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Um das Rätsel der Marsmeteoriten zu lösen, schießen Forscher ein Stück des burgenländischen Vulkans Pauliberg ins All

Steinerne Grüße einer fernen Welt

Von Christian Pinter

Wie Modellrechnungen zeigen, tauschen die inneren Mitglieder des Sonnensystems Gesteinsproben aus. Schwerste Meteoritentreffer schleudern Material der Oberflächen von
Merkur, Venus, Erde, Erdmond oder Mars empor, so kräftig, dass es mitunter die Schwerkraft überwindet und fortan auf Ellipsenbahnen um die Sonne zieht. Viele Splitter kollidieren im Lauf von
Jahrmillionen wieder mit ihrem Mutterkörper, andere fallen in die Sonne oder werden von Jupiter aus dem Sonnensystem katapultiert. Ein Bruchteil kreuzt den Orbit anderer Planeten, stürzt dort als
steinerner Gruß einer fernen Welt herab.

Auch Proben irdischen Materials müssten so auf den Mond, auf Merkur, Venus oder Mars gelangt sein. Vielleicht sammeln sie Raumfahrer der Zukunft ein. Sicher ist, dass auf Erden Steinmeteorite vom
Mond gelandet sind. Ein Dutzend wurde bislang entdeckt. Als Herkunftsnachweis dient der Vergleich mit jenem Mondgestein, das Apollo-Astronauten mitgebracht haben. 14 bisher gefundene Meteorite
stammen wahrscheinlich vom Mars. Die Häufigkeit der Gase in einigen dieser Steine passt zu jener, die die Viking-Sonden 1976 in der Marsatmosphäre gemessen haben. Dieser „Vaterschaftstest" ist aber
nicht unumstritten. Vermutlich warten irgendwo auf der Erde auch Meteorite von Venus und Merkur auf ihre Entdeckung. Da wir auf diesen Planeten jedoch noch keine Vergleichsproben ziehen konnten,
würde die sichere Identifikation schwer fallen. Übrigens müssten auch irdische Meteorite existieren, die nach langem Aufenthalt im All wieder „heimgekehrt" sind.

Es gibt Eisen- und Steinmeteorite. Während man die eher selten herabstürzenden Himmelseisen gern mit Metalldetektoren sucht, dient bei Steinmeteoriten das dunkle, äußere Antlitz als erstes
Erkennungsmerkmal. Ein frisch gefallener, steinerner Bote aus dem Weltall zeigt meist die charakteristische Schmelzkruste. Sie entsteht erst in den letzten Augenblicken vor seiner Ankunft. Mit meist
deutlich über 40.000 km/h treten die Geschosse in die obersten Schichten der Erdatmosphäre ein. Sie kollidieren mit Luftmolekülen. Die dabei frei werdende Energie wächst mit dem Quadrat der
Geschwindigkeit und ist bei solchem Tempo enorm. In rund 100 km Höhe wird daher die Luft rund um den Eindringling stark aufgeheizt. Eine mitunter hunderte Meter weite, leuchtende Gaskugel hüllt ihn
ein.

Die Hitze lässt das Material seiner Oberfläche schmelzen und verdampfen. Jede Sekunde schrumpft der Brocken um einen halben Zentimeter. Ein allzu kleiner übersteht die Tortur nicht, beendet seine
Existenz rasch als „Sternschnuppe". Ein größerer mag einen Bruchteil seiner Anfangsmasse retten, denn das verdampfte Material bildet eine Wolke, die die Umgebungshitze teilweise abblockt. Während
sich Schicht um Schicht opfert, ist die darunter liegende Zone thermisch halbwegs isoliert. Der Vorgang ähnelt der Ablations- oder Schmelzkühlung, die man aus der Raumfahrt kennt: so schützte ein bis
zu 64 mm dicker, abschmelzender Überzug auf Phenolharz-Epoxydharz-Basis die Apollo-Kapseln vor dem Verglühen.

Die Eindringlinge erleiden die stärkste Abbremsung 50 bis 10 km über Grund. Die Restmasse geht in freien Fall über, bewegt sich nur noch mit Promille der Eintrittsgeschwindigkeit. Die Haut kühlt ab
und erstarrt zur Kruste. Sie besteht aus Schmelzprodukten des Meteoritenmaterials. Meist ist sie schwarz, glänzend und von glasartiger Beschaffenheit. Mitunter papierdünn und entsprechend fragil kann
sie zerspringen, wenn der Körper schließlich mit rund 160 km/h am Boden aufschlägt. Als äußerste Schicht wird die Kruste vor allem in feuchten Regionen rasch Opfer der Verwitterung.

