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Spektakuläre Wettererscheinungen im Weltraum

Ständig bläst der Sonnenwind

Von Christian Pinter

Am 8. September kehrt die Genesis-Mission mit kostbarer Fracht zur Erde heim. Die NASA-Sonde hat Teilchen des Sonnenwinds eingefangen - und trägt damit Ingredienzien des Weltraumwetters im Gepäck. Darüber werden Astronauten auf dem Flug zum Mars einmal ebenso angeregt diskutieren wie Erdenbürger über das irdische Wettergeschehen.

Es ist vor allem die Sonne, die für das Weltraumwetter verantwortlich ist. Ein Punkt an ihrem Äquator rotiert in 25 Tagen einmal herum, einer in hohen Breiten braucht sechs Tage länger. Die unterschiedlich rasche Rotation buchtet die in der heißen Sonnenmaterie "eingefrorenen" magnetischen Feldlinien aus, drängt sie zusammen. Sie spulen sich auf wie Spaghetti um eine Gabel. Dabei wachsen die Feldstärken lokal dramatisch, übertreffen jene des Erdmagnetfelds viele tausend Mal. In diesen aktiven Gebieten entstehen die dunklen Sonnenflecken. Helle, heiße Fackeln begleiten sie. Die Flecken sind zwar nur Symptome, aber doch willkommene Indikatoren der Sonnenaktivität. Die Fleckenzahl schwankt im Rhythmus von neun bis zwölf Jahren, meist sind es elf. Dabei polt sich das Magnetfeld des Sterns einmal um.

Die Sonne (lat. sol) ist eine 1,4 Millionen km große, vor allem aus Wasserstoff geformte Gaskugel. Die äußerste solare Hülle heißt "Korona" (lat. corona, Kranz oder Krone). Temperaturen um zwei Millionen Grad Celsius blähen sie mächtig auf: Atome sind ionisiert, ihrer Elektronen beraubt. Ein ständiger Plasmastrom weht ins All, mit einem Mindesttempo von einer Million km/h. Und das ist nur der langsame Sonnenwind!

Magnetfelder führen auch in der Korona Regie. Wie die Röntgenkameras der US-Raumstation Skylab 1973 zeigten, klaffen mancherorts scheinbar "Lücken". Dort sind die Feldlinien offen, greifen weit ins Planetensystem hinaus. Aus diesen koronalen Löchern bläst der schnelle Sonnenwind. Er ist gut dreimal so geschwind.

Die Protonen und Elektronen des Sonnenwinds tragen das solare Magnetfeld mit sich. Weil sich die Sonne beim Abblasen dreht, bilden die Feldlinien Spiralen. Der Teilchenstrom erreicht uns nach einigen Tagen. Seine Geschwindigkeit und Dichte - im Schnitt fünf Partikel pro Quadratzentimeter - variieren. Eine "Flaute" gibt es aber nie.

Kometen und Röntgenblitze

Als kosmische Windfahnen fungieren die Kometen. In Sonnennähe verdampft Wassereis im kleinen Kern eines solchen Himmelsvagabunden und schießt durch Risse in der Kruste ins All hinaus. Der Sonnenwind reißt das Gas mit sich, formt daraus den geradlinigen, viele Millionen km langen Plasma-schweif. Das Studium solcher Schweife führte den Deutschen Ludwig Biermann 1951 überhaupt erst auf die Spur des Sonnenwinds. 1962 wies ihn die US-Sonde Mariner 2 zweifelsfrei nach.

In aktiven Gebieten der Sonne ist das Magnetfeld überaus komplex. Es ändert sich rasch. Das sprunghafte Umkonfigurieren von Feldlinien setzt die Energie von Millionen von Wasserstoffbomben frei. Ein Blitz strahlt im gesamten elektromagnetischen Spektrum auf. Klassifiziert werden solche Flares (engl. flare, das Aufleuchten) nach der Intensität ihrer Röntgenstrahlung. Flares sind höchst effiziente Teilchenbeschleuniger, treiben Atomkerne und Elektronen bis nahe an die Lichtgeschwindigkeit. Protonen kreuzen bereits nach wenigen Minuten die Erdbahn.

Mit den Flares verknüpft treten oft die gewaltigen koronalen Massenauswürfe auf, die CMEs (engl.: coronal mass ejections). Die Sonne entledigt sich dabei schlagartig einer Milliarde Tonnen Materie: die Plasmablase expandiert in den Raum, übertrifft den Sonnenball rasch an Durchmesser. Ihre Teilchen sind noch viel eiliger unterwegs als die des "normalen" Sonnenwinds. Sie passieren die Erdbahn schon nach ein oder zwei Tagen. Die kosmische Brise schwillt zum Orkan an.

