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Vor 20 mal 20 Jahren war die letzte Supernova zu sehen

Explosiver Sternentod

Von Christian Pinter

Prag, im Sommer 1604: Jupiter und Saturn ziehen gemeinsam durch das Sternbild "Schlangenträger". Im September gesellt sich Mars hinzu. Ein auffälliges Lichterdreieck beherrscht nun den Abendhimmel. Damit nicht genug, soll am 9. Oktober zudem ein völlig neuer Stern am Ort des Planetenzusammentreffens erschienen sein.

Rasch erreicht die Kunde Johannes Kepler, der als Kaiserlicher Mathematiker in Prag wirkt. Doch der Himmel über der Moldau ist bedeckt. Tycho Brahe, Keplers 1601 verstorbener Vorgänger, erzählte oft von einer ähnlichen Erscheinung. Der dänische Adelige hatte am 11. November 1572 während eines Abendspaziergangs nahe Helsingborg zur Cassiopeia aufgeschaut. Die alten Griechen sahen in diesem Sternbild die eitle Gattin eines äthiopischen Königs. Nun prangte an ihrem Thron ein unbekanntes, gleißendes Gestirn. Diesen Anblick durfte es aber eigentlich gar nicht geben. Vor knapp zwei Jahrtausenden hatte der Philosoph Aristoteles die Welt der Fixsterne eine "vollkommene" genannt, und das hieß auch: eine unveränderliche. Vergängliche Erscheinungen wie Kometen wurden dem Zuständigkeitsbereich der Meteorologie überantwortet. Sie durften bloß im Raum zwischen der Erde und dem nahen Mond existieren, denn so weit reichte nach damaligem Glauben der Einfluss der irdischen Elemente.

"De nova stella"

Doch einem Kometen glich der neue Lichtpunkt, der bald sogar die Venus an Glanz übertraf, ganz und gar nicht. Umso dramatischer störte er die "kosmische Ordnung". Miseren schienen unausweichlich. Flugblätter prophezeiten den baldigen Ausbruch der Pest. Die Zeit war gleichsam "aus den Fugen" geraten.

Tycho vermaß den Winkelabstand zwischen dem Neuling und den vertrauten Sternen; abends, zu Mitternacht und morgens. Ein erdnahes Objekt hätte dabei, ähnlich wie der Mond, perspektivisch bedingte Ortsverschiebungen zeigen müssen. Dieses Gestirn tat das aber nicht. Es musste sich also weit hinter der Mondbahn befinden. Hatte es sich vielleicht aus jener nebelhaft anmutenden Materie zusammengeballt, die, wie man damals glaubte, das zarte Band der Milchstraße formte?

Tycho publizierte seine Beobachtungen im Buch "De nova stella" ("Über den neuen Stern"). In Folge bürgerte sich der Name "Nova" für das wundersame Gestirn ein (lat. "die Neue"; Sterne sind im Lateinischen weiblich). Doch schon begann es zu verblassen. Und im Frühling 1574, nach 18 Monaten Sichtbarkeit, verschwand es. Trotzdem zeichnete Johannes Bayer die "Nova" noch 1603 überaus prominent in seinen Himmelsatlas "Uranometria" ein. Auch jenes Gestirn, das am Beginn von Shakespeares "Hamlet" über Helsingör erstrahlt, dürfte Tychos Stern zum Vorbild gehabt haben.

Mitte Oktober 1604 reißt die Wolkendecke über Prag auf. Jetzt hat Kepler die Chance, ein ähnliches Mirakel wie einst Tycho zu erleben. Er blickt empor zum Schlangenträger, jenem Bild, das seit der Antike mit Äskulap, dem Gott der Heilkunst verbunden ist. Kepler sieht Mars, Jupiter und Saturn - und ein Gestirn, das alle drei an Strahlkraft übertrifft. Dieses funkelt allerdings auch heftiger. Punktförmig und daher "den Fixsternen vollkommen ähnlich", wirkt es auf Kepler "gegen Untergang wie eine Fackel, in welche der Wind weht".

Und wieder kursieren Pamphlete, die Furcht und Schrecken verbreiten. Der Kaiserliche Mathematiker hält sie für "Gewäsch". Der merkwürdige Himmelskörper könnte aus den Lichtstrahlen der einander begegnenden Planeten entstanden sein, spekuliert er. Außerdem drängen sich Parallelen zum Stern von Bethlehem auf, der im Matthäus-Evangelium erwähnt wird. Kepler macht auch ihn zur "Nova", vorbereitet durch das Zusammentreffen von Jupiter und Saturn 7 v. Chr.: Jesus wäre demnach, hält er fest, "fünf ganze Jahr" vor dem Beginn der christlichen Zeitrechnung geboren. Diesen hat der Mönch Dionysius Exiguus im 6. Jahrhundert offenbar zu spät angesetzt. Auch König Herodes ist ja bereits 4 v. Chr. gestorben. Ein historisches Faktum, das Kepler und seinen Zeitgenossen durchaus bekannt ist.

