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Zum 50. Todestag des Astronomen Edwin P. Hubble

Rekordjäger im Nebelreich

Von Christian Pinter

Manche nennen ihn in einem Atemzug mit Kopernikus, Galilei, Kepler oder Newton, mit jenen Gelehrten also, die unser Weltbild grundlegend verändert haben. Andere gehen mit solchen Vergleichen etwas zurückhaltender um. Außer Streit steht aber, dass der vor 50 Jahren verstorbene Edwin Powell Hubble unseren Horizont um Größenordnungen erweitert hat. Nicht nur das Hubble-Weltraumteleskop, sondern auch fast ein Dutzend astronomischer Fachbegriffe erinnern an den US-Amerikaner - vom Hubble-Diagramm über das Hubble-Gesetz und die Hubble-Konstante bis hin zur Hubble-Zeit.

Ein Hochspringer

Sein Großvater James, Arzt in Marshfield, Missouri, holt Edwin am 20. November 1889 auf die Welt. Zu Edwins Kindheitserinnerungen zählen Jules Vernes Abenteuerroman "Von der Erde zum Mond" ebenso wie die totale Mondfinsternis vom Dezember 1899. Im Alter von zwölf Jahren beantwortet er die Fragen seines himmelskundlich interessierten Großvaters über den Planeten Mars schriftlich so gekonnt, dass dieser seinen Brief in einer Zeitung abdrucken lässt.

Lernen sieht man Edwin selten. Dennoch sind die Schulnoten ausgezeichnet. An der Universität Chicago lauscht er naturwissenschaftlichen Vorlesungen, interessiert sich besonders für Physik und Mathematik. Er glänzt überdies in sportlichen Disziplinen wie Boxen, Basketball, Schwimmen oder Leichtathletik. Edwin bricht sogar den Hochsprungrekord des Staates Illinois. Ein Stipendium verschafft ihm Zugang zur berühmten Universität im englischen Oxford. Dort studiert er auf Wunsch seines Vaters Jus. 1913 lässt sich Edwin in Louisville, Kentucky, nieder, wo er als Anwalt arbeiten soll.

Doch schon ein Jahr später kehrt er reumütig an die Universität Chicago zurück, schreibt sich in Astronomie ein. 1917 erhält er die Einladung, am Mount Wilson Observatorium zu arbeiten. Hier geht gerade ein neues Teleskop mit dem sensationellen Spiegeldurchmesser von 2,5 Metern in Betrieb. Es sammelt 170.000-mal mehr Licht als das menschliche Auge. Nach seinem Militäreinsatz in Frankreich übersiedelt Hubble 1919 nach Kalifornien.

Die Distanzen der Spiralnebel

Zunächst führt nur ein schmaler Fußweg von Pasadena auf den Mount Wilson. Maultiere schleppen die Ausrüstung zum 1.740 m hoch gelegenen Observatorium hinauf, angetrieben vom Schulabbrecher Milton Humason. Später wird Humason Hausmeister der Sternwarte. Technisches Geschick, Geduld und Feingefühl machen ihn zum begehrten Assistenten der Himmelsforscher. Sie müssen die Teleskope beim Fotografieren lichtschwacher Objekte stundenlang mit höchster Präzision dem Sternenhimmel nachführen. Bald steht Humason, 1919 offiziell zum Hilfsastronomen ernannt, auch Edwin Hubble zur Seite. Die beiden arbeiten am mächtigsten Teleskop der Welt.

In seiner Doktorarbeit hat sich Hubble mit der fotografischen Untersuchung schwacher Himmelsnebel befasst. Von ihnen kennt man Abertausende. Es ist jedoch umstritten, was die diffusen Flecken, die auf lang belichteten Aufnahmen oft Spiralarme zeigen, eigentlich darstellen sollen. Manche halten sie für Planetensysteme in Entstehung, klein und innerhalb der Milchstraße gelegen. Für sie existiert unsere Galaxis allein im Universum und beherbergt alle sichtbaren Sterne.

Andere erblicken hingegen auch in den Spiralnebeln Galaxien, vergleichbar mit der unseren. Jede soll Milliarden Sterne umfassen, aber Hunderttausende bis Millionen Lichtjahre entfernt sein. Unsere Milchstraße wäre demnach nur eine von vielen "Weltinseln" im Kosmos.

Keine der beiden Parteien kann den Wettstreit für sich entscheiden. Die Distanzen der Spiralnebel sind nämlich völlig unklar. Ließe sich dort wenigstens ein Stern mit bekannter Leuchtkraft ausmachen, wäre die Abstandsmessung kein Problem. Doch leider streuen die wahren Helligkeiten von Sternen sehr stark. Es ist, als würde man in stockdunkler Nacht absolut nichts erkennen - außer einem einzigen, bewegungslosen Lichtpunkt. Ohne zu wissen, ob er von einem Autoscheinwerfer, einer Kerze oder einem Glühwürmchen stammt, wäre seine Entfernung nicht abzuschätzen.