Schauen wir zum Vollmond hoch: etwa ein Drittel kleiner als er ist der heiße innere Eisenkern unseres eigenen Planeten. Auf ihm lastet ein vielleicht nochmals so tiefer Ozean aus flüssigem Eisen. Dort wird das irdische Magnetfeld geschmiedet. Es beherrscht ein Raumgebiet, das der in Österreich geborene US-Astrophysiker Thomas Gold vor 45 Jahren "Magnetosphäre" taufte.

Der Sonnenwind drückt die Magnetosphäre auf der Tagseite zusammen. Dort reicht sie nur etwa 65.000 km weit ins All hinaus. Größe und Form verändern sich, während die Blase mit dem anstürmenden Sonnenwind ringt. Sie ist unser wichtigster Schild gegen das Weltraumwetter, lenkt fast den gesamten Plasmastrom um die Erde herum.

Vor allem die Teilchen von Massenauswürfen bringen die Magnetosphäre in Bedrängnis. Speziell dann, wenn das mitgelieferte solare Magnetfeld bei der Zustellung gerade südwärts gerichtet ist. Dann verschmelzen dessen Feldlinien mit den irdischen - ein Drama, das wir aus geometrischen Gründen häufig um die Tag-und-Nacht-Gleichen erleben, also speziell im März, April, September und Oktober. Nun öffnet sich ein Riss im Windschutz. Sonnenwindpartikel dringen in die Magnetosphäre ein. Sie werden in den Van-Allen-Gürteln gespeichert, die von den ersten US-Satelliten entdeckt wurden. Hoch oben fließt jetzt ein starker elektrischer Strom - und das irdische Magnetfeld wird immer unruhiger. Mitunter bricht sogar ein magnetischer Sturm los. Kompassnadeln drehen sich, weisen plötzlich um ein paar Grade von der vertrauten Richtung ab, Brieftauben verlieren die Orientierung.

Nordlichter

Eingefangene Teilchen folgen den erdmagnetischen Feldlinien, spiralisieren zu den Polgebieten. Dort stoßen sie mit Sauerstoffatomen zusammen, regen diese in einer Höhe zwischen 90 und 500 km zu rotem und grünem Leuchten an. Zwei ovale Lichtringe schweben deshalb über den irdischen Magnetpolen. Nach wilden Sonneneruptionen strahlen beide auf, schwellen an, verbreitern sich in Richtung der gemäßigteren Breiten. Schafft es der Rand des nördlichen Ovals bis nach Dänemark, taucht es auch am österreichischen Horizont auf: Polarlichter tanzen dann auch an unserem Himmel. Sie machen das Weltraumwetter sichtbar - ähnlich wie die zuvor erwähnten Kometenschweife.

Während der erdmagnetischen Unruhe wird Strom in lange Leiter induziert, der so genannte "GIC". Schon Mitte des 19. Jahrhunderts funktionierten Telegrafenanlagen zeitweise ohne Batterie - oder fielen aus. 1940 kam es zu ersten Problemen mit der Stromversorgung. Der gleichstromähnliche GIC ist Gift für Transformatoren, die ja nur Wechselspannung umsetzen: sie überhitzen. Legendär ist das GIC-bedingte Blackout vom März 1989: In Kanada blieben sechs Millionen Haushalte neun Stunden lang ohne Strom.

Noch bevor GICs und Polarlichter auftreten, bricht der Funkverkehr zusammen. Die Röntgenstrahlung eines starken Flares ionisiert Atome in der so genannten "D-Region",

80 km über Grund. Sie absorbiert nun Funkwellen. So mancher Kurzwellenhörer zweifelt dann am Funktionieren seines Weltempfängers. Bis zum Erdboden gelangt die solare Röntgenstrahlung nicht. Hier erweist sich unsere Atmosphäre als wichtiger Schild.

In der Umlaufbahn existiert dieser Schutz nicht. Das Weltraumwetter soll Satellitenbetreibern jährlich an die 100 Millionen Euro kosten. Auf- und Entladungen können die sensible Elektronik der Maschinen gefährden, "Phantomkommandos" ihre Lageregelung stören. Solarzellen altern rascher.

Selbst im Orbit um fernere Welten ist man nicht sicher. Die Sonde Mars Odyssey untersuchte unter anderem jene Strahlungsbedingungen, die zukünftige Astronauten im Reich des roten Planeten erwartet. Ein CME zerstörte jedoch ausgerechnet dieses Messgerät. Bewohner der ISS müssen sich schon jetzt in Acht nehmen. Droht eine Sonneneruption, sind Außenbordmanöver tabu. Der Raumanzug schützt weniger als die Aluminiumhaut der Raumstation. Ein extremes Flare kann die Karriere eines Astronauten beenden. Wie sehr das Krebsrisiko bei einem gut zweijährigen Marsflug steigt, vermag derzeit niemand zu sagen.

