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Zur Rekonstruktion einer kosmischen Inszenierung

Geburt und Tod der Sonne

Von Christian Pinter

Bereits im 18. Jahrhundert zeichneten der deutsche Philosoph Immanuel Kant und der französische Mathematiker Pierre Simon de Laplace ein im Grundsatz richtiges Bild
von der Entstehung unseres Sonnensystems. Tatsächlich formten sich Sonne und Planeten vor langer Zeit aus einer rotierenden Nebelwolke. Kernphysik, Computermodelle und der Blick hinaus in den Kosmos
haben unsere Vorstellungen präzisiert. Das Hubble-Weltraumteleskop lieferte besonders spektakuläre, hochauflösende Bilder von anderen Sonnen, die gerade geboren werden oder vergehen. So läßt uns das
All gleichsam auch in Vergangenheit und Zukunft unserer Welt schauen.

Die weite Wolke

Vor langer Zeit trieb eine vielleicht hundert Lichtjahre weite, extrem dünne Nebelwolke in unserem Arm der Milchstraße. Ihre Temperatur lag wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt. Sie
bestand fast zur Gänze aus Gas, vor allem aus molekularem Wasserstoff und aus Helium. Eis und Staub waren rar. Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Neon, Magnesium, Silizium, Eisen und andere
Elemente kamen jeweils nur im Promillebereich vor. In Summe vereinte die Wolke viele hunderttausend Sonnenmassen in sich. Das gab ihr Potential, zur Krippe zahlreicher, neuer Welten zu werden.

Vielleicht war es die eigene Gravitation, vielleicht die Schockwelle einer nahen Supernova: jedenfalls begann die Molekülwolke, sich langsam zusammenzuziehen. Magnetfelder bremsten den Sturz. Sie
fragmentierte, zerfiel in mehrere lokale Verdichtungen. Sternhaufen am Himmel illustrieren, daß Sonnen nicht einzeln, sondern in Gruppen entstehen; gemeinsame Bewegung durch den Raum verrät
ihre Verwandtschaft. Die ursprüngliche Nebelwolke hatte vermutlich Millionen Jahre benötigt, um sich einmal herumzudrehen. Die Teilwolken beschleunigten beim Zusammenziehen jedoch ihre Rotation · wie
Eistänzerinnen, die bei Pirouetten die Arme an den Körper ziehen. Die Umdrehungsgeschwindigkeit prägte die Materieverteilung innerhalb der Fragmente. In vielen bildeten sich Doppel- und
Mehrfachkonzentrationen, aus denen später zwei oder mehrere Sterne hervorgingen; selbst kleine Fernrohre zeigen solche Sterngeschwister, die einander umkreisen. Andere Fragmente sollten Einzelsterne
wie unsere Sonne gebären.

Je mehr Materie eine Teilwolke an sich riß, desto schneller wuchs ihre Anziehungskraft. Ein lawinenartiger Prozeß kam in Gang. Immer rascher stürzten Gas und Staub hinzu. Teilchen in der
Rotationsebene wurden durch die Fliehkraft im Fall gehemmt. So gerieten die Gebilde nach und nach zu Scheiben.

In unserer Verdichtung, dem Sonnennebel, trug ein bislang nicht ganz geklärter Prozeß das Drehmoment nach außen: die Peripherie der Scheibe blieb stabil genug, um Planeten herzubringen · kein
Einzelfall, denn seit 1994 gelang es Astronomen, auch bei anderen Sternen große Planeten nachzuweisen. Das Zentrum verdichtete jedoch weiter. In nur wenigen hunderttausend Jahren ballte sich dort
eine gewaltige Masse zusammen. Das mit hohem Tempo nachstürzende Material erhitzte sich beim Aufprall extrem: nicht Kernfusion, sondern Bewegungsenergie ließ vor viereinhalb Milliarden Jahren jenen
Protostern aufleuchten, den wir „Sonne" nennen.

