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15 Jahre nach der Halley-Armada: Neue Schweifsterne im Visier

Pechschwarze Schneebälle

Von Christian Pinter

Es war die Nacht des Kometen: 350 Wissenschaftler, darunter so prominente wie Jan Oort, Fred Whipple oder Carl Sagan, versammelten sich vor 15 Jahren im Operationszentrum der ESA in Darmstadt. Sie alle wollten den Höhepunkt der historischen Giotto-Mission miterleben. Die Raumsonde sollte am 14. März 1986 haarscharf am Kern des Kometen Halley vorbeirasen.

Giotto war Teil einer internationalen Armada. Sechs Schiffe passierten Halley innerhalb von 19 Tagen, wenngleich in unterschiedlichem Abstand. Die NASA dirigierte ihre alte Sonde ISEE 3 um und grüßte den Himmelsvagabunden aus 28 Mill. km Distanz. Die japanischen Roboter Sakigake und Suisei wagten sich 7 Mill. bzw. 151.000 km

heran; ihre sowjetischen Kollegen Vega 1 und Vega 2 gar bis auf 9.000 bzw. 8.000 km. Die Aufnahmen der beiden Vega-Sonden halfen den Europäern, Giotto auf noch respektloseren Kurs zu bringen.

Am 12. März erwachten seine Instrumente. Schon am folgenden Abend setzte der Beschuss mit Kometenstaub ein. Er traf mit unvorstellbaren 246.000 km/h auf den Schutzschild, der bald 120 Treffer pro Sekunde einstecken musste. Mit Körnern bis zu Erbsengröße sollte er fertig werden.

Der Weltraumroboter wandelte gleichsam auf den Spuren des Malers Giotto di Bondone. Dieser hatte Halley 1301 beobachtet und ihn als "Weihnachtsstern" in einem Fresko der Arenakapelle von Padua verewigt. Der Italiener schuf die erste wirklichkeitsnahe Darstellung eines Kometenschweifs. 685 Jahre später erwartete man von der gleichnamigen ESA-Sonde ein detailgetreues Bild des geheimnisvollen Kometenkerns.

Auf den Monitoren in Darmstadt und auf Millionen Fernsehschirmen baute sich alle vier Sekunden ein neues Bild von Halley auf. Es waren verwirrende Falschfarbendarstellungen mit stark verbeulten, konzentrischen Ringen in Violett, Blau, Grün, Weiß, Gelb, Orange und Rot. Kaum jemand wusste sie zu interpretieren. "Geldverschwendung" urteilte Premierministerin Margaret Thatcher in der Londoner Downing Street.

Die psychedelisch anmutenden Funkfotos erreichten die Erde am 14. März aus einer Distanz von 148 Mill. km und mit acht Minuten Verzögerung. Die Uhren in Darmstadt zeigten 1:02 MEZ. 33 Sekunden vor der geringsten Annäherung an den Kern meldete das erste Instrument Probleme. Dann ein zweites, drittes, viertes. Der Monitor blieb dunkel. Neun Sekunden später schoss der scheinbar verstummte Giotto in 596 km Abstand am Kometenkern vorbei. Ein 0,1 Gramm leichtes Staubpartikel hatte den Rand des Schilds getroffen. Des enormen Tempos wegen reichte seine Bewegungsenergie, um die fast zehn Millionen mal schwerere Sonde ins Taumeln zu bringen. Ihre Antenne verfehlte die Erde, Daten strahlten ins Leere.

Als die Sonne über Europa wieder aufgegangen war, rauften sich 600 Journalisten um die ersten bearbeiteten Bilder. Darauf war der Kern endlich klar zu erkennen. Die Abzüge wurden rasch zur Mangelware. Um dennoch welche zu ertrotzen, weigerten sich ein US-amerikanischer und ein Wiener Fachjournalist sogar, das ESA-Pressebüro zu verlassen.

