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Vor 15 Jahren machte Voyager 2 das einzige Porträt von Triton

Fontänen am Neptunmond

Von Christian Pinter

Am 23. September 1846 erspähte Johann Gottfried Galle an der Berliner Sternwarte einen bisher unentdeckt gebliebenen Planeten. Rasch drang die Nachricht nach Liverpool, wo der Bierbrauer und Amateurastronom William Lassell sein selbstgebautes Spiegelteleskop auf den Sensationsfund richtete. Er hielt nach einem etwaigen Planetenmond Ausschau. Der Plan ging bereits am 10. Oktober auf. Später taufte man Galles Planet "Neptun", Lassells Mond "Triton".

Ein Jahrhundert lang blieb Triton Single. Erst 1949 schenkte ihm Gerard Kuiper, USA, eine Partnerin: die Nereide. 1989 reichte die NASA-Sonde Voyager 2 noch sechs weitere, dunkle und kraterzernarbte Neptunmonde nach: darunter Proteus, Galatea und Naiade. Die Namen all dieser neuen Welten entliehen Astronomen der klassischen Mythologie.

Griechische Meeresgötter

Die alten Griechen bevölkerten das Meer mit einer Vielzahl von sagenhaften Wesen. Der Meeresgott Proteus war ein Verwandlungskünstler, konnte die Gestalt von Feuer, Wasser oder Stein annehmen. Der mild gesinnte Nereus hatte 50 Töchter, die Nereiden. Eine dieser Meeresnymphen war Galateia, die "Milchweiße". Poseidon, von den Römern mit Neptun gleichgesetzt, wühlte die See mit dem Dreizack auf. Das Pferd war ihm heilig. Mit einer Nereide zeugte Poseidon den Triton. Ihn beschreibt Hesiod als "furchtbare Gottheit", die, mächtig und groß, "die Tiefen des Meeres inne hat". Dort unten wohnte Triton in Poseidons goldenem Haus. Purpurschnecken wuchsen auf seinen Schultern.

Einst, so berichtet Ovid, grollte Jupiter dem sündigen Menschengeschlecht. Er wollte es in einer gewaltigen Sintflut ertränken und ließ vom Himmel Regengüsse niedergehen. Gleichzeitig rief sein Bruder Neptun die Flussgötter herbei;

sie sollten die Schleusen aller

Quellen öffnen und ihren Kräften freien Lauf lassen. Bald war die Welt ein einziges Meer ohne Küsten. Delfine wohnten in den Wäldern, Nereiden bewunderten die versunkenen Städte. Als nur noch ein einziges, gottesfürchtiges Menschenpaar übrig war, zerstreute Jupiter die Wolken. Neptun legte den Dreizack beiseite und befahl Triton, die tönende Muschel zu blasen.

Flüsse und Fluten hörten den Klang seines schneckenförmigen Horns. Gehorsam kehrten die Wasser des Festlands und des Meeres um und gaben das Land wieder frei. Seither nennt man die spindelförmigen Trompetenschnecken "Tritonshörner". Neptuns Sohn vermehrte sich nach dem Ende der großen Flut auf geheimnisvolle Weise: Vergil setzt ihn in den Plural, spricht von "schnellen Tritonen". Mindestens 13 der fischschwänzigen Meeresgötter tauschten ihre maritime Heimat zwischen 1780 und 1910 gegen ein Domizil in Wien: Hier werden sie fast immer von Nereiden oder Najaden - Quell-, Fluss- und Seenymphen - begleitet.

Im berühmten Schönbrunner Neptunbrunnen bändigen Tritonen die wilden Rosse ihres Vaters. Najaden erfrischen sich in den Fontänen der beiden kleineren Brunnen. Gemeinsam mit Nereiden stützen Tritonen die muschelförmige Brunnenschale im Garten des Belvedere. Je ein Triton und eine Najade verzieren das Brunnenquartett am Maria-Theresien-Platz. Im nahen Volksgarten existiert ebenfalls ein Tritonbrunnen. Der kniende Triton auf dem Haus der Kaufmannschaft am Schwarzenbergplatz symbolisiert den weltumspannenden Seehandel. Der jüngste verbirgt sich, als einziger einsam und in Ketten gelegt, im Alsergrund, im Haus Thurngasse 8.

Lichtschwaches Pünktchen

1977 brach Voyager 2 zur abenteuerlichen Reise ins äußere Sonnensystem auf. Die NASA-Sonde erforschte Jupiter, Saturn und Uranus. Dann hielt sie auf Neptun zu. Am Morgen des 25. August 1989 passierte sie den meeresblauen Planeten. Fünf Stunden später schoss sie in 40.000 km Abstand an seinem Mond Triton vorbei. In irdischen Teleskopen zeigte sich dieser bloß als lichtschwaches Pünktchen. Niemand wusste, wie seine Oberfläche aussah. Voyager steckte zunächst den Durchmesser ab: 2.700 km machten Triton zum siebentgrößten Trabanten im Sonnensystem. Nur die vier Galileischen Jupitersatelliten, Saturns Titan und unser eigener Mond überflügeln ihn. Dann ermittelte man Masse und mittlere Dichte. Auf Erden würde "ein Kubikzentimeter Triton" zwei Gramm wiegen. Er muss einen mächtigen Kern aus Silikatgestein besitzen. Darüber spannt sich ein Mantel aus Eis.

