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Knapp 100 Jahre nach H. G. Wells fiktiver Invasion durch
Marsmenschen holt die Erde zum Gegenschlag aus

Armada zum roten Planeten

Von Christian Pinter


1898 erschien Herbert George Wells Roman "Krieg der Welten". Darin überfielen
technisch überlegene Marsmenschen die Erde. Ihre Raumschiffe bohrten sich beim
harten Aufprall in den Boden. Ekelerregende Figuren krochen heraus, zwängten sich in
stählerne Maschinen, machten mit Feuerstrahlen und Giftgas die Bewohner Englands
nieder. Wells hatte die Greueltaten vor Augen, mit denen die Ureinwohner Tasmaniens
ausgerottet wurden. Er verglich die Gefühllosigkeit der Marsmenschen mit jener seiner
Landsleute, wenn sie das langsame Sterben mikroskopischer Lebewesen in einem
Regentropfen beobachteten.


Wells fiktive Invasion scheiterte. Der irdische Gegenschlag ist real. Eine ganze Flotte
von Raumschiffen macht sich zum Mars auf. Die ersten drei starten jetzt und werden
den roten Planeten 99 Jahre nach der Veröffentlichung des legendären Romans
erreichen.


Gullivers Reisen Daß H. G. Wells gerade Mars als Heimat der Aggressoren
ausgewählt hatte, war kein Zufall. Seit dem Altertum wurde das Gestirn wegen seines
rötlichen Glanzes mit Blut und Feuer gleichgesetzt und als Kriegsgott verehrt. Bei den
Griechen hieß es Ares, bei den Wikingern Tui, bei den Römern Mars.


Der Durchmesser des Mars ist etwa halb so groß wie jener der Erde. Obwohl
Nachbarplanet, zeigt er im Fernrohr nur ein relativ kleines Scheibchen. Ab dem 18.
Jahrhundert konnten Astronomen darauf zunehmend mehr Details ausmachen. Zunächst
erkannten sie helle Polkappen, die im Spiel der Jahreszeiten wuchsen und schrumpften.
Dann erinnerten gelblichrote Flächen an irdische Wüsten, dunkle Regionen an große
Seen oder Gebiete mit üppiger Vegetation. Spektroskopische Untersuchungen
verrieten Wasserdampf in der Marsatmosphäre. Die Luft schien dünn, die Oberfläche
kalt - doch alles in allem meinte man, eine erdähnliche Welt vor sich zu haben. Sogar
der Marstag dauerte nur eine halbe Stunde länger als sein irdisches Gegenstück.


Der rote Planet sorgte immer wieder für Überraschungen. 1726 hatte Jonathan Swift im
Roman "Gullivers Reisen" von zwei unentdeckt gebliebenen Marsmonden erzählt. Er
hielt sich dabei an Johannes Kepler, der den Planeten aus Gründen mathematischer
Harmonie mit zwei Begleitern ausgestattet sehen wollte: da die Erde einen, Jupiter aber
vier Monde besitzt, sollte der dazwischen kreisende Mars zwei Trabanten haben.
Tatsächlich stieß Asaph Hall 1877 auf zwei kleine Marsmonde. Er taufte sie nach den
Schlachtrössern des griechischen Kriegsgotts Phobos und Deimos ("Furcht" und
"Schrecken").


Marsfantasien Noch sehr viel mehr Aufsehen verursachte im gleichen Jahr der in
Mailand tätige Astronom Giovanni Schiaparelli. Er meinte, mehrere Tausende
Kilometer lange, schmale und schnurgerade Gräben auf dem Mars zu sehen und nannte
sie "canali". Später machte er parallele Doppelgräben aus, die sich nur schwer als
bloßes Spiel der Natur interpretieren ließen. Der Franzose Camille Flammarion
publizierte 1892 eine populäre Marsmonographie, in der er mit der Existenz einer alten,
weisen Marskultur spekulierte. Sie sei der Erbauer der Wasserkanäle und würde sich in
ferner Zukunft mit den Erdmenschen vereinen.


