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Handys und Großstadtlicht behindern den Blick ins All

Funkfeuer am Himmel

Von Rainer Kayser

Für die Radioastronomen brechen harte Zeiten an: Seit 23. September läuft das Mobilfunksystem „Iridium" auf Testbetrieb. Ab 1. November beginnt der Vollbetrieb. Von 66 Satelliten aus wird
dann der gesamte Erdball unter permanentes Funkfeuer gelegt · und die hochempfindlichen Radioantennen der Himmelsforscher werden bei ihrer Suche nach fernen kosmischen Strahlungsquellen geblendet.

Über 5 Mrd. Dollar investiert ein vom amerikanischen Telekommunikationsgiganten Motorola geführtes Firmenkonsortium in das ambitionierte Iridium-Projekt. Es soll die Welt endgültig zum globalen Dorf
machen: Von jedem Punkt der Erde aus · ob grönländische Eiswüste, brasilianischer Regenwald oder das Wiener Stadtzentrum · ist dann per Handy ein Zugang zum weltumspannenden Kommunikationsnetz
möglich.

Seit Mai 1997 schießen Monat für Monat amerikanische Delta-, russische Proton- und chinesische „Langer Marsch"-Raketen die Iridium-Satelliten in ihre 792 km hohen Umlaufbahnen. In diesen Tagen nun
soll das System komplett sein, inklusive einer Reihe von Ersatzsatelliten.

Im Gegensatz zu bisherigen Satellitenfunksystemen werden bei Iridium die Gespräche nicht zentral über Bodenstationen geleitet, sondern von Satellit zu Satellit um den Globus herumgereicht. Zum Ärger
der Astronomen findet der Transport von Gesprächen und Daten in unmittelbarer Nachbarschaft einer für die Forscher wichtigen Frequenz statt, der „1612 Megahertz-Linie" des Wasserradikals OH, einem
der häufigsten Moleküle im Raum zwischen den Sternen. Atome und Moleküle in kosmischen Gaswolken senden nur bei ganz bestimmten Frequenzen Radiostrahlung aus. Die Astronomen müssen also genau bei
diesen Frequenzen beobachten und können nicht auf andere Bereiche des Spektrums ausweichen.

Die International Telecommunication Union (ITU) der Vereinten Nationen, welche die Regeln und Standards für die Nutzung von Radiofrequenzen festlegt, hat daher bereits 1959 einen · wenngleich
kleinen: ganze zwei Prozent! · Teil des Spektrums für die astronomische Forschung reserviert.

Das Problem: Die Astronomen wußten · und wissen · nicht im voraus, bei welchen Frequenzen sie interessante Entdeckungen machen. So wurde die 1612 Megahertz-Linie erstmalig 1963 beobachtet. Knapp
30 Jahre dauerte es dann, bis die ITU diesen Bereich für die Himmelsforschung schützte. Daß dieser Schutz nicht viel wert ist, mußten die Radioastronomen · nicht zum ersten Mal · erfahren, als das
Iridium-Konsortium vom amerikanischen Kommunikationswächter FCC das Recht erhielt, in unmittelbarer Nachbarschaft der OH-Linie, nämlich im Bereich 1621 bis 1626 Megahertz, zu senden.

Harte Verhandlungen

Nicht nur die Astronomen, auch die Iridium-Techniker gehen davon aus, daß die Satelliten erhebliche Streustrahlung in den „geschützten" Frequenzbereich hineinstrahlen werden. Doch die ITU-
Richtlinien verbieten lediglich „schädliche Störungen", ohne mit Grenzwerten zu spezifizieren, ab wann denn eine Störung schädlich ist.

Die Wissenschafter müssen ihre Interessen also selbst in Verhandlungen mit den Störern des himmlischen Frequenzfriedens vertreten. Und das ist alles andere als einfach, wenn die Freiheit der
Forschung mit Milliarden Dollar schweren kommerziellen Interessen kollidiert. So gelang es in fünf Jahre währenden Verhandlungen, den Iridium-Betreibern abzuringen, daß die größte Radioantenne der
Welt, das Arecibo-Teleskop in Puerto Rico, acht Stunden lang ungestört beobachten kann · nachts, wenn der Betrieb im Iridium-Netz voraussichtlich am niedrigsten ist.

Andere Radiosternwarten in den USA haben gar nur Schutzzeiten von vier Stunden aushandeln können. Klaus Ruf vom deutschen Radioobservatorium Effelsberg kritisiert, seine amerikanischen Kollegen
hätten sich „über den Tisch ziehen lassen". Damit haben die Amerikaner auch die Verhandlungsposition der europäischen Astronomen geschwächt. „Wir wurden natürlich gefragt: Wenn das den
amerikanischen Astronomen reicht, warum seid ihr dann so unverschämt und fordert mehr?", ärgert sich Ruf.

