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Vor 300 Jahren: Paris und London -Zentren der Himmelskunde

Als die Sterne noch "fix" waren

Von Christian Pinter

Im Jahre 1703 wählt die Royal Society Isaac Newton zum Präsidenten. Wenn in London Gelehrte diskutieren, führt er den Vorsitz - wiewohl er ob seines hohen Alters dabei einnicken wird. Was weiß er, was wissen seine Zeitgenossen im Gründungsjahr der "Wiener Zeitung" über Erde, Planeten, Sterne und Universum?

Das Kolonialzeitalter hat die Astronomie zur Staatsaffäre erhoben. Um Schiffe zu navigieren, neu entdeckte Inseln einzutragen und Besitzansprüche anzumelden, muss man die geografische Breite und Länge der betreffenden Objekte kennen. Die Breite lässt sich aus dem Höchststand von Gestirnen einfach ermitteln. Zur Längenbestimmung braucht man aber zusätzlich die genaue Zeit.

Die Pendeluhren des Astronomen Christiaan Huygens überzeugen auf dem Festland, nicht jedoch auf rauer See. Daher streben die Kolonialmächte nach einem Verfahren, um auch die Zeit vom Firmament ablesen zu können. Als mögliche "Himmelsuhren" fasst man den Erdmond und die Trabanten des Jupiter ins Auge.

1632 entstehen in den Niederlanden und in Dänemark nationale Observatorien. 1667 folgt Paris, 1675 London. An der Seine geht die Gründung der französischen Akademie der Wissenschaften voraus, an der Themse die der Royal Society. Beide Städte steigen zu führenden Zentren der Forschung auf. Deutschland hingegen erholt sich nur langsam vom Dreißigjährigen Krieg. In Italien erschwert die Inquisition den freien Gedankenaustausch.

Huygens und Cassini

Seit 1610 mustert man den Himmel mit Fernrohren. Die sichtbare Mondseite kennt man bald besser als manche Gebiete der Erde. Die Planeten sind nicht mehr bloß Lichtpunkte wie die Fixsterne; das Teleskop zeigt sie als kleine Scheibchen. Allerdings vereinen Fernrohrlinsen die Farben des Lichts nicht im selben Brennpunkt. Um die Scheibchen herum liegen störende Farbsäume. Sie mindern die Auflösung. Allzu bauchige Linsen muss man deshalb vermeiden. Also werden Objektive mit ein bis drei Dutzend Metern Brennweite geschliffen. Es entstehen höchst ausladende Instrumente, unhandlich und windanfällig. Bürgermeister Johannes Hevelius baut vor Danzig seine berühmte "Himmelsmaschine" mit über 45 m Länge auf. Christiaan Huygens verzichtet bei seinen "Luftteleskopen" sogar auf jede feste Verbindung zwischen Objektiv und Okular. Er montiert die Frontlinse beweglich an einem hohen Mast, steuert sie vom Boden aus mit Seilzügen fern. Drei Jahrhunderte später werden selbst Amateurteleskope bessere Bilder liefern.

In Paris treffen Akademiemitglieder einander zwischen Erdkarten, Globen, chemischen Geräten sowie Skeletten von Tieren und Menschen. Ludwig XIV. ist bemüht, international renommierte Wissenschaftler nach Frankreich zu holen: Christiaan Huygens, den holländischen Saturnspezialisten, und Giovanni Cassini, den bekannten Jupiterbeobachter aus Bologna. Cassini wird Leiter des neuen Pariser Observatoriums. Als Chefbeobachter steht ihm der Franzose Jean Picard zu Seite. Ab 1679 erscheint das französische astronomische Jahrbuch, das Seeleute rasch zu schätzen lernen.

Cassini und Huygens gelingen faszinierende Entdeckungen. Während Saturns Anblick Galilei noch verwirrt hatte, sieht Huygens die Planetenkugel von einem dünnen, sie nirgendwo berührenden Ring umgeben. Cassini erspäht im Ring eine dunkle Teilung, die später seinen Namen erhält. Der Holländer stößt auf den Saturnmond Titan, der Italiener reicht Japetus und Rhea nach. 1684 findet Cassini noch die Saturntrabanten Dione und Tethys. Sie bleiben fast hundert Jahre lang die letzte große Entdeckung im Sonnensystem - man hält nun bei sechs Planeten und insgesamt zehn Planetenmonden.

Auf Jupiter und Mars machen Cassini und Huygens dunkle Flecken auf. Aus ihrer Bewegung ermitteln sie Rotationszeiten von 10 bzw. knapp 25 Stunden. Das lässt die beiden Planeten erdähnlich erscheinen. Irdische Phänomene werden auf andere Welten übertragen - Wolken, Wasser, Vegetation. Huygens schließt dort auch intelligente Bewohner nicht aus. Akademiesekretär Bernard Fontenelle bevölkert in einem populärwissenschaftlichen Werk selbst Erdmond und Jupitertrabanten mit menschenähnlichen Lebewesen.