Wissenschaftler hatten mit einer dunklen, alten und somit kraterzernarbten Kruste gerechnet. Doch Voyager 2 funkte ganz andere Bilder zur Erde: Triton glänzte wie frisch gefallener Schnee. Einschlagsnarben waren spärlich. Da er wohl gleichzeitig mit den anderen Körpern des Sonnensystems entstanden ist, blieb für das recht jugendliche Antlitz nur eine Erklärung: Die Oberfläche musste mehrmals umgestaltet und erneuert worden sein.

Offenbar prägten innere Schmelzvorgänge Tritons Vita. Aus der Tiefe quoll ein Gemisch von Wasser und Wassereis, Stickstoff, Methan, Ammoniak und Kohlendioxid. Die kalte, zähflüssige Eislava ergoss sich in die Einschlagskrater, überspülte deren aufragende Wälle und ließ diese, wieder erstarrend, schlicht versinken. Die eisigen "Sintfluten" wiederholten sich ungezählte Male.

In 30-fachem Sonnenabstand bekommt Triton nur noch ein Neunhundertstel jener Wärmestrahlung ab, die unsere Erde verwöhnt. Sein junges, helles Eis wirft einen Großteil davon gleich wieder zurück ins All. So ist Triton ein unglaublich kalter Ort, mit Temperaturen um minus 235 Grad C. Nie zuvor hatte man eine derart frostige "Welt" gesehen.

Schichten aus gefrorenem Stickstoff und Methan bedecken weite Teile der Oberfläche. Darunter liegt Wassereis. Hart wie Stein formt es Landschaften mit Höhenunterschieden von wenigen hundert Metern. Um ihnen einprägsame Namen zu schenken, durchforsteten Astronomen den Legendenschatz vieler Völker. Mythische Flüsse, Seen und Inseln der Ägypter, Kelten oder Zulu fanden so eine neue Heimat. Aber auch sagenhafte Wassergeister, Fischgottheiten und Meeresungeheuer tummeln sich nun auf Triton. Beispielhaft seien Cipango Planum, Kraken Catena, Uhlanga Regio oder Yenisey Fossa genannt.

Frühlingserwachen im Süden

Neptun braucht 165 Erdjahre für einen Sonnenumlauf. Im Spiel der ausgeprägten, sehr langen Jahreszeiten "baden" Tritons Polar- und Äquatorregionen abwechselnd im Licht. Auf der Südhemisphäre beobachtete Voyager ein Frühlingserwachen: Stickstoffeis, das sich im vorangegangenen Herbst oder Winter abgesetzt hatte, verdampfte am Rand des Südpolgebiets. Es kondensiert wohl wiederum zu Eis - aber im gerade lichtlosen hohen Norden. Stickstofffrost wird sich auf dessen Landschaften gelegt haben. So lange, bis auch dort das Frühjahr anbricht.

Über der exotischen Welt schwebt der Hauch einer Atmosphäre. Der "Luftdruck" beträgt nur ein Hunderttausendstel des irdischen Werts. Bei uns würde man von einem "Feinvakuum" sprechen. Die Gashülle ist fast zur Gänze aus Stickstoff aufgebaut - mit einem Schuss Methan. Auf Triton weht eine Brise mit 18 km/h.

Auf der Erde kennen wir etliche Geysire. Besonders berühmt sind jene auf Island und jene im amerikanischen Yellowstone-Nationalpark. Grundwasser erhitzt sich in vulkanisch aktiven Gebieten, Dampf- und Wasserfontänen steigen ein paar dutzend Meter hoch in die Luft. Die Bezeichnung "Geysir" stammt übrigens vom isländischen "geysa", was soviel bedeutet wie "in heftige Bewegung bringen". Unser Wort "gießen" ist damit verwandt. Die "Fontäne" geht letztlich auf das lateinische "fons" - Quelle - zurück.

Explosionsartige Fontänen

Tritons Geysire bewegen sich ungleich heftiger als die irdischen, seine Fontänen suchen ihresgleichen im Sonnensystem. Knapp unter der Oberfläche wird Stickstoffeis um wenige Grad Celsius erwärmt und geschmolzen. Der Druck steigt und steigt, bis sich eine Spalte öffnet. Explosionsartig und viel schneller als jeder Formel-1-Bolide jagt ein Schauer von flüssigem und gasförmigem Stickstoff davon. Er reißt kohlenstoffhältigen Staub mit. Tritons geringe Schwerkraft kann der Gewalt kaum Einhalt gebieten. Die kalte Fontäne stürmt den pechschwarzen Himmel, ragt höher auf als unser

Nanga Parbat. Schließlich regnet die Masse wieder aufs Quellgebiet herab. Ein Teil wird vom sanften Wind verblasen und geht noch

in 150 km Abstand nieder. Beleg sind dunkle Staubfahnen auf dem Eis.