An der Universität Padua lehrt zu jener Zeit Galileo Galilei Mathematik. 1605 hält er drei Vorlesungen über den neuen Stern im Schlangenträger. Er ist ihm ein glänzender Beweis für die tatsächliche Veränderlichkeit der Fixsternsphäre. Der Italiener greift damit das aristotelische Dogma an. Prompt erntet er den Vorwurf, sich als Mathematiker in die Domäne der Philosophen einmischen zu wollen. Galilei entgegnet: Nicht er, sondern der Stern hätte das Übel vollbracht, eine ganze Philosophie zu Grunde zu richten!

"Gaststerne" in China

Später wird man weitere einschlägige Berichte aus den Jahren 1006, 1054 und 1181 n. Chr. ausgraben. Sie stammen vor allem von chinesischen und japanischen Hofastronomen, die nicht unter dem Einfluss des Aristoteles standen. Ihre "Gaststerne" blieben mindestens sechs Monate, höchstens aber drei Jahre sichtbar. Rückblickend betrachtet, waren alle fünf Erscheinungen zwischen 1006 und 1604 aber gar keine "Novae". Vielmehr zählten sie zur Klasse der zehntausende Mal helleren "Supernovae".

Es sind höllische Bedingungen, die im Zentrum von Sternen herrschen. Bei Temperaturen von vielen Millionen Grad Celsius werden aus leichten Atomkernen schwere aufgebaut. Die meiste Zeit hindurch verwandelt sich Wasserstoff in Helium. Geht dieser Brennstoff im Sterninnersten zur Neige, verschmilzt dort, bei nochmals steigender Hitze, Helium zu Kohlenstoff und Sauerstoff. Die entsprechend erhöhte Energieausbeute bläht die darüber liegende Sternhülle mächtig auf. Sie besteht aus unverbrauchtem Wasserstoff. Der Stern mutiert nun zum roten Riesen.

"Sternenleiche"

Bald blasen Pulsationen und Sternwinde die Hülle fort. Dann ist das Sternenzentrum entblößt - es entsteht ein weißer Zwerg, der nur so groß ist wie die Erde. Mit der Kernfusion ist es vorbei. So gesehen, darf man von einer "Sternenleiche" sprechen. Deren anfangs viele zehntausend Grad Celsius heiße Oberfläche kühlt langsam aus.

Auch unsere Sonne wird so enden. Im Gegensatz zu ihr meiden die meisten Sterne jedoch das Single-Dasein. Sie bilden lieber Doppel- und Mehrfachsysteme. Oft ist einer der Sternpartner schon zum weißen Zwerg verkommen, während sich der andere eben erst zum roten Riesen aufplustert. Bei sehr eng aneinander liegenden Sternpaaren regnet dann frischer Wasserstoff aus der Riesenhülle auf das brühend heiße Antlitz des ausgebrannten Zwergs. Neuerlich setzt eine Kernfusion ein, wenngleich nur an der Zwergenoberfläche. Die Strahlung macht das Duo um Größenordnungen heller. Eine Nova leuchtet auf. Bald ist aber die Brennstoffspende aufgebraucht: Die Nova "flackert" und verblasst. Erst wenn sich abermals genug Wasserstoff angesammelt hat, beginnt das Spiel von Neuem.

Nicht alle Zwerge kommen so davon. Manche werden von ihrem Partner regelrecht überfüttert. Die Masse wächst und wächst, drückt den Winzling zusammen. Bei knapp 1,4 Sonnenmassen überschreitet er das kritische Chandrasekhar-Limit. Schlagartig zündet der Kohlenstoff. Diesmal erfasst die Kernfusion den gesamten Zwergenkörper: Die Kugel wird zerrissen. Radioaktive Isotope senden Gammastrahlung aus. Sie erhitzt die auseinander schießenden Sterntrümmer. Eine 1a-Supernova blitzt auf. Ihre Leuchtkraft ist enorm. Sie rivalisiert mit dem Glanz von zehn Milliarden Sonnen, mit dem Schein einer ganzen Galaxie.

"Heißblütige" Giganten

Auch Einzelsterne enden als Supernovae - allerdings nur, wenn sie bei ihrer Geburt mindestens acht Sonnenmassen an sich gerissen haben. Solche Giganten sind ob des gewaltigen Drucks äußerst "heißblütig". Extreme Temperaturen erlauben es ihnen, im Innersten auch Sauerstoff und Kohlenstoff als Energiequelle zu nutzen. Das sorgt für gewaltigen Strahlungsdruck, der nötig ist, um die mächtige Sternenhülle am Zusammensturz zu hindern.

