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Leben auf dem Mars - Die Skepsis
steigt

Von Peter Markl

Wenn man den begleiteten Kommentaren der NASA Glauben schenkt, dann waren
alle die bombastischen Auftritte notwendig, weil die sensationelle Neuigkeit schon
durchgesickert war, bevor die Arbeit der Wissenschafter in der Zeitschrift "Science" -
so etwas wie ein Aushängeschild der amerikanischen Wissenschaft und darin ein
Gegenstück zur englischen "Nature" - veröffentlicht werden konnte. Jetzt aber kann
sich jedermann - unter anderem über das Internet - darüber informieren, was die
Wissenschafter in ihrer Arbeit wirklich untersucht haben und wie sie ihre Ergebnisse
deuten.


Sie haben in einem wahrscheinlich vom Mars stammenden Meteoriten drei Indizien
aufgespürt. Es handelt sich dabei - vereinfacht gesagt - um Abdrücke, die den Spuren
ähneln, die man von den ältesten Spuren des Lebens auf der Erde kennt; um
mikroskopische anorganische Ablagerungen, im wesentlichen Carbonate, in die winzige
Kristalle von Eisenoxid und Eisensulfid eingebettet sind, wie man sie auch auf der Erde
beobachtet, wenn Bakterien die chemische Zusammensetzung von Wasser so
verändern, daß Carbonate ausfallen sowie um polynukleare aromatische
Kohlenwasserstoffe.


Man hat diese Klasse von organischen Molekülen bereits in vielen Meteoriten gefunden
und weiß, daß sie in kalten chemischen Reaktionen auch im interstellaren Raum gebildet
werden oder bereits Verunreinigungen irdischen Ursprungs sind - schließlich entstehen
sie auch bei der Hochtemperaturverbrennung sehr vieler organischer Verbindungen,
etwa der Verbrennung von Kohlenwasserstoffen in Verbrennungsmotoren. Nun aber
sind sie erstmals in einem Mars-Meteoriten aufgespürt worden.


Die vorsichtigen Autoren weisen darauf hin, daß keines dieser Indizien für sich
genommen die Existenz von frühem Leben auf dem Mars beweist - es gibt für das
Zustandekommen jedes dieser Indizien Erklärungen, bei denen man ohne Leben
auskommt. Die Tatsache aber, daß sie in dem engen Raum eines einzigen Meteoriten
zusammentreffen, führte die Autoren zu dem Schluß, "daß sie Belege für primitives
Leben am frühen Mars sind".


David McKay, der Leiter des amerikanischen Teams, war in seinen Kommentaren
noch weniger mißverständlich: "Wir behaupten ja nicht, daß wir am Mars Leben
gefunden haben", sagte er, "wir sagen nur, daß wir eine Menge von Indizien in
diese Richtung aufgespürt haben und wir finden, daß sie - zusammengenommen -
am vernünftigsten dadurch erklärt werden können. Wir sind sehr dafür, daß sich
auch andere Leute den Meteoriten ansehen und andere Interpretationen
vorschlagen."


Für Daniel Goldin, den Direktor der NASA, scheinen das allerdings eher kleinliche
Kautelen gewesen zu sein. "Dieser Tag", so brach es aus ihm hervor, "geht
möglicherweise in die Geschichte der amerikanischen Wissenschaft, des
amerikanischen Volkes und der Menschheit ein. Wir stehen jetzt an der Schwelle
zum Himmel. Was für eine Zeit zu leben!"


Kleinarbeit

Diese Jubelarien müssen sich besonders in den Ohren von Jim Papike und
Chip Shearer, Meteoritenspezialisten an der Universität von New Mexico, befremdlich
ausgenommen haben. Sie hatten sich nämlich erst vor kurzem den gleichen Mars
Meteoriten "ALH84001" vorgenommen und mit ihrer Methode keine Spuren
außerirdischen Lebens entdeckt. (Ihre Arbeit soll demnächst in der geochemischen
Fachzeitschrift "Geochimica and Cosmochimica Acta" veröffentlicht werden.) Sie
hatten die Isotopenzusammensetzung des Schwefels in dem Eisensulfid-Mineral
bestimmt, das man in den Rissen des Meteoriten abgelagert findet. Was sie fanden,
entsprach genau dem, was man auf Grund einer anorganischen Ablagerung erwartet.


