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Was die Sternbilder des Herbsthimmels erzählen

Ein Held am Firmament

Von Christian Pinter

Jedes Jahr gelangt ein mythologisches Drama am herbstlichen Abendhimmel zur Aufführung. Vom Himmelszelt schauen die Sternbilder Perseus, Andromeda, Cassiopeia, Cepheus, Pegasus und Walfisch herab. Sie erinnern an die Abenteuer eines legendären griechischen Helden - und erzählen vielleicht von alten astronomischen Erkenntnissen, die viele Jahrhunderte lang verschwiegen wurden.

Goldregen

Akrisios, König von Argos, blickte mit Furcht in die Zukunft. Das Orakel hatte ihm prophezeit, einst durch die Hand eines Enkels zu sterben. So sperrte er seine Tochter Danae ein, um sie von Männern fern zu halten. Zeus (in römischer Entsprechung: Jupiter) kam dennoch zu ihr - in Gestalt goldenen Regens, der durch Ritzen und Fugen des Gemachs drang. So brachte Danae schließlich Perseus zur Welt. Akrisios setzte Mutter und Sohn auf dem Meer aus. Die hölzerne Kiste trieb ans Ufer von Seriphos, wo der grausame Inselkönig Polydektes Gefallen an Danae fand.

Da seine Nachstellungen erfolglos blieben, wollte Polydektes den mittlerweile herangewachsenen Perseus in den sicheren Tod schicken: er sollte das Haupt der Gorgo Medusa holen. Das hatte noch kein Mensch geschafft. Denn Medusas Blick versteinert.

Zeus sorgt sich um seinen Sohn. Er sendet den Götterboten Hermes (röm.: Merkur), der Perseus ein besonders hartes Schwert überreicht. Die weise, aber kriegerische Athene leiht ihm ihren spiegelnden Schild. Mit den göttlichen Waffen trifft Perseus zunächst auf die Graien. Die schon bei ihrer Geburt ergrauten Schwestern teilen sich einen einzigen Zahn und ein Auge. Als das Auge gerade von der einen Greisin zur anderen übergeben wird, bringt es Perseus in seinen Besitz. Die Graien erhalten es erst zurück, nachdem sie ihm den Weg zu den halbgöttlichen Nymphen gewiesen haben. Diese schenken Perseus geflügelte Schuhe und eine Tarnkappe.

Schimäre

Am Westrand der Welt stößt Perseus schließlich auf das Reich der Gorgonen. Die drei geflügelten Ungeheuer gelten als unbezwingbar. Der furchtbare Mund trägt nadelspitze Zähne, die Haut stahlharte Schuppen. An Stelle der Haare wachsen der Medusa Schlangen auf dem Haupt. Sie zischen wild, als sich Perseus den schlafenden Schwestern nähert. Er betrachtet sie bloß im polierten Schild der Athene. Solchermaßen geschützt, holt er mit dem Schwert zum Schlag aus und schlägt der Gorgo Medusa den Kopf ab. Sofort steckt er ihr Haupt in einen Sack und ergreift mit seinen Flügelschuhen die Flucht. Die Tarnkappe sichert ihn vor Verfolgung durch die beiden anderen Gorgonen.

Mittlerweile entspringt aus dem Rumpf der Getöteten ein geflügeltes Ross, der Pegasos. Gezeugt vom dunkelgelockten Meeresgott Poseidon (röm.: Neptun), vollbringt Pegasos selbst Heldentaten. So hilft er etwa, die dreiköpfige Chimaira zu bezwingen. Der Name dieses feuerschnaubenden Mischwesens aus Ziege, Schlange, Löwe und Drache wird unserem Begriff "Schimäre" - Trugbild, Hirngespinst - Pate stehen.

Auf dem Heimflug trägt der Wind Perseus weit in den Süden, wo er Zeuge einer Tragödie wird. Hier hat sich Königin Kassiopeia angemaßt, schöner zu sein als die Nereiden. Die Seenymphen sind 50 Töchter des milden Meergreises Nereus. Der eitle Frevel versetzt Poseidon in Zorn. Er schickt ein riesiges Seeungeheuer, das die Küste mit Sturmfluten heimsucht. Das aus seinem Rachen dringende Feuer setzt überdies alles in Brand. Das Land, von den Griechen "Äthiopien" genannt, droht verwüstet zu werden.

Kassiopeias Gatte Kepheus fragt das Orakel. Es weiß bitteren Rat: Um den Fluch zu beenden, soll die Königstochter Andromeda dem Untier geopfert werden. Aus der Höhe erblickt Perseus die Weinende, als sie, an Felsen gekettet, schon ihren Tod erwartet. Er will sie retten. Dafür verspricht man ihm Andromeda zur Frau. Abermals schwingt sich Perseus in die Lüfte. Während das schnaubende Meeresungeheuer hinter seinem Schatten her jagt, landet er kühn auf dessen muschelbewachsenem Rücken. Dann rammt er ihm das Schwert zwischen die Rippen. Verendend speit das Monster Meerwasser, vermischt mit Blut.

