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Der Mond schleudert immer wieder Meteorite auf die Erde

Ein unartiger Nachbar

Von Christian Pinter

Das Apollo-Programm, mit dem die USA 1969 den Wettlauf zum Erdtrabanten für sich entschieden, kostete 24 Milliarden US-Dollar. Als handfeste Trophäe sammelten zwölf Astronauten knapp 382 kg Mondgestein ein. Daraus ließe sich ein Grammpreis von 63.000 Dollar errechnen. Die Sowjetunion erbeutete ab 1970 nur 0,3 kg, überstellt von drei unbemannten Luna-Sonden. Nach Ende der Mondflüge entdeckte man einen anderen, billigeren "Spediteur" - die Natur selbst. Mitunter kommt Mondgestein ganz von allein auf die Erde. Ein Phänomen, mit dem bereits vor 200 Jahren spekuliert wurde.

Im 18. Jahrhundert tauchten immer wieder Erzählungen auf, wonach Steine, begleitet von heftigen Licht- und Schallerscheinungen, aus dem Himmel herab gestürzt wären. Gelehrte hielten das für Märchen, Aberglaube oder Einbildung. Nicht so der studierte Jurist Ernst Florens Chladni. 1794 untermauerte er

in einem wohldurchdachten Büchlein die tatsächliche Existenz

von Meteoritenfällen. Der Physiker

Georg Christoph Lichtenberg reagierte zunächst spöttisch: Ihm sei nach der Lektüre gewesen, als hätte ihn ein solcher Stein gerade selbst am Kopf getroffen. Doch später schloss er sich, wie viele andere Wissenschaftler auch, Ernst Chladnis Meinung an.

Chladni vermutete, dass die Meteorite aus dem Raum zwischen den Planeten kämen. Seine Zeitgenossen stellten sich diese Weiten jedoch völlig materiefrei vor. Deshalb machten sie lieber den Mond verantwortlich, betrachteten die Himmelsboten als Auswurfmaterial von "Mondvulkanen". Denn als Vulkane interpretierte man damals noch die abertausenden kreisrunden Krater auf dem Erdbegleiter. Der Mond sei ein unartiger Nachbar, resümierte Lichtenberg 1797, zumal er mit Steinen nach der Erde werfe.

Die so genannten "Lunaristen" (vgl. lat. Luna, Mond) hielten sich rund fünf Jahrzehnte lang, auch wenn ihre Vulkantheorie zunehmend angezweifelt wurde. Schließlich verlegten Forscher die Wiege der Meteorite korrekt in den Kleinplanetengürtel zwischen Mars und Jupiter. Vor rund 60 Jahren entlarvte man die Krater auf dem Mond zweifelsfrei als Einschlagsnarben, entstanden durch den Aufprall größerer Himmelskörper. "Mondvulkane" waren damit endgültig passee, "Mondmeteorite" sowieso.

Eisfelder

Mit diesem Wissen flogen die ersten Menschen zum Mond. Über dessen Geburt und Entwicklung konnten sie allerdings nur spekulieren. Erst die von ihnen zur Erde gebrachten Proben schafften Klarheit. In speziell errichteten Labors wurden Zusammensetzung und Alter der Mitbringsel untersucht. Weil die Entnahmestellen genau bekannt waren, verriet das Gestein auch die Geschichte unterschiedlicher Mondlandschaften. Dennoch stellte die NASA ihre Flüge bereits 1972, nach Apollo-17, wieder ein. Die allerletzten Proben reichte die russische Robotersonde Luna-24 vier Jahre später nach.

Mittlerweile hatten staatlich finanzierte Forscherteams aus Japan und den USA begonnen, die Eisfelder der Antarktis nach Meteoriten abzusuchen. Sie fuhren ansehnliche Ernten von hunderten Fundstücken pro Saison ein. Am 18. Jänner 1982 stieß man in der Allan-Hills-Region auf einen knapp 3 cm kleinen Stein, der sich von allen anderen Meteoriten unterschied. Vielmehr glich ALH 81005 in Struktur, Zusammensetzung und Isotopenhäufigkeit manchen Proben der verklungenen Mondflug-Ära! Scherzhaft bezeichnete man diese Antarktis-Expedition im Rückblick nun als "Apollo-18-Mission". Außerdem wurde die Ausbeute früherer Suchkampagnen nach ähnlichen Exoten durchsucht. Tatsächlich erwiesen sich drei 1979 bzw. 1981 in den Yamato-Mountains eingesammelte Meteorite ebenfalls als Mondgestein.