Dasselbe Resultat fanden auch Monica Grady und ihre Kollegen von Natural History
Museum in London bei ihrer Untersuchung der Isotopenzusammensetzung der
Kohlenstoffatome in den Carbonat-Ablagerungen dieses Meteoriten - sie unterscheidet
sich kaum von der Zusammensetzung der Kohlenstoffatome in der Mars-Atmosphäre.


Das kommt für Ralph Harvey und Harry McSween nicht weiter überraschend, denn
dieses amerikanische Team hatte bereits vor einem Monat in der englischen "Nature"
eine Arbeit veröffentlicht, die ganz gut erklären könnte, wie es zu den
Carbonat-Ablagerungen - auch ohne jedes Lebewesen - gekommen sein könnte: Sie
können sich vorstellen, daß ein Asteroid auf dem Mars aufgeschlagen hat und dabei
den Meteoriten aus dem Gravitationsfeld des Mars hinausschleuderte. Der Aufschlag
könnte eine heiße, viel kohlendioxidhaltige wässerige Phase erzeugt haben, die sich
dann beim weiteren Flug durch den Weltraum verflüchtigte und die Ablagerungen
hinterließ.


Umweltverschmutzung?


Auf der anderen Seite aber kam des englische Team vom
Natural Science Museum zu einem anderen Bild, als es die Isotopenzusammensetzung
des Kohlendioxids untersuchte, das aus dem Meteoriten entweicht, wenn man ihn in
einem Sauerstoffstrom erhitzt: Das dabei entstehende Kohlendioxid stammt eindeutig
aus einer organischen Substanz, die reich an dem Kohlenstoff-Isotop C-12 ist und
damit von lebender Materie synthetisiert wurde.


Die Frage ist nur, woher diese organische Materie stammte. Den Meteoriten-Experten
ist nur zu gut der Flop in Erinnerung, der einigen Kollegen in den frühen sechziger
Jahren unterlief, als sie 1961 den Orgueil-Meteoriten analysierten, der 1864 in
Frankreich aufgeschlagen war. (Er war damals sogar von Pasteur untersucht worden.)


"Wir glauben", so schrieb 1961 die "New York Times", daß es dort, wo dieser
Meteorit herkommt, Leben gibt - wo auch immer das sein mag", und sie berief sich
damals auf die begeisterten Experten, die dabei komplexe organische Verbindungen
sowie den Abdruck "fossiler Lebensformen" gefunden haben wollten.


Für sie schien spätestens dann alles klar, als sie durch eine Farbreaktion DNS, die
Moleküle des Erbmaterials, nachgewiesen zu haben glaubten. 14 Jahre später hatte sich
der Test als trügerisch, die Abdrücke anderer Lebensformen als Tröpfchen
unterkühlten Schwefels oder Pollenstaub und die organischen Verbindungen als
Produkte chemischer Reaktionen herausgestellt, welche die Energie der kosmischen
Strahlung sogar im Weltraum möglich macht.


Das NASA-Team war sich natürlich der Gefahr der Verunreinigung ihrer Proben durch
irdisches Material durchaus bewußt und hat sie durch aufwendige Vorsichtsmaßnahmen
zu verhindern versucht. Außerdem fand man die Moleküle polynuklearer aromatischer
Kohlenwasserstoffe im Inneren der Risse, die den Meteoriten durchziehen, in höherer
Konzentration als an den exponierteren Teilen und das ist nach Ansicht von Richard
Zare, des Chemikers im NASA-Team, doch ein Indiz dafür, daß sie nicht von außen
eingeschleppt wurden - zum Beispiel während der 13.000 Jahre, die der Meteorit im
Eis der Antarktis lag.


Die Zweifel der Kritiker hat das Argument nicht beseitigen können. Robert Gregory,
Geochemiker an der Universität Chicago, weist darauf hin, daß die Antarktis nun
einmal kein steriles Labor sei und man schließlich die Spuren überall vorkommender
Moleküle - DDT eingeschlossen - auch in der Antarktis finde. Der Meteorit sei
überdies schwarz, erwärme sich daher mehr als der verunreinigte Schnee in der
Umgebung und da könnte geschmolzener Schnee Polyaromaten ganz gut in das Innere
der Risse transportiert haben. Auch daß die Konzentration dieser Verbindungen an den
exponierten Außenstellen kleiner sei als im Inneren, überrascht nicht: Polyaromaten
werden nun einmal von UV Licht zerstört und das hatte eben auch 13.000 Jahre Zeit,
seine Wirkung zu entfalten.