Im Kern des Riesen entstehen immer schwerere Elemente. Doch beim Eisen ist dann Schluss. Der Fusionsreaktor stellt die Arbeit ein. Der nach außen gerichtete Strahlungsdruck verschwindet. Das "Gebälk" bricht ein. Unbeschreiblicher Druck zerquetscht den Leerraum zwischen Protonen und Elektronen: Im Zentrum des Sterns werden diese gewaltsam zu Neutronen vereint. Der Durchmesser des Neutronenballs beträgt nur wenige Kilometer. Dennoch drängt sich in ihm weit mehr als eine Sonnenmasse zusammen. An dieser unerbittlich harten Kugel prallt das Hüllenmaterial ab.

Augenblicke später zerfetzt eine der heftigsten Explosionen, die im Kosmos möglich sind, den Riesenstern: eine Typ-II-Supernova strahlt am Himmel auf. Später wird man an ihrer Stelle einen winzigen, hastig rotierenden Neutronenstern erkennen. Extrem massereiche Sterngiganten enden sogar als stellares schwarzes Loch.

Die Große Magellansche Wolke ist eine Zwerggalaxie. Sie begleitet unsere Milchstraße im Abstand von 163.000 Lichtjahren. 1987 ereilte dort eine Riesensonne der Sternentod. Diese Typ-II-Supernova war - erstmals seit 1604 - sogar mit freiem Auge zu sehen. Seither verfolgen Astronomen mit dem Hubble-Weltraumteleskop, wie sich ihre Trümmer ausbreiten.

Die Gasfetzen explodierter Sterne rasen mit mehreren Millionen km/h durchs All. Dabei kommt es zu Kollisionen mit friedlich dahin treibenden interstellaren Molekülwolken. Oder mit Spuren von Hüllengas, das der zerborstene Stern zu Lebzeiten abgeblasen hat. Der Zusammenstoß erhitzt die Materie so außerordentlich, dass sie Röntgenstrahlung aussendet. Schnelle Elektronen steuern Radiosignale bei.

Auf Sterntodsuche

Solche Supernova-Überreste zeugen noch sehr lange von der Katastrophe. Röntgen- und Radioteleskope spüren sie auf. An Stelle von Tychos Supernova entdeckten sie eine 24 Lichtjahre weite, bis zu 20 Millionen Grad Celsius heiße Nebelwolke. Auch von Keplers Stern blieb ein Gasgebilde zurück. Es ähnelt einer Kugelschale und expandiert noch immer.

Im Sternbild Stier erinnert der so genannte "Krebsnebel" an das Ereignis von 1054. Sogar in einem Amateurfernrohr erkennt man einen matten Lichtfleck. Im Zentrum jagt ein Neutronenstern um die eigene Achse, 30 Mal pro Sekunde. Er ist exakt 950 Jahre alt. Hobbyastronomen beobachten zudem die geisterhaften Filamente des Cirrus-Nebels im Schwan. Sie sind die bizarren Spuren einer Sonne, die ihr Leben bereits vor 10.000 Jahren beendet haben muss.

In anderen Milchstraßen verbuchte man bisher mehr als 2.000 Supernovae. Jüngst gelang ein Fund in der Galaxie NGC 2403, in der vor 50 Jahren ebenfalls ein Stern aufblitzte. Auch in unserer Galaxis sollte das ein- oder zweimal pro Jahrhundert geschehen. Doch seit 1604 hat man auf Erden keine Supernovae mehr gesehen. Offenbar explodierten sie alle in der galaktischen Hauptebene, wo dichter Staub uns den Blick verstellt. Eine Supernova, in ein paar hundert Lichtjahren von der Erde entfernt, würde für uns so hell erstrahlen wie der Mond.

Keplers Supernova verlosch vier Jahre, bevor Galilei erstmals ein Fernrohr zum Himmel richtete. Mittlerweile sind die astronomischen Instrumente höchst ausgeklügelt. Wissenschaftler brennen darauf, damit endlich auch einen Sternentod innerhalb unserer eigenen Milchstraße mitverfolgen zu können. Das mag vielleicht schon morgen gelingen - oder erst zukünftigen Forschergenerationen vorbehalten sein.

Zu den potenziellen Supernova-Anwärtern zählt der Zwergstern U im Skorpion. Ihn trennen weniger als fünf Prozent vom Chandrasekhar-Limit. Bei den Riesen ist Beteigeuze im Orion ein aussichtsreicher Kandidat. Ebenso Rho in der Cassiopeia. Er hat vor vier Jahren Hüllengas im Ausmaß von 10.000 Erdmassen ins All gepustet. Vermutlich sind das die letzten Zuckungen vor dem Desaster gewesen.

Christian Pinter lebt als freier Autor in Wien und bringt den "EXTRA"-Lesern den Sternenhimmel und seine Geschichte seit 1991 in regelmäßiger Abfolge nahe.

Freitag, 15. Oktober 2004

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