Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  English  2005  MyAbo 
  Lexikon    Glossen     Bücher     Musik  

Vor 400 Jahren erschien Johannes Bayers "Uranometria"

Die Eigennamen der Sterne

Von Christian Pinter

Alpha Centauri, Beta Geminorum, Delta Cephei: Wer ein Observatorium besucht, eine Himmelskarte mustert oder Astronomiebücher durchblättert, stößt immer wieder auf derartige Namen. Ihr merkwürdiger Klang trägt bei zum geheimnisvollen Flair, das die Himmelskunde umgibt. Genau 400 Jahre ist dieses "Abc der Sterne" alt.

Johannes Bayer

1572 wird in Rain am Lech, nahe Donauwörth, Johannes Bayer geboren. Vielleicht bestaunt er als Fünfjähriger den prächtigen Kometen von 1577. Sicher beeindruckt der Himmelsvagabund Johannes Kepler in Leonberg und den dänischen Astronomen Tycho Brahe. Jedenfalls schreibt sich Bayer 1592 an der Universität Ingolstadt ein, studiert Philosophie und Rechtswissenschaft. Dann lässt er sich als Rechtsanwalt in Augsburg nieder. Daneben beschäftigt er sich mit Archäologie, Mathematik und Astronomie.

Das 16. Jahrhundert neigt sich dem Ende zu. In Padua lehrt Galileo Galilei Mathematik, in Graz hat Kepler mit seinem Buch "Mysterium Cosmographicum" erstmals auf sich aufmerksam gemacht. Tycho Brahe ist beim dänischen König in Ungnade gefallen und reist jetzt nach Prag, um kaiserlicher Mathematiker zu werden. Zwei Jahrzehnte lang hat er in seinem Observatorium auf der Insel Ven den Himmel vermessen und außerdem mit Gelehrten in Kassel korrespondiert. Dort existiert ein weiteres astronomisches Zentrum, aufgebaut vom hessischen Landgrafen.

Natürlich kennt Bayer die Arbeiten des berühmten Brahe. Der Däne hat einst sogar selbst kurz in Augsburg studiert. Die Druckerstadt ist überhaupt mit dem Himmel verbunden. Hier erscheinen immer wieder Abhandlungen zu Kometen, Finsternissen und anderen Himmelserscheinungen. Später wird auch Keplers Dioptrik in Augsburg in Druck gehen.

Wüstenluchs

Um 1600 spaziert Bayer in der Nacht wohl oft vor die Tore der Stadt. Er mustert die alten Sternbilder, die eng mit der griechischen Mythologie verwoben sind. Ihre wichtigsten Sterne wurden vom Griechen Hipparch bereits im 2. Jh. v. Chr. katalogisiert. Um 150 n. Chr. hält Claudius Ptolemäus mehr als 1.000 Fixsterne in seinem Katalog fest. Die hellsten besitzen griechische Eigennamen. Die anderen bezeichnet der Alexandriner einfach nach ihrer Lage im jeweiligen Sternbild, spricht etwa vom Stern "im linken Arm", "am rechten Fuß" und so fort. Im 9. Jh. übersetzen islamische Gelehrte sein Werk ins Arabische. Im 12. überträgt man es in Europa aus dem Arabischen ins Lateinische.

Jetzt liest man lateinische Sternnamen wie "Bellatrix" oder "Capella", griechische wie "Castor" oder "Procyon" und arabische wie "Rigel" oder "Algol". Prominente Sterne tragen gleich mehrere. So heißt der Hauptstern in Leo, dem Löwen, "Regulus" (lat., kleiner König, Prinz), "Rex" (König), "Basilica" (die Königliche), "Pectus Leonis" (Brust des Löwen) oder "Cor Leonis" und "Kabeleced" (lat. bzw. arab., Herz des Löwen).