Bis 1930 blieb Neptun der fernste Planet. Dann ging Pluto ins Netz. Dieser erwies sich aber als untypisch klein, schmächtiger als Triton. Er folgt zudem einem höchst eigentümlichen Orbit, kreuzt sogar Neptuns Bahnkreis. Deshalb machten manche Forscher Pluto zu einem "entsprungenen" Neptunmond. Tatsächlich gibt es Ähnlichkeiten zwischen Triton und Pluto. Doch ihr Verwandtschaftsverhältnis ist komplizierter.

1951 schlug Gerald Kuiper die Existenz eines fernen Kometenreservoirs vor. Die äußersten Bahnpunkte vieler Schweifsterne, so rechnete er nach, lagen nämlich direkt hinter der Neptunbahn. Man begann vom "Kuiper Belt" (engl. belt, Gürtel) zu sprechen. Seit 1992 stießen Astronomen dort tatsächlich auf einen Himmelskörper nach dem anderen. Natürlich fanden sie keine Kometenkerne, denn diese nur wenige Kilometer langen Winzlinge wären in derart weitem Abstand nicht auszumachen. Stattdessen stöberte man eindrucksvolle Eisplanetoiden mit mehreren hundert Kilometern Durchmesser auf. 700 solcher Kuiper Belt Objects (abgekürzt "KBOs") sind mittlerweile registriert. Pluto ist wahrscheinlich nur ein besonders groß geratener Vertreter dieser Gruppe.

Triton als Geisterfahrer

Hinter dem heutigen Neptunorbit ist die Materie nur schütter verteilt. Modellrechnungen zeigen: Um dort die Entstehung von Planetoiden zuzulassen, hätte es einer hundertmal größeren Ausgangsmasse bedurft. Deshalb schnallen manche Wissenschaftler den Kuiper-Gürtel enger: Ihrer Meinung nach stand die einstige Krippe der KBOs in viel geringerer Sonnendistanz. Allerdings auch jene des Neptun. Als dieser 17 Erdmassen zusammengetragen hatte, wühlte er das Meer der eisigen Himmelskörper mit seiner Schwerkraft auf.

Manche KBOs gewannen dabei Energie, wurden auf sonnenfernere Bahnen gehoben. Die meisten verloren jedoch. Von Neptun abgebremst, tauchten sie zunächst Richtung Uranus, Saturn und Jupiter ab. Im Gegenzug erwarb Neptun orbitale Energie, zog 1,5 Milliarden Kilometer weiter nach außen. Als er kaum noch Körper antraf, endete die Wanderschaft.

Nereide und Triton begannen ihre Karriere wohl ebenfalls als KBOs. Irgendwann jedoch gerieten sie in Neptuns Bann, wurden vom Riesenplaneten eingefangen und gleichsam in Ketten gelegt. Ihre ungewöhnlichen Umlaufbahnen sind ein Indiz dafür. Triton umrundet Neptun alle sechs Tage - aber in falscher Richtung. Er folgt nicht dem Drehsinn seines Planeten, sondern hält genau dagegen. Unter den großen Satelliten des Sonnensystems ist er der einzige "Geisterfahrer". Die 340 Kilometer kleine Nereide braucht hingegen fast ein ganzes Erdenjahr für einen Umlauf. Dabei schwankt ihre Distanz zu Neptun zwischen 1,4 und 9,6 Mio. Kilometer. Der Orbit weicht also extrem stark von der Kreisform ab. Auch das gilt als Beleg für einen Einfangvorgang.

Triton wird wohl einst einer ähnlich exzentrischen Bahn gefolgt sein. Er hielt jedoch einen geringeren Respektabstand zu Neptun. Enorme Gezeitenkräfte verwandelten seine langgestreckte Bahnellipse in einen fast perfekten Kreis mit 355.000 Kilometern Radius. Dabei wurde Triton "durchgeknetet": Reibung erhitzte den steinernen Kern. Diese Wärmequelle bewirkte jenen Eisvulkanismus, der Tritons "Gesicht" geprägt hat.

Fast alles, was wir über die Neptunmonde wissen, verdanken wir Voyager 2 - ihrem ersten und

einzigen Besucher. Ein paar Tage nach dem Vorbeiflug blickte die vielleicht erfolgreichste aller Planetensonden noch einmal zurück, schoss ein "Familienfoto" von

Neptun und Triton. Dann stellten ihre Kameras die Arbeit plangemäß ein.

Freitag, 13. August 2004

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