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Vor 250 Jahren regnete es Eisen über Kroatien

Protokoll über Meteoriten

Von Christian Pinter

Unerträgliche Hitze lässt den Domherren Balthasar Kercelic im Frühling 1751 von Zagreb nach Biskupecz bei Varazdin fliehen. Am Abend des 26. Mai erblickt er dort ein wolkenähnliches Phänomen am Himmel, das sich nach heftigem Lärm auflöst. Seine kroatischen Landsleute haben zuvor einen gleißenden Blitz gesehen. "Das ungebildete Volk vermeinte, der Himmel habe sich geöffnet", hält der Domherr fest.

Eine Gehstunde entfernt, in Hraschina, sind die Ereignisse noch viel dramatischer. Der 39-jährige Pfarrer Georg Marsich sieht "eine Art feurige Kugel", die sich knallend teilt und in Form zweier "ineinander verwickelter Ketten" vom Himmel fällt. Pfarrersknecht Michel Kolar hört ein Geräusch, "als wenn zahlreiche Wägen sich durch die Luft wälzten".

Dann fährt etwas in den Boden. Kolar fühlt sich an ein Erdbeben erinnert. Michel Koturnaß hat sein Feld vor einer Woche gepflügt. Jetzt klafft darin eine Spalte, "einen Ellbogen weit" und "drei Ellbogen tief". Man holt ein etwa "70 Pfund" schweres, seltsames Objekt heraus. Der 50-jährige Paul Prelok stößt auf eine zweite Vertiefung mit einer bescheideneren Masse darin.

Ungläubig blicken die Menschen zum Firmament hoch, wo vier Stunden lang ein eigentümlicher Streif von rauchähnlicher Farbe hängt. Der Wind biegt ihn nach und nach in Zickzackform. In Szigetvár, weit östlich von Hraschina, verewigen Männer die kurzlebige Erscheinung in sechs Zeichnungen - Blitz, feurige Kugel und das Auflösen der Rauchspur.

Wunderbarer Stahl

Das kleinere Fundstück von 16 Pfund Gewicht wird rasch zerteilt. Schmiede machen Nägel daraus. Einen solchen mustert auch Domherr Kercelic. Das Material ist "stahl-eisenartig und wunderbarer Weise sehr rein", notiert er und legt sich seine eigene Theorie zurecht: Die Sonne habe Eisen eines nahen erzreichen Bergs angezogen; es hätte sich in der Luft zusammengefügt und sei von der Schwerkraft überwältigt in Hraschina zu Boden gefallen. Alles in allem, resümiert er, "nicht ein Wunder, sondern eine ganz natürliche Sache".

Kroatien ist Teil Ungarns. Die Kunde von den Ereignissen gelangt über dessen Hauptstadt Pressburg nach Wien, wo Kaiserin Maria Theresia, gleichzeitig ungarische Königin, residiert. Ihr Gemahl Franz I. interessiert sich für Naturwissenschaft. Neugierig befiehlt er dem Agramer Bischof Freiherrn Clobuschiczky, das Eisen nach Wien zu senden. Der Bischof überträgt die Aufgabe Generalvikar Wolfgang Kukulyewich. Sieben Personen, entweder Augenzeugen des Falls oder an der Bergung beteiligt, werden am 2. Juli einvernommen.

Man beginnt mit Pfarrer Marsich, seinem Knecht Kolar und dem Besitzer des Ackers Koturnaß. Dann folgen vier Untertanen des Barons Troch, nämlich Paul, Johann und Susanna Prelok sowie Anna Szekovanich. Die Zeugen beeiden das Herabstürzen und die Authentizität der vorgelegten Eisenmassen. Die mächtigere ist "fast wie ein unregelmäßiges Dreieck gestaltet" und ähnelt "einem großen Schulterblatt", hält man in der Akte fest.

Überdies wären die "Zeichen am Himmel", die Zerteilung der Kugel, das Knallen und Krachen sowie das Faktum, dass "etwas Feuriges vom Himmel herabgefallen sei", von vielen Menschen in verschiedenen Regionen des Königreichs wahrgenommen worden.

Das Protokoll erhält das bischöfliche Siegel. Generalvikar Kukulyewich unterzeichnet es am 6. Juli 1751. Zusammen mit der rund 40 kg schweren Hauptmasse bringen es Beamte des Bischofs nach Wien.

Im Lauf der Jahrhunderte hat man oft von Dingen gehört, die angeblich herabgefallen sind: Blut wie 1618 in der Steiermark, roter oder schwarzer Regen, Menschenhaar, papierartige oder gallerteartige Substanzen, Schleim, Kröten, Milch, Fleisch, Wolle, Quecksilber, Geld, Schwefelklumpen und Steine.

Im Zeitalter der Aufklärung reagieren Gelehrte auf solche Erzählungen zunehmend reserviert; stammten sie doch von Laien, von Vertretern des zum Teil recht abergläubischen Volks. Nicht selten werden einschlägige Berichte samt mitgeschickter Materialproben weggeworfen. In Wien bewahrt man die Sendung aus Kroatien hingegen sorgsam auf.