Zu denken geben die eigentümlichen Spektren, die Vesto Slipher ab 1912 in Flagstaff, Arizona, gewonnen hat. Da sie extrem lange Belichtungszeiten benötigten, richtete er das berühmte "Marsteleskop" seines Chefs Percival Lowell zunächst auf den hellsten aller Spiralnebel: M31, auch "Andromedanebel" genannt. Dessen Spektrum zeigt klare Linienverschiebung in Richtung Blau. Deutet man das als Dopplereffekt, hätten sich Slipher und M31 während der Aufnahme mit gut 1 Mill. km/h aufeinander zubewegen müssen. Andere Nebel zeigen ebenfalls verschobene Spektrallinien, meist jedoch gegen Rot. Sie eilen offenbar in hohem Tempo vom Betrachter fort.

Seit 1885 sieht man gelegentlich Lichtpunkte in Spiralnebeln auftauchen. Wochen später verschwinden sie wieder. Man nennt die flüchtigen Erscheinungen damals noch "Novae", obwohl es sich eigentlich um viel gewaltigere "Supernovae" handelt. Ihre wahre Leuchtkraft ist umstritten.

Dennoch durchmustert Hubble im Oktober 1923 den Andromedanebel nach solchen Objekten. Er findet drei Verdächtige. Um den Zeitpunkt ihres Aufleuchtens einzugrenzen, sucht er frühere Aufnahmen ab. Ein Pünktchen taucht seit 14 Jahren immer wieder auf. Das kann keine kurzlebige "Novae" sein. Vielmehr hat Hubble hier einen Stern aufgestöbert, der seine Helligkeit in regelmäßigem Abstand ändert. Es ist ein Cepheide!

Was sind Cepheiden?

Diese Sonnen sind nach dem Stern Delta Cephei benannt und äußerst interessant. Instabil geworden, blähen sie sich rhythmisch auf, um kurz danach wieder zu schrumpfen. Das führt zu charakteristischen Lichtschwankungen. Mehr noch: Wie man seit 1912 weiß, besteht ein fixer Zusammenhang zwischen der Periodenlänge eines Cepheiden und seiner Leuchtkraft. Je langsamer der Rhythmus, desto höher der Glanz. Diese Beziehung konnte an relativ nahen Cepheiden geeicht werden. Fazit: Diese Objekte strahlen um etliche 1.000-mal mehr Licht ab als Sterne vom Typ unserer Sonne. Sie sind deshalb über weite Räume hinweg sichtbar. Und ihre Distanz lässt sich gleichsam mit der Stoppuhr messen.

Cepheiden ermöglichten es bereits, die Ausmaße unserer Milchstraße abzustecken. Im Feber 1924 ermittelt Hubble die Lichtwechselperiode seines Cepheiden in M31 anhand neuer Aufnahmen. Er kommt auf 31,4 Tage. Somit kennt er die wahre Leuchtkraft des Sterns. Er vergleicht sie mit der scheinbaren Helligkeit auf der Fotoplatte und kalkuliert daraus einen Erdabstand von einer Million Lichtjahre. Cepheide und M31 liegen also weit außerhalb unserer Galaxis.

Am dunklen Nachthimmel erspäht man den Andromedanebel gerade noch mit freiem Auge. Das Fernglas zeigt einen recht ausgedehnten Lichtfleck. Beide Beobachtungen lassen sich angesichts der bekannten, enormen Distanz nicht erklären - es sei denn, man stellt sich M31 als sternreiches, riesiges Gebilde vor, ähnlich dimensioniert wie unsere Milchstraße. Weitere Cepheiden-Funde in anderen Spiralnebeln erhärten den Befund. Die rätselhaften Lichtflecke sind tatsächlich ferne Galaxien.

Damit degradiert Hubble unsere Galaxis zu einer von unzähligen Weltinseln im Universum. "Im Großen und Ganzen ist das Weltall leer", berichtet er später, "aber hier und da, getrennt durch riesige Zwischenräume, begegnen wir Sternsystemen, die dem unseren vergleichbar sind."

Mit dieser Erkenntnis gibt sich Hubble, mittlerweile verheiratet, nicht zufrieden. Gemeinsam mit Humason fotografiert er Galaxie um Galaxie, fahndet überall nach Cepheiden. Später verwendet das Forscherduo die so ermittelten Nebeldistanzen, um auch andere Entfernungsindikatoren - z. B. Supernovae - zu eichen. Hubble und Humason brechen dabei ihre eigenen Weitenrekorde immer wieder.