Diese Fotos waren wirklich sensationell. Denn die optisch undurchdringlichen Staubwolken hatten bis 1986 nur Spekulationen über Form und Antlitz eines Kometenkerns erlaubt. Lange betrachteten ihn Astronomen überhaupt bloß als "Fahrgemeinschaft" loser Trümmer. Dem hielt der US-Amerikaner Fred Whipple 1950 das Modell eines "schmutzigen Schneeballs" entgegen. Für Whipple war der Kern ein einziges, festes Konglomerat aus Wassereis, gefrorenen Gasen, Felsbrocken und Staub.

Nach Meinung der meisten Wissenschaftler würde Halleys Kern daher grob 5 km klein sein, rundlich bis oval und eine Oberfläche hell wie verunreinigter Schnee besitzen. An der Sonnenseite sollte das kometare Eis großflächig verdampfen. Giotto präsentierte nun einen unregelmäßig geformten, etwas größeren Körper mit Abmessungen von 16 x 8 x 8 km. Dieser war pechschwarz und damit eines der dunkelsten Objekte im Sonnensystem. Seine Oberfläche entsprach mit rund 400 km² der Fläche Wiens. Ein Zehntel davon schien aktiv. Materie strömte nur an isolierten Stellen ins All - dort waren es aber gleich 30 bis 40 t pro Sekunde.

Der 79-jährige Fred Whipple freute sich. Im wesentlichen hatte Giotto sein Modell bestätigt. Seither boten mehrere Kometenerscheinungen Gelegenheit, unser Wissen über Schweifsterne zu erweitern. Sie zeigten aber auch, wie verschieden diese Himmelskörper sein können.

Metamorphosen

Was auf Erden vor allem in gasförmigem Zustand existiert, ist im Kometenkern seit Jahrmilliarden zu Eis erstarrt. Auf parabelnahen Ellipsen dahinziehend, gelangen diese Objekte nur für wenige Monate ins innere Planetensystem. Dort setzt die Sonne dramatische Prozesse in Gang. Ihre Wärme erzwingt eine spektakuläre Metamorphose.

Eingeschlossene Eispakete werden zu Gas. Anfangs sind es gefrorener Stickstoff, Kohlenmonoxid und Methan. Erst bei höheren Temperaturen ab 58° C folgt Wassereis. Das Gas dehnt sich aus, bahnt sich den Weg durch Spalten in der Kruste und schießt mit hohem Tempo in den Weltraum. Die Fontänen reißen Staub mit. Dessen Partikel sind meist kleiner als ein Tausendstel Millimeter. Sie bestehen aus Silikaten mit organischem Mantel und Eis. Giotto analysierte das Plasma jener Körnchen, die beim Aufprall auf sein Schutzschild verdampften, fand Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff. Auch Silizium, Magnesium, Schwefel, Natrium, Kalzium, Eisen oder Nickel wurden nachgewiesen.

Ein wenig Staub lagert sich an der Oberfläche des Kometen ab. Kohlenstoffteilchen kleben aneinander, bauen nach und nach die dunkle, isolierende Kruste auf. Der Großteil entflieht aber ins All. Die Anziehungskraft des Kerns ist bescheiden, erreicht kaum ein Zehntausendstel des irdischen Werts. Das ausströmende Material füllt daher rasch einen kugelförmigen, gut erdgroßen Raum aus. Erst diese Koma (griech., "Haar") lässt uns den Kometen wahrnehmen.

Doppelpack

In der äußersten Sonnenatmosphäre, der Korona, herrschen "höllische" Bedingungen. Bei Temperaturen um 2 Mill. Grad werden Elektronen von ihren Atomen fortgerissen. Ein Plasma entsteht. Jede Sekunde bläst der Stern davon 1 Mill. t ins All. Der Strom geladener Teilchen wird "Sonnenwind" genannt. Trifft er auf Kometen, nimmt er Gas und Staub aus der Koma mit, formt daraus Schweife.

Im Gasschweif regt energiereiche solare UV-Strahlung kometare Gasmoleküle zum Leuchten an. Sie werden auf Millionen km/h beschleunigt und fast kerzengerade vom Kern weggedrückt. Ein auf Erden künstlich erzeugtes Hochvakuum ist allerdings noch tausendmal dichter als das Gas des Kometenschweifs.

