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Vor 400 Jahren suchte Johannes Kepler in Graz und anderswo das Weltgeheimnis zu lüften

Steirische Umlaufbahnen

Von Christian Pinter

Johannes Kepler war nicht glücklich, als er im April 1594 in Graz eintraf. Anstatt das Theologiestudium in Tübingen zu beenden und Pfarrer zu werden, sollte er nun
die Söhne des steirischen Adels in Mathematik unterrichten. Die protestantische Universität hatte den aus ärmlichem Hause stammenden Schwaben zunächst wegen seines „herrlichen Ingenii"
gefördert, gehofft, von ihm einmal Besonderes erwarten zu dürfen. Doch er weigerte sich, die Calvinisten zu verurteilen. Als die evangelische Grazer Stiftsschule im Paradeis einen Lehrer und die
Stände einen Landschaftsmathematiker suchten, wählte der Tübinger Senat ausgerechnet ihn für das, wie Kepler schien, „verachtete" Amt.

Kaum angekommen, erkrankte der 22jährige. Erst nach Wochen konnte er den Unterricht beginnen. Mathematik war Freifach. Der zerstreute, schwer verständliche Professor Kepler begeisterte die Schüler
nicht. Mitunter stand er allein im Klassenzimmer. Unzufrieden zog er Bilanz.

Er erinnerte sich seiner Kindheit in Württemberg, dachte an seine streitsüchtigen, rastlosen Eltern und an die äußerst strengen Schulen in Adelberg und Maulbronn, wo Hader, Verrat und Prügeleien zum
Internatsalltag zählten. Dabei sehnte er sich nach Lob, Beliebtheit und vor allem Harmonie. Zugleich spürte er, wie wenig er selbst diesem Streben genügte. In gnadenloser Selbstcharakterisierung
bekannte er Hang zur Täuschung und Lüge, Heftigkeit und Zorn, Lust zu widersprechen, andere anzufeinden und zu verspotten. Er verglich sich mit einem knurrenden und bissigen Hund, verhaßt und
gemieden, jedoch immer abhängig und um Versöhnung bemüht. Die Armut fürchtete er · „wegen der Schande".

Der Astrologe

In seinem zweiten Amt als Landschaftsmathematiker hatte Kepler auch Kalender mit Prognosen über Witterung, Seuchen, Ernte, Aufstände oder Kriege zu erstellen. Eigene Wetterbeobachtungen,
Kombinationsgabe und Glück halfen ihm. So kündigte er für 1595 Kälte und Türkeneinfälle an. Tatsächlich trafen Berichte über erfrorene Almhirten und über Brandschatzungen bei Wien ein. Andere
Prognosen irrten. Doch Kepler wußte: Fehler vergaßen die Leser, Treffer behielten sie im Kopf; der Astrologe blieb in Ehren.

Die Kalender brachten Anerkennung, auch wenn Kepler wenig von Tagesprognostiken hielt. Er selbst nannte sie „höchst lästige Sklavenarbeit", um Titel und Wohnort zu behalten. Die jährlich 400
bis 600 Exemplare würden, entschuldigte er sich bei seinem ehemaligen Mathematiklehrer Michael Mästlin, nicht über die Landesgrenzen dringen. Er prägte das Bild von der „närrischen Tochter"
Astrologie, die ihre „Mutter" Astronomie eben ernähren müsse.

Kepler lehnte die in der Astrologie beliebten Sternzeichen als bloßes Menschenwerk ab, war aber von der „Wirkung" planetarer Aspekte überzeugt: nahmen Planeten bestimmte Winkelstellungen zueinander
ein, würden sie mit ihren Lichtstrahlen auf Mensch und Welt Einfluß nehmen. Bei der Geburt empfange man Charakter und Abbildung der himmlischen Konstellationen, glaubte Kepler; sie prägten gemeinsam
mit der Erziehung Leibesgestalt und Eigenschaften des Kindes.

Bei der Wiederkehr entsprechender Aspekte reagiere die Seele, ohne aber die Führung zu verlieren. Daher schenke der Himmel weder Glück, Reichtum, Gattin oder Kinder, noch ließen sich Gottlosigkeit
oder Tod von den Sternen ablesen. Auch die Erde besaß für Kepler eine Seele. Sie benehme sich jedoch wie ein träges, störrisches Tier, sodaß ihr Verhalten nicht streng vorhersagbar sei.