Sternhaufen belegen, daß eine interstellare Wolke unterschiedlich mächtige Sterne hervorbringen kann. Die Bandbreite reicht von einem Zwölftel bis zur hundertfachen Sonnenmasse. Das jeweilige
„Geburtsgewicht" bestimmt Lebensdauer, Lebensweg und spätere Todesart von Einzelsternen. Die größeren Sonnen kontrahieren schneller, leuchten heller, verzehren sich aber auch rascher. Zieht der
Protostern allzu wenig Masse an, endet er als Brauner Zwerg. Wenn der Materieregen versiegt ist, kühlt er langsam wieder aus. Seit 1995 wurden mehrere Objekte mit nur wenigen Prozent
Sonnenmasse entdeckt, denen dieses Schicksal offenbar widerfahren ist. Unsere Sonne raffte genug Material an sich. Der Druck stieg. Im Zentrum überschritt die Temperatur 5,000.000º Celsius.
Wasserstoff verschmolz jetzt zu Helium. Die ergiebigste Energiequelle war erschlossen.

Im Fernglas macht man den Schimmer des 1.600 Lichtjahre entfernten Orionnebels aus · ein aktives Sternentstehungsgebiet. Sehr junge, heiße Sterne regen eine gewaltige Gaswolke zum Leuchten an. 1993
machte das Weltraumteleskop darin zahlreiche protoplanetare Staubscheiben · im Englischen „Proplyds" genannt · aus, in die Protosterne eingehüllt sind. Nahe Sonnen beleuchten die Gebilde.

Ein Promille für Planeten

Im Februar 1999 wurden atemberaubende Aufnahmen von Gas- und Staubwolken um sechs Sternkinder im Stier veröffentlicht. Aus jeder stürzt Materie in eine breite, den Stern umgebende Scheibe, die wir
von der Kante her sehen und daher als dunkles Band wahrnehmen. Die Staubpartikel scheinen bereits zu klumpen; vielleicht entstehen hier Planeten. In den einzelnen Staubscheiben sind jeweils nur 0.1
bis 5 Promille der Sonnenmasse vereint.

Auch unsere Sonne holte sich 99,9 Prozent der Masse. Nur ein Promille blieb für die Planeten, die etwa gleichzeitig mit ihr entstanden. Der Planetenbau dauerte kaum 10 Millionen Jahre. Zuerst
bildeten Staubkörnchen in der die Sonne umkreisenden Scheibe durch Akkumulation immer größere Klumpen. Sie wuchsen bei sanften Kollisionen mit benachbarten Brocken. Bald gab es Billionen unregelmäßig
geformter Körper in Kilometergröße. Diese Planetesimale gelten als „Bausteine des Planetensystems". In Kometenkernen und als kleine Asteroiden dürften sie recht unverändert erhalten geblieben
sein. Aus letzteren liegen sogar Materialproben in Form von Meteoriten vor; Alter: bis zu 4,6 Milliarden Jahre.

Die meisten Planetesimale prallten jedoch wieder mit anderen zusammen. Größere besaßen stärkere Anziehungskraft. Beim Akkretionsprozeß wuchsen die mächtigeren daher schneller. Ab einigen
hundert km Durchmesser sorgte Gravitation für rundliche Gestalten. Schwerkraft, Zerfall radioaktiver Elemente und Zusammenstöße erhitzten die Kugeln und ließen ihr Gestein schmelzen. Schwere Elemente
sanken ab. Über Eisenkernen bildeten sich Mäntel aus Silikaten. Computersimulationen zeigen, daß nach 20.000 Jahren bereits Hunderte mondgroße Objekte existierten. Allerdings hatten die Planetesimale
unterschiedliche Zusammensetzung. Nahe dem heißen Stern mußten sie sich mit wenigflüchtigen Mineralen und Elementen wie Silizium oder Eisen begnügen. Hier blieben letztlich „erdähnliche" Planeten mit
fester Oberfläche zurück: Merkur, Venus, Erde, Mars.