Der Bostoner Geschäftsmann Percival Lowell errichtete auf dem Marshügel in
Flagstaff, Arizona, ein eigens dem roten Planeten gewidmetes Observatorium. Es ging
1896 in Betrieb. Auch Lowell war überzeugt, Marskanäle im Fernrohr zu sehen. In
Vorträgen und Büchern träumte er von durstigen Wüstenbewohnern, die das Wasser
der Pole zum Äquator pumpten. An den Schnittpunkten der Wasserstraßen wähnte
Lowell Oasen und Riesenstädte.


Auch wenn die meisten Astronomen keine Kanäle ausmachen konnten: Schiaparellis
Schilderungen inspirierten Wells zu seinem "Krieg der Welten". Der Roman
begeisterte viele Zeitgenossen. Robert Goddard, der spätere US-Raketenpionier, las
ihn und träumte vom Bau einer Marsrakete. Der junge Orson Welles nahm das Werk
vier Jahrzehnte danach zur Vorlage für das gleichnamige, mittlerweile ebenso legendäre
Rundfunkhörspiel.


Im Oktober 1938 schürte die Aggressivität Deutschlands und Japans auch in den USA
Angst vor Krieg und Invasion. Orson Welles fiktiver Angriff vom Mars paßte in diese
Stimmung. Obwohl er die literarische Vorlage stark komprimieren mußte, sich
Ungereimtheiten einschlichen und auf den Hörspielcharakter hingewiesen wurde,
flüchteten Tausende Menschen aus den vermeintlichen Kampfgebieten. Von
geschätzten sechs Millionen Zuhörern glaubte jeder fünfte an die Niederlage der
US-Armee. In Romanen, Filmen und sogar einem Musical machte Mars seither
Dutzende Male gegen die Menschheit mobil.


Fossile Zeugen Schiaparelli und Lowell waren im Grenzbereich der menschlichen
Wahrnehmungsfähigkeit systematischen Irrtümern aufgesessen. Ihre Augen hatten nach
Stunden mühevoller Beobachtung Punkte zu Strichen verbunden. Beobachter an
leistungsfähigeren Teleskopen entlarvten die Marskanäle als bloße optische
Täuschungen.


Die nächste Ernüchterung kam 1965, als Raumsonden begannen, den Mars aus
nächster Nähe zu studieren. Sie zeigten ein trostloses, wüstenhaftes Terrain, das von
Einschlagskratern übersät ist. Man fand erloschene Vulkane mit bis zu 26.000 m Höhe,
Berge, Dünen und Canyons - aber keine Ozeane, Seen oder Flüsse, keine Gebiete mit
Vegetation. Einige der Formationen erinnerten an vor langer Zeit ausgetrocknete,
mächtige Flußläufe. Sogar einst umspülte, tränenförmig umrissene "Inseln" ließen sich
ausmachen. Daraus schloß man, daß es auf dem Wüstenplaneten einst Wasser gegeben
haben muß.


In irdischen Labors hat man zwölf Meteorite analysiert, die vom roten Planeten
stammen. Sie wurden beim Aufschlag kleiner Asteroide auf den Mars hochgewirbelt
und stürzten nach Millionen Jahre langem Flug zur Erde. Daß man hier tatsächlich
Marsmaterie in Händen hält, zeigen eingeschlossene Gasmoleküle. Das
Isotopenverhältnis bei Sauerstoff entspricht jenem, das Raumsonden in der
Marsatmosphäre gemessen hatten. Diese Meteorite beinhalten Mineralien, die sich nur
in Anwesenheit von Wasser bilden. Auch dies deutet auf eine wäßrige Vergangenheit
auf dem Mars hin.


Wie reichlich Wasser einst vorhanden war, ist umstritten. Manche Forscher glauben,
daß es vor Milliarden Jahren theoretisch ausgereicht hätte, den gesamten Planeten mit
einem gut 500 m tiefen Ozean zu bedecken. Andere sehen ein seichtes Marsmeer von
weniger als 4 mTiefe. Unter heutigen Bedingungen kann flüssiges Wasser an der
Marsoberfläche aber nur sekundenlang existieren. Wohin ist es also entschwunden?


Ein Teil ist sicher als Eis in den Polkappen gebunden, ein anderer läßt sich als
Wasserdampf in der Atmosphäre nachweisen. Doch das ist nicht genug.
Wissenschafter spekulieren, daß sich der Großteil des einstigen Wasserreichtums
unterhalb der Marsoberfläche befindet. Dort könnte er gefroren oder sogar in flüssiger
Form verborgen sein.