Hubble weiß, dass sich Galaxien gern zu Gruppen und Haufen zusammenschließen. So bildet unsere Milchstraße mit M31 und anderen Nebeln die "lokale Gruppe". Gegenseitige Anziehungskraft hält das Ensemble zusammen, lässt Gruppenmitglieder sogar aufeinander zutreiben. Das erklärt die anfangs verwirrende Blauverschiebung im Spektrum naher Galaxien. Im großen Maßstab betrachtet, eilen aber alle Nebel von uns fort. Denn Humasons Spektren zeigen bald nur noch Rotverschiebungen. Die Nebelflucht scheint immer rasanter zu werden, je weiter die beiden Forscher in den Kosmos vorstoßen. Dabei blicken sie, dank der endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts, auch in die Vergangenheit des Universums zurück. 1929 trägt Hubble Entfernungen und Rotverschiebungen in eine Grafik ein. Das Hubble-Diagramm macht anschaulich, was das Hubble-Gesetz mathematisch beschreibt: Das Tempo der Galaxien steigt proportional mit ihrer Entfernung. Fundamentale Größe ist die Hubble-Konstante. Sie gibt die Fluchtgeschwindigkeit in einer Distanz von einem Megaparsec an. Diese Einheit entspricht 3,26 Mill. Lichtjahren.

Es scheint, als weilten wir im Zentrum der auseinander schießenden Weltinseln. Doch diesen Eindruck hätten auch alle anderen Betrachter im Kosmos, unabhängig vom Standort. In Wahrheit zieht jeder Nebel von jedem fort, ähnlich Punkten auf einem Luftballon, den man aufbläst. Hubbles beobachtete Nebelflucht passt zu einer Theorie, die Alexander Friedmann 1922 vorgelegt hat: Das Universum expandiert.

Irgendwann muss die Fluchtbewegung ihren Ursprung genommen haben. Aus der ermittelten Expansionsgeschwindigkeit lässt sich dieser Zeitpunkt abschätzen, eine Obergrenze für das Alter des Kosmos festlegen. Das ist die so genannte "Hubble-Zeit". Zu diesem Ursprung selbst äußert sich Hubble aber nicht. Andere werden später über den Urknall diskutieren.

Zielstrebig und stark

1936 erscheint das populärwissenschaftliche Buch "The Realm of the Nebulae" (Deutsch, 1938: "Das Reich der Nebel"). Hubble nimmt sich darin stark zurück. Den so wichtigen Cepheiden-Fund im Andromedanebel beschreibt er geradezu kühl, ohne seine eigene Leistung auch nur zu erwähnen: "Einwandfrei wurde der erste extragalaktische Cepheide gegen Ende 1923 in M31 erkannt." Entdeckerstolz klingt hier nicht durch. Unter Kollegen gilt Hubble aber als überaus selbstbewusst, zielstrebig und stark. Persönliches hält er verborgen. Manche finden ihn reserviert. Sein elitär anmutender Oxford-Akzent irritiert zudem.

Humason schraubt die erfassten Fluchtgeschwindigkeiten in den nächsten Jahren immer höher, reizt das Riesenteleskop am Mount Wilson voll aus. Unter Hubbles Mitwirkung plant man den Bau eines neuen Goliaths, der noch mehr Licht sammeln soll. Das 5-Meter-Teleskop geht allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg am Mount Palomar in Betrieb.

Hubble stirbt am 28. September 1953. Den Beginn des Raumfahrtzeitalters erlebt er nicht mehr. Als er 1923 gerade "Novae" in M31 suchte, publizierte Hermann Oberth das Buch "Die Rakete zu den Planetenräumen". Der Deutsche träumte unter anderem von der Entsendung leistungsfähiger Fernrohre ins All.

1990 setzte die Raumfähre Discovery das Hubble Space Telescope (kurz: "HST") aus. Im Gedenken an Edwin Hubble ließ die NASA damals auch eines seiner Fernrohrokulare im Shuttle mitfliegen. Der Spiegeldurchmesser des HST erinnert mit 2,4 m an das von Hubble verwendete Instrument am Mt. Wilson. In 570 km Höhe bleibt es aber von den bildverschlechternden Auswirkungen der Erdatmosphäre verschont. Es blickt somit viel tiefer in den Raum, als dies seinem Namenspatron je möglich war. Im nunmehr überschaubaren Teil des Universums warten geschätzte zehn Millarden Galaxien auf Untersuchung.

Postume Nachbesserung

Die Leuchtkraft der Cepheiden musste mehrmals korrigiert werden. M31 ist zweieinhalb Mal so weit entfernt, als Hubble 1924 errechnete. Die Hubble-Konstante "schrumpfte" auf ein Siebentel des seinerzeit publizierten Werts. Sie wird jetzt mit 71 km/sec pro Megaparsec angegeben.

Der Kosmos dehnt sich also nicht so rasant aus, wie Hubble meinte. Gut so. Denn die Hubble-Zeit lieferte anfangs ein unmöglich junges Universum von bloß zwei Milliarden Jahren. Die ursprünglichsten Erdgesteine hätten da keinen Platz gefunden, von den ältesten Sternen ganz zu schweigen. Heute setzt man das Alter des Universums mit 13,7 Jahrmilliarden an, so dass sich solche Paradoxien auflösen.

Freitag, 19. September 2003

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