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Am 7. Dezember sollte die ramponierte Planetensonde "Galileo"
den Jupiter erreichen

Des Roboters weite Reise

Von Christian Pinter

Nicht nur Ingenieure der NASA hielten den Atem an, als das US-Shuttle Atlantis am
18. Oktober 1989 von Cape Canaveral aus in den Himmel hob. Auch viele Bewohner
Floridas erlebten bange Minuten. Denn im Laderaum der Weltraumfähre befanden sich
mehrere Kilogramm Plutoniumdioxid. Zwar umschlossen massive Behälter das
gefährliche Material, doch drei Jahre nach der Challenger- Katastrophe schenkte man
den Sicherheitsbeteuerungen der NASA wenig Vertrauen.


Der Start verlief problemlos. 340 km über der Erdoberfläche setzte Atlantis die
Planetensonde Galileo aus, zu deren Energieversorgung der radioaktive Zerfall des
Plutoniums diente. Nach der ursprünglichen Planung wäre Galileos Mission zu diesem
Zeitpunkt bereits abgeschlossen gewesen. Doch die Explosion der Challenger im
Jänner 1986 bedingte eine dreieinhalbjährige Verzögerung. Aus Sicherheitsgründen
wählte man nun außerdem ein kleineres Triebwerk. Der geschwächte Galileo mußte
sich daher auf eine sehr viel längere Reise einstellen. Er benötigte jetzt die Unterstützung
zweier Planeten, um sein eigentliches Ziel - Jupiter - zu erreichen.


Fremde Hilfe


Drei nahe Vorbeiflüge an Venus und Erde brachten Galileo in Schwung. Zunächst
schlug er Kurs ins innere Sonnensystem ein. Im Februar 1990 zog er an der Venus
vorbei und ließ sich von ihrer Anziehungskraft beschleunigen. Venus bot außerdem
Gelegenheit, die Instrumente der Sonde zu testen. Gespannt fieberten
NASA-Techniker den ersten Daten entgegen. Die Hauptantenne blieb eingerollt, um sie
vor der starken Sonnenstrahlung zu schützen. Galileo nützte die schwache Hilfsantenne,
um Aufnahmen der Venuswolken zur Erde zu senden. Zum Durchdringen der dicken
Wolkenschicht eigneten sich seine Instrumente nicht. Dies blieb der Sonde Magellan
vorbehalten, die sechs Monate nach Galileo eintreffen und fast die gesamte
Venusoberfläche mit Radarwellen kartografieren sollte.


Galileo flog zur Erde zurück und beschleunigte abermals. Im Dezember 1990 passierte
er den Heimatplaneten in 960 km Distanz. Dabei analysierte er die irdische
Hochatmosphäre. Über der Antarktis entdeckte er stratosphärische Wolken. Ihre
winzigen Eiskristalle unterstützen die durch Fluorchlorkohlenwasserstoffe verursachte
Zerstörung der Ozonschicht. Zum erstenmal seit Ende des Apollo- Programms hielten
Wissenschafter außerdem wieder Aufnahmen der Mondrückseite in Händen.


Schwierige Verständigung


Im April 1991 erhielt Galileo Befehl, die knapp 5 m weite Hauptantenne auszufahren.
Doch das Gebilde klemmte und hing schließlich halb geöffnet und traurig wie ein
kaputter Regenschirm von der Sonde weg. Verzweifelt versuchten über 100 Techniker,
den Fehler zu finden. Sie drehten die Antenne in den Schatten der Sonde und hofften,
daß der Temperaturabfall die verklemmten Rippen des Antennenschirms lösen würde.
Nach 50 Stunden Dunkelheit stürzte die Temperatur auf -140 Grad Celsius. Die
Antenne blieb unbrauchbar. Das 1,4 Mrd. US-Dollar teure Galileo-Projekt drohte zu
scheitern.


Als Notlösung bot sich die zehntausendmal schwächere Hilfsantenne an. Sie konnte
allerdings nur 40 statt 134.000 Bits pro Sekunde übertragen. Es war, als wolle man
Börsenkurse mittels Rauchzeichen mitteilen. Die rasant gewonnenen Meßergebnisse
und Bilder mußten zunächst auf dem bordeigenen Bandrekorder zwischengespeichert
werden. Erst dann konnte der langsame Datentransfer zur Erde beginnen. Der
begrenzten Speicherkapazität wegen wurde die Mehrzahl der geplanten Aufnahmen
gestrichen. Trotzdem schienen wenigstens die wichtigsten Missionsziele realisierbar.