Kaiser Franz I. ist Mitregent ohne politischen Einfluss. Als Großherzog der Toskana hat er 1748 die Naturaliensammlung des Florentiner Universalgelehrten Johann von Baillou gekauft. Sie gilt mit 30.000 Mineralien, Versteinerungen, Muscheln, Schnecken und botanischen Objekten als bedeutendste Europas. Nun dient sie der Erbauung des Kaisers und wird zusammen mit weiteren "Seltsamkeiten der Natur" und Geschenken verschiedener Könige in einem Saal des Augustiner-Trakts der Hofbibliothek untergebracht. Die Direktorenstelle sichert der Kaiser den Nachkommen Baillous zu.

Nach dem Tod von Franz I. überantwortet Maria Theresia die Privatsammlung dem Staat. Die Öffentlichkeit darf sie nun an zwei Tagen der Woche bestaunen. Dem Direktor Ludwig von Baillou wird Ignaz von Born als wissenschaftlicher Betreuer beigestellt. Born macht sich über das Fach mit der Aufschrift "Steine die vom Himmel gefallen" allerdings "nicht wenig lustig". Der Montanist und Mineraloge ist Mitherausgeber der in Leipzig erscheinenden "Bergbaukunde".

Der Wiener Andreas Stütz wird Direktor-Adjunkt. Eigentlich zum Priester ausgebildet, hat er nach Aufhebung seines Klosters Naturgeschichte und Geografie an der k. k. Real-Akademie unterrichtet. Als Ludwig Baillous Sohn auf das Direktorenerbe verzichtet, steigt Stütz sogar zum Leiter auf. Noch als Adjunkt schickt man ihm ein Stück "aschgrauen Sandsteins" zu, das laut Aussage eines Arbeiters am 19. Feber 1785 im bayerischen Eichstädt in den Schnee gestürzt sein soll. Stütz stellt es Borns Beschreibung eines anderen seltsamen Objekts aus dem böhmischen Tábor gegenüber, "vom dem die Leichtgläubigen versichern, es sei 1753 den 3. Juli unter Donnerschlägen vom Himmel gefallen".

Höhnisches Lächeln

Beide Erzählungen erinnern Stütz an die alte, seit fast vier Jahrzehnten archivierte Hraschina-Akte. Er studiert das mitgelieferte Eisenstück aus Kroatien erneut, "über dessen Entstehungsart schon mancher Mund sich in höhnisches Lächeln verzogen hat". Die Oberfläche ähnelt der eines anderen rätselhaften Eisens, das 1749 fern jeder Erzmine bei Krasnojarsk im südlichen Sibirien entdeckt wurde.

Die vier Objekte vergleichend, publiziert Stütz 1790 einen Aufsatz im 2. Band von Borns Bergbaukunde. Schon der Titel "Über einige vorgeblich vom Himmel gefallene Steine" verrät seine Skepsis. Für Stütz sind diese Proben, ihr anscheinender Sturz sowie die akustischen und optischen Begleitphänomene bloß Folgen von Blitzeinschlägen in den Erdboden.

Zu den Aussagen aus Eichstädt und Hraschina meint er: "Freilich, dass in beiden Fällen das Eisen vom Himmel gefallen sein soll, mögen der Naturgeschichte Unkundige glauben; aber in unsern Zeiten wäre es unverzeihlich, solche Märchen auch nur wahrscheinlich zu finden."

Stütz fügt dem Aufsatz erstmals eine deutsche Übersetzung des lateinischen Hraschina-Protokolls bei, holt es 39 Jahre nach der Niederschrift aus der Vergessenheit. Ironischerweise glaubt er, damit seine Blitzschlag-Hypothese untermauern zu können.

Doch es kommt ganz anders. 1756 in Wittenberg geboren, hat Ernst Florens Chladni zunächst in Rechtswissenschaft promoviert. Dann verdient er sich den Lebensunterhalt als Vortragender, spezialisiert auf Akustik. Die Vortragsreisen nützt er für intensive Literaturstudien in verschiedenen Bibliotheken. 1793 ermuntert ihn der Physiker Lichtenberg in Göttingen, sich mit Feuerkugeln zu befassen. Das sind Lichterscheinungen am Firmament, fast so flüchtig wie gewöhnliche Sternschnuppen, aber sehr viel heller. Chladnis Zeitgenossen betrachten sie als rein atmosphärisches Phänomen, als Entzündung brennbarer Luft, Irrlicht oder Wetterleuchten.

Chladni studiert Berichte über solche Feuerkugeln und stößt dabei auch auf den Aufsatz von Stütz. Juristisch vorgebildet, erkennt er die Bedeutung der darin abgedruckten, beeideten Aussagen: Die Zeugen müssen tatsächlich das Herabfallen von Eisenmassen mitangesehen haben. Chladni formuliert eine neue, gewagte Theorie.

Den Astronomen gilt der Raum zwischen den Planeten noch als weite, materienfreie Leere. Für Chladni gibt es dort hingegen reichlich Material. Es soll niemals einem großen Himmelskörper angehört haben oder aber Rest eines zerstörten Planeten sein. Chladnis Überzeugung nach trifft solche Materie mit hoher Geschwindigkeit auf die Erde; sie wird von der Lufthülle abgebremst, erhitzt, leuchtet dabei kurz als helle Feuerkugel auf und stürzt endlich zu Boden.

