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Die Diskussion um den Status Plutos zeigt, wie die Inventur des Sonnensystems in Unordnung geraten ist

Planet oder Plutino?

Von Christian Pinter

Es gibt neun Planeten in unserem Sonnensystem. Diese Schulweisheit mag bald überholt sein. Nicht, daß man einen dazuentdeckt hätte. Vielmehr könnte Pluto aus der Liste gestrichen werden. Die
traditionellen Kategorien, die zwischen Planeten, Monden, Kometen und Kleinplaneten trennen, sind in Unordnung. Immer mehr Grenzgänger passen nicht ins Raster.

Machen wir Inventur im Sonnensystem. Unser Zollstock ist die „Astronomische Einheit" (AE), die dem Erdbahnradius von 149,6 Mill. km entspricht. Für die neun Planeten messen wir damit mittlere
Sonnenabstände zwischen 0,4 AE (Merkur) und 39,5 AE (Pluto). Ihre Bahnen liegen mit wenigen Grad Abweichung alle in einer Ebene, der Ekliptik, weil sie vor 4,5 Mrd. Jahren aus derselben rotierenden
Gas- und Staubscheibe geboren wurden.

Erd- und Gasplaneten

Allerdings standen in der Nähe der heißen Sonne nur wenige flüchtige Minerale und Elemente wie Silizium oder Eisen als Baumaterial zur Verfügung. Daher drängen sich bis zum Radius von 1,5 AE
gleich vier relativ bescheidene Planeten zusammen: Merkur, Venus, Erde und Mars. Unsere Welt stellt mit 12.756 km Durchmesser auch den größten dieser „erdähnlichen" Planeten, die feste Oberflächen
besitzen.

Mit zunehmender Sonnendistanz dominierte Eis über Silikatstaub. Hier entstanden mächtige Planetenkerne, die noch Wasserstoff aus dem Sonnennebel an sich rissen und wegen ihrer enormen Schwerkraft
einen Respektabstand zueinander halten mußten: die Gasplaneten Jupiter (5,2 AE), Saturn (9,5 AE), Uranus (19,2 AE) und Neptun (30,1 AE). Dahinter war Baumaterial bereits schütter verteilt. Am Ende
unserer Planetenreihe findet sich der kleine, eisige Pluto. Sieben der neun Planeten werden außerdem von natürlichen Satelliten, den Monden, umkreist.

Zwischen den vier erdähnlichen und den vier Gasplaneten klafft aber eine Lücke. Erst 1801 stöberte man dort die Ceres auf. Innerhalb von sechs Jahren folgten Pallas, Juno und Vesta in 2,4 bis 2,8 AE
Distanz. Sprach man anfangs noch von neuentdeckten „Planeten", kamen bald die Begriffe „Kleinplaneten", „Asteroiden" oder „Planetoiden" in Gebrauch. Mittlerweile kennt man Tausende. Sie bestehen aus
Stein oder Eisen, messen ein paar Dutzend bis einige 100 km und kreisen meist im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Dort verhinderte Jupiters Schwerkraft offenbar die Bildung eines weiteren,
„richtigen" Planeten.

Gelegentlich tauchen Kometen im inneren Sonnensystem auf. Die meist nur an die 10 km kleinen Objekte sind im Gegensatz zu Kleinplaneten aus einem Gemisch von Wassereis, gefrorenen Gasen, Gestein und
Staub geformt; sie müssen also in kälteren Zonen entstanden sein. Geraten sie in Sonnennähe, sublimieren ihre Eise zu Gas, dringen durch die dunkle, kohlenstoffhaltige Kruste und bilden eine
gewaltige, temporäre Hülle · die Koma.

Kometen eilen auf langgezogenen Ellipsen dahin. „Langperiodische Kometen" haben oft Umlaufszeiten von vielen 1.000 Jahren und fallen aus allen Richtungen ein. Diese Beobachtung führte den
Niederländer Jan Oort 1950 zur Annahme eines weiten, sphärischen Gebildes, das 100 Milliarden Kometen umfassen könnte. Man nennt es Oortsche Kometenwolke. Einst im Bereich von Uranus und Neptun
geboren, wurden diese Kometen von den Gasplaneten fortgeschleudert und in 20.000 bis 100.000 AE-Distanz gerückt.