Zunächst blieben derartige Glücksfälle auf die Antarktis beschränkt. Doch 1991 musterte ein US-Händler zahlreiche Exemplare des Meteoritenschauers von Millbillillie in Westaustralien. Dabei fiel ihm ein 19 g leichtes Steinchen aus Calcalong Creek auf, das an Fotos von Apollo-Proben erinnerte. Dieser erste nicht antarktische Mondmeteorit erhielt 1997 Gesellschaft: DAG 262 aus Dar al Gani, Libyen, wog stattliche 0,5 kg. Mittlerweile gilt Oman als Eldorado privater Meteoritenjäger. Unter den vielen Funden aus der Dhofar-Region identifiziert man seit 1999 auch immer wieder lunare Exemplare.

Im Augenblick nennt die wissenschaftliche Literatur 50 Mondmeteorite mit einem Gesamtgewicht von knapp über 10 kg. Viele davon sind allerdings "gepaart", also Fragmente eines einst größeren Objekts, das beim Flug durch die Erdatmosphäre auseinander gebrochen ist. Lunare Meteorite bilden eine exquisite Randgruppe. Sie stellen nur rund ein Promille aller bekannten Himmelsboten. Ihre Analyse bestätigte und ergänzte die Untersuchungsergebnisse der Apollo- und Luna-Proben.

Die Titanin Theia

Heute weiß man: Der Mond ist ein Kind der Erde. Während tektonische Kräfte das Langzeitgedächtnis unseres Planeten gelöscht haben, erinnert er sich noch hervorragend an die turbulente Frühzeit des Sonnensystems. Dieses begann sich vor 4,6 Milliarden Jahren zu formen. In nur 30 Millionen Jahren erreichte die Erdkugel fast ihre heutige Dimension, mit einem metallischen Kern im Zentrum und einem siliziumreichen Mantel darum. Doch nun krachte ein etwa marsgroßer Himmelskörper in die junge Welt. Astronomen nennen ihn "Theia" - nach jener Titanin, von der Hesiod in seiner "Theogonie" erzählt, dass sie die griechische Mondgöttin Selene gebar.

Die verheerende Kollision sprengte Teile des eisenarmen Erdmantels ins All. Im Orbit ballten sich diese Trümmer mit jenen Theias zusammen, bildeten den Mond. Der Zerfall radioaktiver Isotope erhitzte den neuen Erdbegleiter. Viele

Millionen Jahre lang bestand sein Antlitz aus einem Ozean verflüssigten Gesteins. Die Oberfläche kühlte, an den kalten Weltraum grenzend, langsam aus. Dabei sanken die schweren Kristalle nach unten, die weniger dichten nach oben. Letztere formten vor über 4,4 Milliarden Jahren eine feste, mehrere Dutzend Kilometer dicke Kruste. Sie besteht vor allem aus Anorthosit. Dieses Gestein wird hauptsächlich vom Mineral Anorthit gebildet - ein heller Plagioklas-Mischkristall der Feldspatgruppe, chemisch betrachtet ein Kalzium-AluminiumSilikat.

Die "Mondmeere"

Allerdings musste die junge Haut Lunas arg leiden. "Bauschutt", bei der Planetenentstehung übrig geblieben, donnerte unentwegt auf den Mond herab. Jeder Impakt (vgl. lat. impingere, schlagen) hinterließ einen Krater. Bald war die Kruste damit gesättigt. Deshalb zerfallen die hellen Partien der Mondoberfläche beim Blick durch das kleine Fernrohr in Abertausende Einschlagskrater. Man taufte diese dominierenden, stark zerklüfteten Landschaften "Hochländer".

Tief unter der geplagten Mondkruste blieb das Mantelgestein zumindest stellenweise aufgeschmolzen. Entlang von Störzonen stieg das Magma hoch. Dort, wo besonders gewaltige Einschläge tiefe Becken geschlagen hatten, gelangte es an die Oberfläche. Speziell vor 3,9 bis 3,2 Milliarden Jahren ergoss es sich, kaum zäher als schweres Motoröl, über die Böden der Impaktbecken. Dort erstarrte es rasch. Schließlich war ein Sechstel des Mondes mit Basalt bedeckt - und das hunderte von Metern hoch. Schon mit freiem Auge lassen sich diese Tiefebenen, "Mondmeere" oder Maria (Plural von lat. mare, Meer) genannt, als dunkle Flecken erkennen. Der Mare-Basalt enthält dunklen Pyroxen, ein Magnesium-Eisen-Kalzium-Silikat, und Plagioklas. Weiters grünen Olivin, ein Magnesium-Eisen-Silikat, sowie Ilmenit, ein schwarz-braunes Eisen-Titanoxid. Eine Basaltprobe der Apollo-17-Mission ist im Naturhistorischen Museum in Wien ausgestellt.

