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Vor 75 Jahren vergrößerte Edwin Hubble den Kosmos

Im Reich der Nebel

Von Christian Pinter

Blickt man fernab der Stadt an einem klaren, mondlosen Winterabend zum Westhimmel, erahnt man im Sternbild Andromeda einen unscheinbaren Lichtfleck: M31, der
„Andromedanebel", ist eine Milchstraße wie die unsrige. Die gewaltige Distanz läßt den Glanz von Milliarden Sonnen zum kleinen, matten Nebel hart an die Sichtbarkeitsgrenze geraten. Für die meisten
Menschen ist der Anblick Weitenrekord; mit freiem Auge macht man kaum ein entfernteres Objekt aus. Und doch ist M31 nur die nächste und hellste aller Galaxien. Dort half ein Sternenfund vor 75
Jahren, den Schlußstrich unter die grundsätzliche, „große Debatte" über Aufbau und Weite des Universums zu setzen.

Herschels Nebelkataloge

In indianischen Legenden genügten oft kräftige Bogenschützen, um Sterne vom Firmament zu schießen. Europäische Gelehrte des Mittelalters schätzten die Distanz der äußersten Himmelssphäre sehr viel
weiter. Sacrobosco nannte 1516 schon knapp 131 Millionen Meilen. Ausgedehnter durfte der Kosmos nicht sein, mußte er sich doch täglich um den ruhenden Menschen drehen. Erst als Kopernikus die Erde in
Rotation versetzte, konnte das Universum wachsen. Johannes Kepler schätzte den Radius auf 60 Millionen Erdhalbmesser, was wir heute mit „15 Lichttagen" übersetzen würden.

Noch bevor eine einzige Fixsterndistanz zweifelsfrei ermittelt war, glaubte Wilhelm Herschel mit dem damals lichtstärksten Teleskop der Welt bis an und über die Grenze unserer Milchstraße zu blicken.
Zwischen 1786 und 1802 publizierte er Kataloge mit 2.500 kleinen, nebelhaften Himmelsobjekten, die ihm Milchstraßen in gewaltiger Entfernung zu sein schienen. Der Engländer Thomas Wright und der
deutsche Philosoph Immanuel Kant hatten ein halbes Jahrhundert zuvor ähnliches vermutet.

Obwohl es dafür keinen Beweis gab, wurde die Vorstellung eines mit Galaxien durchsetzten Universums populär: Unsere Milchstraße war demnach nur eines von vielen Eilanden im riesigen Kosmos; Alexander
von Humboldt sprach 1850 von „Weltinseln". Allerdings bemerkte man, daß Herschel völlig unterschiedliche Objekte in seine Kataloge gepackt hatte. Manche schienen überhaupt nur aus Wolken leuchtenden
Gases zu bestehen. Andere, wie die Kugelsternhaufen, ließen sich zumindest teilweise in Einzelsterne auflösen. Und dann gab es matte, oft symmetrisch geformte wie den Andromedanebel, aus denen auf
Himmelsfotografien gekrümmte Arme wuchsen. Diese Spiralnebel faszinierten Forscher besonders. Distanz und damit Größe blieben aber unklar. Hätte man dort auch nur ein einziges, isoliertes Objekt
bekannter Leuchtkraft aufgestöbert, wäre der Abstand nach dem Grundsatz „je schwächer, desto ferner" erkennbar geworden. Schließlich mußte die Helligkeit ja mit dem Quadrat der Distanz abnehmen. In
den diffusen Flecken ließ sich jedoch kein Stern ausmachen. Um so überraschter war Ernst Hartwig, als er im August 1885 einen einzelnen Lichtpunkt in M31 erblickte. Bald sank seine Helligkeit jedoch
und er verschwand wieder.

Ähnliche Erscheinungen hatte man schon in unserer Milchstraße beobachtet und „Novae" genannt. Verglich man diese mit Hartwigs Stern, mußte der Andromedanebel nahe weilen, ein Teil der Milchstraße
sein. Andernfalls hätte die Leuchtkraft alle Dimensionen gesprengt. So kehrten Forscher der Weltinseltheorie den Rücken, betrachteten die Nebel nur als Verdichtungen innerhalb unserer Galaxis. 1903
resümierte der sonst weitblickende Wilhelm Meyer, daß die Milchstraße „nach den neueren Ansichten überhaupt alle für uns sichtbaren Sterne in sich schließt".

