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Es dauerte Jahrhunderte, das Geheimnis des Nordlichts zu lüften

Leuchtfeuer im Sonnenwind

Von Christian Pinter

Diffuse Schleier, gespenstische Bögen, Bänder, die in Büschel aus feinsten Lichtsäulen zerbrechen, ja ganze Vorhänge farbiger Strahlen am nächtlichen Sternenhimmel: In arktischen Regionen ist das Nordlicht vertrauter Anblick. Es ging in die Mythen der Völker Sibiriens, der Sami in Lappland und der Inuit (früher "Eskimos" genannt) ein. In unseren Breiten taucht es sehr viel seltener auf. Aristoteles verglich es im 4. Jh. v. Chr. mit einer "Kluft" am Firmament und Seneca schien es, als wolle der Himmel verborgene Flammen ausspeien.

Galileo Galilei glaubte 1619, verdünnte, dunstbeladene Luft zu sehen, die in sehr großen Höhen Sonnenlicht reflektiere. Auf ihn geht der Name "Aurora borealis" (lat., "nördliche Morgenröte") zurück. Später erzählten Seeleute von ähnlichem Lichterspiel am Südhimmel, das man "Aurora australis" ("südliche Morgenröte") taufte. In der römischen Mythologie war Aurora eine anmutige Göttin, die auf ihrem zweispännigen Pferdewagen den Sonnenaufgang ankündigte. Wissenschaftler mühten sich jahrhundertelang ab, die Aurora zu entschleiern, unter teilweise abenteuerlichen Bedingungen.

Kompasszittern

Ein Hirte soll im 6. Jh. v. Chr. eine Eisenart gefunden haben, die anderes Eisen anzog. Er lebte angeblich nahe der Stadt Magnesia in Kleinasien, daher der Name "Magnet". Die Chinesen beobachteten im 2. Jh., wie sich frei bewegliche Magnete in Nord-Süd-Richtung drehten. Die Europäer nützten das eigentümliche Phänomen zur Entwicklung von Kompassen. Mit diesen Instrumenten navigierten Seeleute wie Kolumbus auf ihren Fahrten. Der englische Arzt William Gilbert studierte das Verhalten der Kompassnadel in der Nähe einer Kugel, die er aus Magnetit geformt hatte. Auch unsere Erde, so folgerte er 1600, sei ein riesiger Magnet.

Allerdings wich die Nadel von der wahren Nord-Süd-Richtung ab. Rotations- und Magnetpole der Erde waren offenbar nicht ident. Das Ausmaß des "Fehlers" hing vom Standort des Navigierenden ab. Seefahrer irritierte das. Als Leiter von Expeditionen nach Amerika, Afrika und Ostindien erforschte Edmond Halley das Problem. Er fertigte eine Weltkarte der magnetischen Missweisung an. Die Aurora bekam er erst mit 60 zu Gesicht, als sie am 17. März 1716 über weiten Teilen Europas erschien. Für den englischen Astronomen war Magnetismus ein subtiler Stoff, der nahe der Pole ein- bzw. austrat; unter bestimmten Umständen, so glaubte er, würde diese magnetische Ausdünstung als Nordlicht sichtbar.

Die Aurora von 1716 faszinierte auch den 15-jährigen Anders Celsius, dem wir die uns heute so vertraute Temperaturskala verdanken. Olof Hiorter heftete 1741 gemeinsam mit Celsius den Blick auf einen Kompass in Uppsala. Er wurde ein ganzes Jahr lang, Stunde um Stunde, abgelesen. Tauchten Nordlichter am Himmel auf, "zitterte" auch die Nadel - ein Phänomen, das der Weltreisende Alexander von Humboldt später "magnetischer Sturm" nannte.