Der Regolith

Wo immer die Astronauten auch landeten: Stets spazierten sie über eine meterdicke "Staubschicht", die wie feuchter Sand an ihren Schuhen klebte. Unzählige kleine und große Meteoritentreffer haben das lunare Oberflächengestein zertrümmert, aufgewirbelt, pulverisiert. So entstand der allgegenwärtige Regolith (vgl. griech. rhegos, bunte Decke, lithos, Stein). Zwischen seinen winzigen Körnern lagern Gesteinsfragmente unterschiedlicher Größe. Die Schockwelle eines neuerlichen Einschlags kann dieses lockere Gemisch "zusammenbacken" und wieder in solides Gestein verwandeln. Regolith-Brekzie entsteht. Typisch für die lunaren Hochländer ist die Feldspat- oder Anorthosit-Regolith-Brekzie. Viele der lunaren Meteorite, ALH 81005 inklusive, bestehen daraus. In ihrer feinkörnigen, dunkelgrauen Matrix erblickt man kantige Anorthosit-Fragmente.

Regolith-Brekzien aus den Mondmeeren beinhalten hingegen vor allem dunklen Mare-Basalt. Der Meteorit Dhofar 287 repräsentiert diesen Brekzientyp. Sogar Mischformen gibt es. Im antarktischen Meteoriten QUE 94281 fand man sowohl Anorthosit-Trümmer als auch Basaltfragmente. Vermutlich kam dieser Stein aus dem Grenzbereich zwischen einem Mare

und einem Hochland zu uns, gleichsam aus einer "maritimen Uferzone".

Der Aufprall eines Himmelskörpers erhitzt das getroffene Mondgestein enorm. Der Impakt kann Regolith verflüssigen. Wenn die Schmelze wieder erstarrt, wirkt das entstehende Glas wie "Klebstoff" zwischen den Gesteinstrümmern. Ein Beispiel für eine solche Impakt-Schmelzen-Brekzie ist der gut 1 kg schwere Meteorit NWA 482 aus Nordwestafrika.

Aus der flüssigen Schmelze können sich aber auch winzige Tröpfchen bilden. Die Wucht des Impakts jagt sie in hohem Tempo weg. Dabei erstarren sie zu Glaskügelchen, kleiner als ein Millimeter. Nach über 1.000 km Flug landen sie im Regolith. Ein Gramm Mondboden trägt deshalb oft die gläserne Erinnerung an hundert ferne Einschläge in sich.

Selbst größere Gesteinstrümmer werden im Normalfall noch mehrere Dutzend Kilometer weit fortgeschmettert. Ein heftiger Impakt ist sogar in der Lage, Brocken auf über 8.600 km/h zu beschleunigen. Diese Auswürfe überwinden das lunare Schwerefeld, "starten ins All". Ein Teil von ihnen verbleibt im Einflussbereich der irdischen Gravitation. Er geht verhältnismäßig rasch auf die Erde nieder. Andere Trümmer schwenken in eine Umlaufbahn um die Sonne ein. Einige werden nach langer Odyssee mit Venus, Mars oder unserem Planeten "kollidieren". Bisher wies man Reisezeiten zwischen 500.000 und 9 Millionen Jahren nach. Jedenfalls sind es derartige Impaktereignisse - und nicht etwa "Mondvulkane" -, die für den Transport von Mondmeteoriten zur Erde sorgen.

Natürliche Stichprobe

Hätte man sich angesichts der Existenz von lunaren Meteoriten die teuren Mondflüge vielleicht sogar ersparen können? Nein. Ohne die dort entnommenen Proben wäre die Identifikation der Mondmeteorite unsicher. Die insgesamt neun Landeplätze der Apollo- und Luna-Missionen lagen aus technischen Gründen zudem stets auf der erdzugewandten Mondseite und außerdem unweit des Mondäquators. Die dort aufgesammelten Steine sind somit nicht repräsentativ für die gesamte lunare Oberfläche.

Im Gegensatz dazu stammen die heute bekannten Mondmeteorite von etwa zwei Dutzend verschiedenen lunaren Lokalitäten - wohl auch von solchen, die für Raumfahrzeuge unerreichbar blieben. Mutter Natur zieht hier gleichsam eine Zufallsstichprobe. Wo genau die jeweiligen Abflugplätze lagen, entzieht sich leider unserer Kenntnis. Es hilft nichts, einfach nach besonders mächtigen Mondkratern zu suchen. Als "Starthilfe" reichen nämlich bereits Impakte, die Narben von wenigen Kilometer Durchmesser schlagen. Solche gibt es auf dem Mond Zigtausende.

Noch ein Unterschied existiert: Das mit Raumfahrzeugen angelieferte Mondmaterial ist nationales Eigentum, Meteoritenfunde aus der Antarktis stehen ausschließlich der Wissenschaft zur Verfügung. Allerdings werden kleine Proben der Himmelsboten aus Nordafrika und Oman auf internationalen Mineralienbörsen gehandelt. Trotz der

natürlichen und somit kostenlosen Zustellung zur Erde sind Mondmeteorite alles andere als billig.

Bei den letzten Münchner Mineralientagen Anfang November 2003 lag der Grammpreis selten unter 800 Euro.

Freitag, 14. November 2003

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