Letztlich gestand das Iridium-Konsortium den europäischen Forschern jedoch einen kompletten Schutz · mit festgelegten Grenzwerten · ab dem Jahr 2006 zu. Ruf ist mit diesem Ergebnis „zu 80 Prozent
zufrieden", denn bis Ende 2005 sei das OH-Frequenzband ohnehin noch durch eine Flotte russischer Navigationssatelliten (GLONASS) gestört. Diese 1982 gestarteten Kunstmonde sollten eigentlich in einem
10 Megahertz breiten Frequenzband senden · tatsächlich breiten sich ihre Signale jedoch über den zehnfachen Bereich aus! Erst zehn Jahre später, nach dem Zerfall der alten Sowjetunion, erklärte sich
Rußland dazu bereit, für Abhilfe zu sorgen und die Satelliten Stück für Stück auszutauschen.

Der Verteilungskampf um die Frequenzen ist mit der Einigung über Iridium freilich nicht beendet. Weitere Satellitennetze sind in Planung, dazu kommen hochfliegende Plattformen für den Internet-
Datenverkehr, Navigationssysteme und Anti-Kollisionsradar für Autos · immer neue kommerzielle Anwendungen drängen in das Radiospektrum. Und nicht nur die Radioastronomen, auch ihre im sichtbaren
Licht beobachtenden Kollegen sind von den Folgen der modernen Zivilisation betroffen. Die Sterne ertrinken förmlich im Lichtermeer der Städte, gegen Straßenbeleuchtung, Flutlichtanlagen und
Leuchtreklame haben sie kaum eine Chance. Der faszinierende Anblick des schimmerndes Bandes der Milchstraße bleibt einem Großstädter vorenthalten, die Sternbilder lernen viele Großstadtkinder
höchstens noch im Planetarium kennen.

Denn während sich unter guten Bedingungen einige tausend Sterne mit dem bloßen Auge erkennen lassen, sind es in städtischen Ballungsräumen oft gerade einmal ein Dutzend. Manche Kinder wollen dann
auch partout nicht glauben, daß die ihnen im Planetarium gebotene „Lightshow" eine naturgetreue Darstellung des Sternenhimmels ist.

Rettung der Dunkelheit

Während die professionellen Sternenforscher mit ihren teuren Instrumenten in Gegenden fernab der Zivilisation flüchten · etwa an die Europäische Südsternwarte in Chile ·, wird Hobbyastronomen
zusehends das Leben schwer gemacht. Doch seit einigen Jahren beginnt sich Widerstand gegen die exzessive Beleuchtung zu regen. Vor zehn Jahren gründete David Crawford von der Kitt-Peak-Sternwarte in
Arizona die International Dark-Sky Association (IDA), in der Amateur- und Profi-Astronomen gemeinsam mit Lichttechnikern und Architekten für die Rettung der nächtlichen Dunkelheit kämpfen.

In aller Welt sind in der Folge regionale Gruppierungen, wie etwa die Fachgruppe „Dark Sky der Vereinigung der Sternfreunde", entstanden, die sich bemühen, das Problem der „Lichtverschmutzung"
zunächst überhaupt einmal in das Bewußtsein der Menschen zu rücken. Denn mehr Licht bedeutet für die Menschen zumeist schlicht: mehr Sicherheit. Doch der Schein trügt: So wie heute beleuchtet wird,
geht das dem legitimen Sicherheitsbedürfnis der Bürger oft genug entgegen.

Statt dunkle Ecken auszuleuchten, geht ein Großteil des Lichts nach oben und beleuchtet den Himmel. Unangenehmer Nebeneffekt: Die Menschen werden geblendet · und sehen dadurch schlechter als bei
schwächerer, gut abgeschirmter Beleuchtung. Auch in der Straßenbeleuchtung bedeutet weniger oft mehr: Zuviel Beleuchtung, so belegen Studien aus den USA, wiegt Autofahrer in Sicherheit und verführt
zu schnellerem, risikofreudigerem Fahren.

In den USA haben dank der Lobbyarbeit der IDA zahlreiche Städte · vorneweg das nahe der Kitt Peak-Sternwarte gelegene Tucson · strikte Auflagen für Außenbeleuchtungen erlassen. Selbst Großstädte wie
Los Angeles und Denver sind dabei, ihre Straßenbeleuchtungen nach oben abzuschirmen.

In Deutschland hat der Umweltausschuß der Stadt Augsburg im letzten Jahr einen ganzen Maßnahmenkatalog zur Rettung des dunklen Nachthimmels verabschiedet: Bis zum Jahr 2005 soll die gesamte
Außenbeleuchtung der Stadt „himmelsfreundlich" sein.

Freitag, 30. Oktober 1998

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