Solcherart angeschlagen, schoß Galileo über die Marsbahn hinaus. Zwischen dem roten
Planeten und Jupiter kreisen abertausende Kleinplaneten, auch "Planetoiden" genannt.
Sie entstanden vor viereinhalb Milliarden Jahren, konnten sich wegen Jupiters Nähe
jedoch nie zu einem großen Himmelskörper zusammenfinden. Häufige Kollisionen
zwischen den Planetoiden sorgten für weitere Zersplitterung. Materialproben aus dem
Kleinplanetengürtel befinden sich in Form von Meteoriten bereits in den Händen der
Wissenschafter. Deren Zuordnung zu bestimmten Planetoiden oder Planetoidengruppen
ist aber unsicher. Außerdem bestand keine Möglichkeit, die Oberfläche eines
Kleinplaneten aus nächster Nähe zu untersuchen. Diese Premiere blieb Galileo
vorbehalten.


Badgastein im All


Aus 1.600 km Distanz begutachtete Galileo im Oktober 1991 die unregelmäßig
geformte Gaspra, deren Längsachse gerade 20 km mißt. Galileo speicherte 150
Aufnahmen auf Band und überspielte sie während der folgenden 13 Monate zur Erde.


Aus den nur 595 gezählten Kratern, die allesamt beim Aufprall winziger Himmelskörper
geschlagen wurden, ermittelten Planetenforscher ein Gaspra-Alter von bloß 200
Millionen Jahren. Damals muß ein älterer Planetoid nach dem Zusammenstoß mit einem
anderen Objekt in mehrere Fragmente zerfallen sein.


Gaspra ist nur eines dieser Splitter. Sie war 1916 von Grigori Neujmin entdeckt und
nach einem Kurort auf der Krim getauft worden. Die von Galileo erfaßten Krater
wurden daher ebenfalls nach weltberühmten Kurorten benannt. So kam es, daß die
Internationale Astronomische Union 1994 auch Badgastein auf der Gaspra verewigte.


Nach dem Ausflug in den Planetoidengürtel kehrte Galileo ein zweites Mal zur Erde
zurück. Diesmal schoß er nur 303 km über dem Südatlantik durch die Ausläufer der
Hochatmosphäre. Galileo wies eine bislang ungeahnte Ausdehnung jener dünnen Hülle
aus atomarem Wasserstoff nach, die unseren Planeten umgibt. Sie reicht auf der
Nachtseite bis zur Mondbahn. Die Erdpassage beschleunigte den 2,5 t schweren
Roboter auf 39 km pro Sekunde. Mit einem letzten "Familienfoto" von Erde und Mond
im All verabschiedete sich Galileo endgültig.


Idas winziger Mond


Auf dem Weg zum Riesenplaneten Jupiter raste Galileo abermals durch den
Kleinplanetengürtel. Diesmal führte ihn die Bahn an der Ida vorbei. Sie war 1884 vom
Österreicher Johann Palisa von Wien aus entdeckt worden. Ida ist mehr als doppelt so
groß wie Gaspra. Die leicht rötliche Oberfläche weist sehr viel mehr Krater auf. Daraus
könnte man ein Alter von einer Milliarde Jahren ableiten. Allerdings glauben
Astronomen nicht, daß Planetoiden so lange unbeschadet überleben können. Zu groß
ist das Risiko einer Kollision mit einem anderen Kleinplaneten. Während man über die
hohe Kraterdichte rätselte, überraschte Galileo mit einer weiteren Entdeckung. 90 km
von Ida entfernt, stöberte er einen winzigen Trabanten mit bloß 1.500 m Durchmesser
auf. Der erste entdeckte "Kleinplanetenmond" wurde Dactyl getauft.