„Kurzperiodische Kometen" zeigen hingegen nur Umlaufszeiten bis zu zwei Jahrhunderten und halten sich eher an die Ekliptik. Der in die USA emigrierte Landsmann Oorts, Gerard Kuiper, schloß aus ihren
Bahnen 1951 auf die Existenz eines weiteren Kometenreservoirs. Dieser Ring sollte hinter der Neptunbahn beginnen, fast 500 AE breit sein und vielleicht 1.000 Milliarden Kometen enthalten. Der Ire
Kenneth Edgeworth hatte Jahre zuvor eine ähnliche These formuliert, die unbeachtet blieb; für das mathematische Konstrukt bürgerte sich der Name „Kuiper-Gürtel" ein.

Bis 1781 markierte Saturn die Außengrenze des Planetensystems. Dann stöberte Wilhelm Herschel den siebenten Planeten, Uranus, auf. Störungen seiner Bahn führten 1846 zur Entdeckung des Neptun.
Percival Lowell glaubte, weitere Abweichungen zu sehen und machte sich ab 1905 in Flagstaff, Arizona, auf die Suche nach einem noch ferneren, neunten Planeten. Lange nach seinem Tod nahm man die
Fahndung auf der Lowell-Sternwarte wieder auf. Der 1906 in Illinois geborene Clyde Tombaugh fotografierte den Himmel entlang der Ekliptik und verglich die Platten im Abstand mehrerer Tage. Nach
mühsamer Arbeit fand er am 18. Februar 1930 ein bislang unbekanntes Objekt, das sich zwischen den Belichtungen ein wenig weiterbewegt hatte.

Kalter Totengott

Ein elfjähriges Schulmädchen schlug den Namen „Pluto" vor: In der Mythologie ist er der Bruder Neptuns · ein kalter, gnadenloser Totengott, Beherrscher der Unterwelt. Die Internationale
Astronomische Union, IAU, erkannte Pluto als neunten Planeten an. Allerdings war er überraschend lichtschwach. Es braucht Teleskope über 20 cm Öffnung, um ihn zu erspähen. Hatte man einen Körper mit
mehrfacher Erdmasse erwartet, entpuppte sich Pluto schließlich als Winzling, viel zu klein, um einen anderen Planeten zu stören. Statt dessen hat ihm Neptun eine „3:2-Resonanz" aufgezwungen: Während
Neptun dreimal um die Sonne kreist, schafft es Pluto genau zweimal. Seine Bahnellipse ist exzentrischer als jeder andere Planetenorbit, läßt ihn in 248 Erdjahren zwischen 4,4 und 7,4 Mrd. km
Sonnendistanz pendeln. Er kreuzt dabei sogar die Bahn Neptuns.

1978 entdeckte James Christy den Pluto-Mond Charon. Der Name erinnert an den mythologischen Fährmann, der die Toten über den Fluß Styx in Plutos Reich führt. Die Astronomen führte Charons
Umlaufzeit von 6,4 Tagen zur genauen Massenbestimmung beider Himmelskörper. Gegenseitige Bedeckungen und Verfinsterungen erlaubten es außerdem, aus dem Lichtwechsel auf die Durchmesser zu schließen.
Pluto bringt es demnach nur auf 2.300 km, Charon auf 1.200 km. Das entspricht der Luftlinie Wien·Lissabon bzw. Wien·London. Pluto wird nicht nur vom Planeten Merkur (4.878 km) überflügelt, sondern
auch von den Jupiter-Monden

Ganymed, Io, Europa und Kallisto, von Saturns Titan, Neptuns Triton und unserem Erdmond.

Exklusiver Klub

Darf man einen Zwerg mit nur

2 Promille der Erdmasse überhaupt im exklusiven planetaren Klub belassen? Pluto-Entdecker Tombaugh wandte sich bis zu seinem Tod 1997 gegen jeden Degradierungsversuch. Immerhin überragt sein Fund den
mächtigsten Kleinplaneten, die

1.000 km kleine Ceres, um mehr als das Doppelte. Eine verbindliche Untergrenze für Planeten wurde auch nie festgelegt. Sie wäre Willkür. Der Durchmesser allein ist sowieso kein widerspruchsfreies
Kriterium. Selbst der als Planet unumstrittene Merkur ist kleiner als die Planetenmonde Ganymed (5.262 km) und Titan

(5.150 km).