Ab 1917 stieß man auf Nebelfotografien immer wieder auf ähnliche, kurzlebige Novae. Da sie allesamt schwächer als Hartwigs Fund von 1885 ausfielen, paßten sie besser zur Weltinselidee, die jetzt
wieder Anhänger gewann. Erst Jahre später sollte man begreifen, daß es zwei Nova-Arten gibt. Supernovae strahlen zehntausendmal kräftiger als gewöhnliche Novae, die ihrerseits mit der Kraft
Zehntausender Sonnen aufleuchten. Wer die Supernova von 1885 mit schlichten galaktischen Novae maß, verglich Äpfel mit Birnen · und mußte falsche Schlüsse ziehen. Doch selbst ohne diesen „Ausreißer"
taugten Novae schlecht als verbindlicher Zollstock. Schließlich war auch ihre wahre Leuchtkraft umstritten, die zugrundeliegenden physikalischen Prozesse völlig unbekannt.

Leavitts Cepheiden

Am Harvard-Observatorium in Massachusetts sichtete Henrietta Leavitt Aufnahmen der Kleinen Magellanschen Wolke, um Sternhelligkeiten zu messen. Viele Sterne strahlten nicht konstant, sondern
veränderlich. Manche zeigten das typische Lichtmuster der Cepheiden: rascher Helligkeitsanstieg, langsamer Abfall. Heute wissen wir, daß Cepheiden instabil gewordene Riesensterne sind, die sich
rhythmisch aufblähen und wieder zusammensinken. Dabei verändern sich Temperatur und Helligkeit sehr regelmäßig. Beim Vergleich der Platten konnte Leavitt Lichtwechselperioden von 1 bis 127 Tagen
feststellen. Die langsamsten Cepheiden entpuppten sich dabei als die hellsten. Da alle Sterne der Wolke zwar in unbekannter, aber doch gleicher Entfernung weilen mußten, formulierte Leavitt 1912 eine
hochinteressante Beziehung zwischen Periodendauer und Leuchtkraft. Sie brauchte nur noch an einem Vertreter bekannter Distanz geeicht werden.

Der ehemalige Reporter Harlow Shapley hatte Astronomie gewählt, weil es an der Universität von Missouri kein Journalismusstudium gab. Eine weise Entscheidung, denn gerade ihm sollte die erste
verläßliche Cepheiden-Eichung gelingen. Aus gestoppter Periodendauer ließen sich nun recht einfach Leuchtkraft und Entfernung ableiten. Da Cepheiden äußerst helle Sterne sind, reichte das neue
Maßband weit ins All hinaus. Shapley kam damit bis zu den Kugelsternhaufen, die einen Halo, ein sphärisches Gerüst um die Milchstraße bilden. Damit steckte er 1918 den Durchmesser unserer
Galaxis auf 300.000 Lichtjahre ab · zehnmal weiter, als bis dahin angenommen. Die Kugelsternhaufen verrieten ihm auch, daß die Sonne nicht in der Mitte des Gebildes weilen konnte. Wieder einmal war
die Menschheit aus dem scheinbaren Zentrum der Welt verdrängt worden. Shapley hielt seine mächtige Milchstraße für das einzige große Sternensystem; an Weltinseln glaubte er nicht.

Sliphers Spektren

1912 bemühte sich Vesto Slipher in Flagstaff, Spektren von Spiralnebeln aufzunehmen. Dies erforderte Belichtungen, die sich über mehrere Nächte hinzogen. So begann er mit dem hellsten Vertreter,
dem Andromedanebel. Überrascht stellte er fest, daß die Spektrallinien ins Blaue gerückt waren. Die anderen Nebel zeigten meist Rotverschiebungen. Interpretierte man dies als Dopplereffekt, mußten
die Objekte mit mehreren 100 km/sec relativ zum Beobachter durch den Raum schießen. Die meisten flogen davon. Slipher erklärte den merkwürdigen Effekt mit der rasanten Bewegung unserer Milchstraße
und präsentierte die Ergebnisse 1914. Unter den Zuhörern seines Vortrags weilte ein Astronomiestudent namens Edwin Hubble.

