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Unternehmer greifen nach den Sternen

Die Privatisierung des Weltalls

Von Rainer Kayser

Fauchend erhebt sich das kegelförmige Ungetüm in die kühle Morgenluft über der Mojave-Wüste. Rund zwanzig Meter steigt es auf, getragen von einem raketengetriebenen
Rotor. Dann beginnt das seltsame Fluggerät, sich vorwärts zu bewegen, schneller und schneller, bis es schließlich mit 85 km/h über die Startbahn des Versuchsgeländes hinwegdonnert.

Auf den ersten Blick mag dieser knapp vier Minuten währende Flug des „Roton Atmospheric Test Vehicles" (ATV) der Firma Rotary Rocket wenig beeindrucken. Und doch: Vielleicht wird daraus der zweite
Aufbruch der Menschheit ins All. Denn das mit zwei Piloten bemannte ATV ist das erste von einem Privatunternehmen gebaute Raumfahrzeug, das vom Boden abhob. Mit einem revolutionären Konzept hofft
Rotary Rocket, sich einen großen Anteil des wachsenden Marktes für den Start von Kommunikationssatelliten zu sichern. Bereits in zwei Jahren, so Rotary-Chef Gary Hudson, soll die Roton-Rakete
regelmäßig ins All fliegen. Sein Unternehmen könnte dann zu einer milliardenschweren Goldgrube werden · wenn es Rotary tatsächlich gelingt, die Startkosten konventioneller Raketen von bis zu 20.000
Dollar pro Kilogramm Nutzlast deutlich zu unterbieten.

Raketen-Hubschrauber

Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Roton vollständig wiederverwendbar und soll, ähnlich wie ein Verkehrsflugzeug, nach kurzer Wartung erneut starten können. Ein neuartiger Antrieb, bei dem die
Fliehkraft in schnell rotierenden Düsen die Aufgabe der sonst bei Raketen üblichen, teuren und störanfälligen Turbopumpen übernimmt, soll die 20 m hohe, 7 m durchmessende Roton-Kapsel ins All tragen.
Beim Wiedereintritt in die Atmosphäre entfaltet sich an der Spitze des Raumschiffs eine Art Hubschrauber-Rotor. An den Enden der Rotorblätter angebrachte Raketentriebwerke geben dem Rotor
zusätzlichen Schwung · so ist eine weiche Landung der Roton an jedem beliebigen Ort möglich.

Um das Roton-Konzept noch attraktiver zu machen, soll das Raumfahrzeug grundsätzlich mit einer zweiköpfigen Besatzung ins All fliegen, denn nur Menschen können Wartungsarbeiten an defekten Satelliten
direkt vor Ort durchführen. Außerdem, so ist Hudson überzeugt, reagieren menschliche Piloten besser auf unvorhergesehene Situationen als ein automatisches System. Kritiker sehen in der Besatzung
allerdings eher einen Schwachpunkt des Roton-Konzepts: Bei bemannten Raumflügen sind die Sicherheitsanforderungen erheblich höher · und dadurch werden die Flüge wiederum teurer.

Konkurrenzfirmen wie Kistler Aerospace verzichten daher auf eine Besatzung und setzen auf eher konventionelle Konzepte. So soll Kistlers zweistufige „K-1" zwar auch wiederverwendbar sein. Ihre beiden
Raketenstufen werden aber von altbewährten russischen Motoren angetrieben und kehren an Fallschirmen zur Erde zurück.

Die Nase vorn beim Kampf nichtstaatlicher Unternehmen um den Satellitenmarkt hat gegenwärtig das Konsortium „SeaLaunch", das Satellitenstarts von einer im Meer schwimmenden Plattform anbietet.
SeaLaunch setzt zwar · technisch wenig aufregend · auf die altbewährte Technik der Wegwerfraketen. Dafür ist das Konsortium ein Musterbeispiel für internationale Zusammenarbeit: Die beiden ersten
Raketenstufen stammen aus der Ukraine, die dritte Stufe aus Russland. Zusammengebaut werden die Raketen in den USA von der Firma Boeing. Die schwimmende Startplattform schließlich wurde von einer
norwegischen Reederei gebaut.