Im Staubschweif reflektieren Staubpartikel Sonnenlicht. Er ist ein kosmisches Massenspektrometer. Die kleinsten Teilchen werden am leichtesten erfasst und am schnellsten fortgedrückt. Man findet sie nahe der geradlinigeren Kante des Schweifs. Die größeren Teilchen sind träge und langsamer, konzentrieren sich in der Nähe des stärker gekrümmten Rands.

Noch schwerere, mit Durchmessern ab knapp unter 1 Millimeter verharren sogar im Kometenorbit. Rast die Erde hindurch, huschen sie als Sternschnuppen über unseren Himmel. Komet Swift-Tuttle sorgte im August 1993, Komet Tempel-Tuttle in Novembernächten der Jahre 1999 und 2000 für außergewöhnliche Sternschnuppenaktivität.

Die Krippe der Himmelsvagabunden war dunkel und frostig. Wie die Kleinplaneten zwischen Mars und Jupiter wurden sie vor 4,6 Milliarden Jahren geboren. Allerdings viel weiter draußen, wo flüchtigere Elemente zur Verfügung standen. Seit 50 Jahren glaubt man, aus den Bahnen der Schweifsterne auf die Existenz von zwei Kometenreservoirs schließen zu können.

Gerard Kuiper vermutete, dass sich einst Milliarden Kometenkerne hinter dem äußersten großen Planeten, dem Neptun, gebildet haben. Seit 1992 stößt man im Kuiper-Gürtel tatsächlich immer wieder auf Himmelskörper, deren Spektren gefrorenes Methan und Kohlenmonoxid verraten. Doch mit mehreren 100km Durchmesser sind diese Funde für Kometen irritierend groß.

Jan Oort schlug eine etwas nähere Entstehungszone vor. Sie lag im Bereich der Planeten Uranus und Neptun, die mit ihrer Schwerkraft die jungen Kerne jedoch bald an den äußersten Rand des Sonnensystems verbannten. Dort, in 0,7 Lichtjahren Distanz, liegt die Temperatur nur noch wenige Grad C über dem absoluten Nullpunkt; ein direkter Nachweis dieser Oortschen Kometenwolke ist schwierig und steht bislang aus.

Röntgenröhre

Beim Kometen Hale-Bopp gelang es, Spuren des flüchtigen Edelgases Argon im Spektrum auszumachen. Das noch flüchtigere Neon fehlte aber. Daraus lässt sich jene Temperatur abschätzen, die bei seiner Geburt geherrscht haben muss: Hale-Bopps Krippe stand tatsächlich zwischen Uranus und Neptun.

Von zwei Amateuren entdeckt, geriet er 1997 zum wahren "Jahrhundertkometen". Der ungewöhnlich mächtige Kern von vielleicht 40 km Durchmesser verlor pro Sekunde 1.000 t Staub und 130 t Wasserdampf. Dabei glänzte Hale-Bopp so kräftig, dass Kameras neben dem Gas- und dem Staubschweif erstmals sogar einen dritten, gelblichen Schweif festhielten. Er bestand aus Natriumatomen, die aus Staubpartikeln in der Koma entkommen sein dürften.

Ein Jahr zuvor war Komet Hyakutake in bloß 39-facher Monddistanz an der Erde vorbei gezogen. Er imponierte mit seinem Gasschweif, der sich über ein gutes Drittel des Firmaments spannte. Selbst die 500 Mill. km entfernte ESA-Sonde Ulysses zog noch hindurch. Damit besaß Hyakutake den längsten, jemals gemessenen Schweif, obwohl sein Kern nur 1 bis 3 km klein war.

Zur Verblüffung der Forscher erwies sich Hyakutake als himmlische "Röntgenröhre". Noch in der Gluthölle der Sonnenkorona hatten Sauerstoffatome ihre Elektronen verloren. Als sie später auf den Kometen trafen, glichen sie das Manko aus, bedienten sich in seiner Koma. Der Elektronenraub im All verriet sich durch unerwartet starke Röntgenstrahlung.