In Eis gefangen

Selten kann man Meteorite tatsächlich herabstürzen sehen und sie anschließend gezielt bergen. Wissenschaftler sprechen dann von einem „Fall". Zufällige Funde ohne vorangehende Beobachtung des
Niedergangs gelingen meist nur, solange noch Teile der dunklen Schmelzkruste existieren. Ist sie erodiert, unterscheiden sich Steinmeteorite auf den ersten Blick kaum noch von irdischem Gestein: sie
werden schlicht übersehen. Fast alle bekannten Meteorite sind Splitter aus dem Kleinplanetengürtel zwischen Mars und Jupiter. Proben von größeren Himmelskörpern wie Mond oder Mars stellen nur grob
ein Promille. Die wenigen dem Roten Planeten zugeordneten Boten wurden bislang recht prosaisch unter dem Kürzel „SNC-Meteorite" zusammengefasst. Es steht für die Anfangsbuchstaben dreier prominenter
Fälle, die sich 1865 im indischen Shergotty, 1911 im ägyptischen Nakhla und 1815 im französischen Chassigny ereigneten.

Sechs SNCs wurden in der Antarktis gefunden. Dort begannen 1973 japanische und später US-amerikanische Teams mit systematischen Suchexpeditionen. Sie konzentrieren sich auf so genannte
„Blaueisfelder". Gletscher treffen auf dem Weg zum Meer auf ein Hindernis. Winderosion und Gletscherbewegung legen eingeschlossene Himmelsboten dann nach tausenden Jahren Gefangenschaft frei. So ging
auch der ALH84001 ins Netz, den die NASA 1996 zum berühmtesten Meteoriten der Welt machte. Mittlerweile ist allerdings sehr umstritten, ob die Einschlüsse in diesem SNC tatsächlich als fossile
Lebewesen gedeutet werden können.

Antarktische Exemplare stellen bereits die Mehrzahl der rund 25.000 bekannten Meteorite. Kein Wunder, sammeln Forscher dort doch jedes Jahr mehrere hundert Proben außerirdischen Materials ein.
Privatleute halten seit einigen Jahren hingegen verstärkt in der Sahara nach dunklen Steinen Ausschau, die sich vom hellen Sand abheben. Auch hier sind die generellen Fundraten beachtlich. Manchmal
ist ein besonders seltenes Stück dabei: so stieß man im Vorjahr in der Libyschen Wüste auf den 14. SNC, den Dar al Gani 489.

Wasser am Mars

Insgesamt wurden bislang rund 50 kg „Marsmaterial" geborgen. Die SNCs weisen stets das gleiche Sauerstoff-Isotopenverhältnis auf, stammen offenbar vom selben Himmelskörper. Außerdem sind alle
basaltisch, also vulkanischen Ursprungs. Tatsächlich existieren große Basaltregionen auf dem Mars. Es gibt aber auch ausgedehnte Flächen, die mit Sedimenten bedeckt sind. Denn bis vor rund 3
Milliarden Jahren gab es reichlich Wasser auf dem Nachbarplaneten. Gut möglich, dass es sogar einen 1.000 m tiefen, weiten Ozean im nördlichen Tiefland bildete. Das Wasser erodierte die Oberfläche.
Marssonden konnten Zeugnisse dieser fernen Epoche ausmachen: ausgetrocknete Flussbetten, geschichtete Ablagerungen in der Nähe der Pole, Dünenfelder in der Nordpolumgebung oder Sedimentationsbecken
wie das Chryse Planitia, wo sich über hunderte Millionen Jahre hinweg Material aus den südlicher gelegenen Hochländern sammelte.

Doch seltsamerweise besitzen wir keine „Marsmeteorite" aus Sedimentgestein. Sie wären besonders interessant, da irdische Sedimente ja oft Fossilien einschließen. Vielleicht überleben Marssedimente
den Flug durch unsere Lufthülle nicht. Oder sie verändern sich dabei so sehr, dass wir sie nicht mehr als Meteorite erkennen · und achtlos liegen lassen. Ihr hartnäckiges Fehlen nährt jedenfalls auch
Zweifel, ob die basaltischen SNCs tatsächlich vom Roten Planeten stammen.

STONE & Foton

Um das zu klären, schießen Wissenschaftler nun Proben aus irdischem Vulkan- und Sedimentgestein ins All. Das STONE-Projekt fliegt im Rahmen des ESA-Microgravity-Programms, das sich hier eines
russischen Satelliten der Foton-Serie bedient. Diese in Samara gebauten Nachfolger Sputniks unterscheiden sich von den meisten anderen künstlichen Erdbegleitern. Nach getaner Arbeit im Orbit
verglühen sie nicht einfach, sondern setzen eine Wiedereintrittskapsel aus. Deren Inhalt kann nach der Landung weiter untersucht werden.

