Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  English  2005  MyAbo 
  Lexikon    Glossen     Bücher     Musik  

Im Mondgesicht spiegelt sich die Geschichte des Sonnensystems

Vita mit dunklen Flecken

Von Christian Pinter

Es ist ein Areal von etwas mehr als der Fläche Südamerikas, das man beim Blick zum Vollmond überschaut. Ein Drittel zerfällt für das bloße Auge in ein Dutzend grauer Flecke. Unsere Vorfahren suchten darin vertraute Formen und fanden eine Krabbe, Mann und Frau, zwei Kinder mit einem Wassereimer oder das berühmte "Mondgesicht": als Mondsymbol lacht es uns noch immer aus dem Kalender entgegen.

Viele alte Legenden ranken sich um den Mond: Auf den Fidschi-Inseln schwor einst Gott Takei, ihn mit Salzwasser zu zerstören. Zum Glück ahnte Takeis Mutter das Vorhaben, füllte Süßwasser in die Bambuseimer. So überstand das Himmelslicht den Anschlag mit ein paar Flecken verkrusteten Schlamms.

Auf den Admiralitätsinseln wollten zwei Frauen Taro schneiden. Da sie ihre Muschelmesser vergessen hatten, holten sie die scharfkantige Mondscheibe vom Himmel. Die dunkle Rinde der stärkehaltigen Knollen hinterließ ihre Spuren.

In Südafrika wollte ein Hase den Menschen vom Kreislauf des Sterbens und der Geburt erzählen, so wie ihn der Mond in seinem Phasenspiel zeige. Doch er vergaß den zweiten Teil der Botschaft, verkündete nur den Tod. Der erboste Mond verfolgte darauf hin den Hasen. Der "Hase im Mond" taucht auch in Sagen aus Japan, China und Indien auf.

Manche Chinesen erblickten in den Flecken einen Alten, der Liebende zusammenführt; dazu wickelt er ihnen einen roten Zauberfaden um die Füße. In einer baltischen Sage stört der Mond hingegen den Teufel beim nächtlichen Treiben. Er lässt die leuchtende Kugel mit Teer bemalen. Das Unterfangen scheitert. Die ersten Teerbatzen wird der Mond allerdings nicht mehr los.

An den Pranger gestellt

Im christlichen Europa taucht häufig das Motiv von Schuld und Sühne auf. So soll es in Deutschland eine alte Witwe gegeben haben, deren einzige Tochter die beste Spinnerin weit und breit war. Als das Mädchen gegen alle Versprechungen nachts mit Männern auf dem Kirchhof tanzte, verfluchte es die Mutter. Jetzt sitzt Marie mit dem Spinnrad im Mond. Oft sprach man von einem Sünder, der an den "himmlischen Pranger" gestellt wurde. Auf dem Mond ist er den strafenden Blicken aller ausgesetzt.

Einer Legende nach stellten arme Kinder einst einen alten Mann mit den Worten: "Mein Herr, nun kommen Sie also noch, um uns das Holz zu stehlen." Er leugnete und fügte hinzu: "Bei Gott, ich wollte, ich wäre im Mond, wenn ich lüge." Den Rest kann man sich ausmalen. Auch die Verletzung der Sonntagsruhe, etwa durch das Sammeln von Reisig, genügte in solchen Geschichten schon zur Verbannung auf den Erdbegleiter.

Aus der Antike stammt der Glaube, der Mond spiegle bloß das Antlitz der Erde wider. Der hellere Teil der Mondscheibe wirkt für das freie Auge fast strukturlos - man hielt ihn daher für die Reflexion des irdischen Ozeans. Die verschiedenen Flecken wurden hingegen als Abbild unserer Landschaften betrachtet. Mittelalterliche Texte griffen diese Vorstellung immer wieder auf. Leonardo da Vinci kritisierte das: Wäre der Mond tatsächlich ein Spiegel, so argumentierte er, müsste sich das Spiegelbild während seines Laufs um die Erde verändern; das ist aber nicht der Fall. Trotzdem fragte Kaiser Rudolf II. seinen Hofastronomen Johannes Kepler noch 1610, ob man im rechten Teil der Mondscheibe nicht ganz Italien erkennen könne. 40 Jahre zuvor erblickte ein arabischer Kartograf anscheinend in genau den selben Flecken Afrika. Auf seiner Weltkarte spaltet sich der südliche Teil des Kontinents und sieht aus, als wäre er vom Mond abgezeichnet worden.

Anderen galt der Erdbegleiter als eigene Welt mit Bergen und Tälern. So ging etwa der griechische Philosoph Plutarch in seinem mystischen Werk Mondgesicht von erdhafter Beschaffenheit des Mondes aus. Auch für da Vinci besaß er Gebirge und Meere. Wohl noch von der Spiegeltheorie beeinflusst, glaubte er die Mondozeane in den hellen Mondpartien zu sehen. Diese Interpretation teilte anfangs auch Kepler. Beim Blick vom Grazer Hausberg Schöckel glänzten Gewässer am stärksten; gleiches müsse auch auf dem Mond gelten, meinte er.