Zunächst eignet sich das von Bildfehlern geplagte Fernrohr noch nicht als Messinstrument. Selbst Hevelius zieht freiäugige Beobachtungen mit einfachen Visierhilfen dem Einsatz seiner mächtigen "Himmelsmaschine" vor, wenn es um exakte Ergebnisse geht. Doch William Gascoigne beobachtet, wie eine Spinne ihr Netz ausgerechnet im Brennpunkt des Teleskops baut. Er stattet es darauf hin mit einem Fadenkreuz aus und fügt schließlich noch einen weiteren, beweglichen Faden hinzu. Damit lassen sich z. B. Planetenscheibchen vermessen.

Picard und Römer

Mit dem verbesserten Teleskop visiert Jean Picard 1671 die Sterne von zwei Beobachtungsplätzen in Frankreich aus an, bestimmt so deren jeweilige geografische Breite. Dann steckt er die Entfernung zwischen den beiden Orten ab: Ein Grad Breiten-Unterschied entspricht 111,2 km. Um den ersten unumstrittenen Wert für den Erdumfang zu erhalten, braucht er diese Zahl nur noch mit 360 multiplizieren.

Sofort wagt man den nächsten Schritt. Keplers drittes Gesetz erlaubt es seit 1618, aus den Umlaufszeiten der Planeten auf deren mittlere Sonnendistanz zu schließen. Mars ist eineinhalb Mal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde; Saturn neuneinhalb Mal. Doch das sind bloß relative Angaben. Noch ist unklar, wie viele Meilen zwischen Sonne und Planeten liegen. Deshalb schickt man Jean Richer nach Südamerika, in die Kolonie Französisch-Guyana. Dort peilt er 1672 den Mars vor dem Fixsternhintergrund an. Gleiches macht Cassini in Frankreich.

Dank Picards Erdvermessung kennt man jetzt die genaue Länge der Strecke Cayenne-Paris. Aus dem geringfügig unterschiedlichen Marsanblick in den beiden Städten lässt sich die absolute Distanz des roten Planeten ermitteln. Und somit werden, dank Keplers Gesetz, auch die wahren Entfernungen von Merkur, Venus, Erde, Jupiter und Saturn ersichtlich. Saturn markiert die Außengrenze des Sonnensystems; von Uranus, Neptun oder Pluto ahnt man noch nichts.

Cassini stößt ans Limit der erzielbaren Genauigkeit. Er berechnet die Distanz Erde-Sonne mit 138 Millionen km. In Wirklichkeit sind es 150 Millionen. Dennoch entpuppt sich das Planetensystem als viel ausgedehnter, als man bisher geglaubt hat. Es ist gleichsam "gewachsen".

Schon Galileo Galilei hat überlegt, wie man die 1610 von ihm entdeckten vier Jupitermonde als Himmelsuhr einsetzen könnte. Er verhandelte diesbezüglich sogar mit Holland. Cassini studiert ihre Umlaufbewegungen genauer und arbeitet einschlägige Tafeln aus. Seeleute sollen das Verschwinden des innersten Mondes Io in Jupiters Schatten beobachten. Es lässt sich gut vorher berechnen und wiederholt sich alle 42 Stunden.

Picard bringt Olaus Römer nach Paris. Der Däne überprüft Cassinis Tafeln. Immer dann, wenn die Entfernung zwischen Jupiter und Erde wächst, gibt es Probleme: Ios Verfinsterungen verspäten sich um mehrere Minuten. Das Licht, so schließt Römer, müsss dann einen längeren Weg zurück legen. Es kann also nicht beliebig schnell sein. Die Verzögerung ist vielmehr Beweis für eine endliche Lichtgeschwindigkeit, die Römer 1676 in der richtigen Größenordnung ermittelt.

Die Jupitermonde eignen sich tatsächlich als Zeitgeber bei der Längenbestimmung. Allerdings nur zu Lande. An Bord schwankender Schiffe gelingt es kaum, Jupiter im engen Fernrohrgesichtsfeld zu halten. Der englische König lässt eine andere Lösung des Längenproblems prüfen: Seefahrer sollen zum Erdmond blicken. Beim raschen Lauf durch die Sternbilder ändern sich nämlich die Winkeldistanzen zwischen Erdtrabant und Sternen. Die Fixsterne bilden das Zifferblatt, der Mond den Zeiger dieser Himmelsuhr. Astronom John Flamsteed urteilt skeptisch: Weder Mondlauf noch Sternpositionen seien genau genug erforscht, um das Verfahren anzuwenden. Deshalb lässt Karl II. Geschützpulver verkaufen und mit dem Erlös ein Observatorium im königlichen Park von Greenwich bauen. Dort beginnt Flamsteed 1676 mit der langwierigen Vermessung des Sternenhimmels.