Die europäische Weltraumagentur ESA führt in der Kapsel ferngesteuerte Tests zum Verhalten von Flüssigkeiten in der Schwerelosigkeit sowie biologische Experimente durch. Am Hitzeschild bringt ein
kleines Team von Forschern drei Muster irdischen Gesteins an. Beim Wiedereintritt werden die Temperaturen über 2000øC klettern. Der Höllenritt von Meteoriten durch die Lufthülle lässt sich somit
imitieren. Je zwei Vergleichsmuster verbleiben auf der Erde. Die insgesamt 9 Probenscheiben von je 5 cm Durchmesser wurden von Prof. Gero Kurat, dem Leiter der Meteoritensammlung des
Naturhistorischen Museums in Wien, hergestellt.

Eine Probe ist Basalt vom Pauliberg. Dort baut das Basaltwerk jährlich 300.000 t · rund 13.000 LKW-Ladungen · ab. Die heute 755 m hohe Erhebung im mittleren Burgenland war noch vor 4 Millionen Jahren
aktiv, zählt zu den jüngsten Vulkanen Österreichs. Irdischer Basalt ist dunkel, grau bis schwarz, graublau oder bräunlich. Er verdankt seinen Namen der Landschaft Basan in Syrien und ist das
verbreitetste aller vulkanischen Gesteine; diese entstehen, wenn das glutflüssige Magma mithilfe vulkanischer Kräfte bis zur Erdoberfläche dringt.

Der weitaus größte Teil der Erde ist aber von Sedimenten bedeckt. Sie sind Sekundärgestein, formen sich an der Erdoberfläche aus Verwitterungsmaterialien anderer Gesteine. Wasser, Eis, Wind oder
Schwerkraft transportieren deren Reste und lagern sie nach dem Ortswechsel ab. Andere werden in gelöster Form befördert und wieder chemisch ausgefällt. Spätere Entwässerung oder Verkittung verfestigt
das zunächst lockere Material.

Mit Sojus ins All

Zu den chemischen Sedimenten zählt der Dolomit, der vorwiegend aus dem gleichnamigen, 1791 vom französischen Mineralogen D. Gratet de Dolomieu beschriebenen Mineral besteht. Meerwasser formte
Dolomit aus Kalksedimenten. Die Dolomiten in den südlichen Kalkalpen tragen seinen Namen. Vom Fuße des norditalienischen Monte Lagazuoi stammt die Dolomitprobe für die STONE-Mission. Die dritte
besteht wieder aus Basalt, der in feine Körner zerschlagen und mit Gips gebunden wurde. Sie wird Marsboden simulieren.

Foton-12 soll am 7. September an der Spitze einer Sojus-Rakete vom Kosmodrom Plesezk auf eine 226 bis 393 km hohe Ellipsenbahn geschossen werden. Nach zwei Wochen im Orbit und dem heißen
Wiedereintritt landet seine Kapsel per Fallschirm in Kasachstan. Prof. Kurat wird die Gesteinsproben selbst bergen und sie Analyseverfahren zugänglich machen. Zunächst untersucht man die entstandenen
Schmelzkrusten. Vielleicht bildet der Dolomit, falls er den Wiedereintritt überlebt, keine klar erkennbare, dunkle Kruste aus. Das würde die These stützen, dass man Meteorite aus Sedimentgestein
bislang übersehen hat. Eventuell helfen die Erkenntnisse, die Augen zukünftiger Meteoritenfahnder besser zu schulen. Taucht die Kruste aber ähnlich deutlich wie beim Basalt auf, wäre die Absenz von
Sedimenten in unseren Meteoritensammlungen noch rätselhafter. Auch die Herkunft der basaltischen SNCs müsste dann wohl entschiedener hinterfragt werden. Vielleicht stammen sie doch nicht vom Roten
Planeten.

Weiters analysiert man, welche neuen Mineralien sich beim Eintritt geformt haben und prüft, ob das Isotopenverhältnis unverändert blieb. Schließlich tastet man Fragmente noch mit dem MIDAS-Instrument
ab, das für die im Jahr 2003 zum Kometen Wirtanen startende ESA-Sonde Rosetta entwickelt wurde. In diesem kleinen Rasterkraftmikroskop bewegt sich eine Nadel entlang jener Schicht, wo
abstoßende und anziehende Kraft einander exakt die Waage halten: so lassen sich dreidimensionale Bilder mit Auflösungen von wenigen Millionstel mm gewinnen. Die Elektronik stammt aus Graz.

Wie immer die Ergebnisse des STONE-Experiments ausfallen: die drei Proben werden die ersten künstlichen Meteorite sein, die unter naturähnlichen Bedingungen entstanden sind. Und ein Stück Österreich
ist mit dabei.

Freitag, 03. September 1999

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