„Kugelige Gestalt" kann ebenfalls nicht als Mitgliederausweis gelten; das Eigengewicht verleiht allen Körpern ab ein paar 100 km Durchmesser rundliche Form, z. B. den Kleinplaneten Ceres, Pallas oder
Vesta. Auch der Besitz eines Mondes schützt Pluto nicht vor kritischen Fragen: Merkur und Venus sind Einzelgänger, Kleinplanet Ida läßt sich hingegen vom Mond Dactyl umkreisen. Charon wirkt
neben Pluto fast wie ein Gigant. In Relation zum Mutterplaneten ist er der mächtigste Mond im Sonnensystem. Charon umrundet Pluto in bloß 19.600 km Abstand; starke Gezeitenkräfte haben die Rotationen
gebunden. Beide Körper weisen einander stets dieselben Seiten zu · ein Unikum im Planetensystem.

Plutos mittlere Dichte liegt bei

2 g/cm³, Charons bei 1,2 g/cm³. Offenbar bestehen beide aus einem Gemisch von Wassereis und Gestein, wobei Pluto einen steinernen Kern besitzen dürfte. Charons Oberfläche ist aus Wassereis geformt,
Plutos Antlitz hingegen aus gefrorenem Stickstoff, Methaneis und Kohlenmonoxid.

Das Weltraumteleskop machte dort helle und dunkle Flecken aus. Vielleicht sind es mehrere 100 km weite Einschlagsbecken, vielleicht Ablagerungen von Stickstoff und Methanprodukten. Dies wäre möglich,
weil Pluto · im Gegensatz zu Merkur · eine dünne Gashülle aus Stickstoff und Methan besitzt. Zumindest zeitweise. Gerät Pluto in kältere Abschnitte seiner Bahn, legt sie sich wie Rauhreif auf die
Oberfläche. Das Phänomen erinnert an Kometen, die ja nur in Sonnennähe Koma zeigen. Um Charon hat man bislang keine Atmosphäre nachgewiesen.

Am 30. August 1992 stießen die

US-Amerikaner David Jewitt und

Jane Luu auf einen lichtschwachen Kleinplaneten in den Fischen. Die langsame Bewegung verriet, daß er weit hinter Neptun zog. Mit „1992 QB1" · geschätzter Durchmesser um 200 km · beobachtete man den
bis dahin fernsten Körper im Sonnensystem. Weitere Funde folgten. Sie kreisen dort, wo Kuiper den Kometengürtel angesetzt hatte. Dessen Existenz gilt seither als bewiesen. Die Gruppe neuer
Himmelskörper wurde im Englischen „Trans-Neptunian Objects" (TNOs) oder „Kuiper Belt Objects" (KBOs) genannt. Nüchterne Eigennamen wie „1996 TL66" sind nur provisorisch, spiegeln den jeweiligen
Entdeckungstermin wider. Im Fernrohr schlicht punktförmig, lassen sich die Dimensionen der KBOs nur aus der Helligkeit schätzen. Hierzu bedarf es einer Vorstellung, wieviel Sonnenlicht die
Oberflächen reflektieren. Gestützt auf wenige Infrarotmessungen und Studien an dunklen Kometenkernen, setzt man ihre Albedo um 4 Prozent an. So erhält man meist Durchmesser zwischen 100 und
400 km. Besonders mächtig scheint „1996 TO66" mit 600 km zu sein.

Die Eiswelten sind so lichtschwach, daß man erst wenige Spektren gewinnen konnte; sie zeigen gefrorenes Methan und Kohlenmonoxid. Oft schimmern KBOs rötlich. Ähnlich wie bei Kometenkernen dürfte
kosmische Strahlung die Oberflächen eindunkeln und verfärben. Andere wirken farblich neutral. Die Bandbreite überrascht, sie könnte auf unterschiedliche Zusammensetzung hinweisen. Bei ·225º C läßt
sich diese allerdings kaum mit divergierenden Entstehungstemperaturen erklären. Vielleicht haben auch nur schwere Meteoritentreffer frisches, farbloses Mantelmaterial freigelegt.