Die arabischen Namen liegen oft in mehreren Abwandlungen vor; sie wurden bei der Transkription stark verballhornt. Mitunter erzählen sie von Legenden, die man im arabischen Raum mit Sternbildern verband: etwa Benetnasch ("Klageweib"), Alamak ("Wüstenluchs") oder Alchiba ("Zelt"). Die meisten sind jedoch, in ptolemäischer Tradition, "Lageangaben": Im Bild des Löwen leuchten beispielsweise Algieba (arab. aus "Stirn"), Aldhafera ("Haarsträhne"), Subra ("Mähne") oder Duhr ("Rücken").

Auch die lateinischen Namen beziehen sich oft auf die Position eines Sterns in seinem Bild. In Kassel katalogisiert man die Lichtpunkte des Widders z. B. unter "Media" ("die Mittlere"), "In femore" ("am Oberschenkel") oder "In lumbis" ("an der Lende"). Natürlich existieren somit in mehreren Sternbildern recht ähnliche Sternnamen. Und nicht jeder Astronom hat den gleichen Linienzug im Kopf, wenn er zum Widder oder einer anderen Figur hinaufblickt.

Urania

Ptolemäus hat 48 Sternbilder beschrieben. Alte Darstellungen orientieren sich allerdings mehr an deren mythologischen und astrologischen Aspekten. Sie ordnen die Fixsterne in den Bildern bloß schematisch an oder zeigen die Sterne erst gar nicht. Im 16. Jh. entstehen realistischere Abbildungen. 1515 erscheinen zwei Sternkarten Albrecht Dürers. 1533 präsentiert Peter Apian arabische neben griechischen Sternbildern; 1536 lässt er eine Karte mit ausschließlich jenen folgen, die Ptolemäus nannte. 1588 erstellt Giovanni Gallucci einen ganzen Band mit eindrucksvollen, aber noch vergleichsweise einfachen Holzschnitten der Sternbilder.

Seit Ptolemäus ist das Firmament "größer" geworden. Seefahrer erzählen von den Sternen des Südhimmels, die den alten Griechen und Arabern verborgen geblieben sind. Bayer findet also eine unzureichende, lückenhafte Darstellung der Sternbilder vor - und zudem eine uneinheitliche, verwirrende Bezeichnungsweise der einzelnen Fixsterne. Der Jurist sucht für beides Abhilfe. 1603 gibt er in Augsburg einen Band mit 51 doppelseitigen Himmelskarten heraus, die "Uranometria". Ihr Name erinnert an den griechischen Himmelsgott Uranos und an die himmlische Muse Urania. Sie ist Schutzherrin der Astronomie.

Schlägt man dieses Werk auf, öffnet sich der legendenreiche Himmel der Antike in seiner ganzer Pracht. Die Stiche zeigen den keulenschwingenden Jäger Orion, den mächtigen Löwen und seinen Bezwinger Herkules. Der Stier tritt mit gesenktem Haupt an. Er bricht ebenso wie das Flügelross Pegasus aus den Wolken. Die Königin Cassiopeia sitzt eitel auf ihrem Thron, während die an Felsen gekettete Andromeda den Opfertod erwartet. Der mutige Perseus, ausgerüstet mit Schwert, Schild und dem schrecklichen Medusenhaupt, naht. Er rettet Andromeda vor dem Meeresungeheuer Cetus, im Deutschen "Walfisch" genannt.

Ungewohnte Bilder tauchen am Südhimmel auf. Bayer übernimmt sie vom Holländer Pieter Keyzer, der mehrmals in den Indischen Ozean gesegelt ist. Die Uranometria verschafft Keyzers Kreationen Anerkennung, auch wenn manche später kleine Änderungen erfahren. Wir kennen sie heute als Paradiesvogel, Pfau, Tukan, Kranich, Phönix, Kleine Wasserschlange, Chamäleon, Fliege, Fliegender Fisch, Schwertfisch, Südliches Dreieck und Indianer.

