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Die Saturn-Sonde Cassini nimmt ihre Arbeit auf

Im Bann des Ringplaneten

Von Christian Pinter

Heute, am Abend des 11. Juni 2004, schießt die größte je gebaute Planetensonde in 2.000 km Abstand an der Phoebe vorbei. Die äußerst dunkle Oberfläche des Mondes und seine ungewöhnliche Umlaufbahn lassen vermuten: Saturn hat den bloß 220 km kleinen Himmelskörper eingefangen. Wahrscheinlich stammt Phoebe ursprünglich aus dem Kuiper-Gürtel, der fernen, kalten und finsteren Region weit hinter dem Neptun.

In knapp drei Wochen, am 1. Juli, wird Cassini sein Haupttriebwerk zünden und energisch abbremsen. So sehr, dass ihn Saturn ins Orbit zwingt, wie einst die Phoebe. Läuft alles nach Plan, ist er dann der erste künstliche Satellit des Ringplaneten. Pionier 11, Voyager 1 und Voyager 2 kamen ihm als Himmelsreisende ein Vierteljahrhundert zuvor. Doch sie rasten vorbei. Die eiligen Touristen schossen großartige Bilder - aber nur Momentaufnahmen.

Zwölf Instrumente, zu denen Kameras, Spektrometer, Radioempfänger und Sensoren für Kleinstpartikel zählen, bilden "Augen", "Ohren" und "Tastorgane" des NASA-Roboters. Die 4 m weite Hauptantenne fungiert als "Sprachrohr". Damit sendet er täglich mehrere Gigabyte Daten zur Erde. In den nächsten vier Jahren ist mit einem wahren Strom neuer Erkenntnisse und Entdeckungen zu rechnen.

Der Saturn als Ziel

Cassinis Reiseziel ist ein Gigant. Saturns Durchmesser überragt jenen der Erde um das Neunfache. 95 Erdmassen sind dort versammelt, wenngleich dünn gepackt. Ein Kubikzentimeter Saturn brächte im Schnitt 0,7 Gramm auf die Waage, weniger als Wasser. Drei Viertel seiner Masse macht Wasserstoff aus. Der Rest ist vorwiegend Helium.

Saturns Leibesfülle stammt aus seinen Kindertagen. Vor viereinhalb Milliarden Jahren riss er enorme Mengen Materials aus dem solaren Urnebel an sich. Nur sein Nachbar war noch raffgieriger: Mit eingefahrenen 318 Erdmassen stieß ihn Jupiter gleichsam vom Thron - ähnlich wie in der antiken Mythologie. Saturn, somit nur der zweitgrößte aller Planeten, wirbelt in weniger als elf Stunden einmal um seine Achse. Die Fliehkraft verformt ihn. Am Äquator ist er deshalb noch fast wie eine Erdkugel dicker als an den Polen.

Der Koloss kreist 9,5-mal weiter vom Zentralgestirn entfernt als die Erde. Er bekommt somit bloß ein Neunzigstel der uns vertrauten Sonnenstrahlung ab. Doch er heizt sich selbst ein. Die eigene Masse drückt ihn wahrscheinlich zusammen; Helium sinkt zudem durch den leichteren Wasserstoff ab. Beides produziert Wärme. Sie lässt das Thermometer in der Atmosphäre auf unerwartet "hohe" Temperaturen von 190 bis 130 Grad Celsius unter Null klettern. Die Heizung sorgt, gemeinsam mit der bescheidenen Sonneneinstrahlung, für Zirkulationen in der Gashülle. Sie verraten sich im Bewegungsspiel der Saturnwolken. Die höchsten formen sich aus Ammoniakkristallen. Darunter schweben solche aus Ammoniumhydrosulfid. Nur die tiefsten bestehen aus Wassereis.

Die Wolkengürtel richten sich parallel zum Äquator aus, wo Westwinde mit 1.800 km/h toben - das sind zwei Drittel der dortigen Schallgeschwindigkeit. Sie umspannen dabei den ganzen Planeten. Auf Erden zerstörten Temperaturunterschiede, Kontinente und Ozeane derartige Gebilde. Doch der Saturn hat keine feste Oberfläche. Seine Gashülle wird in großen Tiefen vielmehr flüssig.

Cassini ist Saturns erster Wettersatellit. Er verwandelt irdische Wissenschaftler in Meteorologen einer exotischen Welt.

Saturns Stolz sind die Ringe. Sie verdoppeln seinen Glanz am Sternenhimmel und geben ihm, blickt man durchs Teleskop, einen geradezu majestätischen Charakter. Dieser Schmuck ist sehr viel eindrucksvoller als die dunklen "Ringplagiate", die man um Jupiter,

Uranus und Neptun nachgewiesen hat.

Früher galt Saturns Ring als einfaches festes oder flüssiges Gebilde. Doch in Wahrheit täuschen Abermilliarden feiner Partikel einen starren Körper nur vor. Sie bestehen aus Wassereis oder Silikaten, die wiederum mit Eis überzogen sind. Die meisten gleichen in ihrer Dimension Staub- oder Sandkörnern; andere Schneeflocken, Eiswürfeln, Eisblöcken oder Iglus. Dazwischen kreisen wohl auch ganze "Eisberge", 100 Meter groß und mehr.