Der 500 km große „1966 TL66" zieht auf besonders exzentrischer Bahn dahin. Sie reißt ihn bis zu 135 AE fort, das ist mehr als die vierfache Neptun-Distanz. Ein Drittel der bekannten Objekte kreist
jedoch, wie Pluto, auf Orbits mit 39 AE mittlerem Sonnenabstand. Man taufte diese Untergruppe „Plutinos". Die kleinen Plutos unterliegen der 3:2-Resonanz mit Neptun. Andere KBOs zeigen 4:3-Resonanz.
Der 17 Erdmassen schwere Gasplanet strukturiert den Kuiper-Gürtel offenbar ähnlich, wie der noch mächtigere Jupiter den Asteroidengürtel. Neptun, nicht Pluto, herrscht in der Unterwelt.

Emotionale Debatte

Pluto und Charon übertreffen die KBOs mehrfach an Größe und zeigen eine gut zehnmal kräftigere Albedo. Dennoch betrachten sie manche Astronomen nur mehr als „zu groß geratene Plutinos". Andere
wollen an der historischen Planetenzahl hingegen nicht mehr rütteln.

Anfang 1999 hielt man knapp vor der Taufe des 10.000. Kleinplaneten mit gesicherter Bahn und suchte für den Jubilar einen besonderen Namen. Frech schlug IAU-Astronom Brian Marsden „Pluto" vor. Es kam
zur hitzigen Debatte. Am 4. Februar 1999 versuchte IAU-Generalsekretär Andersen zu beruhigen: Man denke nicht daran, Pluto aus der Planetenliste zu streichen.

Doch die Diskussion geht weiter. Manche Forscher könnten sich als Kompromiß eine „Doppelstaatsbürgerschaft" vorstellen. Sie würde Pluto den Status als Planet und als Mitglied des Kuiper-Gürtels
sichern. Es gibt sogar Präzedenzfälle. 1977 entdeckte Kowal in großer Sonnendistanz den Asteroiden Chiron, der später plötzlich eine kometare Koma zeigte. 1979 stieß Bowell auf einen Kleinplaneten,
der bereits 30 Jahre zuvor als Komet registriert worden war. Und 1996 fanden Elst und Pizarro einen Kometen im Asteroidengürtel, der seit 1979 als Kleinplanet geführt wird. Alle drei Objekte stehen
nun sowohl auf der Kometen- als auch auf der Asteroidenliste.

Chiron wurde sogar Prototyp einer kleinen Gruppe ferner Asteroiden, die man zwischen Saturn und Neptun ausmachte. Albedo und Farbverhalten dieser Kentauren erinnern an die KBOs · wahrscheinlich
wurden sie von Neptun bloß aus dem Kuiper-Gürtel geworfen. Übrigens gibt es auch im inneren Sonnensystem Asteroiden wie Phaethon oder Icarus, die im Verdacht stehen, in Wahrheit „verbrauchte" Kometen
zu sein.

Der Streit um Pluto ist bloß die Spitze des Eisbergs. Im Grunde geht es um die sinnvolle Einordnung der KBOs, die einstweilen noch als Kleinplaneten gelten. Zu Asteroiden passen die fernen Eiskörper
zwar in Dimension, nicht aber in Zusammensetzung. Hier ähneln sie Kometen, die sie jedoch um das 10- bis 100fache an Größe übertreffen; kometare Koma sucht man im kalten Kuiper-Gürtel vergeblich.
Vermutlich wird die IAU noch eine neue Schublade für die KBOs zimmern müssen und sie dann auf eigener Liste führen.

Im Februar 1999 ging das 100. KBO ins Netz. Die vorliegende Stichprobe ist aber noch alles andere als repräsentativ. Wir kennen erst die hellsten, also nächsten oder mächtigsten Vertreter. Niemand
weiß, wie weit der Gürtel ins All reicht und wie viele kleinere Objekte er umfaßt. Brocken, winzig wie Kometenkerne, gehen dort praktisch im Rauschen der Teleskopsensoren unter; angebliche „Funde"
wurden angezweifelt.

Hochrechnungen lassen ahnen, daß der Kuiper-Gürtel Material von bis zu einer Erdmasse vereinen könnte; er wäre damit mächtiger als der Asteroidengürtel. Mindestens 100.000 Körper sollen größer als
100 km sein. Vielleicht findet man sogar weitere KBOs von Pluto-Größe. Soll man diese dann auch „Planeten" nennen?

Freitag, 26. März 1999

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