Ab etwa fünffacher Erddistanz standen auch flüchtigere Elemente zur Verfügung. Wassereis war dort sogar viel häufiger als Silikatstaub. So entwickelten sich riesige Körper mit höherem Eisanteil, die
wiederum reichlich Wasserstoff und Heliumgas aus dem Sonnennebel einfingen. Die kühle Zone wurde zur Heimat der mächtigen Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Hinter Neptun war die
Materie bereits schütter verteilt, reichte aber zum Bau vieler eisiger Objekte mit einigen 100 km Durchmesser. Solche spürt man seit 1992 immer wieder auf; 1930 ist dort der kleine Planet Pluto
entdeckt worden.

Der freiäugig sichtbare, weil sehr nahe Stern Epsilon Eridani dürfte eine halbe bis eine Milliarde Jahre alt sein. 1998 machte man dort einen im Infrarot leuchtenden Materiering aus, der ·
würden wir unsere Verhältnisse übertragen · „hinter der Neptunbahn" beginnt. Zwischen Ring und Stern ist es deutlich klarer, aber immer noch tausendmal „staubiger" als bei uns heute. Vermutlich ist
das Material bereits in Planetesimalen aufgegangen. Ähnlich mag unser frühes Sonnensystem ausgesehen haben. Übrig gebliebene Planetesimale stürzten noch lange auf die jungen Planeten ein, erhitzten
ihre Oberflächen oder Gashüllen. Erst seit Ende dieses „schweren Bombardements" vor rund 3,5 Milliarden Jahren ist Ruhe eingekehrt.

Heiße Zukunft

Heute verliert die Sonne jede Sekunde 4,000.000 t beim Wasserstoffbrennen. Seit der Geburt hat sie 3 Promille ihrer Masse verbraucht. Sterne wie sie zehren fast zehn Milliarden Jahre lang von
Kernfusion. So betrachtet, wäre jetzt Halbzeit. Der Schlußpfiff wird für die Erde aber früher kommen. Dachte man noch vor hundert Jahren an ein allmähliches Erkalten der Sonne mit ewiger Eiszeit auf
Erden, so glauben wir heute an ein infernalisches, feuriges Ende. Obwohl fast die ganze Sonne aus Wasserstoff besteht, ist die Temperatur nur im Kern hoch genug, um Helium zu produzieren. Die dort
erzeugte Strahlung kompensiert den Druck der schweren Sternenhülle. Im Zentrum wird der Wasserstoff zunehmend rar; gleichzeitig sammelt sich Helium als „Asche" an. So drückt die Hülle immer kräftiger
auf den Kern. Der heizt sich dabei auf, die Leuchtkraft der Sonne steigt. Seit ihrer Geburt hat sie knapp ein Drittel Helligkeit gewonnen.

Pro weiterer Jahrmilliarde wird die Kraft der Sonne um 10 Prozent zunehmen. Jener Gürtel im Planetensystem, wo lebensfreundliche Temperaturen herrschen, schiebt sich deshalb langsam nach außen. Er
erreicht die Jupitermonde, den Saturnmond Titan und schließlich Neptuns Trabant Triton. Auf Erden verdampfen in zwei bis drei Milliarden Jahren hingegen die Ozeane; die Ozonschicht ist längst
zerstört. Venus, Erde und Mars verlieren später sogar ihre Atmosphären. In der Sonne frißt sich bei steigender Temperatur die Zone des Wasserstoffbrennens immer weiter Richtung Sternenhülle vor. In
3,5 Milliarden Jahren zündet im Kern bei 100,000.000º Celsius die „Helium-Asche". Der Stern arbeitet nun mit zwei Brennkammern. Er bläht sich dramatisch auf, reicht etwa bis zur heutigen Erdbahn;
Merkur und Venus sind verglüht. Die Oberflächentemperatur sinkt beim Expandieren auf 3.000º Celsius, die enorme Dimension des Sterns macht dies aber mehr als wett: unterm Strich strahlt er
zehntausendmal heller. Er glänzt am Himmel ferner Welten, die heute noch nichts von seiner Existenz wissen.