Das "Ring-ABC"

Das kleine Amateurteleskop zeigt scheinbar nur einen einzigen Ring. Das etwas leistungsfähigere trennt diesen bereits in die helle B- und die weiter außen liegende schmälere A-Komponente. Außerdem lässt es, ganz innen, den durchsichtigen C-Ring erahnen. Nach den Vorbeiflügen der Voyager-Sonden musste man das "Ring-ABC" bis zum "G" erweitern: In unterschiedlichem Abstand um Saturn angeordnet, differieren die sieben Ringe in Struktur, Breite und Dicke, Helligkeit und Farbe sowie in Zahl und Durchmesser ihrer Partikel.

Die meisten Ringe zerfallen wiederum in Tausende von zarten, konzentrischen Reifen unterschiedlichen Glanzes. Die Voyager-Bilder erinnern an die Seite einer Langspielplatte, die - vermeintlich - aus 700 Einzelrillen besteht.

Bei näherer Untersuchung der einzelnen Reifen werden feinste Farbnuancen sichtbar: Offenbar unterscheiden sich deren Teilchen ein wenig in ihrer chemischen Zusammensetzung. Im B-Ring flitzen sie in weniger als einem halben Tag um den Planeten, mit einem Tempo von mehreren 10.000 km/h. Dort ziehen rätselhafte Speichen nach außen, vermutlich in Folge elektrostatischer Aufladung.

Äußerst flüchtige Helligkeits- und Farbanomalien, von Amateurbeobachtern registriert, sorgen im A-Ring für Kopfzerbrechen. Womöglich tauchen sie nach gegenseitigen Zusammenstößen größerer Brocken auf. Im schmächtigen F-Ring gleichen verdrillte Ringstränge Tauen oder Zöpfen. Hirtenmonde fokussieren hier Partikel wie Hunde die Schafherde: Der nur

140 km kleine Prometheus bewacht den Innenrand, drückt Ringteilchen nach außen. Von dort schickt sie Pandora wieder zurück. Ähnlich schärft der Atlas die Außenkante des A-Rings.

Mond Mimas stört die Grenzregion zwischen A- und B-Ring. Dort vorkommende Teilchen besäßen genau die Hälfte seiner Umlaufszeit. Deshalb hat er sie weitgehend verdrängt. Zurück bleibt jene dunkle Lücke, die der italienische Astronom Giovanni Cassini 1675 entdeckt hat. Die Cassini-Teilung ist breit genug, um nötigenfalls den Erdmond darin zu parken.

Fokussierungen und Störungen begründen die komplexe Struktur der Ringe. Sie mag um vieles dynamischer sein, als die Momentaufnahmen der Voyagers und teleskopische Fernstudien ahnen lassen. Cassini untersucht etwaige Veränderungen vor Ort. Im Orbit um Saturn genießt er denkbar gute Aussicht.

So harren wohl noch unbekannte, in den Ringen eingebettete Minimonde der Entdeckung. Sie fegen ihre Bahnen leer. Einschläge und Zusammenstöße setzen wahrscheinlich aber immer wieder frisches Material frei. Zum Teil geht es auf anderen Kleinstsatelliten nieder. Dieses kosmische Recycling verzögert die völlige Zersplitterung der Ringmaterie. Ob es reicht, um Saturns Schmuck auf Dauer zu bewahren, ist umstritten.

Manche Forscher gestehen den Ringen nämlich bloß ein Alter von wenigen hundert Millionen Jahren zu. Möglicherweise geriet damals ein Himmelskörper aus dem äußeren Sonnensystem, größer als die Phoebe, auf Abwege. Er kam Saturn zu nahe und wurde von dessen Gezeitenkräften zerrissen.

Vielleicht krachte der Eindringling aber auch gegen einen Saturnmond und katapultierte dessen Materie ins All. Jedenfalls kollidierten die Trümmer im Orbit häufig. Vor allem dann, wenn ihre Umlaufbahnen zueinander geneigt waren. Daher flachte sich die Schuttwolke immer weiter ab. Es klingt unglaublich: Die im Teleskop sichtbaren Hauptringe sind ein Viertel Millionen Kilometer weit - aber nur wenige hundert Meter dünn.

Ein anderes Modell verlegt die Entstehung des Rings in Saturns Kinderstube. Damals noch heißer, reichte seine Gashülle weit in den Raum hinaus. Sie kühlte ab und schrumpfte. Dabei blieb eine Scheibe kondensierten Materials zurück, aus der sich die mächtigeren Monde formten. Ganz nah am Planeten wurde die Bildung solcher Trabanten aber vereitelt. Hier zogen die Teilchen mit allzu hoher Relativgeschwindigkeit aneinander vorbei. Sie konnten sich deshalb nicht zu einem größeren Körper zusammenfinden.

