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Die Trabanten Jupiters beeinflussten mehrmals unser Weltbild

Galileos Mondquartett

Von Christian Pinter

Galileos Tage sind gezählt. Am 21. September verglüht er in der Gashülle des Riesenplaneten Jupiter. Dabei wird Plutoniumdioxid freigesetzt, das zur Energieerzeugung diente. Das radioaktive Vermächtnis ist der Grund, warum man die US-Sonde auf Todeskurs geschickt hat. Die NASA möchte verhindern, dass sie irgendwann unkontrolliert auf den Mond Europa stürzt und diese viel sensiblere "Welt" kontaminiert.

Während Galileo, benannt nach dem Italiener Galileo Galilei, auf die eigene Feuerbestattung zutreibt, ziehen Forscher Bilanz über seine Mission. 1995 im Jupitersystem eingetroffen, schoss der Späher wiederholt an den vier großen Trabanten des Planeten vorbei. Er porträtierte sie mit vorzüglicher Auflösung. Sein letzter Weg bietet auch Anlass, über die Forschungsgeschichte der Jupitermonde nachzudenken. Sie haben unsere Weltsicht mehrmals verändert.

Galilei und Kepler

Anfang 1610 sucht Galileo Galilei den Himmel neugierig mit dem gerade erfundenen Fernrohr ab. Als er es am 7. Jänner auf Jupiter richtet, erspäht er völlig unerwartet drei, am 13. Jänner sogar vier Lichtpunkte neben dem Planeten. Sie umkreisen ihn auf unterschiedlich engen Bahnen. Rasch lässt Galilei den "Sidereus Nuncius" erscheinen. Dieser "Sternenbote" berichtet auch von den vier Jupitermonden.

Angesichts der schlechten Qualität seines Teleskops hat Galilei Mühe, den Fund glaubhaft zu machen. Am Abend des 24. April trifft er im Hause des Astronomen Giovanni Magini Gelehrte der Universität Bologna. Die Professoren geben sich auch nach dem Blick durch das Fernrohr nicht überzeugt. Magini sät in Folge Misstrauen gegen Galilei, will dessen Monde "ausmerzen" und "vertreiben".

Im gleichen Monat hält der kaiserliche Astronom zu Prag den Sternenboten in Händen: Johannes Kepler zweifelt nicht an Galileis Darstellung. Er weiß aber auch von mehreren Briefen aus Italien, die von Einbildung oder Geisterbildern im Fernrohr sprechen. Da er um persönliche Stellungnahme gebeten wird, kann Kepler das nicht einfach ignorieren.

"Ich frage mich, wie es kommt, dass so viele die Erscheinung bestreiten, auch solche, die ein Fernrohr handhaben", schreibt er Galilei und bittet ihn, verlässliche Augenzeugen zu nennen. Umgehend führt der Italiener den Großherzog von Toscana, Cosimo II., sowie ein weiteres Mitglied des Hauses Medici an.

Galilei hat enge Bande mit dem florentinischen Patriziergeschlecht geknüpft. Er widmet seinen Sternenboten ausdrücklich Cosimo II. - die vier Monde tauft er in tiefster Verbeugung vor dem Großherzog und seinen Brüdern sogar "Mediceische Sterne". Bald werden sich die Medici auf Emblemen, Medaillen und Gemälden mit "ihren" Gestirnen darstellen lassen, die "kosmische Legitimation" ihrer Herrschaft so zu belegen suchen. Galilei erhält zum Dank eine wertvolle Goldkette und wird Hofphilosoph in Florenz.

In Prag findet Kepler keine brauchbaren Linsen, um Galileis Fernrohr nachzubauen. Kurfürst Ernst von Köln, der kurz in der Kaiserstadt weilt, borgt ihm eines aus seinem Besitz. Es kommt zu einem bemerkenswerten Experiment. Am 30. August 1610 wechseln einander Kepler und der Student Benjamin Ursinus am Leihfernrohr ab. Es ist auf Jupiter gerichtet. Jeder hält das Bild auf einer Kreidetafel fest, ohne die Zeichnung des anderen zu kennen. Dann erst vergleicht Kepler. Nun ist er enthusiastisch. Er führt den Begriff "Satelliten" (lat. "satelles": Leibwächter, Begleiter) in die Astronomie ein - für die ersten neuen Himmelskörper, die man seit dem Altertum entdeckt hat.

"Zwecklose" Gestirne kann sich Kepler nicht vorstellen. Für ihn muss das Jupitersystem bewohnt sein: Eines Tages würden Menschen nicht nur zum Erdmond, sondern auch zu Jupiters Satelliten reisen. "Gib Schiffe", schwärmt er in einem weiteren Brief an Galilei, "oder schaffe Segel für die himmlische Luft, und es werden Leute da sein, die sich nicht einmal vor jener Weite fürchten."

Galilei weiß um die Tragweite seiner Entdeckung. Der Kampf um das richtige Weltbild ist entflammt. Für die Vertreter der alten Lehre rast der gesamte Kosmos mit Sonne, Mond, Planeten und Sternen jeden Tag um die Erde. Diese ruht unbeweglich und als einziger Drehpunkt im Zentrum des Universums. Galilei und Kepler sind hingegen Anhänger des 1543 verstorbenen Nikolaus Kopernikus. Für sie zieht alles um die Sonne. Nur der Mond verbleibt weiterhin im Erdorbit. Hier gibt es also zwei Bewegungszentren. Kritiker finden das unelegant, formen daraus ein philosophisches Argument gegen das neue Weltmodell.

Monde und Liebschaften

Doch Galilei zeigt: Auch Jupiter ist für seine Monde Drehpunkt. Es muss also mehr als bloß einen geben. Die Satelliten beweisen Kopernikus zwar nicht, aber sie entkräften einen Einwand seiner Gegner. Entsprechend gereizt reagieren diese. Manche weigern sich, auch nur einen Blick durch das Teleskop zu machen.

Für Kopernikaner ist der Erdmond jetzt kein Einzelfall mehr, sondern bloß Vertreter einer ganzen Klasse von Himmelskörpern - den Planetenmonden.

Simon Marius, der Jupiters Satelliten etwa gleichzeitig mit Galilei entdeckt hat, schenkt ihnen individuelle Namen: "Io", "Europa", "Ganymed" und "Kallisto". Sie entstammen der griechischen Mythologie und repräsentieren Liebschaften des Zeus, den die Römer mit ihrem Gott Jupiter gleichsetzten. Um die Io vor seiner eifersüchtigen Gattin Hera zu verbergen, verzaubert sie Zeus in eine weiße Kuh. Die geschwängerte Kallisto wird von Hera selbst in eine Bärin verwandelt. Die arglose Europa entführt Zeus auf dem Rücken eines prächtigen Stiers und Ganymed holt er als Mundschenk in den Olymp.

Später werden andere Astronomen dem Deutschen folgen und neu entdeckte Planetenmonde ebenfalls nach mythischen Figuren taufen. Sie wählen dabei, wie Marius, vorzugsweise solche, die mit dem jeweiligen Planetengott in Beziehung stehen.

Schon Galilei schlägt die Jupitermonde den Niederlanden als Navigationshilfe vor. Kolonialmächte suchen Verfahren, um die Position ihrer Schiffe zu bestimmen. Dazu bedarf es präziser Himmelsbeobachtungen und der genauen Uhrzeit. Sanduhren reichen nicht. Das Stellungsspiel der Jupitermonde lässt sich vorherberechnen; somit kann man aus ihrer Betrachtung die aktuelle Zeit ableiten.

Die Lichtgeschwindigkeit

Seeleute sollen vor allem das Verschwinden der Monde in Jupiters Schatten mitverfolgen. Einschlägige Vorauskalkulationen publiziert Giovanni Cassini in Paris. Sein Assistent Olaus Römer findet darin Fehler. Weilt Jupiter fern der Erde, verspäten sich die Mondverfinsterungen um mehrere Minuten. Römer zieht einen revolutionären Schluss: Offenbar braucht das Licht dann entsprechend länger, um die Erde zu erreichen; es kann nicht unendlich schnell sein. Die Jupitermonde führen 1676 zur Entdeckung der Lichtgeschwindigkeit. Sie wird in der Kosmologie eine fundamentale Rolle spielen.

Viel näher als 600 Millionen km kommt Jupiter nie an uns heran. Seine Monde bleiben deshalb selbst in Großteleskopen des 20. Jahrhunderts winzige Scheibchen. Nur mühsam lassen sich diffuse Schattierungen ausmachen. Noch hält man die Oberflächen aller Satelliten für uralt. Sie müssten demnach ähnlich arg von Einschlagskratern gezeichnet sein wie der Erdmond. In den Sechzigerjahren weisen Spektralanalysen Wassereis nach. Ios abweichendes Spektrum bereitet allerdings Kopfzerbrechen.

1973 geht eine Vision Keplers in Erfüllung. Das erste "Schiff" zieht an Jupiter vorbei. Den Sonden Pioneer 10 und 11 folgen die beiden Voyagers. Sie zeigen die Mitglieder des Mondquartetts 1979 als überraschend individuelle, höchst unterschiedliche Welten.

Io fasziniert mit braunen, roten, orangen, gelben und grünlichen Farbtönen, erhält den Spitznamen "Pizzamond". Voyager 1 fotografiert eine schirmförmige, 280 km hohe Eruptionswolke. Ein aktiver Vulkan speit sie aus. Es ist der erste, den man fern der Erde findet. Vulkanismus existiert also auch anderswo im Sonnensystem. Ios Vulkane produzieren sogar hundert Mal mehr Lava als die irdischen. So deckt dieser Mond Einschlagsnarben rasch zu. Seine Oberfläche ist keine Million Jahre alt.