Halley und Newton

Sein erster Assistent, Edmond Halley, wird auf die ferne Atlantikinsel St. Helena geschickt. Dort erfasst er die Positionen von über 300 südlichen Sternen. Bei weiteren Seereisen studiert er die Winde der Erde und die Abweichungen der Kompassnadel. Halley ist Mitglied der Royal Society - ebenso wie Isaac Newton, der dem König einen neuen, vielversprechenden Fernrohrtyp vorgestellt hat. Um die störenden Farbsäume zu vermeiden, passieren die Lichtstrahlen hier keine Objektivlinse. Statt dessen werden sie an der Innenseite eines kugelförmigen Metallspiegels reflektiert.

1684 rätselt Halley mit anderen Mitgliedern der Society über die Ursache des unterschiedlich raschen Planetenlaufs. Neugierig wendet er sich an Newton. Dieser versichert ihm, die Antwort zu kennen. Auf Halleys Drängen beginnt er, seine Gravitationstheorie auszuarbeiten. Halley rechnet mit, konzentriert sich auf Kometen. Ihre Bahnen weichen stark von jenen der Planeten ab. Die Himmelsvagabunden von 1531, 1607 und 1682 teilen sich sogar die gleiche schlanke Ellipse, stellt Halley fest. Offenbar eilt hier stets der selbe Körper in Sonnennähe zurück - ein sensationeller Fund. Dieser periodisch wiederkehrende Komet wird einmal Halleys Namen tragen.

1687 stellt Newton seine neue Physik vor. Zentraler Punkt ist die Schwerkraft, die jeder Körper in Abhängigkeit zu seiner Masse ausübt. Sie genügt, um freien Fall und Gezeiten auf der Erde, die Bewegung des Erdmonds und der Jupitermonde, sowie den Lauf der Planeten zu erklären.

Schon weiß man, dass Sterne ferne Sonnen sind wie die unsere. Doch schreibt man allen Sonnen fälschlich ähnliche Leuchtkraft zu. Sirius, der hellste Fixstern, ist daher vermeintlich auch der allernächste Nachbar. Gelehrte haben versucht, seinen Glanz am Nachthimmel mit jenem der Sonne zu vergleichen - ein schwieriges Unterfangen. Die Resultate streuen arg. Nach Huygens soll Sirius 28.000 Mal weiter entfernt sein als das Tagesgestirn, nach James Gregory 83.000 Mal. Newton rückt ihn gar in einmillionenfachen Sonnenabstand. Er greift damit um das Doppelte zu hoch, erkennt aber die ungeheure Dimension der Fixsternwelt.

Flamsteed und Leibniz

Die Sterne sind wirklich noch "fix". Ihre Eigenbewegung wird Halley erst 1718 entdecken. Noch ahnt es niemand: Die Fixsterne ziehen, wie unsere Sonne auch, in Millionen von Jahren um das Zentrum der Galaxis. Solche Galaxien umfassen jeweils viele Milliarden Sterne und bilden ihrerseits Gruppen, Haufen und Superhaufen. Newton verteilt seine Sonnen hingegen recht gleichmäßig in einem unbegrenzten Raum: Nur so können sich deren gegenseitige Anziehungskräfte einigermaßen aufheben, nur so stürzt sein Universum nicht gleich zusammen.

1703 arbeitet Flamsteed noch immer an seiner Sterninventur. Halley ist abermals auf Reisen, studiert die Befestigung von Seehäfen im Mittelmeer. Newton denkt über die Unendlichkeit nach. Doch auf der anderen Seite des Ärmelkanals wird seine Schwerkraft kaum wahrgenommen. In Frankreich bevorzugt man René Descartes' Wirbeltheorie. Das All ist dort mit winzigen Partikeln gefüllt, die Kraft durch gegenseitigen Kontakt übertragen. In Paris bewegen sich die Planeten gleichsam um die Sonne, wie sich Blätter in den Strudeln der Seine drehen.

Sternwartechef Cassini darf eine großartige Bilanz ziehen, auch wenn Richer, Picard und Huygens nicht mehr leben. Römer ist nach Dänemark zurückgekehrt. In seiner Kopenhagener Privatsternwarte setzt er neue Spezialteleskope ein. Sein Meridiankreis wird die äußerst präzise Messung von Sternpositionen erlauben und schließlich zur Standardausstattung vieler Observatorien zählen.

Der Deutsche Gottfried Wilhelm Leibniz, ebenfalls Mitglied der Royal Society, regt die Schaffung wissenschaftlicher Akademien in Brandenburg und Wien an. In Berlin fällt 1700 der Gründungsbeschluss. Akademieastronom ist der bekannte Kometenentdecker Gottfried Kirch. Er wird auf die Fertigstellung seines Observatoriums aber noch Jahre warten müssen. Und Wien? Am Dach des alten Universitätsgebäudes nimmt die Sternwarte erst 1755 ihren Betrieb auf. Die Akademie der Wissenschaften folgt neun Jahrzehnte später.

Freitag, 08. August 2003

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