Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  English  2005  MyAbo 
  Lexikon    Glossen     Bücher     Musik  

Der Roboter "Huygens" ist auf dem Weg zum Saturnmond Titan

Das große Weltraumabenteuer

Von Christian Pinter

Eine Trennung wäre das schönste Weihnachtsgeschenk für manche Astronomen. Und zwar jene des ESA-Roboters Huygens von der NASA-Sonde Cassini am 25. Dezember. Nur wenn sie glatt geht, kann Huygens seinen Auftrag erfüllen und am 14. Jänner 2005 zum Saturnmond Titan hinuntersteigen. Die Mission zählt zu den verwegensten der Raumfahrtgeschichte. Sie wartet gleich mit mehreren Premieren auf: Huygens wird den ersten Flug durch eine "erdähnliche" Atmosphäre absolvieren und den ersten Landeversuch im äußeren Planetensystem wagen. Dabei trifft er, erstmalig, auf einer fremden Eisoberfläche auf - oder schafft gar die erste "Wasserung" in einem außerirdischen Ozean. Für die Europäer wäre ein gelungenes Landeunternehmen in jedem Fall ein Novum.

Auch Österreich arbeitete an den Instrumenten des 320 kg schweren ESA-Roboters mit. (Die "Wiener Zeitung" berichtete am 14.12. bereits darüber.) Als man ihn konzipierte, wusste man nur wenig über die Welt, die ihn erwartet. Gefunden wurde der ferne Mond am 25. März 1655, als der Niederländer Christiaan Huygens ein selbst gebautes Teleskop auf den Saturn richtete. Schon 45 Jahre zuvor hatte Galileo Galilei das Mondquartett um den Jupiter beschrieben. Damit kannte man also sechs Planeten und, Erdmond inklusive, auch sechs Trabanten. Einige Gelehrte glaubten, ob dieser "Symmetrie" gäbe es nun nichts mehr zu entdecken.

Götterkrieg

Doch schon 1671 wies Giovanni Cassini einen zweiten Saturnbegleiter nach. Der gebürtige Italiener ließ später noch drei weitere folgen. Wilhelm Herschel fand 1789 in England ebenfalls zwei Satelliten. Genau wie den Jupitermonden wollte man ihnen Namen aus der griechischen Mythologie schenken. Herschels Sohn John wählte "Dione", "Enceladus", "Iapetus", "Mimas", "Rhea", "Tethys" aus - und "Titan". Dieser bezeichnet allerdings keine einzelne Gottheit, sondern ein ganzes Göttergeschlecht.

Die Titanen waren Kinder des Himmelsgottes Uranos und der Erdgöttin Gaia. Hyperion, Iapetos, Okeanos, Tethys und die schönhaarige Rhea zählten ebenso zu ihnen, wie der mächtige Kronos (römisch: Saturn). Kronos lag im Streit mit seinem Sohn Zeus (Jupiter), der sich mitsamt seinen Geschwistern gegen Vater, Onkel und Tanten stellte. Hesiod erzählt, dass die beiden Göttergenerationen mit gewaltigem, bis zum sternreichen Himmel dringenden Schlachtruf zusammenstießen. Ihr zehnjähriger Krieg endete mit dem Sturz der Titanen in die tiefe Schlucht des Tartaros, wo sie finsteres Dunkel verbarg. Anselm Feuerbach, 1873 nach Wien berufen, hielt die Szene auf einem monumentalen Deckengemälde in der Aula der Akademie der bildenden Künste fest. Später gab Gustav Mahler seiner ersten Symphonie den Titel "Der Titan". Er spielte dabei auf den gleichnamigen, fast hundert Jahre älteren Roman von Jean Paul an.

Ein "Titan" besitzt besondere Machtfülle oder glänzt durch außergewöhnliche Leistungen. "Titanisch" steht für "riesenhaft" und "gigantisch". US-Raketen vom Typ Titan trugen ab 1965 die doppelsitzigen Gemini-Kapseln (lat: gemini, Zwillinge) in den Himmel. Varianten dieses Raketentyps brachten die beiden Voyager-Sonden auf ihre Reise ins äußere Planetensystem: 1980 bzw. 1981 eilten sie an Saturn und seinen Monden vorbei. Der NASA-Roboter Cassini hob ebenfalls mit einer Titan ab. Nach siebenjährigem Flug schwenkte er am 1. Juli 2004 in die Umlaufbahn um den Saturn ein. Mit ihm erreichte, huckepack, auch Huygens den Ringplaneten. Der Saturnbegleiter Titan ist ein Gigant. Mit einem Durchmesser von 5.150 km überflügelt er selbst den Planeten Merkur. Seine weit ins All hinaus reichende Atmosphäre täuscht eine zusätzliche Leibesfülle vor. Deshalb hielt man ihn früher für den mächtigsten Mond im Sonnensystem. Erst die Voyagers durchschauten den Bluff. Seither begnügt sich Titan, die Größe betreffend, mit Platz 2 hinter dem Jupitermond Ganymed. Doch Titan ist interessanter.