Um die Startkosten zu senken, befindet sich die Plattform genau am Äquator: Dort liefert die Erdrotation den Raketen den meisten zusätzlichen Schwung · so lässt sich Treibstoff sparen. Am 10. Oktober
letzten Jahres hievte erstmalig eine SeaLaunch-Rakete einen Fernsehsatelliten in die Erdumlaufbahn. Und die Auftragsbücher des Unternehmens sind voll: Bis zum Jahr 2003 sind bereits 19 weitere Starts
gebucht.

Doch während SeaLaunch auf Gewinnkurs ist, kriselt es bei Firmen wie Rotary Rocket und Kistler. Die Entwicklung neuer Raumfahrzeuge kostet nämlich zunächst einmal viel Geld · und die Investoren
halten sich vorsichtig zurück. Ein herber Rückschlag für die Branche war dabei der Konkurs von Iridium. Dieses Konsortium unter der Führung von Motorola hatte sich den Aufbau eines globalen
Satellitentelefon-Netzes vorgenommen. Über 5 Mrd. Dollar investierte Iridium, über 70 Satelliten wurden in den Orbit geschossen, das Netz funktionierte · doch die Kunden blieben aus. Statt der
erwarteten 500.000 meldeten sich gerade einmal 20.000 Benutzer an.

Nun wächst die Sorge, dass auch andere Firmen wie Globalstar und Teledesic ihre Pläne für Satellitennetze aufgeben · und gerade dies ist die erhoffte Stütze des Marktes für Raketenstarts: Mit
mehreren hundert Starts wurde für das kommende Jahrzehnt allein für die Satellitenkommunikation gerechnet.

Geoffrey Hughes, einer der Manager von Rotary Rocket, mag trotzdem nicht von einer „Iridium-Krise" sprechen: „Es fehlt lediglich an Investoren mit Mut und Voraussicht. Die Zukunft liegt nun einmal
in der drahtlosen Kommunikation." Insbesondere in den Entwicklungsländern wird es nach Hughes Auffassung gar nicht erst zum Aufbau eines erdgebundenen Telefonnetzes kommen: „Dort wird man
sofort zur Satellitenkommunikation springen!"

Touristen im Weltall

Neben der Telekommunikation könnte ein anderer Markt in den kommenden Jahren zur Hauptstütze der kommerziellen Raumfahrt werden und so für die Menschheit das Tor zum All neu aufstoßen: der
Tourismus. Rund 5.000 Mrd. Dollar werden weltweit Jahr für Jahr für Reisen ausgegeben · und die Nachfrage nach exotischen, abenteuerlichen Reisezielen wächst. Schon jetzt besuchen Zehntausende von
Touristen jedes Jahr die Antarktis. Warum nicht schon bald auch ein Hotel in der Erdumlaufbahn?

Vor zwei Jahren erklärten bei einer Umfrage 42 Prozent der befragten Amerikaner, sie wären bereit, für eine zweiwöchige Urlaubsreise ins All über 10.000 Dollar auszugeben. Kaum ein Experte bezweifelt
denn auch, dass die Nachfrage gewaltig ist · was fehlt, sind die Anbieter. Die Entwicklung sowohl billiger als auch sicherer Raumtransporter für Touristen ist bislang für potente Investoren aus der
Luftfahrt- und der Tourismus-Branche offenbar ein zu großes Risiko.

Um den Markt in Schwung zu bringen, gründete eine Gruppe amerikanischer Raumfahrt-Enthusiasten im Mai 1996 in St. Louis die Stiftung „X-Preis": 10 Mill. Dollar soll jenes Unternehmen gewinnen, das
als erstes ein Raumfahrzeug mit drei Menschen an Bord in mindestens 100 km Höhe schießt · und das zweimal innerhalb von 14 Tagen.

Der X-Preis lehnt sich an jene Preise an, die Anfang dieses Jahrhunderts die Luftfahrt auf Touren brachten. So rief in den zwanziger Jahren der mit 25.000 Dollar dotierte Orteig-Preis insgesamt neun
Versuche hervor, den Atlantik im Non-Stop-Flug zu überqueren, bevor schließlich 1927 Charles Lindbergh, von der Presse zuvor als „fliegender Narr" verspottet, das Rennen machte.