In Deutschland studierte Carl Wirtz ebenfalls Spektren. Je kleiner die Nebel wirkten, desto dramatischer fiel die Rotverschiebung aus. Wirtz kam der Wahrheit damit nahe. Da jedoch noch immer keine
einzige Nebeldistanz vorlag, löste auch er das Rätsel nicht. Innerhalb unserer Milchstraße hätten sich Nebel jedenfalls kaum mit bis zu 1.800 km/sec bewegen können. So stützten

Sliphers Spektren eher die Weltinselidee. Doch 1916 erschütterte Adrian van Maanen dieses Bild erneut. Er meinte, in mehreren Nebeln Rotationsbewegungen nachweisen zu können. An deren Rändern
schienen sich verdichtete Wolken verschoben zu haben. Wären die Spiralnebel ausgedehnt wie unsere Milchstraße, hätten die Partien Strecken von einigen Lichtjahren zurückgelegt · und sich daher mit
Lichtgeschwindigkeit bewegen müssen. Das war absurd und deutete wieder auf kleine Nebel in nur wenigen 1.000 Lichtjahren Distanz hin.

Astronomen blieben in zwei Gruppen geteilt. Für die eine bestand das sichtbare Universum nur aus unserer Galaxis. Sie beherbergte alle Spiralnebel, die man sich als kleine Planetensysteme in
Entstehung oder als Endstadium der Sternentwicklung vorstellte. Vielleicht weilten manche auch knapp außerhalb. Van Maanens schnelle Rotationen und Hartwigs helle „Nova" von 1885 dienten als
Argumente. Jene, die an Weltinseln oder „Inseluniversen" glaubten, konterten mit den anderen Novae und mit Sliphers Relativgeschwindigkeiten. Ihr Kosmos war um vieles mächtiger als die Galaxis. Zu
diesen Forschern zählte Heber Curtis, der alte Sprachen unterrichtet hatte, bevor er sich erfolgreich den Novae zuwandte.

Am 26. April 1920 lud die Nationale Akademie der Wissenschaften in Washington zur Diskussion über den „Maßstab des Universums". Der eloquente Curtis propagierte hier einen Kosmos mit bis zu 100
Millionen Lichtjahren Weite und zog Shapleys übergroße Milchstraße in Zweifel. Shapley, der sich Hoffnungen auf den Direktorposten in Harvard machte, fühlte sich wie auf dem Prüfstand. Zwar lehnte er
die Weltinseltheorie ab, warnte angesichts schütterer Daten aber auch vor allzu starren Haltungen. Der Abend ging als „Große Debatte" in die Astronomiegeschichte ein; Curtis fühlte sich als Sieger.

Hubbles Entdeckung

Zwischen den Wissenschaftern ging die Diskussion weiter. Seit kurzem war auf dem Mt. Wilson in Kalifornien das 2,5-m-Teleskop · das größte der Erde · im Einsatz. Edwin Hubble, einst Boxer,
Jusstudent im englischen Oxford, Anwalt in Kentucky und schließlich Autor einer astronomischen Doktorarbeit über fotografische Untersuchungen an Nebeln, durchmusterte damit im Oktober 1923 den M31 in
der Andromeda nach Novae. Bereits auf der ersten gelungenen Belichtung machte er drei verdächtige Lichtpünktchen aus. Im Vergleich mit anderen Platten suchte er die Termine des ersten Aufleuchtens zu
bestimmen. Zwei Objekte stellten sich sofort als flüchtige Novae heraus, doch das dritte ließ sich auch auf 70 älteren Aufnahmen finden · eine stammte sogar aus 1909. Von Platte zu Platte variierte
der Stern die Helligkeit. Das war keine Nova, sondern ein Cepheide · der erste in einem Nebel!