Keplers widersprüchlich scheinende Haltung zur Astrologie entsprang dem Wunsch, den Menschen in kosmische Zusammenhänge einzubetten, ohne ihn der Verantwortung für sein Tun zu entkleiden. So etwa
könne der Himmel dem Stärkeren unter Feinden nicht viel schaden, dem schwächeren nicht viel nützen. Man brächte ihn aber mit Rat, Volk und Waffen auf seine Seite.

Der Mystiker

Für Luther war das 1543 publizierte Hauptwerk des Kopernikus nicht mit der Bibel vereinbar. Mästlin hatte seine Schüler in Tübingen wohl entsprechend vorsichtig mit der „Hypothese" einer zentralen
Sonne konfrontiert. Dennoch entfachte er das Feuer in Johannes, der sich bald zu den wenigen Kopernikanern seiner Zeit zählte.

In Graz suchte Kepler Ursachen. Bei Kopernikus zogen alle Planeten auf Kreisbahnen um die Sonne: Merkur und Venus innerhalb der Erdbahn, Mars, Jupiter und Saturn außerhalb. Zwischen Mars und Jupiter
klaffte eine gewaltige Lücke und Saturn war fast doppelt soweit entfernt wie Jupiter. Die höchst unterschiedlichen Kreisradien schienen keiner Regel zu folgen. Kepler rätselte: warum hatte Gott
ausgerechnet sechs Planeten erschaffen, warum ihre Abstände so willkürlich gewählt? Steckte darin ein geheimes Gesetz, eine Botschaft?

Im Juli 1595 erzählte Kepler seinen Schülern von den alle 20 Jahre wiederkehrenden Begegnungen von Jupiter und Saturn am Firmament. Zur Verdeutlichung zeichnete er einen Kreis · den Tierkreis · an
die Tafel und verband die Örter der Planetenkonjunktionen, sodaß ein gleichseitiges Dreieck entstand. In dieses schrieb er einen zweiten Kreis ein, der die Seiten berührte. Plötzlich erkannte er:
Umkreis und Inkreis des Dreiecks verhielten sich zueinander ähnlich wie die Bahnen von Saturn und Jupiter im Raum.

Kepler versuchte flächige, regelmäßige Vielecke auch zwischen die anderen Kreisbahnen zu setzen. Dann experimentierte er mit räumlichen Gebilden. Bereits die Pythagoräer hatten die fünf
„vollkommenen" platonischen Körper verehrt, deren Seitenflächen aus regelmäßigen Vielecken bestehen: der Tetraeder aus vier, der Oktaeder aus acht, der Ikosaeder aus 20 gleichseitigen Dreiecken; der
Hexaeder · auch „Würfel" genannt · aus sechs Quadraten und der Dodekaeder aus zwölf Fünfecken.

Tatsächlich gelang es Kepler, diese Körper so zwischen die Planetensphären zu schachteln, daß die innere Sphäre die Seiten des jeweiligen Polyeders berührte, während die nächstfolgende durch seine
Ecken lief. Die fünf platonischen Körper fixierten damit alle sechs Sphären von Merkur bis Saturn. Das Konstrukt wirkte perfekt: man hätte kein Element verändern dürfen, ohne alles zu Fall zu
bringen.

Die Bahnradien erfuhren so ihre vermeintliche Begründung. Da es nur fünf platonische Körper gibt, war scheinbar auch die „Sechszahl" der Planeten erklärt. Kepler wußte nicht, daß in größerem Abstand
auch noch Uranus, Neptun und Pluto existieren. Sein mystisch-geometrisches Modell hatte jedenfalls die Sonne im Mittelpunkt und stützte so die kopernikanische Lehre.

Kepler war überzeugt, Gottes Handschrift entschlüsselt zu haben. Er faßte die „Entdeckung" 1596 in seinem „Mysterium Cosmographicum" zusammen, nahm Urlaub, um mit Mästlin den Druck in Tübingen
zu überwachen und legte die Kosten für 200 Exemplare aus. Einige sandte er an führende Gelehrte, darunter Galileo Galilei und Tycho Brahe.