Ende Oktober 2003 tauchten drei riesige Sonnenfleckengruppen auf. Man zählte 113 Röntgenflares, darunter sieben besonders heftige. Am Morgen des 28. Oktober erstrahlte das drittstärkste je erfasste Flare, begleitet von einem mächtigen CME. Die Teilchen stoben Richtung Erde. Die Bildsensoren des Sonnenobservatoriums SOHO, ein Gemeinschaftsprojekt von ESA und NASA, waren sichtlich überfordert: Die Sonnenfotos aus dem All verloren sich fast in einem "Schnee" aus weißen Punkten und Strichen. Zwei japanische Satelliten fielen aus.

Die beiden ISS-Bewohner suchten Schutz im bestmöglichst abgeschirmten Stationsteil. Der Kp-Index, der die Unruhe des Erdmagnetfelds darstellt, kletterte auf Höchststufe 9. Am Himmel über Österreich und Bayern loderten Polarlichter. Am 4. November folgte das schlimmste Flare überhaupt, allerdings nahe am Sonnenrand: Die Plasmawolke des assoziierten Massenauswurfs stob mit acht Millionen km/h davon, streifte die Erde aber nur. Im April schoss sie, immerhin noch zwei Millionen km/h schnell, an Voyager 2 vorbei. Die 1977 gestartete NASA-Sonde war bereits 11 Milliarden km von der Sonne entfernt.

Der normale Sonnenwind hat nach einem Jahr die etwa hundertfache Erddistanz überwunden. Verlangsamt und ausgedünnt trifft er auf die interstellare Materie. Damit endet die Heliosphäre (griech. helios, Sonne), die alle Planeten einhüllt. Ihre Dichte und ihr Durchmesser schwanken mit der Sonnenaktivität. Allein die Rekord-Eruptionen vom letzten Herbst schieben die Heliosphärengrenze wohl 600 Millionen km weiter nach außen.

Die Heliosphäre schwächt die galaktische kosmische Strahlung, die aus allen Richtungen einfällt. Der spätere österreichische Nobelpreisträger Viktor Heß entdeckte sie 1912, als ihn Ballonfahrten in 5.400 Meter Höhe trugen. Die sehr energiereiche Strahlung produziert Sekundärteilchen in der Lufthülle. Es entstehen Isotope wie Beryllium-10 - man fand es auch in

Meteoriten und im Mondgestein - oder Kohlenstoff-14. Sie lagern sich im Polareis bzw. in Pflanzen ab, vor allem, nachdem die Sonne

ruhig, die Heliosphäre schwach und der Zutritt für kosmische Strahlung entsprechend leichter gewesen ist.

Anomalien

Isotopenuntersuchungen an Eisbohrkernen und alten Holzbalken berichten deshalb auch vom Zustand unseres Sterns in der Vergangenheit: Der uns vertraute elfjährige Sonnenzyklus wurde demnach mehrmals von Einschnitten unterbrochen, in denen die Aktivität viele Jahrzehnte lang außergewöhnlich bescheiden oder besonders hoch blieb. Dabei traten Klimaanomalien auf. Berühmt ist das fleckenarme Maunder-Minimum, das grob mit der Lebenszeit Isaac Newtons zusammen fiel. Europäer litten unter bitteren Wintern.

Die konzentrischen Jahresringe in Baumstämmen spiegeln lokale Wachstumsbedingungen wider. An Extremstandorten werden diese von der Niederschlagsmenge oder den Sommertemperaturen geprägt. Manche Studien sehen ein Muster in den Ringbreiten, das sich mit dem Sonnenzyklus ändert. Demnach besäße die solare Aktivität auch kurzfristigeren Einfluss auf das irdische Wetter. Außerdem soll es Zusammenhänge mit der Wolkenbildung über den USA und der Zahl von Gewitterblitzen über Europa geben. Die Untersuchungsergebnisse sind nicht immer einheitlich. Das Weltraumwetter ist eben nur eine von mehreren Variablen, die das irdische Wettergeschehen steuern.

Größere Weltraumwetter-Ereignisse heizen jedenfalls die oberste Region der Lufthülle auf. Sie reicht dann weiter ins All hinaus, bremst Satelliten in niedrigen Umlaufbahnen ab. Unterbleiben Korrekturmanöver, droht ein vorzeitiger Absturz. Das prominenteste Opfer war 1979 die Raumstation Skylab.

Sogar Weltraumverwitterung gibt es: Die Oberflächen ungeschützter Himmelskörper dunkeln langsam ein und erhalten eine leicht rötliche Tönung. Dieser Prozess wurde kürzlich mittels Farbmessungen an 8.416 Kleinplaneten untersucht. Zu seinen Verursachern zählen neben dem fortwährenden Einschlag von Mikrometeoriten auch die solare und die kosmische Strahlung.

Freitag, 03. September 2004

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