Japetus und Dione

Saturns Monde allein rechtfertigen die siebenjährige Anreise Cassinis. Es sind Eiskugeln, manchmal mit kleinem, steinernen Kern. Bei Temperaturen von fast 200 Grad unter Null ist Wassereis hart wie Stein. Es formt Landschaften mit Bergen und Tälern. Sie zeichnen auch jeden Einschlag verlässlich auf - in Form kreisrunder Krater.

Die Trabanten manipulieren einander gegenseitig durch ihre Anziehungskraft: Aus Kreisbahnen wurden leichte Ellipsen. Auf ihrem Kurs um Saturn "kneteten" Gezeitenkräfte die Monde ein wenig durch. Reibung schafft Wärme: Eventuell schmolz das mit organischen Komponenten angereicherte Eis. Wo das Wasser-Eis-Gemisch bis zur kalten Oberfläche vordringen konnte, deckte es, wieder erstarrend, frühere Einschlagswunden zu. Die Anzahl der noch erkennbaren Krater verrät somit das Alter einer Mondlandschaft.

Die größeren Satelliten kehren Saturn stets dieselbe Seite zu, ähnlich wie der Erdmond uns. Während sie um den Planeten ziehen, ändert sich die Perspektive. Weilen sie ganz links vom Saturn, schauen wir auf die in Flugrichtung weisenden Mondvorderseiten. Stehen sie rechts, blicken wir auf ihre Rückenpartien. Eindrucksvoll belegt das Japetus, 1671 von Giovanni Cassini entdeckt. Während seines 79-tägigen Umlaufs schwankt die Helligkeit um den Faktor 6. Düsteres, wohl kohlenstoffhaltiges Material bedeckt die Frontseite. Es mag von der dunklen Phoebe stammen. Wahrscheinlicher ist, dass es Japetus selbst an seine Oberfläche "erbrochen" hat.

Bei Dione ist es umgekehrt. Hier ist die Rückseite dunkler. Gemildert wird dies allerdings von länglichen, hellweißen Schleiern, die wie Federwolken am irdischen Himmel aussehen. Auf der atmosphärelosen Mondwelt scheidet diese Interpretation aus. Folgt das mysteriöse Weiß Diones Tälern? Legte sich ausgespieener Wasserdampf dort wie Reif auf den Boden?

Weite Teile der Rhea sind arg verkratert. Einschlagsnarben liegen dicht aneinander, ahmen das Antlitz des Merkur oder die uralten Hochländer des Erdmonds nach. Doch auf Rhea sind sie nicht in Stein, sondern in Eis gehauen. Manche muten merkwürdig polygonal an, z. B. sechseckig.

Herschels Einschlagsnarbe

Tethys beeindruckt mit einem gewaltigen Graben, 2.000 km lang, 100 km breit, 5 km tief. Er zeugt vermutlich von jenem verheerenden Treffer, der auch Odysseus, den weitesten Krater, schuf. Sein Durchmesser: 400 km. Gerade einmal so groß ist der Mond Mimas. Eine gut 130 km weite Einschlagsnarbe, benannt nach dem Mondentdecker William Herschel, dominiert diese Welt. Bei Herschels Entstehung muss es Mimas fast in Stücke geschlagen haben.

Auf Enceladus wechseln Oberflächenformationen unterschiedlichen Alters einander ab. Manche sind praktisch kraterlos und daher höchstens 100 Millionen Jahre alt. Das junge Eis hat die Reflexionskraft frisch gefallenen Schnees. Es macht Enceladus zum glänzendsten Mond im Sonnensystem. Vielleicht gibt es dort Geysire. Vielleicht versorgen sie sogar den E-Ring mit Material.

Mimas, Tethys und Dione teilen sich ihre Ellipsen mit winzigen Begleitern. Diese folgen ihnen oder eilen ihnen voraus. Der Respektabstand beträgt immer ein Sechstel des jeweiligen Bahnumfangs. Die engen Mondnachbarn Epimetheus und Janus tauschen sogar regelmäßig ihre Orbits aus.

Cassinis besonderes Interesse gilt dem Titan, 1655 von Christiaan Huygens entdeckt. Mit 5.150 km Durchmesser übertrifft er sogar den Planeten Merkur. Als einziger Trabant besitzt Titan mehr als bloß den Hauch einer Atmosphäre. Seine "Lufthülle" ist sogar deutlich dichter als jene der Erde. Und sie besteht ebenfalls primär aus Stickstoff. Am Boden herrschen Temperaturen um minus 180 Grad

Celsius. Dort schlüpft Methan gleichsam in die Rolle unseres Wassers: Es kommt gasförmig, flüssig und als Eis vor.

Die Voyagers konnten Titans Oberfläche damals nicht erkennen. Eine hochfliegende Dunst- und Aerosolschicht vereitelte das. Cassini hat bessere Instrumente, kann den Boden z. B. mit Radar abtasten. Am 25. Dezember entlässt er zudem die mitreisende europäische Sonde Huygens. Sie wird drei Wochen später auf dem geheimnisvollen Riesenmond niedergehen. Niemand weiß, ob Huygens unsanft landet - oder in einem Methanmeer "wassert".

Freitag, 11. Juni 2004

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