Der Ehemann

Noch vor Urlaubsantritt hatte Kepler um die Hand der Barbara Müller aus Gössendorf angehalten. Die Verhandlungen zwischen Brautwerbern und Vertretern des Mühlenbesitzers zogen sich hin. Barbara
kam aus begütertem Hause, war jedoch schon zweimal verwitwet. Außerdem brachte sie eine Tochter aus erster Ehe mit. Kepler war arm, besaß dafür eine sicher scheinende Anstellung und den Adelsbrief
eines seiner Vorfahren. Der Adel ruhte allerdings. Man feilschte und stritt. Der reiche Müller zögerte, mißtraute dem Gelehrten.

Am 27. April 1597 schloß das Paar in der Stiftskirche den Ehebund. Offenbar hielt der Brautvater die Mitgift zunächst zurück. Es kam zum Streit mit Kepler, der große Auslagen für die Hochzeit tätigen
mußte. Der frischgebackene Ehemann zog von der Stiftsschule in Barbaras bisherige Wohnung in der Stempfergasse. Manchmal weilte er auch beim Schwiegervater im Gössendorfer Schlößchen Mühleck. Die Ehe
war nicht allzu glücklich. Kepler beschrieb seine Frau als tugendhaft und bescheiden, jedoch auch einfältig, melancholisch und verlegen. Zu alledem hätte sie nun einen Armen geheiratet. Er schallt
sie, sie war gekränkt, er wiederum von Reue geplagt. Heinrich Kepler kam 1598, Susanna 1599 zur Welt. Beide starben kurz nach der Geburt.

Die Gegenreformation war nicht mehr aufzuhalten. Die Stimmung zwischen Katholiken und Protestanten wurde gehässiger. Erzherzog Ferdinand gab das Land dem Katholizismus zurück. Zunächst verbot er den
Anhängern Luthers im September 1598 alles „Predigen" und „Schulhalten". Die Stiftsschule schloß, Geistliche und Lehrer mußten das Land binnen Tagen verlassen · unter Androhung der Todesstrafe.
Professor Kepler floh mit anderen ins katholische Ungarn; viele fanden im Raum Pinkafeld Unterkunft.

Der Vertriebene

Kepler litt unter der Spaltung der Christenheit. Er lehnte Papsttum, Hierarchie und den Anspruch auf alleingültige Bibelauslegung ab. Er verdammte jedoch nicht die Anhänger des katholischen
Glaubens. Zu ihnen hatte er stets Kontakte gepflegt. Jetzt waren es vielleicht Jesuiten, die Wissenschaft hochhielten, oder Vertreter der Stände, die unter Hinweis auf das Amt des
Landschaftsmathematikers intervenierten. Jedenfalls kehrte er als einziger zurück.

1599 grassierte in Graz die Ruhr. Kepler machte sich auf, den dänischen Astronomen Tycho Brahe zu besuchen. Der reiche Adelsmann hatte einst auf der Insel Hven ein riesiges Observatorium betrieben
und den Lauf der Planeten am Firmament genauestens vermessen. Nach Streit mit dem dänischen König zog er mit großem Gefolge durch Deutschland. Nun residierte er auf Wunsch Kaiser Rudolf II. im Schloß
Benatek, eine Tagesreise von Prag entfernt.

Tycho kritisierte die kopernikanische Lehre und damit auch Keplers „Weltgeheimnis". Er konterte mit einem eigenen Entwurf. Für ihn kreisten zwar Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn um die Sonne,
diese zog aber mit dem ganzen Troß um die ruhende Erde. Um die Idee auszubauen, suchte Brahe einen genialen Mathematiker und glaubte, ihn in Kepler gefunden zu haben. Der Schwabe sollte das
tychonische System beweisen. Kepler wiederum war an Tychos Datenschatz interessiert, um sein eigenes Weltmodell zu überprüfen; die vergleichsweise groben Beobachtungen des Kopernikus paßten gut, aber
nicht exakt in die Konstruktion.