Knapp vor Hyakutakes Gastspiel hatte die ESA ihr Observatorium SOHO im All geparkt. Seither sendet es halbstündig aktualisierte Aufnahmen der Sonne zur Erde. Zunächst waren Astronomen überrascht, als immer wieder Kometen auf den Bildern der Korona auftauchten. Mittlerweile ist SOHO die erfolgreichste Kometensuchmaschine überhaupt. Da SOHO-Fotos sofort ins Internet gestellt werden, gelingen die meisten Funde Amateuren am Heimcomputer.

Bereits 1882 hatte man mitverfolgt, wie ein Komet nach Vorbeiflug an der Sonne in vier Bruchstücke zerfiel. Wie der Deutsche Heinrich Kreutz damals bemerkte, waren auch einige andere Schweifsterne auf ähnlicher Bahn unterwegs. Vor SOHO umfasste diese Kreutz-Gruppe neun bekannte Mitglieder. Heute spekuliert man mit zehntausenden Resten eines einst zerborstenen "Superkometen" von vielleicht 100 km Kerndurchmesser. Umlaufszeit: rund 800 Jahre. Vielleicht war es jener Komet, dessen Teilung der griechische Astronom Ephorus 372 v. Chr. beschrieb.

Ein böses Ende nahm Komet LINEAR im Sommer 2000. Noch bevor er hell glänzen konnte, löste sich ein mächtiges Stück ab. Dann wurde er immer verwaschener und blasser. Schließlich registrierte man nur noch ein Dutzend winziger Bruchstücke. Jenes Eis, das den Kern zusammenhalten sollte, hatte sich offenbar aufgelöst. Zerfall ist bei Kometen keine Seltenheit. Die Himmelsvagabunden sind mitunter höchst fragil.

Der Flug des Kometen Shoemaker-Levy-9 endete katastrophal. Von Jupiter eingefangen und in 21 Fragmente zerlegt, tauchten seine Bruchstücke ab 16. Juli 1994 mit 200.000 km/h in die Atmosphäre des Riesenplaneten ein: Explosionspilze stiegen Tausende Kilometer über die Wolkendecke auf. Selbst Amateurfernrohre zeigten die resultierenden, dunklen Flecke, die noch wochenlang an das Desaster erinnerten.

15 Jahre nach der legendären Halley-Armada stehen Kometen in der Liste begehrter Raumflugdestinationen wieder ganz oben.

Derzeit arbeitet die NASA an einer Flotte von Raumsonden, die verschiedene Schweifsterne zum Ziel haben. Bereits auf Kurs ist Deep Space 1. Ein revolutionäres Ionentriebwerk trägt sie im September 2001 am Kometen Borrelly vorbei. Ebenfalls schon gestartet ist Stardust. Sie soll im Jänner 2004 Staubteilchen des Kometen Wild 2 einfangen und 2006 zur Erde bringen.

CONTOUR macht sich im Juli 2002 auf eine Reise, die im November 2003 zu Encke, im Juni 2006 zu Schwassmann-Wachmann-3 und im August 2008 zum Kometen dArrest führt. Sechs Vorbeiflüge an der Erde schenken der Sonde den nötigen Schwung.

Im Jänner 2004 hebt Deep Impact ab. Am 4. Juli 2005 rammt sie ein 500 kg schweres Kupferprojektil mit 36.000 km/h in den Kometen Tempel. Der Aufprall reißt einen 120 m weiten und 25 m tiefen Krater in seine Kruste. Das Studium des hochgeworfenen Materials erlaubt dann gleichsam einen Blick ins Kometeninnere.

Die Europäer bereichern die neue Armada mit Rosetta. Sie bricht im Jänner 2003 auf und schwenkt 2011 in einen Orbit um Wirtanen ein. Ein nur 8 kg leichtes Rasterkraftmikroskop untersucht vor Ort Staubteilchen der Koma. Ein Lander steigt zur Oberfläche ab und macht dort fest. Anker und Mikroskop wurden in Österreich mitentwickelt.

Freitag, 23. März 2001

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