Als Wasser noch reichlich floß, muß die Atmosphäre dichter und wärmer gewesen sein.
Möglicherweise, so begannen Wissenschafter zu überlegen, existierten damals einfache
Lebensformen, die als Fossilien erhalten geblieben sind. Die toten Erinnerungen an eine
wirtlichere Epoche müßten Milliarden Jahre alt sein und könnten nur in extrem
erosionsbeständigem Gestein überdauert haben.


Inzwischen scheint der Mars den Forschern bei ihrer Suche "entgegengekommen" zu
sein. Wissenschafter fanden in einem der Marsmeteorite Spuren, die auf primitive
Einzeller hinweisen. Die fossilen Lebewesen scheinen 3,6 Milliarden Jahre alt und
winzig zu sein. Ein menschliches Haar ist mindestens 100mal dicker. Ein hieb- und
stichfester Beweis für ehemaliges Leben auf Mars steht allerdings noch aus.


"Independence Day" Die Geschichte des Marsflugs ist reich an Rückschlägen. Von
zwei Dutzend gestarteten Missionen erreichte mehr als die Hälfte ihr Ziel nicht oder
lieferte nur einen Bruchteil der ersehnten Daten. Wirkliche Erfolge liegen 20 Jahre
zurück.


Damals gingen zwei amerikanische Viking-Sonden weich auf dem roten Planeten nieder
und sandten Meßdaten und Bilder von seiner Oberfläche zur Erde. Sie zeigten einen mit
Felstrümmern übersäten, vom hohen Eisenanteil verfärbten Marsboden. Aufgewirbelter
Staub verleiht auch dem Himmel rötliche Tönung. Die Marsatmosphäre besteht fast zur
Gänze aus Kohlendioxid. Wasserdampf und Sauerstoff gibt es in Spuren. Der
"Luftdruck" erreicht aber nicht einmal 1 Prozent des irdischen Werts.


In Äquatornähe zeigt das Thermometer mittags gemütliche 20 Grad, nachts fällt die
Temperatur der dünnen Atmosphäre wegen jedoch auf minus 80 Grad Celsius ab. An
den Polen ist es noch kälter. Die weißen Polkappen bestehen vor allem aus gefrorenem
Kohlendioxid und schieben sich im Winter bis zum 55. Breitengrad vor - auf der Erde
entspräche das der geographischen Breite von Kopenhagen oder Moskau.


Alle 26 Monate steht der Mars der Erde vergleichsweise nahe. Zuvor tut sich ein
günstiges Startfenster auf, das mehrere Wochen geöffnet bleibt und Weltraumflüge mit
geringem Energieaufwand ermöglicht. Die


NASA wird über zehn Jahre hinweg jedes Fenster zum Abschuß von jeweils zwei
kleineren Marsrobotern nützen. Die Russen schließen sich zunächst mit je einer großen
Sonde an. Die europäische Raumfahrt möchte ab dem Jahr 2005 ebenfalls in die
Marserforschung einsteigen.


Noch heuer starten zwei amerikanische und ein russischer Weltraumroboter.
Pathfinder macht sich am 2. Dezember auf den Weg. Er erreicht den Mars am 4. Juli
1997 - dem amerikanischen Independence Day. Die US-Sonde läßt sich sofort in die
Marsatmosphäre hinab. Zunächst bremsen Fallschirme den Sturz, dann werden
Bremstriebwerke gezündet. Schließlich blasen sich Airbags auf, um den Aufprall zu
mildern. Ein dutzendmal werden sie den "Pfadfinder" wie einen Gummiball
hochschleudern. Dann ist die erste Sonde seit 1976 gelandet. Der kleine Marsrover
Sojourner kriecht heraus.


Er erinnert in seinen Dimensionen an ein Modellauto und brächte auf der Erde keine 12
kg auf die Waage. Dennoch kann das Spektrometer Gestein analysieren, dessen
oberste Schicht von Sojourners Rädern abgekratzt wurde. Mit dem Minirover hofft
man jene Erfahrungen zu gewinnen, die zum erfolgreichen Einsatz größerer
Marsfahrzeuge nötig sind.