Gemetzel

Die Hochzeit mit Andromeda gerät zum Gemetzel. Ein Onkel, dem die Königstochter bereits versprochen war, dringt mit Hunderten Anhängern im Hause des Kepheus ein. Waffen klirren. In äußerster Bedrängnis greift Perseus zum Medusenhaupt, verwandelt die Angreifer zu Stein. Das gleiche Schicksal erwartet den Inselkönig Polydektes, der Perseus verhöhnt und noch immer seiner Mutter nachstellt. Hermes erhält schließlich das Schwert zurück, Athene den blitzenden Schild und das Gorgonenhaupt.

Griechische und später römische Dichter, von Hesiod bis Ovid, haben Motive dieser Legende immer wieder in Abwandlungen erzählt. Schon im 7. Jh. v. Chr. stellt eine Amphore Medusas Ermordung dar. Ihr Haupt prangte auf griechischen Schilden ebenso wie auf Gebäuden, von denen es mit abschreckend aufgerissenem Mund herab blickte.

Künstler wie Michelangelo, Caravaggio, Peter Paul Rubens oder Rembrandt hielten im 16. und 17. Jh. entweder die Rettung der Andromeda oder die Ermordung der Gorgo fest. Diese Szene findet sich auch an der Fassade des Finanzministeriums in der Wiener Himmelpfortgasse. Auf dem Brustschild der Pallas-Athene vor dem Parlament ist das Medusenhaupt ebenfalls zu sehen. Die lieblichere Athene an der Stubenringseite des Museums für angewandte Kunst trägt es ebenso auf ihrem Brustschmuck.

Die Alten projizierten zahlreiche ihrer Mythen an die Himmelskugel. Viele der uns heute vertrauten, eigentlich lateinischen Sternbildnamen fußen auf griechischen Legenden. Aus der Perseus-Sage finden sich gleich sechs, bzw. sieben Akteure am Herbsthimmel wieder.

Dämonenstern

Unweit des Himmelspols thront der Cepheus. Daneben bilden die fünf prominentesten Gestirne der Cassiopeia ein himmlisches "W". Andromedas leichter Sternbogen spannt eine Brücke zwischen dem weit ausladenden Pegasus und dem Perseus. Wie es sich für einen strahlenden Helden gehört, besitzt Perseus mit Algenib auch den hellsten Stern der ganzen Gruppe.

Deutlich abgesetzt und träge hebt sich das legendäre Meeresungeheuer über den Horizont - als Sternbild Walfisch (lat.: Cetus). Früher zeichnete man es mit weit aufgerissenem Maul und langem Fischschwanz in die Himmelsatlanten ein. An seinem Hals stieß David Fabricius 1596 auf einen Stern, der in keiner Karte verzeichnet war. Das Gestirn wurde bald unsichtbar, tauchte später aber wieder auf. Jedes Jahr wiederholte sich das seltsame Schauspiel. Noch nie hatte jemand von ähnlichen Erscheinungen berichtet! Fabricius taufte den Stern "Mira" (lat., "die Wunderbare").

Alte Himmelsgloben zeigen Perseus mit mächtigem Schwert in der einen und dem Medusenhaupt in der anderen Hand. So hat auch die Gorgo ihren Platz am Firmament gefunden, wenngleich nicht als eigenständige Konstellation. Eines ihrer Augen wird vom Stern Algol markiert. Sein Name stammt aus dem Arabischen und bedeutet soviel wie "Kopf des Dämons".

Normalerweise strahlt Algol fast so kräftig wie der erwähnte Algenib. 1667 beobachtete der Italiener Geminiano Montanari, der zuvor in Wien und Salzburg studiert hatte, ein eigentümliches Phänomen: Alle drei Tage bricht Algols Glanz für wenige Stunden ein. Algol ist dann deutlich schwächer als Algenib. Medusas Auge scheint zu "zwinkern".

1784 bemerkte John Goodricke, dass auch in der Kepheus-Figur ein Stern seine Helligkeit variiert: Delta Cephei. Dazwischen leistet sich die unberechenbare Gamma Cassiopeiae, in der Mitte vom "Himmels-W" gelegen, ganz besondere Eskapaden. In manchen Jahren übertrifft dieser Stern die anderen der Cassiopeia an Glanz. Dann rutscht er wieder bis auf Rang Vier zurück. Zeitweilig kann er sogar kräftiger als Algenib im Perseus leuchten. Gamma Cassiopeiae ist dann hellstes Gestirn in allen Sternbildern, die zur Perseus-Legende gehören.

Blasphemie

Die Griechen erwähnen die Veränderlichkeit von Sternen nicht, obwohl sie den Nachthimmel Jahrhunderte lang studierten. Der Lichtwechsel des recht schwachen Delta im Cepheus könnte ihnen tatsächlich entgangen sein. Bei Algol, Mira oder Gamma Cassiopeiae erscheint das aber unwahrscheinlich.

