mondbahn beeinflussen das Ergebnis.

Der Anblick einer solchen "Sternfinsternis" kann dramatisch sein wie ein Fernseh-Krimi. Mit der Stoppuhr in der Hand "lösen" Spezialisten bis zu zwei Dutzend Fälle pro Jahr. Ein Wiener legte bereits 500 Beobachtungen vor. Der Datenschatz hilft, das Wissen um die exakte Form des Mondkörpers zu vergrößern. Am spektakulärsten sind Bedeckungen der hellsten Sterne. Deren Verschwinden oder Wiederauftauchen lässt sich, sofern es am dunklen Mondrand geschieht, mitunter mit freiem Auge observieren.

"Frau Luna" liebt die Abwechslung. Während ihrer gut 27-tägigen Tour durch den Tierkreis sucht sie sich nicht immer die selben Opfer aus. Vielmehr kommt es zu Bedeckungsserien. So holt der Mond den Antares zwischen 2005 und 2010 mehrmals vom Himmel; dann ist wieder Schluss bis 2023.

Ebenfalls heuer startet eine kurze Serie mit Spica in der Jungfrau. Bei diesem Doppelstern lieferten Bedeckungen schon Indizien für einen dritten, verborgenen Begleiter. Anfang 2007 löst Regulus im Löwen die Spica ab. Die nächste Staffel mit dem Stier-Stern Aldebaran wird erst 2015 gedreht. Leider entgehen uns fast alle Episoden. Eine Sternbedeckung ist aus perspektivischen Gründen nur von einem kleinen Gebiet der Erde aus zu sehen. Wer außerhalb wohnt, hat Pech.

Auf Bürgs Spuren

Mit umso größerer Freude blicken heimische Sternfreunde den beiden kommenden Antares-Bedeckungen entgegen. Am Morgen des 4. Februar 2005 wird der prominente Stern im Raum Wien um 5.06 Uhr MEZ ausgelöscht. Sekunden nach 5.44 blitzt er am rechten, dunklen Mondrand wieder auf; dies sollte man sogar mit freiem Auge mitverfolgen können. Ein Fernglas, fest und sicher auf dem Stativ montiert, erleichtert die Betrachtung, das Fernrohr macht sie zum Genuss. Damit wandelt man endgültig auf Bürgs Spuren, erspäht Antares' Begleiter einige Sekunden vor dem Hauptstern - und damit fern jeder Farbillusion. Wird er auch dieses Mal "smaragdgrün" sein?

Gen Westen hin schrumpft die Bedeckungsdauer. Im Raum Linz und Graz taucht Antares kurz nach 5.39 Uhr, über der Stadt Salzburg nach 5.34 und im Gebiet um Innsbruck schon um 5.26 Uhr MEZ wieder auf. Vorarlberger gehen diesmal leer aus.

Eine zweite Chance bietet Wiener Amateuren die Nacht vom

26. zum 27. April: Dann entzieht sich Antares zwischen 0.04 und 1.10 Uhr Sommerzeit ihrem Blick. In Graz und Linz erlebt man Beginn und Ende ein bis zwei, in Salzburg drei und in Innsbruck fünf Minuten früher. Leider bedarf es für beide Bedeckungen eines Beobachtungsplatzes mit absolut freier Sicht bis tief hinab zum Südosthorizont. Sogar darin ähneln die kommenden "Sternfinsternisse" jener, die Johann

Tobias Bürg vor 186 Jahren zum Doppelstern-Entdecker machte. Auch sein Mond schwebte ganz niedrig über den Dächern Wiens.

Freitag, 28. Jänner 2005

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