Am 4. Februar 1600 empfing Brahe Kepler auf Schloß Benatek. Die beiden Männer hätten unterschiedlicher nicht sein können. Kepler fühlte sich bald unter seiner Würde behandelt, tobte, reiste ab,
entschuldigte sich aber von Prag aus mit selbsttadelnden Worten. Tycho holte ihn zurück.

Wieder in Graz, beobachtete Kepler am 10. Juli vom Hauptplatz aus eine Sonnenfinsternis; ein Dieb nützte die Aufregung und stahl ihm den Geldbeutel. Wenige Tage später mußten sich alle Protestanten
auf Geheiß Ferdinands versammeln, um zu konvertieren. Kepler verweigerte. Mit dem Glauben sei es ihm ernst, hatte er bereits versichert; Heucheln habe er nicht gelernt. Er wurde nun endgültig des
Landes verwiesen.

Am 30. September brach er mit Frau und Stieftochter im Planwagen Richtung Prag auf, wo Tycho erneut Hilfe versprach. Kepler floh widerwillig in dessen Arme, flehte Mästlin an, sich doch für einen
Posten in Tübingen einzusetzen. Aber dort wollte man ihn nicht. Schon auf der Fahrt packte ihn das Fieber. Sein Schicksal schien besiegelt: von nun an war er der arme Gehilfe des mächtigen Tycho, der
seine Arbeit, sein Leben, ja sein Weltbild bestimmen wollte.

Der Astronom

Nach dem Tod des Schwiegervaters besuchte Kepler noch einmal Graz, um sich um den erhofften Nachlaß zu kümmern. Er blieb unbehelligt. Einstweilen fehlte seiner Frau Geld für Brennholz, was erneut
zum Streit mit Brahe führte. Die Zusammenarbeit wehrte kurz. Der Däne starb im Oktober 1601. Kepler wurde neuer Hofastronom. Endlich erhielt er auch Brahes Messungen ausgehändigt.

Diese führten ihn nach jahrelanger, mühsamer Arbeit in Prag zur Aufgabe der Kreisbahnen. 1609 publizierte er seine beiden ersten Gesetze. Demnach laufen die Planeten auf Ellipsen, in deren einem
Brennpunkt die Sonne steht. Im sonnennahen Abschnitt ihrer Bahn bewegen sie sich schneller als im sonnenfernen. Im gleichen Jahr richtete Galilei zum erstenmal ein Fernrohr zum Himmel. 1611
verbesserte Kepler dieses Instrument grundlegend. Barbara starb.

Kepler ließ sich in Linz nieder, wo ihn der Stadtpfarrer bald der Konspiration mit Jesuiten und Calvinisten verdächtigte und exkommunizierte. 1619 versuchte er in der „Weltharmonik", Geometrie,
musikalische Harmonien, Astrologie und Astronomie zu vereinen. Darin findet sich auch das dritte Gesetz, das die mittleren Entfernungen der Planeten mit ihren Umlaufszeiten in Beziehung bringt.

Die Gesetze erlaubten eine erheblich genauere Berechnung des Planetenlaufs. Gemeinsam mit Galileis Fernrohrbeobachtungen läuteten sie erst den Siegeszug der kopernikanischen Kosmologie ein. An den
platonischen Körpern hielt Kepler bis zum Schluß fest, obwohl sie von den Ellipsen eigentlich schon gesprengt waren. Sein Leben endete am 15. November 1630 in Regensburg, wo er ausstehendes Honorar
vom Reichstag erbitten wollte. Sein Grab wurde, wie auch das Geburtshaus in Weil der Stadt, im Dreißigjährigen Krieg zerstört.

Das Wohnhaus in der Grazer Stempfergasse wich dem Palais Inzaghi. Das Schlößchen Mühleck in Gössendorf ist heute Berufsschulinternat der steirischen Wirtschaftskammer. In die ehemalige Stiftsschule
zog ein Großkaufhaus ein. An der Kepler-Brücke und im Stadtpark erinnern Denkmäler an den Astronomen und seine Planetengesetze. Ohne Vertreibung aus Graz hätte er diese allerdings nicht entdeckt.

Freitag, 05. März 1999

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