Mit zusätzlichen Belichtungen vom 2. bis zum 7. Februar 1924 sicherte Hubble eine Lichtwechselperiode von 31,415 Tagen. Shapleys Eichung erlaubte es, Leuchtkraft und Entfernung zu bestimmen. Damit
hielt Hubble auch die erste verläßliche Nebeldistanz in Händen. Am 19. Februar schrieb er Shapley: „Sie werden interessiert sein zu hören, daß ich einen Cepheiden-Variablen im Andromedanebel (M31)
gefunden habe." Hubble nannte zunächst eine Million Lichtjahre als Distanz. Für Shapley muß eine Welt zusammengebrochen sein. Dennoch drängte er zur Publikation des Funds.

In mühsamer Arbeit identifizierte Hubble weitere Cepheiden in M31 und anderen Spiralnebeln, die damit zweifelsfrei zu außergalaktischen Sternsystemen mit ähnlicher Dimension wie die Milchstraße
wurden. Van Maanens störende Rotationswerte entlarvte er später als bloße Meßfehler. Selbstbewußt, zielstrebig und oft mit elitärem Oxford-Akzent irritierend, setzte er die Distanzmessungen aber
schon bald mit den seltsamen Relativgeschwindigkeiten in Bezug.

Humasons Platten

Neben den Spektralaufnahmen Sliphers griff Hubble immer mehr auf die Arbeiten Milton Humasons zurück, dessen Laufbahn als Maultiertreiber und Hausmeister der Sternwarte begonnen hatte. Geduld und
technisches Geschick machten ihn zum begehrten Assistenten. Humasons Platten zeigten bald mehr Nebel als Sterne, hielten auch Spektren von extrem schwachen Objekten fest. M31 und andere nahe Systeme
waren offenbar durch Gravitation an die Milchstraße gebunden, bildeten die Lokale Gruppe. Daher zeigten die Spektrallinien Blauverschiebung. Je weiter man jedoch ins All hinaus- blickte, desto
stärker verschoben sich die Linien gegen Rot. 1929 präsentierte Hubble seine berühmte, lineare Beziehung zwischen Abstand und Fluchtgeschwindigkeit: Je ferner eine Galaxie, desto schneller schießt
sie davon.

Einmal geeicht, setzte Hubble die Relation ein, um immer entferntere Nebel auszuloten. Die Rotverschiebung wurde zum Maß ihrer Distanz. 1936 schrieb er sein berühmtes Werk „The Realm of the Nebulae"
(deutsch 1938, „Das Reich der Nebel"), in dem er den Radius des beobachtbaren Raums schon mit 500 Millionen Lichtjahren angab. Dieser schien von

100 Millionen Galaxien erfüllt, von denen jede im Schnitt vielleicht zwei Milliarden Sonnenmassen enthielt.

Cepheiden-Eichungen, Größe der Galaxis und die Hubble-Relation wurden seither verbessert. Der Durchmesser unseres Milchstraßensystems „schrumpfte" auf 110.000, der Andromedanebel rückte in

2,3 Millionen Lichtjahre Distanz, und auch die anderen Nebelentfernungen mußten nach oben korrigiert werden. Schon Herschel hatte geglaubt, daß das Licht der Nebel seit Jahrmillionen unterwegs
gewesen war, bevor es sein Teleskop erreichte. Moderne Instrumente greifen Milliarden Lichtjahre ins All hinaus und schauen damit auch weit in die Vergangenheit „Richtung Urknall" zurück. Sie zeigen
Galaxien zu einer Zeit, als ihre Fluchtgeschwindigkeit noch sehr viel größer war · wie bei einem hochgeschossenen Pfeil, der am Beginn des Flugs am schnellsten davonzieht.

Im Vorjahr studierte man eine Supernova in zehn Milliarden Lichtjahren Abstand. Das nach Edwin Hubble benannte Weltraumteleskop erzielte mit zwölf Milliarden Lichtjahren neuen Weitenrekord. Hubble
hat es 1936 sehr treffend formuliert: „Die Geschichte der Astronomie ist die Geschichte von den sich weitenden Horizonten."

Freitag, 22. Jänner 1999

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