Im Norden fügt Bayer ebenfalls ein Sternbild hinzu. Zu Füßen des Großen Hunds schwebt Columba. Möglicherweise soll sie an den Seefahrer Columbus erinnern, bedeuten beide Worte im Lateinischen doch "Taube". Vielleicht ist es der Vogel, den Noah von der Arche aussandte, vielleicht jener, den die Argonauten durch die zusammenschlagenden Felsen schickten.

Paradoxa

Um dem Durcheinander bei den Namen zu begegnen, versieht Bayer die Fixsterne mit den 24 Buchstaben des griechischen Alphabets. Er beginnt in jedem Sternbild mit Alpha, Beta, Gamma, Delta, Epsilon, Zeta, Eta und Theta. Er schließt mit Phi, Chi, Psi und Omega.

Die Reihenfolge orientiert sich dabei im Wesentlichen an der Helligkeit der Sterne. Schon Hipparch hat die Himmelslichter in Klassen eingeteilt, sie sechs "Schubladen" zugeordnet. Solche verwendet auch die Uranometria. Bayer fängt in jedem Sternbild mit der hellsten Kategorie an und arbeitet sich darin vom Haupt der Figur in Richtung Füße bzw. Schwanz vor. Dann wendet er sich der nächsten Helligkeitsklasse zu.

Das führt zu Paradoxa: Nicht immer bekommt der wirklich glänzendste Stern den Namen "Alpha". In den Zwillingen fällt dieses Privileg Castor zu, während sich der etwas hellere Pollux mit "Beta" begnügen muss. Ähnliche Probleme plagen etwa Orion und den Schützen.

Ein riesiges Sternsymbol zeichnet Bayer in die Cassiopeia ein. Hier erstrahlte in seinem Geburtsjahr ein neues Gestirn. Anfangs war es gleißend hell wie die Venus. Dann verblasste es völlig. Niemand hat je Ähnliches berichtet. Die Erscheinung verstört. Brahe hat sie eingehend studiert und "Nova" (lat., die Neue) getauft. Auch Bayer kann noch nicht ahnen, dass hier in Wahrheit eine ferne Sonne explodiert ist. Rätselhaft scheint außerdem der Fund, den David Fabricius 1596 im Hals des Cetus gemacht hat. Dort wird ein Stern abwechselnd sichtbar und wieder unsichtbar. Fabricius nennt ihn "Mira" (lat., die Wunderbare). Bayer versieht ihn mit dem Buchstaben "Omikron".

Die Uranometria (griech. Metron, "Maß") setzt Maßstäbe in der Himmelskartografie. Sie besticht mit ihren kunstvoll ausgearbeiteten Figuren ebenso wie mit ihrer Verlässlichkeit. Die 1.300 Sterne weilen hier am korrekten, wirklichen Platz. Ihre Koordinaten hat Bayer erstmals dem Sternkatalog entnommen, der bei Tycho Brahes präziser Himmelsvermessung auf Ven entstanden ist.

Skelette

Nur sechs Jahre nach Erscheinen der epochalen Uranometria beginnt eine astronomische Revolution. Galileo Galilei richtet das Fernrohr zum Firmament. Es lässt auch Sternchen erkennen, die für das unbewaffnete Auge zu schwach geschimmert haben. Kepler beschreibt 1611 in seiner "Dioptrik" ein verbessertes Instrument. Mit zunehmendem Linsendurchmesser der Teleskope wächst die Zahl der sichtbaren Sterne immer mehr.

Für Johann Hevelius, dessen Himmelsatlas 1690 publiziert wird, ist das noch kein Problem. Doch später drohen die liebevoll gezeichneten Bilder das Meer der Sterne zu erdrücken. Die Figuren verblassen. Friedrich Argelander deutet 1843 in seiner "Uranometria Nova" nur noch zart deren Umriss an. Schließlich magern sie zu "Skeletten" ab: Bloß wenige kerzengerade Linien verbinden die wichtigsten Sterne. Moderne Karten verzichten auf die figurale Darstellung.