Wie die irdische Atmosphäre besteht auch Titans "Lufthülle" primär aus Stickstoff. Methan, Kohlenmonoxid und -dioxid sind beigemengt. Kosmische Strahlung und UV-Licht brechen die Moleküle auf, einfache Kohlenwasserstoffe wie Ethan oder Propan entstehen. 170 km über Grund kondensieren diese und bilden Aerosole, die das Sonnenlicht stärker streuen als der schlimmste irdische Smog. Dazu gesellen sich mehrere Dunstschichten in Höhen bis 500 km. Der blickdichte Vorhang vereitelt

Studien im sichtbaren Bereich

des Spektrums. Selbst die beiden Voyagers sahen die Oberfläche nicht. Später gelang es irdischen Infrarot-Teleskopen, ein paar ausgedehnte Flecken nachzuweisen. Der hellste ist so groß wie Australien und erhielt den Spitznamen "Xanadu".

Machen wir in Gedanken Winterurlaub auf dieser Mondwelt: Acht Tage lang leuchtet die Sonne als zwergenhaftes Scheibchen auf uns herab. 9,5-fache Erddistanz und die Streuung an den erwähnten Schwebeteilchen rauben ihr 99,9 Prozent der vertrauten Kraft. Wolken ziehen rund 20 km hoch über unseren Köpfen dahin. Alles, Himmel wie Boden, ist in Orangebraun getaucht, verursacht vom atmosphärischen Methan.

Auch die achttägige Nacht verläuft wenig romantisch. Des Smogs wegen suchen Titantouristen Sterne wohl vergeblich. Nur einige der anderen nahen Monde machen sich am Firmament bemerkbar. Dort klebt der Saturn, fast so groß wie eine Faust. Die Pracht seiner Ringe ist allerdings dahin. Wir schauen auf deren extrem schmale Kante. Eindruck schindet bloß der breite Schatten, den sie auf die Saturnkugel werfen. Um dieses Schattenspiel zu genießen, muss man eine Destination auf der "richtigen"

Titanhälfte buchen. Wer die andere, Saturn stets abgewandte Hemisphäre gewählt hat, bekommt den Ringplaneten nie zu Gesicht.

Titans geringere Schwerkraft erleichtert alle Gäste um sechs

Siebentel ihres Körpergewichts.

Bei Sprungwettbewerben erzielten sie außergewöhnliche Leistungen. Bodentemperaturen um minus

180 Grad C trieben ihnen solche Eskapaden allerdings sofort wieder aus. Regentropfen aus Kohlenwasserstoffen trübten ebenfalls die Urlaubsstimmung.

Dieser Niederschlag rinnt vermutlich Titans Berghänge hinab, sammelt sich vielleicht in Flüssen, die dann wiederum Täler und tiefe Schluchten in die Landschaft schneiden. Letztlich könnten die Ströme in Seen oder Meeren aus Ethan und Propan münden. Möglicherweise findet man statt dessen aber auch nur dicke, matschige Ablagerungen aus organischem Material. Titans Gebirge sind wahrscheinlich aus Wassereis geformt. Flüssiges Wasser kann es an der kalten Oberfläche nicht geben.

Der Erde ähnlich

Titans Atmosphäre wirkt "erdähnlicher" als jeder andere Himmelskörper. Vor allem sind die Forscher von deren reicher organischer Chemie fasziniert. Sie ziehen Parallelen zu jener Gashülle, die einst die junge Erde umschloss. Vielleicht hilft uns der Riesenmond, die Anfänge irdischen Lebens besser zu verstehen. Auf dem Titan selbst ist es für Mikroorganismen viel zu kalt.

Die Fläche der Titankugel entspricht jener des irdischen Atlantiks. Bis vor wenigen Monaten bildete sie den letzten wirklich ausgedehnten "weißen Fleck" auf unseren Karten des Planetensystems. Doch im Juli 2004 betrat Cassini die Bühne. Seine Kameras arbeiten in exotischen Spektralbereichen, durchdringen selbst den Smog-Vorhang. Außerdem setzt Cassini Radar ein. Am 26. Oktober und am 13. Dezember trennten ihn nur 1.200 km von Titans Oberfläche. Mehr als 40 ähnliche Passagen stehen noch bevor. Die NASA stellt Cassinis Aufnahmen sofort ins Internet. Allerdings bereitet die Interpretation der Fotos Kopfzerbrechen. Was sind Berge, was Täler, was Flüsse, Seen oder Ozeane? Wo sehen wir Wassereis, wo gefrorene Kohlenwasserstoffe? Jede Woche tauchen neue Hypothesen auf.