Fernrohrbeobachtungen drehten das Bild um. Im Teleskop zerbrach der vermeintliche "Mondozean" in Abertausende bergähnlicher Gebilde. Bei niedrigem Sonnenstand warfen sie lange Schatten. Diese fielen auch in die offenbar tiefer liegenden dunklen Fleckengebiete, die selbst bei starker Vergrößerung nur wenige Details zeigten. Wenn also auf dem Mond Wasser existieren sollte, schrieb Galileo Galilei 1610, dann in den grauen Flecken.

Michael Langren studierte die Mondoberfläche 1645 in Belgien und taufte die Formationen nach adeligen Gönnern. Der Danziger Astronom, Bierbrauer und Bürgermeister Johannes Hevelius publizierte 1647 eine präzisere Mondkarte. Darin versetzte er auch die Namen irdischer Gebirge wie Alpen, Apennin oder Kaukasus auf den Mond. Giovanni Riccioli musterte in Bologna gemeinsam mit Francesco Grimaldi die Mondlandschaften. Seinem 1651 erschienenen Almagestum novum gab er eine detaillierte Mondkarte bei. Der Jesuit legte vor 350 Jahren damit den Grundstein der bis heute gültigen Mond-Nomenklatur.

Damals bürgerte sich der Begriff "mare" (lat. Meer; Mehrzahl "maria") für die großen dunklen Flecken ein. Kleinere wurden "sinus" (Bucht), "lacus" (See) oder "palus" (Sumpf) genannt. Das helle, zerklüftete Hochland hieß im Gegensatz dazu "terra" (Land).

Stürmische Mond-Meere

Der Irrglaube, wonach sich bei zunehmendem Mond heitere, bei abnehmendem trübe Witterung einstelle, prägte die lateinischen Namen der einzelnen Mondmeere. Sieht man einmal vom Mare Crisium (im Deutschen: Meer der Gefahren) ab, tauchen in den Tagen nach Neumond zunächst Maria mit freundlichen Bezeichnungen auf: Mare Fecunditatis (Meer der Fruchtbarkeit), Mare Tranquillitatis (Meer der Ruhe), Mare Nectaris (Honigmeer) und Mare Serenitatis (Meer der Heiterkeit).

Dann erst folgen Mare Vaporum (Meer der Dünste), Mare Imbrium (Regenmeer), Sinus Aestuum (Bucht der Fluten), Mare Nubium (Wolkenmeer) oder Oceanus Procellarum (Ozean der Stürme). Die Namen überdauerten, obwohl man später erkannte: Wasser kann auf der atmosphärelosen, bis zu 118° C heißen Mondwelt gar nicht existieren.

Das bloße Auge macht auch einige helle Lichtpunkte auf dem Mond aus, wie die Regionen um die Krater Tycho oder Copernicus. Riccioli taufte die Mondkrater nach Philosophen und Astronomen. Der stets runden Form wegen hielt sie Kepler für künstliche Bauwerke vermeintlicher Mondbewohner.

Seit Ralph Baldwins Klassiker "The Face Of The Moon", erschienen 1949, steht außer Streit: die Krater entstanden beim Einschlag von Großmeteoriten. Die dabei frei werdenden Energien lassen sich nur mehr mit Nuklearexplosionen vergleichen. Gestein am Einschlagsort schmolz oder verdampfte. Ganze Blöcke wurden Dutzende Kilometer weit geschleudert. Winzige Schmelzkügelchen flogen Tausende Kilometer weit, wurden anderswo wieder ins Mondgestein eingebaut. Ein Gramm Mondboden kann die gläserne Erinnerung an über hundert ferne Impakte tragen - das zeigte die Analyse von lunaren Gesteinsproben. Sechs Apollo-Missionen brachten zwischen 1969 und 1972 insgesamt 381,6 kg Mondmaterial zur Erde. Drei automatische russische Sonden steuerten 320 Gramm bei.

Einige Kilogramm Mondgestein kamen aber auch ganz von allein zu uns. Besonders heftige Impakte beschleunigten Mondgestein nämlich bis auf Entweichgeschwindigkeit. Es schoss ins All, stürzte teilweise zur Erde. Gut zwei Dutzend solcher Mondmeteorite sind heute bekannt.

Kaum war unsere Erde vor rund 4,5 Milliarden Jahren geboren, wurde sie wahrscheinlich von einem anderen Himmelskörper, mindestens vom Format des Planeten Mars, gerammt. Die brutale Kollision beförderte Material des Erdmantels ins All. Dort fügte es sich zu einem neuen Gestirn zusammen: Der Mond ist ein Kind der Erde.

Der Zerfall radioaktiver Isotope erhitzte alle massereichen Welten, auch den Mond. Er schmolz auf. Bald bedeckte ihn ein tiefer Magmaozean. Die äußerste, leichtere Schicht kühlte ab, formte eine feste Kruste.