16 Firmen aus Amerika und Europa haben sich bereits als Wettbewerbsteilnehmer registrieren lassen und arbeiten an unterschiedlichen Konzepten, um Passagiere in den Weltraum zu bringen · und sei es
nur für wenige Minuten bei einem „suborbitalen" Parabel-flug bis zur geforderten Mindesthöhe. Und immerhin jede Dritte dieser Firmen ist bereits dabei, Teile der Fluggeräte zu bauen und zu testen.
„Wir rechnen damit, dass der Preis bereits in den Jahren 2000 oder 2001 gewonnen wird", erklärt Gregg Maryniak, einer der Direktoren der X-Preis-Stiftung.

Die ersten Flüge werden teuer sein. So kostet das Ticket für einen Parabelflug bis in 100 km Höhe mit dem „Raumkreuzer" der Zegrahm Space Voyages satte 98.000 Dollar. Zegrahm nimmt bereits
Reservierungen entgegen · tatsächlich sind schon über 500 Tickets verkauft. Ab Dezember 2002 soll das Schiff mit zwei Piloten und jeweils sechs Passagieren an Bord starten.

Auch Luftreisen waren einst ein teures Vergnügen für Reiche · heute erheben sich in jeder Minute weltweit fast 10.000 Menschen mit einem kommerziellen Flugzeug in die Lüfte. Auf eine ähnliche
Entwicklung setzen die privaten Raketenentwickler auch für den Weltraumtourismus. Außerdem hoffen sie auf „Spin-offs": Die für den X-Preis entwickelten Techniken könnten auch für andere Bereiche
interessant sein, etwa für den interkontinentalen Flugverkehr. Mit den Suborbital-Flugschiffen wäre jeder Ort auf der Erde in nur 45 Minuten zu erreichen · im Zeitalter der Globalisierung ein
verlockendes Angebot für von Zeitnot geplagte Manager.

Hotels im Orbit

So reizvoll Parabelflüge an die Grenze des Weltalls für abenteuerhungrige Erlebnisurlauber aber auch sein mögen, sie sind doch nicht mehr als ein erster zaghafter Schritt auf dem Weg zu
Ferienreisen ins All. Der zweite Schritt ist die Errichtung von Hotels in der Erdumlaufbahn. Einer, der diesen Schritt wagen will, ist der vielfache Milliardär Robert Bigelow, Eigentümer der
Hotelkette Budget Suites of America. Mit einem Startkapital von 500 Mill. Dollar schuf er die „Bigelow Aerospace", deren Expertenteams Blaupausen für Orbitalhotels und Industrieparks im All
entwickeln und für ein Kreuzfahrtschiff mit Kabinen für 100 Passagiere, das permanent den Mond umkreisen soll.

Doch Bigelow besitzt genügend Realitätssinn, um zu wissen, dass es noch ein langer Weg bis zur Realisierung dieser Visionen ist. Damit seine Investitionen sich schon früher rechnen, entwickeln seine
Ingenieure aufblasbare Module für die Internationale Raumstation ISS. Die Module sollen dann an Wissenschaftler vermietet werden.

Tatsächlich denkt auch die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA inzwischen laut über die Privatisierung der Raumfahrt nach. So könnte etwa die Internationale Raumstation ISS einem privaten Träger
überantwortet werden, drohen doch die stetig steigenden Kosten der Station den Etat der NASA für Forschungsmissionen und Raumteleskope aufzufressen. Am liebsten würde NASA-Chef Daniel Goldin sich
sogar ganz aus dem erdnahen Weltraum zurückziehen: Die NASA sollte sich, so Goldin, wieder ausschließlich der Forschung widmen und alles andere den Kräften des Marktes überlassen.

Doch selbst in den Tiefen des Alls sind NASA und andere staatliche Weltraumorganisationen nicht mehr vor der Konkurrenz privater Unternehmer sicher. So will beispielsweise die amerikanische Firma
TransOrbital im Dezember 2000 die Sonde „TrailBlazer" zum Mond schießen, die mehrere Monate lang Bilder der Mondoberfläche liefern soll · mit einer Auflösung, bei der selbst die Spuren der Mondrover
aus der Apollo-Ära zu erkennen sind. Noch weiter hinaus will James Benson: Seine Firma SpaceDev will in Kürze kleineren Nationen und interessierten Unternehmen kostengünstige Flüge nicht nur zum
Mond, sondern auch in den interplanetarischen Raum anbieten. Vor zwei Jahren gegründet, ist SpaceDev inzwischen ein florierendes Unternehmen mit über 70 Mitarbeitern und mehreren Tochterfirmen, das
Bauteile für Satelliten und Antriebsaggregate für Sonden entwickelt.

Bergbau auf Asteroiden

Ein weiteres Ziel von Benson ist es, in wenigen Jahren seine eigene Raumsonde auf einem Asteroiden landen zu lassen und Anspruch auf die dort vorhandenen Rohstoffe zu erheben. Der von SpaceDev
entwickelte „Near Earth Asteroid Prospector (NEAP)" soll vielleicht schon 2002 zu dem einen Kilometer großen Asteroiden Nereus fliegen, der seine Bahn zwischen der Erde und dem Mars zieht.

Die Astronomen vermuten, dass der kleine Himmelskörper einen hohen Anteil an Wasser enthält · und Wasser ist im All ein wertvoller Stoff, nicht nur weil es zur Versorgung späterer bemannter Missionen
nötig ist, sondern, mehr noch, weil sich aus Wasser leicht Raketentreibstoff · Wasserstoff und Sauerstoff · gewinnen lässt. Auch andere wertvolle Rohstoffe hofft James Benson auf Nereus zu finden.
„Selbst ein kleiner Asteroid enthält natürliche Ressourcen, die, auf der Erde gefunden, einen Wert von über 1.000 Mrd. Dollar hätten", schwärmt der Raumfahrtunternehmer.

Benson hofft, mit NEAP einen Präzedenzfall zu schaffen, mit dessen Hilfe die Eigentumsrechte privater Firmen im All geklärt werden können · und so der kommerziellen Raumfahrt zu einem Aufschwung zu
verhelfen. Die internationalen Weltraumverträge stehen, so Benson, einem Privatbesitz von Asteroiden nicht entgegen, da sie nur die nationale Inbesitznahme von Himmelskörpern ausschließen.

Projekt Artemis

Eine Art interstellares Kolonialisierungsprojekt verfolgt Gregory Bennett. Für den NASA-Techniker war das Apollo-Programm nicht der Höhepunkt, sondern der absolute Tiefpunkt des amerikanischen
Raumfahrtprogramms: „Apollo zeigte, dass die Raumfahrt nicht mehr ist als ein Spielball der Politik · die Schaffung von Weltraumkolonien stand niemals auf dem Plan der NASA!"

Über 27 Jahre ist es her, dass der Letzte von insgesamt zwölf Menschen auf dem Mond herum spazierte. Heute ist die NASA vollauf mit dem Bau der Raumstation ISS beschäftigt, bemannte Flüge zum Mond
stehen selbst für die ferne Zukunft nicht auf dem Plan. Doch wenn es nach Bennett geht, dann werden schon in wenigen Jahren wieder Menschen den Erdtrabanten betreten · und diesmal, um zu bleiben. Vor
fünf Jahren gründete Bennett mit gleich gesinnten Mond-Enthusiasten die „Internationale Artemis Gesellschaft", die sich die Einrichtung einer permanenten, sich selbst versorgenden Mondstation zum
Ziel gesetzt hat. Finanziert werden soll das Vorhaben · 1,5 Mrd. Dollar werden veranschlagt · durch, wie Bennett es nennt, „schamlosen Kommerzialismus". Über eine eigens gegründete „Lunar
Resources Company" werden schon heute Souvenirartikel verkauft, gemeinsam mit einem Verlag wird das „Artemis Magazine" herausgegeben. Und von Anbeginn an soll Tourismus eine Hauptrolle bei der
Besiedlung des Erdtrabanten spielen. Bennett hofft auf die Erschließung großer Höhlen im Mondboden: „Dort oben hat man nur ein Sechstel des irdischen Gewichts", schwärmt er. „Sie können sich
zum Beispiel Flügel umschnallen und durch die Höhlen fliegen!"

Freitag, 28. Jänner 2000

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