Pathfinder behält den Rover stets im Blickfeld, sammelt meteorologische Daten und hält
jahreszeitliche Veränderungen im Landegebiet fest. Dieses liegt im gewaltigen Canyon
Ares Vallis. Hier soll einst ein mächtiger Strom Felstrümmer aus verschiedenen
Marsregionen abgelagert haben. Das erspart den Wissenschaftern gleichsam das
Zusammentragen von unterschiedlichen Gesteinen.


Am 6. November 1996 öffnet sich das Startfenster für den Mars Global Surveyor.
Die US-Sonde erreicht den Mars im September 1997 und läßt sich von den äußersten
Schichten seiner Atmosphäre in ein kreisförmiges Orbit einbremsen. Von Pol zu Pol
ziehend kartographiert sie die gesamte Marsoberfläche und erfaßt dabei Details in
Metergröße. Sie könnte theoretisch sogar die beiden alten Vikingsonden ausmachen.
Global Surveyor wird nach Gestein Ausschau halten, das alt genug scheint, um späteren
Missionen die gezielte Suche nach Fossilien zu erleichtern.


Die russische Riesensonde Mars '96 steigt am 16. November 1996 in den Himmel
über Kasachstan. Elf Monate später wird sie zwei Landeeinheiten absetzen. Ihnen
folgen zwei Penetratoren, deren nadelförmige Unterseite sich 6 m tief in den
Marsboden bohren soll. Dort werden Instrumente Gesteinsanalysen vornehmen. Die
äußerst harten Landemanöver sind freilich riskant.


Weitere Sonden treffen im Abstand von zwei Jahren ein. Der Aktionsradius der
Marsfahrzeuge wird dabei immer größer. Auch eine Landung in Polnähe ist geplant.
Um das Jahr 2005 hofft man bereits Maschinen zu besitzen, die Marsgestein zur Erde
bringen können. Beim Rückstart müßten sie die Anziehungskraft des roten Planeten
überwinden, die immerhin noch 38 Prozent des irdischen Werts erreicht. Etwa zehn
Jahre später wäre dann auch eine zweijährige bemannte Mission vorstellbar. Der
Aufenthalt der wohl internationalen Crew auf dem Mars könnte vier Wochen dauern.


Überlebenskünstler Nach den Ergebnissen der Viking-Sonden betrachtete man den
Nachbarplaneten zumeist als sterile Welt. Doch mittlerweile hat man auf der Erde
Lebewesen nachgewiesen, die selbst unwirtlichsten Bedingungen trotzen. Hartnäckige
Mikroorganismen fanden sich in unmittelbarer Nähe von Tiefseevulkanen. Im Vorjahr
entdeckte man Bakterien in irdischem Basalt, die ohne Sonnenlicht und Wärme
auskommen. Alles, was sie für ihre karge Diät brauchen, ist Fels und Wasser. Diese
Art Nahrung gibt es vermutlich auch unter der Oberfläche des Mars.


Dort könnte man nicht bloß nach fossilen, sondern auch nach lebendigen Organismen
forschen. Die Suche im Untergrund ist äußerst schwierig, doch an der Oberfläche selbst
stehen die Chancen für Überlebenskünstler wesentlich schlechter. Mars fehlt die uns
schützende Ozonschicht. Harte UV-Strahlung prasselt ungehindert auf sein Antlitz ein.


Bei H. G. Wells scheitert der Angriff der Marsmenschen letztlich an irdischen
Bakterien, gegen die die Invasoren keine Abwehrkräfte besitzen. 100 Jahre später ist
eine Verunreinigung des Mars mit eingeschleppten Keimen der Erde möglich.
Robotersonden stellen dabei ein geringeres Risiko dar als bemannte Flüge. Nach
erfolgter Kontaminierung wäre die Chance, auf dem Mars Leben in ursprünglicher
Form beobachten zu können, jedenfalls beeinträchtigt.


Einige Wissenschafter haben bereits vor diesem Problem gewarnt. Doch das hält die
Flotte nicht mehr auf. Der Mars ist von allen bekannten Himmelskörpern jener mit den
"erdähnlichsten" Bedingungen. Die Menschheit hat sich auf den Weg zum roten
Planeten gemacht und träumt bereits von einer Marskolonie in ferner Zukunft. Die
Vorhut der Armada rollt an die Startrampen.

Montag, 31. März 1997

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