Nummern

Um beispielsweise Beta in den Zwillingen von Beta im Stier unterscheiden zu können, fügt man den lateinischen Namen des Sternbilds an; im zweiten Fall, dem Genitiv. Mira im Walfisch ist somit "Omikron Ceti", Regulus im Löwen "Alpha Leonis", Orions Fußstern Rigel "Beta Orionis" und Benetnasch im Großen Bären "Eta Ursae maioris". Die Sterne tragen also gleichsam griechische Vor- und lateinische Familiennamen. Das System schließt Verwechslungen aus.

Wer aber tauft Sternchen, die Bayer nicht erfasst hat? Zunächst nummeriert John Flamsteed in Greenwich die Mitglieder jedes Sternbilds durch, salopp gesagt "von rechts nach links", ohne Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Helligkeit. So kommt auch "61 Cygni" zu seinem Namen, bei dem man später erstmals eine zuverlässige Sterndistanz ermitteln wird. Flamsteeds Atlas erscheint 1725 posthum - mit knapp 3.000 Sternen.

Wenn es nicht um sehr spezielle Himmelsobjekte geht, verzichten weitere Kataloge auf die nachgestellte Nennung des Sternbilds. 1859 startet Friedrich Argelander die Bonner Durchmusterung (Abkürzung: "BD") mit letztlich mehr als 300.000 Eintragungen. Die Sternbezeichnungen werden hier aus einer Koordinatenangabe und einer laufenden Nummer gebildet. Sie verlieren jede Romantik. Alpha Leonis ist bloß "+12°2149".

Auch in den folgenden Verzeichnissen geraten Sterne zu Nummern. Zur Klarstellung fügt man das Katalogkürzel hinzu - etwa "HD" für den Henry Draper-Catalogue, "SAO" für den Smithsonian Astrophysical Observatory Star Catalogue, "GSC" für den Hubble Guide Star Catalog. Dieser kennt schon über 18 Millionen Objekte. Der Katalog "Hipparcos" wird wegen der hochgenauen Sternpositionen geschätzt. Seine Daten hat der gleichnamige ESA-Satellit ermittelt.

Noch heute greifen Astronomen, wo immer möglich, gern auf Bayers Bezeichnungen zurück. Sie sind klarer und verbindlicher als die zahlreichen Eigennamen der Sterne - aber noch nicht so nüchtern wie die Nummern jüngerer Kataloge.

Beispiel Polarstern: In der Literatur findet man gleich ein Dutzend verschiedener Eigennamen; darunter "Polaris", "Alrukaba", "Kynosura", "Tramontana", "Stella Maris" und "Navigatoria". Zudem trägt er Katalogbezeichnungen wie "BD +88° 8", "HD 8890", "SAO 308", "GSC 4628 237" oder "Hipparcos 11767" - um bloß einige zu nennen. Nach Bayer ist er "Alpha Ursae minoris".

Maria Magdalena

Johannes Bayer stirbt am 7. März 1625. Nur zwei Jahre danach will Julius Schiller die "heidnischen" Figuren durch christliche ersetzen. Er formt etwa aus Paradiesvogel, Fliege und Chamäleon die Eva, aus Argo, dem Schiff der Argonauten, die Arche Noah, aus Herkules die "Heiligen Drei Könige" und aus der Cassiopeia die Maria Magdalena. 1627 gibt er in Augsburg einen entsprechenden Kupferstich-Zyklus heraus. Doch Schiller setzt sich nicht durch. Er hätte Bayers Werk obsolet gemacht.

Freitag, 07. März 2003

Aktuell

Wo alle Speisen enden
Eine kleine Kulturgeschichte der Toilette – von der Antike bis heute
Katzen als Testfresser
Kulinarische Verlockungen und ungesunde Zusätze im Tierfutter
Handlich und haltbar
Die Teilbarkeit von Nahrung ist ein wichtiger Faktor des Food Designs

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum