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Die Priesterastronomen des Zwischenstromlands und ihr Vermächtnis

Der Himmel über Babylon

Von Christian Pinter

Dort, wo sich heute der Irak befindet, lag das einst das Hauptgebiet von Mesopotamien. Der römische Schriftsteller Plinius taufte es im ersten Jahrhundert "Babylonien" - nach der mächtigen Millionenstadt Babylon. Die Bibel ging mit ihr hart ins Gericht. In der Apokalypse wird sie als "Mutter der Huren" bezeichnet. Die Genesis nennt Babel als Ort jenes himmelstürmenden Turmbaus, der an gottgesandter Sprachverwirrung scheiterte. Tatsächlich sind die Bewohner des aufständischen, dann zerstörten Jerusalem im 6. Jh. v. Chr. nach Babylon verschleppt worden. Dort trafen sie auf deportierte Assyrer, Iraner, Syrer und Ägypter. Das sprachliche Durcheinander wird sich in ihre Erinnerung eingeprägt haben - ebenso der turmähnliche Terrassentempel des Stadtgotts Marduk, der unglaubliche 90 Meter hoch aufragte.

Vor rund fünf Jahrtausenden begannen die Akkader im Norden, die Sumerer im Süden des Zwischenstromlands Städte wie Sippar, Borsippa, Babylon, Ur, Uruk oder Larsa zu errichten. Das kornreiche Land zog Einwanderer und Eroberer an, darunter Gutäer, Amurriter, Elamer, Assyrer, Kassiten, Griechen und Perser. Rivalisierende Städte, einheitliche Reiche und Kleinstaaten wechselten einander ab. Trotzdem überdauerten die Traditionen der Akkader und Sumerer.

Euphrat und Tigris schenkten dem Boden Fruchtbarkeit. Ein kompliziertes Kanalsystem trug das Wasser ins Hinterland, musste allerdings ständig repariert und ausgebaut werden. Das setzte eine komplexe gesellschaftliche Organisation voraus. Die Verwaltungsarbeiten benötigten Aufzeichnungen - z. B. für Protokolle und Verträge. Bereits um 3000 v. Chr. erfanden Sumerer eine Bilderschrift, aus der die Silbenschrift entstand. Schreiber (ein angesehener Beruf) drückten keilförmige Zeichen mit einem Griffel in weichen Ton. Die gehärteten Täfelchen bildeten nach und nach eine Keilschrift-Bibliothek. Sie reichte gesammeltes Wissen über Jahrhunderte weiter, auch Beobachtungen des Sternenhimmels.

Lichtphasen als Kalender

Zunächst konzentrierte man sich auf den Mond. Seine Lichtphasen dienten als vortrefflicher Kalender. Im Mittel schiebt sich der Himmelskörper, für uns unsichtbar, in 29,53 Tagen an der Sonne vorbei. Am nächsten oder übernächsten Abend nach Neumond taucht seine schmale Sichel erstmals wieder am westlichen Dämmerungshimmel auf. Religion, Kulte, Aberglaube und Himmelskunde waren eng verwoben - daher musterten Priesterastronomen das Firmament, oft von hohen Tempeltürmen aus. Erspähten sie den jungen Mond, wurde ein neuer Kalendermonat ausgerufen.

Im Mondgestirn zeigte sich der unermüdliche Gott Sin. Man nannte ihn auch "kleiner Jungstier", weil die Mondsichel an Stierhörner erinnerte. Mitunter stellte man ihn, den weisen Lenker der Zeit, durch die Zahl 30 dar. Die babylonischen Monate wurden ja von den Lichtphasen des Mondes definiert und dauerten somit 29 oder (häufiger) 30 Tage. Nach 12 Mondmonaten waren 354 Tage verstrichen - um elf Tage weniger, als das Sonnenjahr umfasst. Im Laufe eines Menschenlebens schob sich deshalb jeder Monat mindestens einmal durch sämtliche Jahreszeiten. Das irritierte freilich eine Gesellschaft, die vom Ackerbau abhing.

Gelehrte überprüften daher regelmäßig den Reifezustand der Feldfrüchte oder das Erscheinen bestimmter, für die Jahreszeit typischer Sternbilder. Erfolgte dies zu einem allzu späten Kalenderdatum, ordnete der König das Einschieben eines zusätzlichen 13. Mondmonats an. Später ersann man eine fixe Regelung, um Mond- und Sonnenjahr in Übereinstimmung zu halten. Sie sah sieben Schaltmonate in 19 Jahren vor. Die 12 vollen Mondmonate eines Jahres erklären übrigens die Verehrung, die alte Kulturen der Zahl 12 entgegenbrachten. Das leidige Problem mit dem restlichen kurzen Zeitintervall bis zum Ende des Sonnenjahrs verschaffte hingegen der 13 ihren "unglücklichen" Ruf, den sie bis heute nicht mehr los geworden ist.

Die Menschen des Zweistromlands glaubten zunächst an mehr als tausend Götter. An deren Spitze thronten An, Enlil und Ea. Das Trio herrschte über Himmel, Erde und Wasser, weshalb ihm die Priesterastronomen drei Zonen des Sternenhimmels zuordneten: Enlil erhielt die nördliche, An die mittlere, Ea die südliche. Einzelne Städte huldigten zudem ihren Lokalgottheiten. Außerdem glaubte man überall an Dämonen und Mischgestalten, wie Vogel- oder Pferdemenschen.

Damals waren sieben Wandelgestirne bekannt: Sonne, Mond und die fünf hellen Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Wahrscheinlich erfanden die Babylonier deshalb eine siebentägige Woche. Dieses Zeitmaß strukturiert unser Leben noch heute, obwohl wir mittlerweile ja weitere, lichtschwächere Planeten entdeckt haben.

Die Tierkreiszeichen

Um den Lauf der Wandelgestirne abzustecken, legten die Mesopotamier aus einigen hellen und vielen schwächeren Lichtpünktchen die Tierkreissternbilder fest. Wir verwenden sie noch heute, allerdings in einer modifizierten Version: Die Griechen übernahmen zwar die älteren babylonischen Figuren, verwoben sie jedoch mit ihren eigenen Mythen. So prangten "Skorpion" und "Löwe" bereits am Himmel über Babylon. Die mesopotamische Kornähre mutierte hingegen zur griechischen Jungfrau, der Riese zum Wassermann. Den Steinbock sehen wir noch oft mit einem Fischschwanz dargestellt - kein Zufall, entsprang er doch einem babylonischen Fabelwesen mit Fischleib und Ziegenhaupt.

Die einzelnen Tierkreissternbilder hatten höchst unterschiedliche Ausdehnung. Um die Studien zu vereinfachen, teilten die Priesterastronomen den Tierkreis letztlich in 12 schematische, genau gleich lange Abschnitte. Diese Tierkreiszeichen sind zum Fundament jenes Bezugssystems geworden, an dem sich heutige Sterndeuter orientieren.

Gottheiten in Planeten

Sins Sohn Schamasch, ein allwissender Garant der Wahrheit und des Rechts, offenbarte sich in Gestalt der Sonne. Doch auch die Planeten wurden mit Gottheiten verquickt. Im flinken Merkur erblickte man Nabu, den Herrn der Schreibkunst. Der langsame Saturn verkörperte den Wachstumsgott Ninurta. Er stand, so legte der österreichische Astronom Konradin Ferrari d'Occhieppo dar, auch für das Volk Israel. Mars, der "elamische Stern", galt als Symbol feindseliger Völker und obendrein als Sinnbild des unheilbringenden Unterwelt- und Pestgottes Nergal. Jupiter strahlte für Marduk, der mit dem Aufstieg Babylons im ganzen Land Verehrung fand. Ischtar präsentierte sich im Morgen- und Abendstern Venus. Sie war nicht nur Liebes-, sondern auch Kriegsgöttin. Einmal beleidigt, konnte sie überaus grausam sein.

Am Beginn jeden Jahres musste sich der König vor Marduk verantworten. Tief war seine Beziehung zu Ischtar. Bei der heiligen Hochzeit "verband er sich" mit ihr, wobei die Göttin von einer Priesterin vertreten wurde. Ischtar bekräftigte dabei ihren Schutz über Reich, Volk und Herrscher. Dieser wiederum schlüpfte in die Rolle von Ischtars Gatten Dumuzi. Das Ritual "vergöttlichte" den König.

Die Menschen waren, so glaubte man damals, zum Nutzen der Götter erschaffen worden. Gottheiten standen hinter den Vorgängen der Natur, sie steuerten den Lauf der Welt. Nichts war gefährlicher, als ihren Willen zu missachten. Vergaß man zu opfern, folgte die Strafe auf dem Fuße: etwa in Form einer bösen Erkrankung. Die Wünsche der Götter rechtzeitig zu erkennen, war darum ein wichtiges Gebot. Zum Glück verrieten sie diese in Form verschiedener Zeichen. Priester suchten Fingerzeige in der Leber von Opfertieren, in Missgeburten, im Vogelflug, in Wolken oder Regenbögen. Chroniken hielten vermeintlich gottgesandte Phänomene wie Wetter, Wasserstand oder Güterpreise fest. Darin notierte man aber auch astronomische Erscheinungen. Bald schien es, als gäbe es klare Parallelen zwischen dem irdischen Geschehen und jenem am Firmament. Die scheinbar von Göttern gelenkten Gestirne wurden solcherart zu Kündern höheren Willens. Aus ihrem Verhalten leitete man auch Omina (Mehrzahl von lat. omen, An- oder Vorzeichen) ab.

Dabei wurden die Monate, Himmelsrichtungen oder Sternbilder jeweils einer der vier Weltgegenden zugeordnet. So standen die Fische etwa für den Länderbogen zwischen Mesopotamien und Unterägypten. Letztlich lag ein reiches Repertoire an Weissagungen vor. Erschien etwa Ischtars Gestirn Venus im Monat Airu morgens im Osten, umgeben von den großen und kleinen Zwillingen, würde der König von Elam erkranken und sterben. Tausende solcher Zuordnungen finden sich in der Ominasammlung "Enuma Anu Enlil".

Himmlische Fingerzeige

Die himmlischen Fingerzeige galten als von An, Enlil und Ea selbst festgelegt. Man unterzog sie deshalb keiner weiteren Überprüfung. Zudem kündeten die Omina meist nicht von unabänderlichem Schicksal - sie waren vielmehr als Warnungen zu verstehen. Mit raschen Opferungen und anderen Ritualen ließ sich weisgesagtes Unglück oft noch abwenden oder wenigstens mildern. Im 5. Jh. v. Chr. tauchten erste persönliche Horoskope auf. Die Stellung der Gestirne zum Zeitpunkt der Geburt sollte demnach zukünftige Ereignisse im Leben des Betroffenen prophezeien. Bekanntlich glauben viele Menschen das noch heute.

Die Babylonier benutzten ein leistungsfähiges Zahlensystem. Allerdings nicht mit der 10, sondern mit der 60 als Basis. Diese Zahl ist durch besonders viele andere ohne Rest teilbar - durch die damals symbolträchtig anmutenden Zahlen 3, 4, 5, 12 und 30, aber auch durch 2, 6, 10, 15 und 20. Zudem ergibt 6 mal 60, ebenso wie 12 mal 30, die Zahl 360 - und das ist eine auffallend gute Annäherung an die 365,24 Tage des Sonnenjahres. Noch heute wandeln wir auf diesen Spuren, zerlegen die 360 Grade des Kreises in je 60 Bogenminuten und jede Bogenminute in 60 Bogensekunden. In Analogie dazu dauert unsere Stunde 60 Minuten oder 60 mal 60 Sekunden.

Beim langsamen Wandern durch den Tierkreis bevorzugen Planeten die Laufrichtung von rechts nach links. Nach einiger Zeit halten sie jedoch inne, schreiten rückwärts. Dann kommt es zu einem neuerlichen Halt, und der ursprüngliche Kurs wird wieder eingeschlagen. Diese beiden Stillstände wiederholen sich im Falle Jupiters alle 13 Monate. Für die Tour durch sämtliche Tierkreissternbilder braucht das Marduk-Gestirn hingegen fast 12 Jahre.

Entdeckung der Wiederkehr

Im alten Mesopotamien verfolgte man die erwähnten Stillstände der Planeten genau, aber auch ihr erstes und letztes Erscheinen in der Dämmerung. Mit Hilfe des Tontafelarchivs, das Himmelsstudien vieler Generationen umfasste, gelang eine wichtige Entdeckung. Priesterastronomen fanden jene Zeitintervalle heraus, nach denen planetare Phänomene in praktisch gleicher Weise wiederkehren. So treten Jupiters Stillstände nach 83 Jahren nicht nur im selben Sternbild, sondern auch fast am gleichen Kalendertag ein. Bei Mars dauert diese Periode 79, bei Saturn 59, bei Merkur 46 und bei der Venus 8 Jahre.

Wollten die Gelehrten also die Erscheinungen der Planeten für das Jahr 300 v. Chr. prognostizieren, holten sie die Aufzeichnungen der Jahre 383, 379, 359, 346 und 308 aus dem Archiv. Ausgeklügelte Korrekturen verfeinerten das Ergebnis. Der Schritt von der Beobachtung zur Berechnung astronomischer Ereignisse erlaubte es, die astrologischen Deutungen vorauszuberechnen. Die Herrscher konnten jetzt von den Absichten der Götter im Vorhinein in Kenntnis gesetzt werden. Das Omenwesen war und blieb der eigentliche Antrieb für die Beschäftigung Mesopotamiens mit dem gestirnten Himmel.

Als der von den Römern eingesetzte König Herodes in Jerusalem residierte, trugen Babylons Sternkundige keine Priestertitel mehr. Dennoch waren sie sicherlich noch in der Lage, die im Jahre 7 v. Chr. eintretende dreifache Begegnung von Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische vorherzusagen. Mit ihren eigenen Omina und dem Wissen um jüdische Verheißungen hätten sie das Planetentreffen durchaus als wichtigen Hinweis deuten können - als Zeichen der Geburt eines Königs (Marduks Jupiter) der Juden (Saturn) in Palästina (nach dem entsprechenden Ort in den Fischen).

Das jedenfalls legt der erwähnte Ferrari d' Occhieppo plausibel dar. Demnach wären auch die im Matthäusevangelium erwähnten "Weisen aus dem Morgenland" babylonische Astronomen gewesen.

Freitag, 12. Dezember 2003

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