Altersbestimmung


Nicht genug damit: Es gibt auch Altersprobleme. Radioaktive
Altersbestimmung hatte gezeigt, daß die Hauptmasse des Meteoriten vor etwa 4,5
Milliarden Jahren - und damit nur 100 Millionen Jahre nachdem sich der Planet geformt
hatte - aus einer Lavamasse erstarrte. (Niemand hat bisher eine ältere Gesteinsprobe
von einem Planeten in die Hand bekommen.)


Etwa 1 Milliarde Jahre später schlug ein Meteorit auf dieses Gestein auf und schuf
dabei jene Risse, in denen man nun die Spuren von frühem Leben aufgespürt haben will
- Leben, das damit an die 3,6 Milliarden Jahre alt ist.


Erst sehr viel später hat dann ein weiterer Meteorit den Gesteinsbrocken in den
Weltraum katapultiert. Die Analyse der während dieser Zeit durch Höhenstrahlung
erzeugten Radionuklide zeigt, daß die Wanderung durch den Weltraum an die 16
Millionen Jahre gedauert haben muß, bevor der Meteorit vor 13.000 Jahren in der
Antarktis aufschlug.


Dieses Alter von 3,6 Milliarden Jahren will ein Team am Field Museum in Chikago
nicht "kaufen": Sie haben mit der Strontium-Rubidium - Methode das Alter der
Carbonat-Ablagerungen im Meteoriten mit nur 1,3 Milliarden Jahren datiert, auf 100
Millionen Jahre auf oder ab kommt es dabei nicht so an. Wenn dieses Alter stimmt,
dann können die Spuren der Lebewesen auch nicht älter sein.


Das aber stünde im Widerspruch zur Deutung des NASA-Teams: Für diese Deutung
ist es entscheidend, daß die eisenhaltigen Kristalle, welche sie als Folgeprodukte des
Lebens ansehen, in dieses Carbonat eingebettet sind, sodaß man vermuten kann, daß
auch sie nicht erst nach dem Einschlag auf der Erde entstanden sind. In dieses Carbonat
eingeprägt finden sich auch jene kleinen, irdischen Bakterien entfernt ähnelnden
Abdrücke, welche der direkteste Hinweis auf Leben sein könnten.


Deutungen Diese Spuren sind aber der vielleicht wundeste Punkt in dem ganzen
Geflecht von Vermutungen. Sie sind sicher nicht einfach Pollenstaub - wie sich
peinlicherweise bei einem Teil der "Spuren früheren Lebens" im Orgueil-Meteoriten
herausgestellt hatte, aber den Experten für Mikrofossilien scheinen sie doch sehr
verdächtig: Sie sind nur 20 bis 100 Nanometer lang und damit 100 Mal so klein, wie
die kleinsten fossilen Bakterien, die man je zu Gesicht bekommen hat.


William Schopf, welterste Autorität auf dem Gebiet von Mikrofossilien, weist darauf
hin, daß diese "Bakterien" so klein sind, daß man sich schon schwer vorstellen kann,
wie man auch nur die Riesenmoleküle des Erbmaterials darin unterbringen kann. Er hat
für sich jedenfalls ein Kriterium für Mikrofossilien aufgestellt: Solange man diese
Bakterien nicht irgendwo während einer Zellteilung sehen und innere Strukturen
erkennen kann, bleibt er skeptisch. Wie das Beispiel des Orgueil-Meteoriten zeigt,
werfen solche Deutungen ihrerseits so viele Fragen auf, daß es leicht ein Jahrzehnt
dauern kann, bevor die vernünftigen Skeptiker überzeugt sind.


Bis dahin besteht große Gefahr, daß die wilden Ideen, welche die Saure~gurkenzeit so
angenehm und für die NASA reputationsfördernd aufgelockert haben, kleinlichen
Fakten zum Opfer fallen.

Montag, 31. März 1997

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