Für erhebliches Staunen sorgt das Fehlen von Einschlagskratern, wie sie die meisten anderen Mondwelten prägen. Dabei hat die Natur

4,5 Milliarden Jahre lang Himmelsgeschosse auf den Titan geschleudert. Die Spuren dieses Bombardements sind verschwunden. Liegen sie alle unter hunderte Meter hohen Ablagerungen aus Kohlenwasserstoffen begraben oder hat sie der Eisvulkanismus des Titan beseitigt? Wahrscheinlich erbrach der Mond immer wieder Matsch aus Wasser und Ammoniak an seine Oberfläche: Die zähflüssige Eislava überspülte Krater, füllte Täler und erstarrte zu frischem Eis. Spuren solcher Prozesse hat Cassini schon festgehalten.

Huygens und seine Mission

Noch klammert sich Huygens fest an Cassinis Rücken. Nach gelungener Abkopplung früh morgens am Christtag startet sein dreiwöchiger Solo-Flug. Am 14. Jänner reißt ihn die Borduhr aus dem Tiefschlaf. Alles geht vollautomatisch. Mit 22.000 km/h dringt er um

11.15 Uhr MEZ in Titans Atmosphäre ein, die ihn radikal abbremst. Sein 2,75 m weiter Schutzschild - er wird später abgeworfen - wehrt die resultierende Hitze ab. Das 10-Meter-Teleskop auf Hawaii versucht, den fernen Glutball im Infrarot zu registrieren.

190 km über Grund soll sich der erste von insgesamt drei Fallschirmen öffnen. An ihnen schwebt die Sonde gut zwei Stunden lang ihrem Ziel unweit von Xanadu entgegen. Unberechenbare Winde bestimmen den Kurs. Laufend misst der Roboter Temperatur und Luftdruck. Er atmet Atmosphärengas ein und analysiert dessen genaue chemische Zusammensetzung. Ähnlich verfährt er mit den Aerosolen, die er in einem kleinen "Ofen" verdampft. Er sucht zudem nach Blitzen und lauscht fernem Donner. Sein Bordmikrofon fängt womöglich sogar das Klatschen von Regentropfen ein.

Huygens schießt Foto um Foto, während er dem Boden entgegen eilt. Seine Landung mit 18 km/h ist überaus hart. Wenn er sie unbeschadet übersteht, bleibt noch etwa eine halbe Stunde, um den Boden zu erforschen. Dann sind die Batterien erschöpft. Noch zügiger muss die Untersuchung nach einer etwaigen "Wasserung" in flüssigem Ethan und Propan von statten gehen. Ein akustisches Ortungsgerät lotet die Tiefe des "Gewässers" aus, ein Lagesensor erfasst etwaige Schaukelbewegungen. Titans Wellen mögen sehr viel höher sein als irdische - aber auch deutlich langsamer. Jedenfalls versinkt Huygens rasch in den bitterkalten Fluten.

Die empfindlichsten Radioteleskope der Welt werden versuchen, die Funksignale des Kundschafters aufzufangen. Ungleich sicherer ist die Kommunikation via Relais-Satellit. Cassini übernimmt diese Rolle. Er lauscht Huygens' Stimme aus 60.000 km Distanz und speichert die empfangenen Botschaften ab. Dann dreht er sich, um seine weite Antennenschüssel auf die Erde auszurichten. Das so übermittelte Signal trifft nach weiteren 67 Minuten bei uns ein. Frühe Ergebnisse findet man vielleicht schon am Abend des 14. Jänner auf den Web-Seiten von ESA und NASA. Knapp vor Mitternacht könnten die ersten Bilder präsentiert werden.

Ein kleines Fernrohr verkürzt die Wartezeit. Es erlaubt den direkten, ganz persönlichen Blick auf Titan. Man erspäht ihn im gleichen

Gesichtsfeld wie Saturn, der jetzt kräftig, ruhig und leicht gelblich in den Zwillingen glänzt. 1,2 Milliarden km Erdabstand lassen den Riesenmond zum zarten Lichtpunkt schrumpfen. Größere Amateurfernrohre deuten ein winziges Scheibchen an - und Titans außergewöhnliche, orangefarbige Tönung.

http://saturn.esa.int

http://saturn.jpl.nasa.gov

Freitag, 24. Dezember 2004

Aktuell

Wo alle Speisen enden
Eine kleine Kulturgeschichte der Toilette – von der Antike bis heute
Katzen als Testfresser
Kulinarische Verlockungen und ungesunde Zusätze im Tierfutter
Handlich und haltbar
Die Teilbarkeit von Nahrung ist ein wichtiger Faktor des Food Designs

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum