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Anfang Jänner schimmert der Erdbegleiter in seltsamen Farben

Blutiger Mond

Von Christian Pinter

Es beginnt harmlos. Wie unzählige Vollmonde vor ihm, erhellt auch jener des 9. Jänner 2001 die Winternacht. Doch ab 19:42 MEZ geschieht Seltsames. Der linke untere Mondrand fällt einer dunklen Macht zum Opfer. Immer mehr ergreift sie von ihm Besitz. Der Mond scheint abzunehmen. Nach einer Stunde ist bloß eine schmale Sichel übrig. Dann verschwindet auch sie. Im Sternbild der Zwillinge bleibt ein blutig rotes, mattes Licht zurück.

Früher bangten entsetzte Beobachter um den "verblutenden" Mond. Sie brauchten seinen Schein, der die gefährliche Nacht erhellte und seine Phasen, die als Zeitmaß dienten; letztlich fußt auch unser Monat darauf. Nun war es, als wolle ein himmlischer Drache, ein Wolf oder ein Ungeheuer den Mondgott verschlingen. Verzweifelt suchte man den Übeltäter mit allerlei Lärm zu vertreiben. An diesen Brauch erinnern auch die Metamorphosen: Ovid erzählt dort vom "Mond, dessen weißes Licht sich rot färbt, wenn bei der Verfinsterung vergeblich das helfende Erz erdröhnt".

So groß war die Furcht, dass selbst Apostelgeschichte und Offenbarung den Mond "in Blut" bzw. "ganz wie Blut" erwähnten: unter jenen Himmelszeichen, die den letzten Tagen vorangehen sollen. Nur unverbesserliche Apokalyptiker werden allerdings die totale Mondfinsternis vom Jänner 2001 zum Vorboten des Weltuntergangs machen. Solche Himmelsschauspiele kommen häufig vor - statistisch alle ein bis zwei Jahre.

Ersatzkönig

Vor 4.000 Jahren begann man in Mesopotamien, das Geschehen am Himmel und auf Erden aufzuzeichnen. Im ganzen Land wurden Sternwarten errichtet. Bald witterten Sternkundige in allen Ereignissen am Firmament Mitteilungen der Götter, Vorzeichen für Seuchen, Dürre, Kriege, Tod oder auch Herrschergeburten. Vor allem Sonnenfinsternisse betrachteten sie als Warnung an den König, speziell dann, wenn auch das "Königsgestirn" Jupiter dabei unsichtbar blieb. Der Herrscher unterwarf sich strengen Sühneritualen. Ein Ersatzkönig wurde auf den Thron gesetzt. Ihn sollte das Unheil treffen. Mitunter begnügte man sich mit einem Opferlamm.

Die alte Omensammlung Enuma Anu Enlil enthält auch eine Anweisung zum Studium von Mondfinsternissen. Demnach waren neben dem Erscheinungsbild des Mondes noch Tag, Stunde, Wind, Lauf und Position der Sterne festzuhalten. Aus solchen Variablen leiteten babylonische Priesterastronomen überaus komplexe Omina ab. Verfinsterte sich das ganze Gestirn, galten sie für alle Länder. Tat es dies nur zum Teil, beschränkte man das Omen auf bestimmte Regionen.

Die Aufzeichnungen reichten Generationen zurück. Sie erlaubten es, jene Perioden zu erkennen, mit denen sich bestimmte Himmelsphänomene wiederholen. Eine beobachtete Mondfinsternis kehrt nach 223 Vollmonden wieder; allerdings laufen mehrere solcher Zyklen parallel ab, so dass man nicht 18 Jahre auf die nächste warten muss.

Schließlich fühlten sich die Gelehrten sicher genug, um Könige auf kommende Ereignisse vorzubereiten: "Am 14. wird eine Finsternis stattfinden; sie ist schlecht für Elam . . ., gut für den König", hieß es etwa. Blieb der Mond bei einem solchen Ereignis hinter den Wolken, wollten die Götter die Finsternis vermeintlich nicht zeigen, wohl um den Herrscher nicht zu beunruhigen.

Alte Quellen zählen die Zeit oft ab Gründung einer Stadt oder dem Amtsantritt eines Herrschers. Kennen wir diesen Bezugstermin nicht, fällt die Datierung schwer. Zum Glück halten sie neben irdischen Ereignissen mitunter auch solche am Sternenhimmel fest - und deren Zeitpunkte lassen sich heute recht gut bestimmen.

So gelang es 1998 Vahe Gurzadyan, zwei spezielle Mondfinsternisse aus der erwähnten Omensammlung zu datieren. Jene vom 27. Juni 1954 v. Chr. soll den Tod von Schulgi, König von Ur, "angekündigt" haben. Mit ihrer Hilfe setzte der armenische Wissenschaftler schließlich die Eroberung Babylons durch die Hethiter mit 1499 v. Chr. fest; eine nicht unumstrittene Hypothese. Andere Forscher führen, je nach verwendeter Jahreszählung, 1531, 1595 oder 1651 v. Chr. an.

Dem österreichischen Astronomen Theodor Ritter von Oppolzer galten Finsternisse überhaupt als vorzüglichstes Mittel, um Ordnung in die Chronologie des Altertums zu bringen. Er ließ in Wien 8.000 Sonnen- und 5.200 Mondfinsternisse zwischen 1208 v. Chr. und 2163 n. Chr. berechnen. Sein monumentaler Canon der Finsternisse erschien 1887 und fand große Wertschätzung unter Historikern.

Oppolzers Mitarbeiter Friedrich Ginzel reichte 1899 noch einen speziellen Kanon nach, der Angaben über entsprechende Himmelsereignisse in Rom, Athen, Memphis und Babylon bot. Eine der darin beschriebenen Mondfinsternisse hatte schon zu Keplers Zeiten geholfen, den Tod von König Herodes auf 4 v. Chr. zu datieren. Da ihn die Weisen aus dem Morgenland laut Matthäus-Evangelium ja noch besucht haben, müsste ihre Pilgerreise zum Jesuskind Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung stattgefunden haben.

Vielleicht waren auch diese Weisen babylonische Priesterastronomen. Sie könnten die enge Begegnung von Jupiter und Saturn in den Fischen im Jahr 7 v. Chr. als Omen für die Geburt eines Königs der Juden in Palästina interpretiert haben. Im Gegensatz zu den Babyloniern entwickelten die alten Griechen eine geometrisch orientierte Astronomie. Ihre Gelehrten wussten, dass der Mond nur in reflektiertem Sonnenlicht leuchtet und sich daher verfinstern muss, wenn die Erde in den Strahlengang tritt. Der Erdschatten zeigt sich auf dem Mond mit kreisrundem Rand. Da nur die Kugel stets solche Schattenformen produziert, führte schon Aristoteles im 4. Jahrhundert v. Chr. den Anblick von Mondfinsternissen als Beweis für die Kugelgestalt der Erde an.

Schattenspiele

Auf des kleinen Mondes Antlitz erkennen wir nur einen Teil des Erdschattens. Vervollständigen wir den sichtbaren Abschnitt im Geist zum Vollkreis, können wir die Weite des Schattens erahnen. Sein Durchmesser ist etwa zweieinhalb Mal so groß wie der des Vollmonds. Aristarch von Samos nützte dieses Verhältnis, um die Dimensionen von Sonne, Erde und Mond abzuschätzen. Die Sonne übertraf die Erde dabei um ein Vielfaches. Es schien Aristarch unlogisch, sie um die kleinere Erde kreisen zu lassen. So setzte er sie schon im 3. Jahrhundert v. Chr. in das Zentrum des Universums und kam Kopernikus damit 1.800 Jahre zuvor.

Anfang des 18. Jahrhunderts hatte sich der Kopernikanismus endgültig durchgesetzt, vor allem Dank der Kepler'schen Planetengesetze. Der Franzose Philippe de La Hire sah frühere Berichte von Finsternissen zur Vorbereitung seines Tafelwerks von 1707 durch. Offenbar dauerten sie ein bis zwei Minuten länger, als es die Geometrie erwarten ließ. Irgendetwas schien den Erdschatten um ein Einundvierzigstel zu vergrößern.

Im 19. Jahrhundert bemühten sich viele Astronomen um die exakte Vermessung des Schattendurchmessers. Dazu hielt man das Verschwinden und Wiederauftauchen von Mondkratern fest - möglichst auf ein paar Sekunden genau. Je länger sie verfinstert blieben, desto weiter musste der Schatten sein. Sein etwas verwaschener Rand beeinträchtigte jedoch die Genauigkeit. Manchmal kamen andere Probleme hinzu. So klagte man am 15. November 1891 an der Sternwarte Prag, dass auf der Turmgalerie "die Objective, sowie sämmtliche Metalltheile beider Fernrohre fortwährend anliefen". Das Hauptinstrument "beschlug weniger; dafür war die Stellung des Beobachters am Fussboden eine höchst unbequeme".

Das laute Ansagen der Sekunden wurde überdies gestört, und zwar durch das "tactmässige Schnauben der nahen, an der eingestürzten Carlsbrücke arbeitenden, Dampfmaschine". Die von den drei Prager Astronomen ermittelten Zeiten wichen um bis zu eineinhalb Minuten voneinander ab.

Tausende gestoppte "Kraterzeiten" ergaben letztlich eine Erweiterung des Schattenradius von 2 Prozent - das sind etwa 90 km. Die brechende Wirkung der Erdatmosphäre ist dafür verantwortlich; sie täuscht gleichsam eine größere Erdkugel vor. Der Effekt schwankt von Finsternis zu Finsternis um einige Promille, was mit Variationen im Ozongehalt oder der Präsenz vulkanischer Teilchen in der Stratosphäre erklärt wird. Das Ozon "schluckt" rotes Licht und schenkt dem Schattenrand dadurch übrigens oft auch einen deutlich blauen Saum.

Um 20.50 Uhr MEZ wird der allerletzte Krater im Erdschatten verschwunden, der Mond total verfinstert sein. Obwohl ihn eigentlich kein Sonnenstrahl mehr treffen dürfte, glimmt er schwach zwischen den Sternen weiter.

Johannes Kepler sah seine erste Mondfinsternis als Zehnjähriger im Jänner 1582. Sechs Jahre später konnte er den verfinsterten Mond "durch die Aschenfarbe" erkennen und 1604 lieferte er dafür die richtige Erklärung: die Erdatmosphäre bricht ein wenig Sonnenlicht in den Schattenkegel, hellt ihn auf.

Doch dieses Sonnenlicht wurde zuvor dramatisch verändert. Die streifend einfallenden Strahlen mussten einen ungewöhnlich langen Weg durch die tiefste Schicht der Lufthülle, die Troposphäre, zurücklegen. Ähnlich wie bei einem Sonnenuntergang, aber noch viel stärker, wurde dabei das kurzwellige, blaue Licht gestreut und somit weggefiltert. Übrig ist vor allem Rot geblieben. Es verleiht dem verfinsterten Mond die eigentümliche Farbe.

Typischerweise kommt bei diesem Prozess bloß ein Sechstausendstel der normalen Sonnenstrahlung durch. Doch dieses Restlicht kann noch Zehnerpotenzen schwächer sein. Der Franzose André Danjon wollte 1920 einen Zusammenhang mit der Sonnenaktivität gefunden haben. Neue, kritische Analysen negieren das.

Sicher reagiert die Mondhelligkeit aber auf heftige Vulkanausbrüche. Dabei werden gewaltige Mengen Staub in die Stratosphäre geblasen und dort global verteilt. Sie behindern die Sonnenstrahlen auf ihrem langen Marsch durch die Lufthülle, machen den Erdschatten dunkler.

Hellere Finsternisse bezaubern hingegen oft mit ihrem Farbenspiel. Der Mond kann rotbraun, ziegelrot, kupferrot, orangerot, orange oder sogar gelblich schimmern. Manche Beobachter haben auch schon ein "Blassgold" oder "Pfirsichblütenrosa" geortet. Die von Danjon vorgeschlagene fünfteilige Farb- und Helligkeitsskala reicht für das komplexe Erscheinungsbild jedenfalls nicht immer aus.

Johannes Kepler war in seiner Erzählung Mondtraum um Perspektivenwechsel bemüht. Er schilderte erstmals eine Mondfinsternis aus der Sicht von Mondbewohnern. Tatsächlich muss deren Ausblick faszinierend sein.

Lichtring

Man stelle sich selbst inmitten der in schwaches Rotlicht getauchten Mondlandschaft vor. Am sternenübersäten Himmel hängt die Erde wie ein dunkler, schwarzer Schild. Die Sonne ist dahinter verschwunden, beleuchtet nur ihre abgewandte Seite. Im Gegenlicht strahlt die Lufthülle am Erdrand rot auf. Dieser Lichtring umspannt den ganzen Planeten. Er entsteht über der irdischen Tag-Nacht-Grenze.

Nur wo Wolkentürme höher als sechs Kilometer aufragen, ist das schmale Gebilde durchbrochen. So prägt das lokale Wettergeschehen auf Erden die Helligkeit der Finsternis mit: Zirrus- und vor allem Stratus-Wolken schwächen die Sonnenstrahlen auf dem Weg in den Erdschatten, verdüstern ihn.

Der Schatten hat dem Trabanten unvermutet Kühle gebracht. In Keplers Mondtraum nützen das Dämonen und ausgewählte Erdlinge, um, geschützt vor der sengenden Sonne, die Reise zum Erdbegleiter anzutreten. Wie die Infrarotmessung während einer Finsternis im Jahr 1939 ergab, stürzt die Temperatur des Mondbodens innerhalb weniger Minuten von etwa 100 auf minus 90° C. Fels würde langsamer auskühlen. So wusste man bereitslange vor den ersten Mondflügen, dass unser Begleiter von Staub bedeckt ist. Er stammt vom Einschlag unzähliger Meteorite.

Ab 21.52 Uhr MEZ ist die totale Phase vorbei, das lunare Thermometer klettert wieder. Der Schatten wandert mit "Sieben-Meilen-Stiefeln" über den Mond, lässt in jeder Sekunde rund einen Kilometer hinter sich. Nachdem sich Krater um Krater aus dem Schatten geschält hat, strahlt der Vollmond ab 22.59 Uhr wieder unbeschadet auf uns herab. Erst im Mai 2003 wird er erneut "bluten".

Freitag, 29. Dezember 2000

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