Nur kurz auftauchende Phänomene wie Kometen wurden in der Antike bloß als Erscheinungen der wechselhaften irdischen Sphäre gedeutet, als Teil der Luft. Die Fixsternsphäre galt hingegen als ideal, göttlich und unwandelbar. An ihrer Konstanz zu zweifeln, konnte Blasphemie bedeuten. Zudem vermied man es gern, Gefährliches beim Namen zu nennen - um nicht das Unheil auf sich zu ziehen. Wenn griechische Gelehrte die Veränderlichkeit mancher Fixsterne nun wirklich erkannt hätten, wie wären sie mit solch unheimlichem, dem Dogma widersprechenden Wissen umgegangen?

Vielleicht hätten sie die unbequeme Erkenntnis versteckt - in jenen Konstellationen, mit denen die Taten des Perseus verwoben wurden. Ist es Zufall, wenn das Sternbild der eitlen, frevelnden Kassiopeia ausgerechnet um ein Gestirn mit launischen Lichtausbrüchen gezeichnet wird? Gäbe es einen besseren Platz als das Meeresungeheuer, um darin die einmal auftauchende, dann wieder verschwindende Mira unterzubringen? Ist das todbringende Medusenhaupt in der Hand seines Bezwingers Perseus nicht geradezu ideal, um damit Algol zu kennzeichnen - den wohl auffälligsten aller veränderlichen Sterne?

Heute bemühen Astronomen jedenfalls keine Mythen, um die Veränderlichkeit von Sternen zu erklären. Beim Dämonenstern Algol ist es bloß ein Schattenspiel, das seine Kraft alle 69 Stunden auf ein Drittel sinken lässt. Auch wenn das beste Teleskop Algol nur als einfachen Lichtpunkt zeigt, besteht er doch aus zwei Sonnen. Sie umkreisen einander in engem Orbit. Zufällig blicken wir genau auf die Kante der Bahnebene. So kann der hellere Stern regelmäßig vor dem etwas dunkleren vorbeiziehen, ihn aus unserer Perspektive zudecken. Die Gesamthelligkeit sinkt dann merklich. Algol ist also ein Bedeckungsveränderlicher.

Keine perspektivischen Tricks brauchen die physischen Veränderlichen. Viele gehören zur Gruppe der Mira-Sterne, benannt nach der "Wunderbaren" im Walfisch. Die roten Riesensonnen sind aus dem Gleichgewicht geraten. Seither dehnen sich ihre äußeren Gasschichten aus, und zwar in einem Rhythmus von 80 bis 1.000 Tagen. Bei der Expansion sinkt die Temperatur in der Sternatmosphäre. Titanoxid entsteht. Dessen Moleküle blocken die sichtbare Sternenstrahlung effizient ab - bei Mira um mehr als 99 Prozent. So erklären sich ihre extremen Helligkeitsschwankungen. Mira unterschreitet die Empfindlichkeitsgrenze des freien Auges bei jeder Pulsation. Sie wird dann mehrere Monate lang vermeintlich "unsichtbar".

Zollstock

Miras Lichtwechsel dauert knapp elf Monate, doch die Periodenlänge schwankt von Mal zu Mal ein wenig. Der ebenfalls pulsierende Delta im Cepheus hält seinen Rhythmus von 5,37 Tagen sehr viel präziser ein. Dafür variiert sein Glanz nur um den Faktor Zwei. Auch er wurde zum Prototyp einer ganzen Gruppe von physischen Veränderlichen: den Cepheiden. Astronomen lieben diese Sterne. Sie lassen sich nämlich als Zollstock im Universum einsetzen.

Wie Henrietta Leavitt 1912 herausfand, existiert ein fester Zusammenhang zwischen der jeweiligen Periodenlänge und der Leuchtkraft eines Cepheiden. Stoppt man die Stunden zwischen den Momenten größter Helligkeit, kann man auf die wahre Leuchtkraft des Sterns im Raum schließen. Vergleicht man diese nun mit seiner scheinbaren Helligkeit am irdischen Firmament, erhält man seine Distanz.

1923 fand Edwin Hubble solche Cepheiden in M31, einem nebeligen Fleck in der Andromeda. Hubbles Messung bewies: Spiralnebel sind nicht etwa Teil unserer Galaxis, sondern selbst ferne Galaxien, ähnlich groß und mächtig wie unsere Milchstraße. Die Sterne des Andromedanebels produzieren so viel Licht wie viele Milliarden vom Typ unserer Sonne. Nur die Distanz von knapp drei Millionen Lichtjahren lässt ihr gemeinsames Strahlen zum matten Schimmer verkommen, nahe an der Sichtbarkeitsgrenze des freien Auges.

Als Zollstöcke im Reich der Nebel halfen Cepheiden, die Expansion des Universums zu erkennen. Das konnten die alten Griechen freilich nicht ahnen, als sie Perseus & Co. an ihre Fixsternsphäre setzten.

Freitag, 18. Oktober 2002

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