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Der Mars nähert sich heuer außergewöhnlich stark der Erde an

Blick zum roten Planeten

Von Christian Pinter

Have you heard? It's in the stars - next July we collide with Mars! sangen Bing Crosby und Frank Sinatra 1956 in der Verfilmung von Cole Porters Musical "High Society". Keine Angst: "Kollidieren" werden wir auch heuer nicht mit dem Mars. Dennoch kommt uns der Nachbarplanet näher als während der letzten 60.000 Jahre. Entsprechend hell ist sein Glanz - er dominiert die späten Sommernächte und ist als kräftigster Lichtpunkt kaum mit anderen Gestirnen zu verwechseln.

Von allen Planeten bekennt Mars am deutlichsten Farbe. Sein Glanz erinnert an Rost. Das bewog Alchemisten dazu, ihn mit Eisen zu verquicken. Tatsächlich sind es oxidierte eisenhaltige Verbindungen im Marsboden, die für die rötliche Tönung sorgen. Auch für die typische Farbe des menschlichen Bluts ist ja Eisen verantwortlich. Ohne Eisen strahlte Mars in neutralerem Ton. Doch rötlich wie er nun einmal ist, weckte er bei den Alten Assoziationen mit Brand und fließendem Blut, Begleiterscheinungen des Kriegs.

So machten ihn die Griechen zum Sinnbild ihres wahllos wütenden Kriegsgottes Ares, der Streit, Kampf und Schlachtgetümmel liebte. Die Römer setzten Ares mit dem Schutzgott Mars gleich. Priester weihten in seinem Namen Waffen. Man widmete ihm den Dienstag (vgl. ital.: martedi) und den März (ital.: marzo).

"März" erinnert auch im Deutschen an "Mars". Unser "Dienstag" stammt hingegen von der germanischen Männerversammlung und ihrem Gericht "Thing" bzw. "Ding" (vgl. "dingfest machen"). Kriegsgott Tyr fungierte hier als Beschützer. Kämpfer schnitten sein Zeichen ins Schwert, riefen ihn dabei zweimal an. Dadurch wähnten sie sich behütet. Der germanische Tyr wurde als "Mars Thingsus" später auch mit seinem römischen Pendant verschmolzen.

Ruhiger Glanz

Den ebenfalls rötlichen Hauptstern des Skorpions empfand man früher als "Gegenstück" zu Mars bzw. Ares. Man taufte ihn "Antares". Doch der Blick zu Mars belegt: Planeten funkeln weniger als Sterne. Fixsterne wie Antares sind ferne Sonnen. Ihrer gigantischen Distanz wegen bleiben sie selbst im Großteleskop nur Lichtpunkte. Hingegen lassen die nahen Planeten schon im Amateurfernrohr Scheibchengestalt erkennen. Salopp gesagt, erreicht uns von Sternen ein einfacher Lichtstrahl, von Planeten ein schmales Strahlenbündel. Dieses Bündel vermag Turbulenzen in der Erdatmosphäre besser auszugleichen, reagiert toleranter auf Luftunruhe. Der geübte Sternfreund erkennt Mars und seine Planetenkollegen sofort am ruhigen Glanz.

Fixsterne verändern ihre Stellung zueinander praktisch nicht. Seit Jahrtausenden formen sie die alten, vertrauten Sternbilder. Auch jene des Tierkreises. Durch diese wandern aber fünf helle Lichtpunkte. Die Griechen nannten sie "Umherschweifende". Davon leitet sich der Begriff "Planeten" ab. Der rote Planet zieht jetzt durch den an hellen Sternen armen Wassermann. In Bezug zum Fixstern Delta Aquarii gesetzt, fällt seine Bewegung auf.

Mars kreist in 1,88 Jahren einmal um die Sonne. Doch das Wort "kreisen" ist eigentlich falsch. Könnte man aus der Vogelperspektive auf das Planetensystem schauen, würde es rasch offenbar: Die Marsbahn weicht stark von der Kreisform ab. Deshalb war es gerade dieser Himmelskörper, der Johannes Kepler 1609 zu den ersten beiden Planetengesetzen führte. Der schwäbische Astronom beschrieb die mühevollen Berechnungen rückblickend als "Krieg" gegen den Mars, der mit der Vorführung des "hochedlen Gefangenen" endete. Der solcherart Bezwungene verriet Kepler, dass er und die anderen Planeten nicht in Kreisbahnen, sondern elliptisch um die Sonne ziehen. Erst diese Erkenntnis ermöglichte den Siegeszug der kopernikanischen Lehre.

Mars ist die "Nummer Vier" im Reigen der Planeten und damit unser äußerer Nachbar. Auf ihrer engeren Bahn überholt ihn die Erde im Schnitt alle 26 Monate. Dann schrumpft der Abstand zwischen den beiden Welten auf ein Minimum. Mars gerät zum interessanten Fernrohrobjekt. Doch nicht alle der so genannten "Oppositionen" fallen gleich günstig aus. Während die Sonnendistanz der Erde im Jahreslauf mit 147 bis 152 Millillionen km ziemlich konstant bleibt, schwankt die des Mars zwischen 207 und 250 Millionen - der Grund dafür ist natürlich sein stark elliptischer Orbit.

Rekordopposition im August

Überholen wir Mars in seinem sonnennächsten Bahnabschnitt, schiebt er sich fast doppelt so eng an die Erde heran, wie bei ungünstigen Oppositionen im sonnenfernen Teil seiner Ellipse. Somit wächst auch das Marsscheibchen im Teleskop auf beinahe zweifache Größe. Langfristig verformen Störungen der anderen Planeten die Marsbahn, machen sie noch elliptischer. Alle Effekte zusammen genommen, kommt es Ende August 2003 zu einer wahren Rekordopposition. Sie wird erst im Jahr 2287 übertroffen. Am 27. August 2003 trennen uns nur 56 Mill. km von der Nachbarwelt. Ihr Licht braucht dann etwas über drei Minuten, um die Erde zu erreichen.

Überall nehmen Fernrohrbesitzer jetzt den roten Planeten ins Visier. Viele versuchen, Oberflächendetails zeichnerisch festzuhalten. Schauen wir ihnen über die Schulter, um zu erfahren, welche Sehenswürdigkeiten Mars bereit hält!

Wenn Marsliebhaber Gebiete mit geheimnisvollen Namen wie "Tharsis", "Chryse" oder "Thyle" studieren, wandeln sie auf den Spuren von Giovanni Schiaparelli. Er richtete 1877 das 22 cm durchmessende Linsenfernrohr des Mailänder Observatoriums auf den Mars. Auch damals stand der Planet im Wassermann. Was aus Neugierde begann, sollte Schiaparellis Passion werden. Die wenigen Gebilde, die man bis dahin auf dem Mars gesehen und nach berühmten Astronomen getauft hatte, zerfielen für den farbenblinden Sternwartedirektor in unerwartet viele Kleinstrukturen. Das veranlasste ihn, eine völlig neue, umfangreiche Nomenklatur einzuführen. Er griff auf die klassische Geografie und Mythologie zurück, sowie auf die Bibel.

Die hellen Landschaften taufte Schiaparelli nach irdischen Regionen. Er setzte "Aethiopis", "Arabia" oder "Libya" auf den Mars; ebenso "Aeria" (Ägypten), "Hellas" (Griechenland) und "Noachis" (nach Noah). "Amazonis", "Icaria" und "Isidis Regio" weisen auf die Heimat der Amazonen, des Ikaros bzw. der Göttin Isis hin. "Eridania" erinnert an den mythischen griechischen Strom Eridanos, später gern mit dem italienischen Po gleichgesetzt. In diesen Fluss stürzte einst Phaethon, nachdem er die Beherrschung über den geliehenen Sonnenwagen verloren hatte. Ihm ist "Phaethontis" gewidmet.

Dunkle Gebiete nannte Schiaparelli "Mare" (lat., Meer), "Lacus" (See), "Palus" (Sumpf) oder "Sinus" (Bucht). In seine Marskarte trug er z. B. "Mare Australe" (Südsee), "Mare Hadriacum" (Adria), "Mare Erythraeum" (Indischer Ozean), "Mare Tyrrhenum" (nach der See zwischen Italien, Sardinien und Sizilien), "Syrtis Major" (nach der Großen Syrte an der libyschen Küste) oder "Margaritifer Sinus" (nach der Perlenküste Südindiens) ein. Das "Mare Cimmerium" soll die Kimmerier in Erinnerung rufen,

die laut Homers "Odyssee" am Rande des Okeanos lebten. Aurora, römische Göttin der Morgenröte, stand bei der Bucht "Aurorae Sinus" Pate.

1877 meinte Schiaparelli, dünne geradlinige Strukturen ausmachen zu können: "Marskanäle". Zunächst dachte er an natürliche Gebilde, schenkte ihnen Namen irdischer Flüsse wie "Ganges" oder "Indus". Als sich 20 von ihnen jedoch in jeweils zwei parallele Kanäle aufspalteten, schloss er eine künstliche Entstehung nicht völlig aus.

Schiaparelli war schon bald nicht der einzige Astronom, der Kanäle in seine Karten einzeichnete. Der US-Amerikaner Percival Lowell formte daraus ein globales Bewässerungssystem; damit wolle eine weise Marszivilisation Wasser von den Polen in die Wüstengebiete leiten, glaubte er. Später stellten sich die Kanäle als Täuschung heraus. Im Grenzbereich der Wahrnehmung hatte das Auge getrennte, unregelmäßige Flecken zu durchgehenden Linien verschmolzen. Seither wissen selbstkritische Marsbetrachter: Es besteht immer die Gefahr, das zu erblicken, von dem man wünscht, es sehen zu wollen.

Langer Frühling

Der Mars ist etwa halb so klein wie die Erde. Nach und nach überschaut man im Teleskop eine Fläche, die der Summe aller irdischen Landmassen entspricht. Etwa ein Drittel davon sind die Dunkelgebiete. Schon im kleinen Teleskop fällt Syrtis Major auf. Damit bestimmte Christiaan Huygens 1659 erstmals die Dauer der Marsrotation. Sie beträgt 24 Stunden und 37 Minuten, ist also nur wenig länger als die der Erde. Weitere prominente Dunkelgebiete sind Mare Sirenum, Sabaeus Sinus, Mare Tyrrhenum oder Mare Acidalium. Einige Landschaften verändern saisonal Helligkeit, Farbe und Umriss. Daher glaubte man früher, Vegetation auf dem Mars nachgewiesen zu haben.

Nachts stürzen die Temperaturen auf dem Wüstenplaneten unter minus 80 Grad C. Es existieren dort keine Pflanzen, die gedeihen und verderben könnten. Das Antlitz des Mars wandelt sich, weil der Wind im Spiel der Jahreszeiten Staub von einem Gebiet ins andere weht.

Seine Rotationsachse ist ähnlich geneigt wie jene der Erde. Doch die Jahreszeiten währen fast doppelt so lange. Auf der Südhemisphäre hat der Frühling am 5. Mai 2003 begonnen; Sommeranfang ist erst am 29. September. Im Norden des Mars geht dann der Herbst in den Winter über. Die südliche Polkappe neigt sich uns ein wenig entgegen. Sie fällt als gleißend helles Oval bereits beim Anblick mit bescheidenen Instrumenten auf. Im späten Marsfrühling magert sie vor den Augen der Beobachter ab. Manchmal tut sich dabei ein dunkler Riss im Eis auf, ein anderes Mal trennen sich weiße "Inseln" ab. Selbst im Sommer bleibt ein kleiner Eisrest zurück.

Schrumpft die Polkappe, verwandelt sich gefrorenes Kohlendioxid in Gas. Somit steigt der Druck in der Marsatmosphäre. Im Schnitt beträgt er nicht einmal ein Hundertstel von dem der irdischen Lufthülle. "Luft" lässt sich das dünne Gasgemisch auf Mdem ars auch schlecht nennen; es besteht zu 95 Prozent aus Kohlendioxid.

Trotzdem können sich darin weiße Wolken aus Wassereispartikeln formen. Auch sie zeigt das Amateurteleskop. Am Marsboden bilden sich mitunter Reif und Nebel. Der Nebel löst sich mittags auf, wenn die Temperaturen über den Nullpunkt klettern. Der Frost ist beständiger.

Staubsturm

Sogenannte "gelbe Wolken" bestehen hingegen aus Staubteilchen, die von Stürmen hoch gewirbelt wurden. Die Staubstürme häufen sich, wenn die Sonnendistanz des Mars schrumpft. Manchmal dehnen sie sich praktisch über den ganzen Planeten aus, mitunter verschonen sie dabei nicht einmal die Polregionen. Zehnmal hat man derart dramatische Stürme seit 1873 registriert. Sie verderben die schönste Marsopposition. Windgetragener Staub vereitelt die Sicht auf die Oberfläche, fast alles scheint wie "weggewaschen". Mehrmals, auch 2001, war Hellas Ausgangspunkt. Das ist ein sehr hell wirkendes Einschlagsbecken, 2000 km weit und 6 km tief.

In seiner Nähe machten Beobachter jüngst wiederum Staubstürme aus. Möglich, dass sie in den kommenden Tagen weiter anwachsen und unsere Nachbarwelt schließlich komplett einhüllen werden. Marsfreunde wären zutiefst enttäuscht. Ihre Teleskope zeigten dann viele Wochen lang so gut wie nichts mehr.

Auch bei der heurigen Rekordopposition muss man mindestens 76-fache Vergrößerung wählen, um Mars im Fernrohr so groß zu sehen wie den Vollmond mit freiem Auge. Leider verstärkt man dabei die Auswirkungen der irdischen Luftunruhe mit. Das Marsscheibchen "zittert", Einzelheiten werden verwischt. Plötzlich, nach geduldigem Warten, steht die Luft still. Das Bild ist Augenblicke lang wie eingefroren. Rasch prägt man sich Details ein, bringt sie zu Papier. Dann lauert man auf den nächsten günstigen Moment. Wer diese Taktik nicht kennt, wendet sich vorschnell und enttäuscht ab.

Im Raumfahrtzeitalter mutet die Arbeit mit Taschenlampe, Zeichenbrett und Bleistiften wie ein Anachronismus an. Doch die Pflege traditioneller Techniken erlaubt Vergleiche mit Studien vergangener Epochen, als es noch keine Roboter im Orbit um Mars gab. So helfen Amateure, langfristigen Klimaänderungen nachzuspüren: Die gestiegene Zahl schwerer Staubstürme deutet vielleicht auf globale Erwärmung des roten Planeten hin. Falls sie ausbleiben, genießen Beobachter ein subtiles Naturerlebnis. Sie gehen mit den Augen auf Mars "spazieren".

Freitag, 25. Juli 2003

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