Auch auf Europa sind Krater erstaunlich rar. Die Eiskruste, auf der Höhenunterschiede fast gänzlich fehlen, ist bloß ein paar Dutzend Jahrmillionen jung. Ein wildes Netzwerk von Linien inspiriert Forscher zum Bild der "zerkratzten Billardkugel". Mitunter sind Eisplatten zerbrochen, verschoben und gegeneinander verdreht. Sie erinnern an irdisches Packeis. 1979 beginnt man, mit einem versteckten Ozean zu spekulieren.

Das Weltenmeer könnte sich 10 bis 40 km unter der Oberfläche verbergen und 100 km tief sein. Doch auch Galileos Kameraaugen vermögen nicht durch den Eispanzer zu schauen. Statt dessen meldet er ein unvermutet intensives Magnetfeld. Starke elektrische Ströme im Mondinneren erzeugen es. Am leichtesten kann man sich solche in einer gut leitenden, salzhaltigen Flüssigkeit vorstellen. Zwingend beweisen lässt sich Europas Ozean auf diesem Weg aber nicht.

Rund vier Milliarden Jahre alt sind die urtümlichen Eisregionen Ganymeds. Kohlenstoffhaltiger Staub unzähliger Kometen verdunkelt sein Antlitz.

Drei Mitglieder des Mondquartetts folgen merkwürdigen Bahnen. Ihre Umlaufszeiten verhalten sich zueinander wie die Zahlen 1, 2 und 4. Io, Europa und Ganymed stehen miteinander "in Resonanz". Deshalb weichen ihre Orbits auch heute noch ein wenig von der Kreisform ab. Während sie um den Riesenplaneten ziehen, entstehen starke Gezeiten in ihrem Inneren. Eis und Gestein kommen dort in Bewegung. Die resultierende Reibungshitze schenkt der jupiternahen Io gewaltigen Vulkanismus, ihrer Nachbarin Europa vermutlich einen unterirdischen Ozean. Ganymed erlebte nur in fernster Vergangenheit Episoden der Erwärmung. Er hält deutlich weitere Distanz zu Jupiter. In noch viel größerem Respektabstand finden wir Kallisto. Sie nimmt nicht mehr am Resonanzspiel teil. Ihre Kraterlandschaften haben deshalb seit über 4 Milliarden Jahren keine Veränderung mehr erfahren.

Wasser und Leben

Giordano Bruno war Zeitgenosse Galileis. Er glaubte an unzählige Planeten, die fremde Sterne umkreisen sollten. Gefunden hat man solche erst 1995. Aus beobachtungstechnischen Gründen stößt man meist auf Giganten von Jupitermasse und mehr. Sie jagen oft auf besonders intimer Bahn um ihren Stern. Höllische Temperaturen blähen ihre Gashüllen auf.

Ohne flüssiges Wasser vermögen wir uns Leben schlecht vorzustellen. In der Nähe einer Sonne verdampft es der Hitze wegen. In zu weiter Distanz erstarrt es ob der Kälte zu Eis. Dazwischen muss es aber einen ringförmigen Bereich geben, in dem Planeten auch flüssiges Wasser tragen können. Wo diese "bewohnbare Zone" liegt, hängt primär von der jeweiligen Sterntemperatur ab. In unserem System würde man sie grob zwischen den Bahnen von Venus und Mars einzeichnen. Dass die Erde darin weilt, wissen wir verbindlich.

Jupiter ist mehr als dreimal so weit von der Sonne entfernt als Mars und damit weitab der genannten Zone. Seine Satelliten erhalten nur 4 Prozent jenes Lichts, mit dem die Erde verwöhnt wird. Dennoch sorgen Gezeitenkräfte für Erwärmung: Sollte es tatsächlich einen heimlichen Ozean auf Europa geben, zählte dieser sogar zu den vielversprechendsten Plätzen für die Suche nach außerirdischem Leben.

Ähnliche Monde mögen auch Planeten fremder Sternsysteme besitzen. Es ließen sich selbst Riesenplaneten ausmalen, die, einst aus der Bahn um ihren Stern gerissen, durch das dunkle All treiben. Auf ihren Satelliten machten Gezeitenkräfte das gänzlich fehlende Sonnenlicht wett.

1979, als die Voyagers gerade an Jupiter vorbei schossen, stieß man in der irdischen Tiefsee auf Kolonien von Bakterien und Würmern. Sie lebten an den finstersten Plätzen, die man sich nur vorstellen kann - dafür aber in unmittelbarer Umgebung von heißen, mineralreichen Quellen. Entsprechende "Nischen" wären auf anderen Himmelskörpern ebenfalls denkbar. Wie Europa ahnen lässt, müssen diese Welten gar nicht in der "bewohnbaren Zone" kreisen. Galileos Monde veränderten also auch unsere Vorstellungen darüber, wo im Universum Leben möglich ist.

Freitag, 22. August 2003

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