1741 erschien posthum das Buch des norwegischen Kapitäns Johan Heitman. Er stellte die Aurora noch als Resultat aus Licht, Dampf und Frost der nördlichen Regionen vor. Ebenso falsche Schlüsse zog Pater Maximilian Hell. Der Leiter der Wiener Universitätssternwarte machte sich von 1767 bis 1770 zur kleinen Insel Vardö in der Barentssee auf. Im Schein des Nordlichts nahm er keine Bewegung der Kompassnadel wahr. So stellte der Jesuit im Anhang zu den Wiener Ephemeriden von 1777 seine eigene Aurora-Theorie vor. Darin bestand sie bloß aus gefrorenem Wasserdampf sowie reflektiertem und gebrochenem Licht von Sonne und Mond.

Der britische Chemiker Henry Cavendish beschrieb als erster sorgfältig den Wasserstoff. 1796 wandte er sich dem Polarlicht zu. Mit dem schon von Halley vorgeschlagenen Triangulationsverfahren wollte er die Höhe der Aurora über Grund bestimmen. Dazu mussten zwei Beobachter von weit entfernten Standpunkten aus ein bestimmtes, kurzlebiges Detail im Lichtschein anvisieren und dessen Lage vor dem Sternenhintergrund notieren. Doch vor Erfindung des Telegrafen blieb fraglich, ob sie dabei wirklich gleichzeitig die selbe Einzelheit angepeilt hatten. Daher zweifelte man zunächst Cavendishs Resultat (rund 100 km) an.

Feuerwerk

Schon zu Galileis Zeiten hatten Astronomen kleine, dunkle Flecke auf der Sonne beobachtet. 1843 schloss der Deutsche Samuel Schwabe nach 17-jährigem Studium auf ein rhythmisches Schwanken der Fleckenzahl. Sie erreichte, so präzisierte man, im Schnitt alle elf Jahre ein Maximum. Der in Dublin geborene Polarforscher Edward Sabine fand einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Flecke und den magnetischen Stürmen. Und der Schweizer Rudolf Wolf betonte 1852, dass Jahre mit vielen Sonnenflecken auch auffallend reich an Polarlichtern gewesen waren.

Der britische Astronom Richard Carrington erblickte am 1. September 1859 zwei weiße Lichtpunkte auf der Sonne, die Minuten später wieder verblassten. Carrington war zum ersten Mal Zeuge einer Sonneneruption, im Englischen "Flare" genannt, geworden. Ein außerordentlich wilder magnetischer Sturm folgte; die Aurora sah man sogar auf Kuba. Am 14. Juli 1872 stach die "Admiral Tegetthoff" von Tromsö aus in See. Die österreichische Nordpolexpedition wurde bald im Eis eingeschlossen und zu einer bis dahin unentdeckt gebliebenen Inselgruppe getrieben: dem Franz-Joseph-Land. Carl Weyprecht hatte zwei arktische Winter lang Zeit, das Nordlicht zu bewundern. "Die Natur führt uns ein Feuerwerk vor, wie es sich die kühnste Phantasie nicht herrlicher zu denken vermag", schrieb er. "Der ganze Himmel steht in Flammen."

Hermann Fritz analysierte Aurora-Berichte aus vielen Regionen. 1881 zog er gemäß ihrer Häufigkeit Linien über eine Karte der nördlichen Erdhalbkugel. Dabei wurde die Existenz einer ringförmigen Polarlichtzone deutlich, aus der besonders viele Meldungen stammten.

Sie umrundete den geomagnetischen Pol in grob 2500 km Distanz. Zu den begünstigten Orten zählte unter anderem Bossekop am Altafjord. Das kleine Küstendorf auf 70 Grad nördlicher Breite bestand nur aus wenigen Hütten. Dennoch sollte es zu einem legendären Zentrum der Aurora-Forschung werden.

Bereits 1838 hatte eine von Frankreich finanzierte Expedition auf dem Weg nach Spitzbergen hier eine kleine Gruppe von Männern zum Überwintern abgesetzt. Als man später ein internationales Netzwerk zum Studium arktischer Naturerscheinungen aufbauen wollte, verlegte man die norwegische Zentrale abermals nach Bossekop.