Das frühe Sonnensystem war kein Idyll. Übrig gebliebenes Baumaterial regnete auf die jungen Welten herab. Wurde ein Stück "Bauschutt" hingegen von der Schwerkraft eines Planeten fort katapultiert, kollidierte es nicht selten mit einem anderen Himmelskörper. Die Kruste des Mondes ist mit Einschlagskratern aus dieser Zeit geradezu gesättigt: Jeder neue Impakt zerstörte schon wieder die Narben vorangegangener. Hunderttausende Krater in den hellen Hochländern legen eindrucksvoll Zeugnis ab.

Der Schutt wurde relativ rasch entfernt, die Einschlagsrate ging zurück. Doch vor 3,9 Milliarden Jahren kam es zu einem neuerlichen, äußerst dramatischen Beschuss. Zahllose Objekte, manche davon um vieles mächtiger als etwa der Himalaya, krachten in den Mond.

Über die Ursache lässt sich nur spekulieren: Vielleicht ist damals ein Kleinplanet zwischen Mars und Jupiter zerbrochen. Er müsste allerdings unwahrscheinlich groß gewesen sein, um das ganze Ausmaß des Desasters zu erklären.

Vielleicht hießen die Schuldigen Uranus und Neptun. In ferner Sonnendistanz war Baumaterial dünn gesät. Die Zusammenballung der beiden äußeren Großplaneten mag sich daher um hunderte Jahrmillionen verzögert haben. Entsprechend verspätet begann ihre "Aufräumaktion". Ein Teil der fortgeschleuderten, kometenähnlichen Trümmer stürzte auf den Mond.

Deep Impact

Belege für dieses rätselhafte "letzte schwere Bombardement" vor 3,9 Milliarden Jahren lieferten Altersmessungen an lunarem Gestein. Jüngst bestätigten auch Analysen von Mondmeteoriten den Befund. Allein 1.700 große Krater dürften damals auf dem Mond entstanden sein. Etwa 50 waren größer als unsere heutige Iberische Halbinsel. Man nennt sie "Impaktbecken". Das Crisium-Becken maß 740, das Imbrium-Becken 1.160 Kilometer. Nach etwa 100 Millionen Jahren Dauer war das Bombardement vorbei; die Einschlagsrate fiel um den Faktor 1000.

Manche der neuen Wunden sollten noch "bluten". Das Mondesinnere war heiß. 400 bis 150 Kilometer unter den Kratern glühte stellenweise Magma. Es stieg auf, blieb aber meist in der 60 km dicken Kruste stecken. Den Boden der besonders tiefen Impaktbecken erreichte es gerade. In gewaltigen Mengen ergoss sich das Material dort an die Oberfläche.

Extreme Hitze und hoher Eisengehalt machten das Magma relativ dünnflüssig. Seine Viskosität ähnelte jener von schwerem Motoröl. Einige Ströme erreichten daher Längen von über 1.000 Kilometer. Die Becken wurden ausgefüllt. Im Meer der Heiterkeit, im Regen- und im Honigmeer geriet die Lavadecke sogar 10 Kilometer dick. Manche der eigentlich runden Impaktbecken liefen über. So entstanden Maria mit unregelmäßigem Umriss - zum Beispiel der Ozean der Stürme.

Wie die Apollo-Proben zeigen, geschah dies nicht überall gleichzeitig. Zwischen den einzelnen Eruptionen lagen überdies Epochen trügerischer Ruhe. Die größten Magmamengen traten vor 3,8 bis 3,2 Milliarden Jahren aus. Vor 3,1 Milliarden Jahren war die Bildung der uns heute vertrauten Mondmeere weitgehend abgeschlossen. Zumindest brachte kein Astronaut jüngeres Gestein mit. Der kleine Mondkörper kühlte rascher aus als die Erde. Die Quellgebiete des Magmas im Mondmantel sanken ab, immer seltener erreichte es die Oberfläche. Vor mehr als einer Milliarde Jahren kam die Aktivität vollends zum Erliegen.

Die relativ wenigen Krater in den dunklen Flecken beweisen, dass seit dem Erstarren der Lavadecken auch die Einschlagsrate niedrig geblieben ist. Der Mond zeigt klar: Je weniger Krater eine Landschaft zeichnen, desto jünger ist sie. Diese Beziehung ließ sich anhand der gezielt entnommenen Gesteinsproben sogar in absoluten Zahlen, also in Jahrmillionen, eichen. Sie wird seither zur astronomischen Altersabschätzung benützt. Das Mondgesicht erzählt somit zwar nicht von Göttern, Sündern oder mutigen Hasen, wohl aber verrät es die bewegte Biografie des Erdbegleiters. Und die wiederum gewährt uns Einblick in die Geschichte des ganzen Planetensystems.

Freitag, 29. Juni 2001

Aktuell

Wo alle Speisen enden
Eine kleine Kulturgeschichte der Toilette – von der Antike bis heute
Katzen als Testfresser
Kulinarische Verlockungen und ungesunde Zusätze im Tierfutter
Handlich und haltbar
Die Teilbarkeit von Nahrung ist ein wichtiger Faktor des Food Designs

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum