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Die NASA plant eine Landung auf dem steinernen "Liebesgott"

Rendezvous mit Eros

Von Christian Pinter

Die Mission endet halsbrecherisch. Ein Jahr lang hat die Sonde NEAR einen kleinen, erdnussförmigen Felsbrocken umkreist, vermessen und kartiert. Nun sollte sie am 12. Februar sogar einen Landeversuch wagen. Ausgerüstet ist sie dafür nicht. Gespannt blickt die NASA dem Experiment entgegen.

Der eigentümliche Himmelskörper sorgte bereits bei seiner Entdeckung am 13. August 1898 in Berlin für Aufregung. Astronomen hatten fast ein Jahrhundert lang Kleinplanet um Kleinplanet aufgestöbert. Alle kreisten brav zwischen Mars und Jupiter um die Sonne, bildeten dort den sogenannten Kleinplaneten- oder Asteroidengürtel. Nicht so Asteroid Nummer 433. Er schnitt die Marsbahn und würde, so zeigte sich, der Erde 1931 sogar 23 Mill. km nahe kommen.

Gustav Witts neuer Fund erschien wie ein "Seitensprung der Schöpfung". Man schenkte ihm den Namen des griechischen Liebesgottes Eros, selbst Resultat eines Abenteuers der Liebesgöttin Aphrodite mit dem Kriegsgott Ares. (Die römischen Entsprechungen Amor, Venus und Mars sind uns vertrauter.) Der knabenhafte, schöne Eros stand für die sinnliche Liebe, die Erotik. Seine Waffen waren Pfeile, die er in die Herzen der Menschen schoss. Vergoldet und mit scharfer, blinkender Spitze erregten sie Liebe. Stumpf und mit Blei unterm Schaft vertrieben sie jegliche Zuneigung.

Am Ziel vorbeigeschossen

Ausgerechnet den nun zu Stein gewordenen Liebesgott wählte die NASA zum Objekt ihrer Begierde. Der Asteroid Eros schien groß genug, um mit einer Fülle interessanter Details überraschen zu können, und ausreichend nahe, um ihn mit vergleichbar geringem Aufwand anzusteuern. Nach nur zweijähriger Bauzeit brach die Sonde NEAR (Kürzel aus "Near-Earth-Asteroid-Rendezvous") am 17. Februar 1996 zum himmlischen Stelldichein auf.

Beinahe endete das rund 3 Mrd. Schilling teure Projekt mit einem Fiasko. Beim nötigen Abbremsen knapp vor dem Rendezvous schaltete das Triebwerk am 20. Dezember 1998 vorschnell ab. Die Sonde schoss am Ziel vorbei. Zum Glück gelang es, sie auf Kurs zu einem neuerlichen "Date" zu bringen, wenngleich 13 Monate verspätet.

Am 14. Februar 2000 schwenkte NEAR endlich in die Umlaufbahn um Eros ein, geriet zum ersten künstlichen Satelliten eines Asteroiden. Der Roboter erhielt einen neuen Namen: "NEAR Shoemaker". Damit ehrte die NASA den populären Astronomen und Geologen Eugene Shoemaker, der 1997 beim Studium australischer Meteoritenkrater Opfer eines Autounfalls geworden war.

Bald senkte man die Flughöhe auf 200 km. Die etwa autogroße Sonde bewegte sich nur mit Schrittgeschwindigkeit um Eros. Stürmischeres Tempo, und die Affäre wäre gleich wieder zu Ende gewesen. Denn Eros Abmessungen sind mit 33x13x13 km bescheiden. Sein Gravitationsfeld ist entsprechend schwach, wegen der unregelmäßigen Form des Himmelskörpers außerdem noch kompliziert. Obacht war nötig, um NEAR im Orbit zu halten. Speziell am 26. Oktober 2000, als man sich kurzzeitig bis auf 5 km heranschmiegte. Die Kamera hielt dabei Details kleiner als 1 m fest.

Der Liebesgott Eros mag unwiderstehliche Anziehungskraft auf Menschen ausüben - der gleichnamige Kleinplanet hat so gut wie keine. An der Oberfläche beträgt die Gravitation nur ein Dreitausendstel des irdischen Werts. Ein Tennisspieler wäre dort halb so schwer wie ein Tennisball auf Erden. Allerdings schwankte das Gewicht je nach aktuellem Standort auf dem rotierenden Körper deutlich. Mancherorts würde ein Ball eine halbe Minute brauchen, um aus Kopfhöhe zu Boden zu fallen. Ein gekonnter Schlag beförderte ihn für immer ins All.

Ein kräftiger Sprung ließe den Spieler gleich folgen. Auf der Erde müsste sich dieser an die Spitze einer Rakete setzen, um Entweichgeschwindigkeit zu erreichen. Auf Eros genügte ein kurzer Sprint.

Narbengesicht

Vermutlich ist Eros nur Bruchstück eines etwas größeren Himmelskörpers. Seine längliche Gestalt deutet darauf hin. Die prägende landschaftsformende Kraft sind jedenfalls Meteoriteneinschläge. Meteorite sind Fragmente anderer Kleinplaneten. Sie prasseln mit typischerweise 18.000 km/h auf Eros herab. Ihre extreme Bewegungsenergie wird explosionsartig frei. Kreisförmig begrenzte Krater entstehen: NEAR fotografierte etwa 100.000 solcher Narben mit Durchmessern über 15 m.

Für die weitesten schlug man Namen von Liebenden aus der Mythologie und der Weltliteratur vor. Eindrucksvoll ist die gut 5 km durchmessende Psyche, benannt nach der Geliebten des Eros. Für andere Impaktwunden wählte man Narcissus, der sein eigenes Spiegelbild begehrte, oder Pygmalion - jenen Bildhauer, der sich in die von ihm geschaffene Mädchenstatue verliebte. Man trifft außerdem Orpheus und Eurydice, Don Juan, Don Quixote und Dulcinea sowie Nabokovs Lolita.

Sehr kleine Krater von nur wenigen Metern Durchmesser sind auf Eros selten. Dem Anschein nach heilt die Zeit zumindest harmlosere Wunden. Eine bis zu 100 m dicke Schicht aus lockerem Schutt, der ebenfalls beim Einschlag der vielen Meteorite entstand, dürfte sie zugedeckt haben. Dieser sogenannte "Regolith" rutschte in die Vertiefungen, füllte sie auf. Treffer schüttelten den Himmelskörper zudem durch. Der feine Gesteinsschutt geriet dabei wohl in ähnliche Bewegung wie Sand in einer leicht gerüttelten Schachtel: Niveauunterschiede gleichen sich langsam aus. Der Regolith verleiht Eros ein geglättetes, sanfteres Antlitz.

Eros trägt weitere Pfeile im Köcher: Bei heftigen Einschlägen wurden gewaltige Felsblöcke hochgeschleudert. Viele verloren sich im All, andere stürzten wieder auf Eros zurück. Manche kullerten in Krater. Das komplexe Gravitationsfeld ließ sie allerdings nicht unbedingt bis zum jeweils tiefsten Punkt rollen. Die NEAR-Fotos zeigten etwa eine Million solcher Blöcke, größer als Einfamilienhäuser. Einzelne messen sogar 100 m.

Himeros, mit 10 km Weite das ausladendste Gebilde auf Eros, bereitet Kopfzerbrechen. Unregelmäßig geformt, sieht die Vertiefung überhaupt nicht aus wie die typische Wunde eines Meteoriteneinschlags. Wie aber sonst wäre sie entstanden? Himeros und andere Großstrukturen wirken außerdem deutlich frischer als die kleineren Krater - obwohl eine Häufung besonders schwerer Treffer in "jüngerer Zeit" kaum anzunehmen ist.

Zerkratzte Haut

Es scheint, als hätte jemand Eros beim stürmischen Liebesspiel den Rücken zerkratzt: schmale Rillen ziehen sich über seinen Körper. Wahrscheinlich sind es Brüche, die vom Regolith aufgefüllt wurden. Auch sie dürften bei dramatischen Schlägen entstanden sein, wie Sprünge, die ein aufprallender Stein in der Windschutzscheibe eines Autos hinterlässt. Solche Bruchzonen erklären wohl auch, warum manche Krater ein wenig "quadratisch" wirken. Wo der Kraterrand parallel zu einer Fraktur verläuft, wird er tendenziell begradigt. Ähnliches findet man auch beim berühmten Barringer-Krater in Arizona.

Eros zerkratzte Haut ist gleichmäßig grau mit leicht bräunlichem Einschlag. Am Wall mancher Krater haben Erdrutsche jedoch helleres, frisches Material freigelegt. Offenbar wird es erst später rötlich und dunkelt ein. Eros besitzt keine Lufthülle. Verwitterung im uns vertrauten Sinn scheidet als Ursache für den Farbwechsel aus. Doch was sonst könnte selbst den Gott der Erotik erröten lassen?

Forscher deuten zufrieden auf die Funkfotos und sprechen von "Weltraumverwitterung". Um ihre Genugtuung zu verstehen, müssen wir einen Blick in berühmte Meteoritensammlungen werfen, etwa in jene des Naturhistorischen Museums in Wien. Viele der dort ausgestellten Proben aus dem All zählen zur Gruppe der gewöhnlichen Chondrite. Sie stellen den Großteil aller Meteoritenfälle. 4,6 Milliarden Jahre alt, gelten sie als Urmaterie aus der Geburtszeit des Sonnensystems. Sie bestehen überwiegend aus den Silikatmineralien Olivin, Pyroxen und Feldspat. Nickeleisen spielt eine untergeordnete Rolle.

Auch unsere Erde entstand aus ähnlichem Material. Doch ihrer enormen Masse wegen schmolz sie auf, differenzierte: Schwere Elemente sanken ab, leichte stiegen auf. Bei den gewöhnlichen Chondriten war dies nie der Fall. Manche wurden zwar längere Zeit höheren Temperaturen ausgesetzt, zum Schmelzen reichten diese aber nicht. Die ursprüngliche, homogene Mischung blieb gut erhalten.

Auch Meteorite stammen, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, aus dem Asteroidenreich. Gerne hätte man die vielen gewöhnlichen Chondrite mit den S-Asteroiden in Verbindung gebracht, die bevorzugt den inneren Teil des Kleinplanetengürtels bevölkern. Deren Spektrum verrät nämlich vergleichbare mineralische Zusammensetzung. Doch die Kleinplaneten sind etwas rötlicher und weisen einen deutlichen Eisenüberschuss auf. Das verwirrt, denn ohne die S-Asteroide stünden die häufigsten aller Meteorite ohne Mutterkörper da.

Die Beobachtungen auf dem alten Eros lösen das Dilemma. Wenn sich exponiertes Material auch auf den anderen S-Asteroiden durch Strahlung und Sonnenwind so stark verändert wie dort, ist der irritierende Rotstich nur verwitterungsbedingte Verzerrung. Auch für den erhöhten Eisengehalt zeichnet sich eine Erklärung ab: Beim Einschlag von Kleinstmeteoriten vaporisiert Gestein; aus der Dampfwolke könnten winzigste Eisenteilchen kondensieren, die sich als hauchdünner Film auf die Oberfläche legen.

NEARs Spektrometer analysierten außerdem vom Orbit aus die Häufigkeit bestimmter Elemente im Oberflächengestein. Auch ihr Befund passt ins Bild. Die Abstammung der gewöhnlichen Chondrite von S-Asteroiden ist damit praktisch gesichert. Ob einer der Meteorite in unseren Sammlungen sogar von Eros selbst stammt, lässt sich leider nicht sagen. Dazu müsste man vor Ort Vergleichsproben entnehmen.

Ein Quickie

Trotz aller Frakturen ist Eros ein fester Körper. Das ist bei Asteroiden keineswegs selbstverständlich. Auf Kurs zum Eros schoss NEAR am 27. Juni 1997 an der Mathilde vorbei. Sie ist eine österreichische Entdeckung. Der berühmte Kleinplanetenjäger Johann Palisa fand sie 1885 in Wien. Bei einer Geschwindigkeit von 35.000 km/h konnte sich NEAR hier kaum mehr als einen "Quickie" erlauben. Nur eine knappe halbe Stunde blieb, Mathilde zu erforschen. Die rasch geschossenen Aufnahmen zeigen einen grobschlächtigen schwarzen Klotz, dunkler als Kohle. Fünf Krater Mathildes sind weiter als 20 km. Man fragt sich, wie ein nur 52 km kleiner Körper derart gewaltige Schläge einstecken konnte, ohne auseinander zu brechen? Die mittlere Dichte ist mit 1,3 g/m³ halb so groß wie jene des Eros. Mathildes Inneres muss also gewaltige Hohlräume aufweisen. Wahrscheinlich lässt sie sich nur noch als lockere Ansammlung kilometergroßer Trümmer begreifen, die von der eigenen Schwerkraft relativ "lose" zusammengehalten werden.

Mathilde wird unter die C-Asteroide gereiht, die im fernen, kühleren Bereich des Kleinplanetengürtels dominieren. Ihr Spektrum suggeriert Verwandtschaft mit den kohligen Chondriten. Diese ursprünglichsten aller Meteorite enthalten Kohlenstoff und Wasser. Normalerweise findet man sie selten. Doch am Morgen des 18. Jänner 2000 gingen gleich hunderte über dem zugefrorenen Tagish-See in Nordwest-Kanada nieder. Sekunden zuvor hatte es einen Miniasteroiden in der Erdatmosphäre zerrissen. Wie Bahnberechnungen zeigen, kam er tatsächlich aus dem äußeren Gürtelbereich.

Heute kennt man die Bahnen von rund 19.000 Asteroiden im Kleinplanetengürtel. Immer wieder kommt es dort zu Zusammenstößen. Manche Bruchstücke geraten in Zonen, in denen Jupiters enorme Schwerkraft die Umlaufbahnen besonders stark stört. Die Trümmer werden fortgeschleudert; einige auch ins innere Sonnensystem, wo Mars, Erde, Venus und Merkur regieren.

Kommen sie der Sonne näher als 195 Mill. km, sprechen Astronomen von "NEAs" (nach "Near-Earth Asteroids"). Eros ist der erstentdeckte Vertreter dieser Gruppe. Die Orbits sind langfristig aber nicht stabil.

In Modellrechnungen kollidieren NEAs mit den inneren Planeten oder werden nach nahen Begegnungen mit diesen wieder in fernere Regionen verbannt. Manche stürzen in die Sonne: Auch Eros könnte dieses Schicksal in 19 Mill. Jahren ereilen.

Betrachtet man nur NEAs mit mindestens 1 km Durchmesser, so liefert der Kleinplanetengürtel statistisch alle paar tausend Jahre einen neuen nach. Einer Schätzung zufolge existieren zur Zeit rund 1.000 solcher Kaliber. Knapp die Hälfte davon ist uns bekannt. Mit kleinerem Durchmesser muss die Dunkelziffer exponentiell wachsen: Im 100-m-Bereich harren vielleicht bis zu hunderttausend NEAs ihrer Entdeckung, im 30-m-Bereich sind es womöglich schon Millionen. Suchprogramme wie LINEAR in New Mexico, Spacewatch und LONEOS in Arizona, NEAT auf Hawaii, Spaceguard in Japan oder Catalina Sky Survey in Australien stöbern wenigstens die helleren, größeren Objekte auf.

NEAR Shoemakers Treibstoff geht zu Ende und damit auch der einjährige Flirt mit Eros. Der Roboter wird immer tiefer zur Oberfläche hinab sinken, bis er zwar kontrolliert, aber doch relativ hart aufsetzt. Er verfügt über keine Landevorrichtung. Kurz nach dem Bodenkontakt wird er daher wohl verstummen. Die letzten Funksignale erreichen uns aus 316 Mill. km Erddistanz und mit 18 Minuten Verzögerung. Sie geben Aufschluss über die Festigkeit des Regoliths. Das wiederum könnte einer japanischen Mission zugute kommen: MUSES-C soll Ende 2002 zu einem anderen, etwa 1 km kleinen NEA aufbrechen - und fünf Jahre später mit Gesteinsproben zurückkehren.

Freitag, 09. Februar 2001

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