Der dänische Schullehrer Sophus Tromholt ließ sich ins etwas südlicher gelegene Kautokeino versetzen, wo er mit Unterstützung der Brauerei Carlsberg Nordlicht-Studien betrieb. Dazu koordinierte er ein Netz aus über 100 kleinen

Stationen. Mit Belichtungszeiten von 4 bis 7 Minuten versuchte Tromholt, die Aurora auf Fotoplatten zu bannen. 1885 gelang ihm dies wohl, wenngleich keine Kopie der Aufnahme existiert. Daher schrieb man die erste erfolgreiche Nordlicht-Fotografie dem deutschen Ingenieur Martin Brendel zu. Er hielt am 5. Jänner 1892 einen hellen Lichtervorhang über Bossekop fest.

Seit Jahrzehnten hatten Physiker versucht, elektrischen Strom "sichtbar" zu machen. Sie schickten ihn durch Vakuumröhren und betrachteten die resultierenden Leuchterscheinungen in extrem verdünnten Gas. Im Keller der Universität von Oslo blickte der Physiker Kristian Birkeland in einen leergepumpten Glaskasten, in dem eine magnetisierte Kugel hing. Beim Beschuss der Modellerde mit Elektronen bildeten sich leuchtende Ringe um die beiden Magnetpole aus. Die Aurora, so Birkeland 1896, entstünde durch Elektronen von der Sonne, die das Erdmagnetfeld zu den Magnetpolen hin lenken würde.

Auch wenn ein Schneesturm Birkeland beim ersten Erkundungsbesuch in Nordnorwegen fast umbrachte, wollte er das Himmelslicht mit einem eigenen Observatorium erforschen. In seinem Finanzierungsgesuch beschwor er die Rolle solcher Studien für das norwegische Selbstverständnis. Seine Heimat war im 14. Jh. dänische Provinz geworden, 1814 an Schweden gekommen. Drang nach Unabhängigkeit regte sich jetzt. Bei der Erkundung der Polarregionen und ihrer Phänomene erbrachten Norweger besondere Leistungen. Sie geriet zur Projektionsfläche nationaler Gefühle.

Mit Begeisterung verfolgte man 1888 Fridtjof Nansens Durchquerung von Grönland oder seine Driftfahrt mit der legendären "Fram". Sie führte ihn von Vardö zum Franz-Joseph-Land und weiter bis zum 86. Breitengrad. In dunkler Polarnacht hielt er die Aurora in atemberaubenden Schilderungen und Zeichnungen fest. Viele junge Norweger träumten davon, an solchen Abenteuern teilzuhaben.

Vielleicht im alten Irrglauben, die Aurora reiche bis fast zum Erdboden herunter, ließ Birkeland seine Station 1899 ausgerechnet auf dem 900 m hohen, sturmumtosten Berg Haldde bei Bossekop errichten. Dennoch hatte er anfangs keine Probleme, begeisterte Mitarbeiter zu finden. Im Winter 1902/03 erhielten die Männer Besuch von Roald Amundsen, der Informationen über magnetische Messungen sammeln wollte; 1911 sollte Amundsen als erster den Südpol erreichen. Birkelands Observatorium am Haldde wurde ausgebaut, doch die Arbeit blieb hart. Manchmal trauten sich die Forscher zwei Wochen lang nicht ins Freie.

In dicke Fellmäntel gehüllt blickten Birkeland und Carl Störmer auf die Bucht von Bossekop. Störmer belichtete 40.000 Platten. Außerdem investierte er 5.000 Arbeitsstunden in die genaue Berechnung der Elektronenbahnen im Erdmagnetfeld. Eine "Sklavenarbeit", wie er sich ausdrückte. Später sollten Wissenschaftler erkennen, wie diese Elektronen bestimmte Atome der irdischen Luft, in derart großen Höhen noch sehr schütter verteilt, zum Leuchten bringen.

