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Die angejahrte Galileo-Sonde beendet ihre Mission mit einer letzten Foto-Safari zum buntesten aller Jupiter-Trabanten

Argusaugen bewachen Io

Von Christian Pinter

In seiner kühnsten Phantasie hätte sich Galileo Galilei nicht ausmalen können, was für eine wilde Welt er da entdeckt hat. Als er im Jänner 1610 das eben erst erfundene Fernrohr zum Jupiter richtete, erblickte er unerwartet drei, dann vier Lichtpunkte. Sie umkreisten den Planeten so wie der Mond die Erde. Der Deutsche Simon Marius schlug für das Quartett die Namen von vier Liebschaften des Gottes Jupiter vor: "Kallisto", "Ganymed", "Europa" - und "Io".

In der Mythologie ist Io die Tochter des Gottes Inachus. Als Jupiter sie erblickt, weiß er: dieses Mädchen ist zu schön, um das Bett eines Sterblichen zu teilen. Doch Io flieht vor dem liebestollen Donnergott. So hüllt Jupiter das Land in Nebel, hält Io auf und raubt ihr, so erzählt Ovid in den Metamorphosen, die Ehre. Seine Ehefrau Juno ahnt ob der plötzlichen Nebelschleier nichts Gutes. "Täuscht mich nicht alles, so werde ich hier getäuscht", argwöhnt sie.

Um Io vor der eifersüchtigen Gattin zu verbergen, verwandelt Jupiter sie in eine strahlend weiße Kuh. Juno durchschaut den Zauber und fordert das Tier als Geschenk. Sie lässt es fortan vom hundertäugigen Argus bewachen, um weiteren Seitensprüngen ihres Gemahls vorzubeugen.

Jupiter bittet seinen Sohn Merkur, Io zu befreien. Der Götterbote lullt Argus mit dem Spiel auf der selbstgebastelten Rohrflöte ein, bis der Bewacher in Schlummer fällt. Merkur stürzt ihn über den Abhang. Juno versetzt die Augen des Ermordeten in die glänzende Schleppe des Pfaus. Wenn immer er diese balzend zum Rad aufrichtet, kann man Argus' Augen darin bewundern. Die vierbeinige Io aber treibt Juno erbost bis an die Ufer des Nils. Dort erst gibt Jupiter ihr Menschengestalt zurück.

Ein Pizzamond

Bereits das Fernglas zeigt Jupiters größte Begleiter. Doch selbst die stärksten konventionellen Teleskope lassen auf den vier winzigen Scheibchen bestenfalls diffuse Flecken erkennen. So konnten Astronomen über das Antlitz der fernen Monde jahrhundertelang nur spekulieren. Io glaubten sie von Einschlagskratern übersät, ähnlich wie die alte Oberfläche des Planeten Merkur und des Erdmonds.

Umso größer war die Überraschung, als man im März 1979 erstmals Nahaufnahmen der Io in Händen hielt, zur Erde gefunkt von der an Jupiter vorbeirasenden NASA-Sonde Voyager 1. Die erwarteten Krater fehlten völlig. Statt dessen erschien Ios Oberfläche unglaublich jugendlich, jünger als eine Million Jahre. Und im Gegensatz zu den anderen Jupitermonden war sie auch nicht von weitgehend farblosem Wassereis bedeckt - vielmehr fesselte sie mit rätselhaften braunen, roten, orangen, gelben und grünlichen Landschaften. Diese Farben sollten sich später als dezenter entpuppen, als die ersten Fotos glauben machten - doch der Name "Pizzamond" ist Io geblieben.

Auf einer der Voyager-Aufnahmen tauchte eine schirmförmige, 280 Kilometer hohe Eruptionswolke auf: man hatte den ersten aktiven Vulkan fern der Erde erspäht! Vier Monate später folgte die Schwestersonde Voyager 2. Immer mehr aktive Gebiete wurden kartiert. Man schenkte ihnen die Namen von Sonnen-, Feuer-, Vulkan- und Donnergottheiten. So treffen wir heute etwa den hawaiischen Vulkangott Pele auf Io, ebenso wie den georgischen Feuergott Amirani, den indianischen Donnergott Pillan, Indiens mythischen Schmied Tvashtar oder seinen listenreichen nordischen "Kollegen" Loki.

Io ist klein wie der Erdmond. Wir brächten dort nicht einmal ein Fünftel unseres irdischen Gewichts auf die Waage. Während der Mond Jupiter in weniger als zwei Tagen umkreist, hält er ihm stets dieselbe Seite hin. Weilten wir also auf der Jupiter zugewandten Hemisphäre Ios, hinge der Riesenplanet als mächtiges Ungetüm über der Vulkanlandschaft; gewaltig groß, hell und fast wie angenagelt.

Vulkanismus dürfte es auf Io eigentlich gar nicht geben. Ginge es nur nach der Dimension, müsste der Jupitermond längst ausgekühlt sein wie der Erdtrabant. Doch als innerster der vier großen Jupiterbegleiter befindet sich Io in unglücklicher Lage: Die Gezeitenkräfte des Planeten und jene der weiter außen kreisenden Monde Europa und Ganymed walken sie durch - salopp gesagt so, als bestünde sie bloß aus zähem Teig. Alle paar Stunden wird ihr Körper um 100 Meter gestreckt.

Die entstehende Reibung erhitzt das Innere dramatisch. In der Tiefe schmilzt Gestein, bildet einen versteckten Ozean aus Magma. Dieses drängt Richtung Oberfläche, schafft an zahlreichen Stellen den Durchbruch. In seiner Heftigkeit ähnelt Ios Vulkanismus jenem, der einst die junge Erde prägte. Heute produziert unser Planet nur ein Hundertstel jener Lavamenge, die aus der kleinen Io hervorbricht. Allein mit der heißen Gesteinsschmelze des Vulkans Amirani könnte man jede Minute zwei Sportschwimmbecken füllen. Und anders als auf unserem Planeten sind auf dem Jupitermond stets mehrere der allermächtigsten Vulkane gleichzeitig aktiv.

Seit 1995 studiert die NASA-Sonde Galileo die hyperaktive Welt, die im Sonnensystem ihresgleichen sucht. Hunderte vulkanische Calderen zeichnen dunkle Flecken auf Ios Antlitz. Sie muten auf Fotos fast wie kleine schwarze Oliven auf der Pizza an. Doch viele dieser Gebilde sind in Wahrheit größer als Wien. In der Caldera von Loki, dem kräftigsten Vulkan, würde ganz Niederösterreich verschwinden. Sein Kessel scheint mit heißer, dunkler Lava gefüllt zu sein; er strahlt mehr Hitze ab als alle irdischen Vulkane zusammen.

Immer wieder steigen bläuliche Eruptionswolken über aktiven Gebieten auf. Dort werden Gas und Asche mit Geschwindigkeiten um 3.000 km/h hochgeschleudert. 400 Kilometer über Grund siegt Ios Anziehungskraft; die Materie stürzt im Radius von gut 500 Kilometer hernieder. Nach Mitteleuropa versetzt, würde eine Eruption bei Stuttgart also für Ascheregen zwischen Wien und Paris, Hamburg und Genua sorgen.

Aschenringe

Um Pele, den erstentdeckten Vulkan, ist so ein auffälliger orangeroter Ring von 1.400 km Durchmesser entstanden. Galileo wurde Augenzeuge, wie ein Teil dieses Gebildes unter der Asche des Nachbarvulkans Pillan verschwand. Dessen dunkelgraues Auswurfmaterial deckte innerhalb weniger Monate eine riesige Fläche zu, wesentlich größer als Österreich.

Bei uns werden besonders vernichtende Vulkandetonationen durch den Kontakt des glühenden Magmas mit unterirdischem Wasser ausgelöst; der Wasserdampf dehnt sich explosionsartig aus. Vielleicht war auch Io einst von Wassereis bedeckt, so wie die anderen Jupitermonde noch heute. Doch jetzt existiert Wasser dort mit Sicherheit nicht mehr. Um die enorme Gewalt der Vulkane zu erklären, bedarf es demnach eines anderen Mechanismus.

Wahrscheinlich ist es der hohe Gasgehalt der Magmen: Während die Schmelze aus der Tiefe aufsteigt, sinkt der Druck. Die darin gelösten Gase werden frei, als öffnete man eine geschüttelte Sodawasserflasche. Schwefeldioxid tritt an der Oberfläche aus, reißt das Magma kräftig mit sich. Beim Vulkan Tvashtar ragte die glühende Fontäne aus flüssigem Gestein sogar mehr als 1.500 Meter hoch. Diese "Feuerwand" war so grell, dass sie Galileos Kamera-Auge tatsächlich blendete.

Die Vulkane liefern laufend Schwefeldioxid nach. Stechend im Geruch und stark giftig, legt es sich bei mittleren Io-Temperaturen um 150° C bald als heller Frost auf die Landschaft. Am Rande von heißen Lavafeldern verwandelt sich der Frost wieder zurück in Gas. Dort macht man auf Galileos Fotos bläuliche Schleier aus. Die Dichte von Ios Atmosphäre schwankt damit stark. Über heißen Gebieten ist sie gut nachweisbar. Global betrachtet, kann man sie aber fast vernachlässigen. Das Fehlen einer nennenswerten "Lufthülle" hilft auch der Lava, über weite Strecken flüssig zu bleiben: man sieht dunkle Lavaflüsse mit über 400 Kilometer Länge.

Schwefel zaubert Io Farbe ins Gesicht. Die Buntheit der Oberflächendetails lässt sich durch seine Verbindungen mit Natrium und Kalium erklären oder durch den Aufbau von Molekülen mit 2, 3, 4 oder 8 Schwefelatomen. Angesichts seiner Allgegenwart spekulierten manche Forscher sogar mit einem eigentümlichen, auf Schwefel basierenden Vulkanismus. Doch wie Galileo nachwies, glühen Ios Laven noch heißer als irdische; die Temperaturen übersteigen 1.500° C - viel zu hoch für "Schwefelvulkanismus". Ios Lava muss daher silikatisch sein. Der farbbestimmende Schwefel ist damit nur Beimengung im Gestein.

Die vulkanischen Ablagerungen wachsen im Schnitt alle paar Jahre um einen Millimeter. Nach einer Jahrmillion sind selbst tiefe Einschlagskrater zugedeckt, gleichsam "ausradiert". Die Niveauunterschiede sind entsprechend gering. Dennoch ragen aus den weiten, relativ flachen Ebenen unvermittelt eindrucksvolle Berge auf. Sie formen keine Gebirgsketten, wirken vielmehr isoliert und willkürlich über die Oberfläche verteilt. Manche sind doppelt so mächtig wie der Mount Everest.

Wie entstehen Ios Bergriesen? Lassen wir im Geist eine Kugel schrumpfen: ihre Oberfläche wird immer kleiner, Platz darauf rar. Auf Io drückt wahrscheinlich das Gewicht der sich anhäufenden Lava langsam Teile der 30 bis 60 Kilometer dicken Silikatkruste in die Tiefe. Zunehmender Raummangel führt dort zu Stress, die Kruste bricht auseinander. Ihre Fragmente stellen sich auf, recken sich als wahre Giganten gen Himmel. Jupiters Magnetfeld ist wesentlich stärker als das irdische. Während Io hindurchrast, entsteht ein gewaltiger Dynamo. Ein Strom mit einigen Millionen Ampere fließt entlang der Feldlinien von Jupiters Magnetfeld, bildet die sogenannte "Flussröhre". Senkrecht auf Ios Umlaufbahn stehend, tritt sie nahe der Jupiterpole in die Wasserstoff-Atmosphäre des Planeten ein: das Gas erstrahlt. So hinterlässt Io gleichsam ihren "Hufabdruck" auf Jupiters Stirn, 1.000 mal 2.000 Kilometer weit.

Wo die Flussröhre hingegen Io trifft, leuchten Sauerstoff, Natrium und Schwefeldioxid ihrer fleckigen Atmosphäre rot, grün und blau. Im Gegensatz zu irdischen Polarlichtern können die zarten Lichtvorhänge dort praktisch bis zum Boden hinabreichen.

Jupiters Magnetfeld umspannt eine ausladende Blase im Raum, in der geladene Teilchen gefangen sind. Diese Magnetosphäre ist tausendmal größer als die irdische, die Teilchendichte eine Million Mal höher. Io ist darin gefangen. Ständig prasseln Partikel auf sie herab, rauben ihr Materie. Zusammen mit jenem Gas, das die Vulkane ins All blasen, verliert sie jede Sekunde eine Tonne Masse.

Das Material formt einen dicken Wulst entlang ihrer Umlaufbahn, wird dort von der Strahlung ionisiert. Oszillationen machen diesen "Io-Plasma-Torus" zum natürlichen Sender. Selbst aus einer Milliarde Kilometer Distanz werden die Signale von "Radio Io" noch von irdischen Kurzwellenamateuren aufgefangen: Sie klingen wie Brandungsrauschen und ferner Donner.

Respektlose Annäherung

Anders als die beiden vorbeieilenden Voyagers schwenkte Galileo in eine Umlaufbau um Jupiter ein, zog in den letzten fünfeinhalb Jahren immer wieder dicht über die Oberflächen Europas, Ganymeds und Kallistos dahin. Io studierte er zunächst aus sicherer Distanz. Die harte Strahlung in der Nähe des Riesenplaneten hätte der Bordelektronik arg zugesetzt. Erst 1999, als die anderen Missionsziele erreicht waren, begann eine Serie respektloser Annäherungen.

Mittlerweile hat Galileo seine geplante Lebensdauer längst überschritten, bekam die dreifache Dosis jener Strahlung ab, für die er eigentlich konzipiert ist. Als er im August 2001 über Ios Vulkan Tvashtar hinwegzog, versagte seine Kamera zeitweise. Galileo hat begonnen, die Augen zu schließen. Wenn er Io am 16. Oktober zum vorletzten Mal passiert, gewinnt er vielleicht seine allerletzten Aufnahmen.

Zur Jahreswende erhielt der Roboter kurz Assistenz von Cassini. Auf dem Weg zum Saturn holte die schwere NASA-Sonde Schwung bei Jupiter, nützte das Manöver aber auch, um Ios Polarlichter zu studieren. Mit geringerer Auflösung, dafür aber regelmäßig, nimmt das Hubble-Weltraumteleskop Ios Eruptionswolken ins Visier. Heftige Vulkanausbrüche können außerdem mit speziellen Infrarotteleskopen am Mauna Kea, Hawaii, und in Flagstaff, Arizona, mitverfolgt werden. So gesehen werden auch nach Galileos Abgang noch "Argusaugen" über Io wachen.

Freitag, 21. September 2001

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