Im Juli 1994 wurde Galileo Zeuge eines Jahrtausendereignisses, mit dem bei seinem
Start niemand gerechnet hatte - die Kollision eines Kometen mit dem Riesenplaneten
Jupiter. Der nur 1,5 km große Kern des Kometen Shoemaker-Levy 9 war von Jupiters
Schwerkraft in eine Kette von Fragmenten zerlegt worden. Innerhalb einer Woche
tauchten die kleinen Bruchstücke nach und nach in die Jupiteratmosphäre ein. Die
Einschlagspunkte lagen auf der erdabgewandten Seite, so daß Sternwarten bloß die
Folgen, nicht jedoch die Kollisionen selbst beobachten konnten. Doch Galileo genoß
direkte Sicht.


Mit einer Geschwindigkeit von 60 km pro Sekunde schossen die Kometenkerne in
Jupiters Gashülle. Dabei setzten sie die Energie von jeweils 300.000 Hiroshima-
Bomben frei. Galileo, damals noch 230 Mill. km von Jupiter entfernt, hielt als einziger
die gewaltigen Lichtblitze fest. Minuten später wurden die Einschlagspunkte von der
Erde aus sichtbar. Erdgroße, dunkle Flecken entstellten Jupiters Antlitz. Sie erlaubten
neue Aufschlüsse über den Aufbau seiner Atmosphäre.


Dramatischer Abstieg


Mit einem Äquatordurchmesser von 142.800 km ist Jupiter der größte aller Planeten.
Aus seiner Masse ließen sich alle anderen noch ein zweites und ein drittes Mal
erschaffen. Der Riese besteht hauptsächlich aus Wasserstoff und Helium und ähnelt in
seiner Zusammensetzung der Sonne. In knapp zehn Stunden jagt er um seine Achse.
Die rasche Rotation plattet die Gaskugel ab und versetzt die Atmosphäre in rasche
Bewegung. Hoch- und Tiefdruckgebiete, auf der Erde von Unregelmäßigkeiten der
Oberfläche abgelenkt, ziehen sich hier zu parallelen, dunklen Bändern und hellen Zonen
auseinander, die den gesamten Planeten umspannen.


In den siebziger Jahren offenbarten die Pioneer- und Voyager-Sonden den Farben-
und Formenreichtum der Wolkenformationen. Die hellste Wolkenschicht besteht aus
Ammoniakeiskristallen, darunter finden sich Wolken aus Ammoniumhydrosulfid. Noch
tiefer existiert eine Schicht aus Wassereis- und Wasserdampfwolken.


Nach einem Flug von insgesamt 4 Mrd. km erreicht Galileo am 7. Dezember endlich
den Riesenplaneten. In der Nacht zum 8. Dezember wird eine 1,25 m große
Atmosphärensonde, die Galileo bereits im Juli ausgesetzt hat, in die Gashülle des Jupiter
eindringen. Ihr Höllenritt beginnt mit 170.000 km/h. Das Gas bremst sie innerhalb von
zwei Minuten dramatisch ab - mit einer Kraft, die der 320fachen Erdbeschleunigung
entspricht.


Nachdem das Hitzeschild abgesprengt ist, gleitet die 339 kg schwere Sonde am
Fallschirm durch die Wolkenschichten. Immer tiefer sinkend, ermittelt sie Temperatur,
Druck, Strahlung und Windgeschwindigkeit und sendet die Daten an Galileo. Nach 60
bis 80 Minuten ist die waghalsige Mission auch schon vorbei. Bei einem Druck von
etwa 25 Atmosphären wird das Gerät funktionsuntüchtig werden.


Galileo spielt die Rolle des Funkrelais und zündet kurz darauf sein Triebwerk, um in
eine Umlaufbahn um Jupiter einzuschwenken. Er wird Details der stürmischen
Atmosphäre beobachten, komplexe Moleküle und Polarlichter registrieren und die
gewaltige Magnetosphäre vermessen. Auf eine kontinuierliche, globale Überwachung
des Jupiterwetters muß der kaputten Antenne wegen verzichtet werden.


Galileos Monde


Der Roboter wird sein Orbit mehrmals modifizieren, um nahe an die Jupitermonde
heranzukommen. Die vier mächtigsten Trabanten - Io, Europa, Kallisto und Ganymed -
wurden im Jänner 1610 von Galileo Galilei und Simon Marius entdeckt. Ihre Namen
erinnern an drei legendäre Mädchen und einen Jüngling, die einst vom Gott Jupiter
verführt wurden.