Der Deutsche betont die Ähnlichkeit der vier von Stütz beschriebenen Stücke und fügt dann weitere Schilderungen aus anderen Quellen hinzu. Er selbst hat aber noch keinen Meteoriten zu Gesicht bekommen: Als er Anfang 1794 in St. Petersburg vor Proben des Eisens aus Krasnojarsk steht, ist sein Manuskript wohl schon fertig; es erscheint nur wenige Wochen später. Chladni weiß, dass man es "lächerlich und abgeschmackt" finden könnte. Tatsächlich polarisiert seine kleine Schrift die Gelehrtenwelt jahrelang.

Erst als am 26. April 1803 mindestens 2.000 Steine auf das französische L'Aigle regnen, ist das Herabstürzen von Materie aus dem Himmel nicht mehr zu leugnen. Allerdings glauben manche Wissenschaftler an eine atmosphärische Entstehung, sprechen etwa von kondensierten Dämpfen der Metallverarbeitung. Jedenfalls hat man begonnen, die "Himmelssteine" ernst zu nehmen, sie intensiv zu studieren. Die Wiener Sammlung besitzt jetzt sieben. Zu Hraschina haben sich Krasnojarsk, Tabor, Eichstädt, Steinbach, sowie L'Aigle gesellt. Auch Mauerkirchen: Dort ist am 20. November 1768 ein 19 kg schwerer Stein heruntergekommen - da das Innviertel damals zu Bayern gehörte, gelangt nur ein Bruchstück nach Wien.

Bizarre Figuren

1806 übernimmt Carl von Schreibers die Leitung des Naturkundemuseums. Der Pressburger ist eigentlich Doktor der Medizin. Doch nach kurzer Praxiszeit bei seinem Onkel, einem Wiener Arzt, zieht es ihn fort. Bei ausgedehnten Reisen durch Europa pflegt er sein Interesse für Botanik, Mineralogie und Zoologie, besucht Museen und knüpft Kontakte zu prominenten Wissenschaftlern.

Diese nützt Direktor Schreibers nun, um die Erforschung der Meteorite voranzutreiben. Er freundet sich mit dem Leiter des kaiserlichen Fabriks-Produktenkabinetts Alois von Widmanstätten an. 1808 zeigt er ihm das Hraschina-Eisen. Der Grazer hält eine kleine, abgesägte und polierte Probe an die Flamme. Die Schnittfläche verfärbt sich violett. Dabei taucht schemenhaft ein Muster millimeterbreiter Lamellen auf. Aus einer Druckerfamilie stammend, kennt sich Widmanstätten mit Ätzverfahren aus, macht die bizarren Figuren mit Salpetersäure deutlich sichtbar. In irdischem Eisen gibt es sie nicht!

Um 1819 beherbergt das Mineralienkabinett bereits 27 Stein- und 9 Eisenmeteorite. Chladnis repräsentative Privatsammlung steht mit nunmehr 33 Exemplaren kaum zurück, wenngleich manche kaum größer als Erbsen sind. Damit reist der Deutsche nach Wien, um hier die Fertigstellung seines neuen Buchs "Über Feuermeteore und die mit denselben herabgefallenen Massen" zu überwachen.

Dann publiziert auch Schreibers, hält Widmanstättens Entdeckung endlich schriftlich fest. Dessen Figuren stellen sich bald als typisches Erkennungsmerkmal der meisten Eisenmeteorite heraus, tragen den Namen des Grazers in alle Welt. Widmanstätten bewahrt sein poliertes, forschungsgeschichtlich so wichtiges Plättchen des Hraschina-Eisens gut auf. Es kehrt später in die Meteoritensammlung zurück.

Auf Schreibers Wunsch haben die Meteorite einen eigenen Saal bekommen. Am 31. Oktober 1848 beschießen kaiserliche Truppen das aufständische Wien, setzen ausgerechnet den Dachstuhl der Hofburg in Brand. Schreibers mühsam zusammengetragene Bibliothek verbrennt. Das Mineralienkabinett bleibt verschont. So kann Wilhelm von Haidinger die gesamte Hraschina-Sendung nochmals studieren, 1859 eine neue Übersetzung des Protokolls in den Sitzungsberichten der Akademie der Wissenschaften vorstellen. Niemand zweifelt jetzt noch daran, dass solche Objekte tatsächlich aus dem Weltraum stammen.

Der Welt größte Meteoritenkollektion übersiedelt 1889 in das neue Naturhistorische Museum an der Wiener Ringstraße. Ein Jahrhundert später zählt sie mit 1.700 Objekten noch zu den vier reichsten. In einer Vitrine am Treppenabsatz findet sich der Hraschina-Meteorit samt den historischen Zeichnungen aus Szigetvár. Was einst als bloßes Märchen galt, ist Grundstock der wohl geschichtsträchtigsten Meteoritensammlung geworden.

Freitag, 18. Mai 2001

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