Nach Birkelands Tod 1917 verlagerte man die Forschung immer mehr in die Stadt Tromsö. Das verlassene Observatorium auf dem Haldde wurde im 2. Weltkrieg, wie viele andere Gebäude, von der deutschen Wehrmacht niedergebrannt.

1951 schloss der deutsche Astrophysiker Ludwig Biermann aus dem Studium von Kometenschweifen auf die Existenz des Sonnenwinds, den die ersten Raumsonden dann tatsächlich nachwiesen. Er besteht aus elektrisch geladenen Teilchen, aus Protonen und Elektronen. Die Sonne bläst ihn ständig ins All - eine Millionen Tonnen Plasma pro Sekunde. Nach einer Reise von 4 bis 5 Tagen erreichen diese Partikel die Erde.

Sonden entdeckten außerdem eine gewaltige Blase rund um unseren Planeten, die von den Feldlinien des Erdmagnetfelds umspannt wird. Eingesickerte Teilchen sind darin gefangen. Der in Wien geborene, emigrierte Physiker Thomas Gold schenkte ihr 1959 den Namen "Magnetosphäre". Jetzt erst hatte man die wichtigsten Puzzle-Steine beisammen, um sich ein gutes Bild vom Entstehen der Aurora machen zu können.

Vorwarnung

Vor allem in Zeiten hoher Sonnenaktivität kommt es auf dem Stern zu ungemein heftigen Eruptionen. Dazu zählen auch die erwähnten Flares, bei denen Plasmawolken mit Geschwindigkeiten von 7 Mill. km/h ins All geschleudert werden. Die Teilchen treffen auf den gewöhnlichen Sonnenwind, verdichten und beschleunigen ihn. Zielt die Eruption Richtung Erde, wird es spannend.

Wie ein Stein im Fluss lenkt die Magnetosphäre die herandrängende Teilchenflut um uns herum. Das Erdmagnetfeld wird unruhig, ein magnetischer Sturm beginnt. Die Magnetosphären-Blase verformt sich; auf der Sonnenseite ist sie nun komprimiert, auf der Nachtseite wie ein Kometenschweif gestreckt. Dieser Magnetschweif reicht weit über die Mondbahn hinaus. Sein innerster Teil wird zusammengedrückt, gleichsam "ausgequetscht". Darin eingeschlossene Partikel schießen zurück zur Erde.

Elektrische Felder beschleunigen die Elektronen, Feldlinien lenken sie zu den polnahen Gebieten. Dort dringen sie in die Atmosphäre ein. Sie kollidieren mit Sauerstoffatomen, die sie in 500 bis 200 km Höhe zu rotem, darunter zu hellem, grünen Leuchten anregen. Besonders energiereiche Elektronen lassen 90 bis 70 km über Grund sogar Stickstoff rötlich strahlen.

Wie schon Tromholt ahnte, erspähen irdische Betrachter jeweils nur einen kleinen Ausschnitt des Naturwunders. Manche Satelliten überblicken es ganz, zeigen zwei weite, ovale Lichtringe, die sich um die geomagnetischen Pole legen. Nach starken Sonneneruptionen strahlen diese kräftig auf und werden breiter. Der Rand des nördlichen Rings schiebt sich dann Richtung Mitteleuropa. Dessen Bewohner sehen aber oft nur den höchsten, roten Abschnitt über den Horizont gucken.

Im Extremfall taucht das Lichterballett auch am Himmel Österreichs auf, wie am 6. und 7. April 2000. Das im All stationierte Sonnenobservatorium SOHO und mehrere Raumsonden schlugen Stunden vorher Alarm. Die Sonnenaktivität ist weiterhin hoch; die Chance auf ein neuerliches Gastspiel existiert.

Freitag, 09. März 2001

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