Io und Kallisto sind größer als unser Erdmond. Ganymed übertrifft sogar den Planeten
Merkur. Doch da Jupiter über 630 Mill. km von der Erde entfernt ist, bleiben seine
Monde in irdischen Teleskopen nur winzige Scheibchen. Erst die vorbeischießenden
Voyagersonden präsentierten 1979 ihr Antlitz.


Die Oberfläche der Io ist teils rot, teils gelb, teils weiß. Der Mond wird durch die
Anziehung Jupiters und der anderen Trabanten periodisch um 100 m verformt. Das löst
rege vulkanische Aktivität aus. Materie aus dem Inneren wird bis zu 300 km hoch
geschleudert. Solcher Auswurf hat sämtliche Einschlagskrater zugedeckt. Schwefel und
Schwefeldioxid liegen auf einer Kruste, deren Zusammensetzung noch umstritten ist.
Jupiters Magnetosphäre reibt wie Schmirgelpapier darüber und reißt 1 t Material pro
Sekunde fort. Ionisierter Schwefel und Sauerstoff verteilen sich entlang der Mondbahn
und dürften die Polarlichter auf Jupiter verursachen.


Auch die Europa könnte durch Gezeitenkräfte erhitzt werden. Ihre helle Eiskruste zeigt
nur wenige Einschlagskrater. Sie muß relativ jung sein, stetig erneuert werden. Es ist
möglich, daß sich darunter ein Ozean aus Wasser erstreckt. Die langen Furchen im Eis
sind vielleicht durch langsame Ausdehnung der Krustenfläche entstanden.


Kallistos Oberfläche ist dagegen von unzähligen Kratern gezeichnet und offenbar sehr
alt. In Millionen von Jahren floß das Eis in die Vertiefungen nach, so daß ihre Krater
ungewöhnlich flache Formen besitzen. Kraterketten mit bis zu 620 km Länge deuten
auf Einschläge von zerbrochenen Kometenkernen hin, ähnlich den Fragmenten des
Kometen Shoemaker- Levy 9.


Ganymed ist mit 5.262 km Durchmesser der größte Mond des Sonnensystems.
Dunkle, alte, von Kratern übersäte Flächen wechseln mit hellen, jüngeren Regionen ab.
Seine Kruste zeigt ein faszinierendes System von Furchen, die sich über Tausende
Kilometer ziehen. Unter den Eiskrusten Ganymeds und Kallistos könnte sich ein Mantel
aus wärmerem Eis oder Wasser erstrecken, der durch radioaktiven Zerfall von
Elementen im Silikatkern erhitzt wird.


Galileo wird die Mondoberflächen studieren und nach Anzeichen von Atmosphären
suchen. Extrem dünne Gashüllen wurden bereits um Europa und Io nachgewiesen.
Außerdem muß er sich mit dem Jupiterring befassen. Im Gegensatz zu den
Saturnringen, die aus metergroßen Trümmern aufgebaut sind, sind dessen Teilchen
kaum größer als Rauchpartikel. Im Ring kreisen Zwergmonde, die von Meteoriten
getroffen werden. Sie setzen dabei vielleicht jenes Material frei, aus dem der dunkle
Ring besteht.


Wenn sich keine zusätzlichen Probleme einstellen, wird Galileo fast zwei Jahre lang um
Jupiter kreisen und dabei viele Fragen beantworten, die die Voyagers Ende der
siebziger Jahre offenließen. 2.000 Bilder sollen gewonnen und zur Erde übermittelt
werden. Eine Funktionsstörung des Rekorders, die im Oktober für große Unruhe
sorgte, scheint mittlerweile behoben. Sollte das Band dennoch ausfallen, ließen sich
Daten und Fotos in freien Speicherbereichen des Bordcomputers "zwischenlagern".
Dann müßte das Beobachtungsprogramm allerdings nochmals um die Hälfte gekürzt
werden.


Die wichtigsten Meßergebnisse der Atmosphärensonde werden möglichst rasch
Richtung Erde gefunkt. Hier will man kein Risiko eingehen. Sogar die Kamera bleibt
zunächst deaktiviert, um Galileos Kapazitäten voll auf die Sonde konzentrieren zu
können. Doch auch später ist bestenfalls mit der Übertragung von zwei oder drei
Bildern pro Tag zu rechnen. Der angeschlagene Roboter stellt die Geduld der
Wissenschafter also auf eine harte Probe.

Montag, 31. März 1997

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