Die äußersten Schichten dieses Roten Riesen sind dünn und vergleichsweise kühl. Staub kondensiert aus und wird von der Strahlung mit 20 km/sec fortgetragen. Er nimmt Gasteilchen mit: der
Sonnenwind schwillt mächtig an, kostet dem Stern rund ein Zehntel seiner Masse. Der Staub bremst die Erdbewegung. Allerdings reduziert der Masseverlust auch die solare Anziehungskraft. Die Erde
driftet nach außen. Wir wissen nicht, welcher Effekt überwiegt. Vielleicht stürzt auch sie in die Sonne, vielleicht überlebt sie als toter, von glühender Gesteinsschmelze überzogener Himmelskörper.

Sterbender Zwergstern

Helium ist als Energiequelle nicht so effizient wie Wasserstoff. Bald ist es verbraucht. In fünf Milliarden Jahren besteht der Sonnenkern aus Kohlenstoff und Sauerstoff; er stellt die Kernfusion
ein und schrumpft rasch unter dem eigenen Gewicht auf Erdgröße zusammen. Die Sonne wird zum Weißen Zwerg. Jeder Fingerhut Materie würde auf Erden eine Tonne wiegen. 1915 erkannte man im
Begleiter des hellen Sirius erstmals einen derart dichtgepackten Stern. Im Lauf von Jahrmilliarden kühlt der zunächst heiße Sonnenrest aus, wird schließlich unsichtbar. Die meisten Einzelsterne enden
so. Solche mit mehr als 8 Sonnenmassen sterben spektakulärer: sie leiden unter erheblich größerem Druck im Sterninneren. Entsprechend erhitzt, bauen sie durch Fusion immer schwerere Elemente auf. Ist
auch die letzte Quelle versiegt, zerreißt es sie in einer gigantischen Supernova-Detonation.

Während sich unsere Sonne zum Weißen Zwerg gewandelt hat, wurde die Sternhülle mit über 1.000 km/sec ins All gestoßen. Dort dehnt sie sich rasch aus. Die nebelhafte Gasschale wird von der UV-
Strahlung des freigelegten Sonnenkerns zum Leuchten angeregt. Man hat Tausende dieser vergleichsweise kurzlebigen Gebilde ausgemacht. Wilhelm Herschel, Zeitgenosse von Kant und Laplace, erinnerte der
Anblick im Fernrohr an kleine Planetenscheibchen. Er schenkte ihnen den unglücklichen Namen „Planetarische Nebel". In ihren Spektren wurden unter anderem Wasserstoff, Helium, Sauerstoff, Stickstoff
und Neon nachgewiesen. Das Weltraumteleskop porträtierte jüngst den bereits ein halbes Lichtjahr weiten „NGC 3132": kohlenstoffreicher Staub kondensiert aus seinem abkühlenden Gas aus, bildet dunkle
Filamente. Bei der Expansion wird die Nebelmaterie immer dünner. Innerhalb weniger Jahrzehntausende geht sie im Raum zwischen den Sternen auf. So erhält die Milchstraße alle paar Monate Material im
Umfang einer ganzen Sonnenmasse zurück. Es wurde jedoch verändert.

Die erste Sterngeneration bestand aus den Urknallprodukten Wasserstoff und Helium. Erst diese Sonnen produzierten schwerere Elemente. Sternenwind, Sternhüllen oder Supernova-Explosionen schleuderten
das Material fort und legten es der nächsten Generation in die Wiege. 15 Milliarden Jahre nach dem Urknall ist das interstellare Medium merklich angereichert, besteht zu 2 Prozent aus Elementen, die
schwerer als Wasserstoff und Helium sind.

Ohne den Tod früherer Sterne könnten Planeten wie die Erde nicht existieren. So gehen dereinst wohl auch Teile unserer Welt in einer neuen, weiten Wolke aus Gas und Staub auf · die sich irgendwann
zusammenzieht und neue Sonnen hervorbringt.

Freitag, 14. Mai 1999

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