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In der Nacht vom 17. zum 18. November treffen die Partikel des Leonidenstromes auf die Erde

Leuchtgewitter am Firmament

Von Christian Pinter

Hunderttausende Lichtblitze schossen in der Nacht des 13. November 1833 über den Himmel Amerikas. Der Widerschein war manchmal so grell, dass er Menschen aus dem
Schlaf riss. Überrascht rannten sie auf die Straße, blickten fassungslos hoch. Mit dem Zählen der „herabfallenden Sterne" kam man nicht mehr nach.

Obwohl diese jeweils nur Zehntelsekunden aufleuchteten, eilten bis zu 20 gleichzeitig über den Himmel. Man verglich ihre Zahl mit der Hälfte der Flocken während eines Schneesturms. Manche Betrachter
wunderten sich, dass am nächsten Abend überhaupt noch Gestirne am Firmament hingen.

Prediger zitierten mahnend aus dem Evangelium des Matthäus und der Apokalypse des Johannes: beide lassen vor dem jüngsten Gericht die Sterne herabstürzen. Einige Menschen starben vor Aufregung.
Wissenschaftler suchten nach Erklärungen. Manche spekulierten mit dem Wasserstoffgas erfrorener Pflanzen, das sich hoch droben entzündet hätte, oder machten elektrisch geladene Luft verantwortlich.
Nur wenige wähnten die Ursache im Weltraum. Denn als Störenfriede der perfekten Himmelsordnung hatte schon die Antike solche Leuchterscheinungen zum bloßen Phänomen der irdischen Luft degradiert,
sie, ähnlich den Wolken, der Meteorologie überantwortet. Die Bezeichnung „Meteore" spiegelt dies wider.

Mitte August huschen jedes Jahr vermehrt Meteore übers Firmament. Doch richtige Meteorstürme waren den Gelehrten bis 1833 praktisch unbekannt. Auch Denison Olmsted, Professor für Mathematik an
der Yale-Universität von New Haven, Connecticut, verfolgte das Schauspiel fasziniert. Er bemerkte, dass die Meteore vom Hals des Löwen ausstrahlten. Und als das Sternbild im Lauf der Nacht höher
kletterte, bewegte sich auch dieser Radiant mit. Offenbar, schloss er, kamen die Meteore sehr wohl aus dem All. Dort mussten sie sich auf parallelen Bahnen bewegt haben. Doch so, wie sich die beiden
Ufer eines Stroms in der Ferne zu treffen scheinen, ließ die Perspektive auch die himmlischen Leuchtspuren vermeintlich vom gleichen Punkt aus in alle Richtungen zielen.

„Snuppen"

Olmsted glaubte an eine dünne Materiewolke im All, „nebelhaft" wie der Schweif eines Kometen, deren Teilchen in dieser Nacht in der Lufthülle „verbrannt" wären. Die Wolke musste klein sein. Denn
als Stunden zuvor Nacht über Europa herrschte, war den Menschen dort noch nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Dafür hatten sie exakt ein Jahr zuvor über viele Sternschnuppen gestaunt, wie unter
anderem ein Bericht aus Tirol erzählte.

Die Bezeichnung „Sternschnuppe" hatte sich im Deutschen seit dem 18. Jahrhundert eingebürgert. „Snuppe" hieß das abgeschnittene, verkohlte Ende des Kerzendochts, weil man das Putzen des Lichts mit
dem Schnäuzen der Nase, dem „Schnuppen" verglich. Im Volksglauben betrachtete man Sternschnuppen mitunter sogar als Putzreste der Sterne.

Das Schauspiel von 1833 weckte das Interesse der Astronomen. Zunächst durchforsteten sie alte Berichte nach ähnlichen Vorkommnissen. So hatte etwa Alexander von Humboldt einen gewaltigen Meteorsturm
im November 1799 über Venezuela beobachtet und sich dort von Indianern vom „Sternenregen" des Jahres 1766 erzählen lassen.

Chroniken hielten derartige Erscheinungen bis zurück ins Jahr 902 fest. Yale-Professor Hubert Newton analysierte diese und fand, dass der Novemberschauer früher oft im Abstand von 33 Jahren
wiedergekehrt war. Daher sagte Newton das erneute Erscheinen für 1866 voraus.

„Tempel-Tuttle"

Gleich zu Jahresbeginn meldeten Ernst Tempel und Horace Tuttle einen Kometen, den man später „Tempel-Tuttle" taufte. Für Tuttle war es nicht der erste Fund. So hatte er bereits 1862 mit dem US-
Amateur Lewis Swift einen anderen Schweifstern, heute „Swift-Tuttle" genannt, entdeckt. In Mailand untersuchte Giovanni Schiaparelli die alljährlichen Augustmeteore. Da sie aus dem Sternbild Perseus
auszustrahlen schienen, schenkte er ihnen den Namen „Perseiden". Außerdem gelang es ihm, ihre Bahnen in den Raum zurück zu rechnen. Offenbar teilten sie sich den Orbit mit Swift-Tuttle, waren Materie
dieses Kometen.

Im November 1866 brüllte dann erneut der Himmelslöwe, schickte zehntausende Meteore übers Firmament. Wieder gelang es Schiaparelli, die Raumbahn festzulegen. Der Franzose Urbain Leverrier arbeitete
am gleichen Problem und der Österreicher Theodor Ritter von Oppolzer analysierte den Orbit des Kometen Tempel-Tuttle. Auch hier fand sich schließlich verblüffende Übereinstimmung. Komet und
Sternschnuppen hatten die gleichen Bahnelemente. Die Novembermeteore wurden nun nach ihrem Radianten im Löwen (lat. leo) „Leoniden" getauft.

1867 legte Edmund Weiß, später Direktor der Wiener Sternwarte, eine Liste mit 33 erdnahen Kometen vor. Man war optimistisch, bald zu allen Meteoren passende Schweifsterne ausfindig machen zu können.
Doch die für 1899 vorhergesagte Wiederkehr der Leoniden blieb aus. Zweifel an der Rechenkunst der Astronomen wurden laut und das Interesse an Meteoren schwand. Kaum jemand nahm von den kurzen
Schauern der Jahre 1900 und 1901 Notiz und nur wenige ahnten, dass Störungseinflüsse der Planeten Saturn und Jupiter die Raumbahn der Leoniden verändert hatten. Auch im November 1932 tat sich
vergleichsweise wenig. Der 33-jährige Sturmrhythmus schien Geschichte und auch der Komet selbst war verschollen.

Erst 1965 ging Tempel-Tuttle den Astronomen wieder ins Netz. Im gleichen Jahr meldeten sich die Leoniden mit wenigen, aber hellen Vertretern zurück und ein Jahr später kam es über Amerika sogar zum
Sturm mit 15.000 Sternschnuppen pro Stunde.

Kometen sind bloß wenige Kilometer kleine Konglomerate aus Eis, Staub und Stein. Auf lang gezogenen Ellipsen benötigen sie Jahre bis Jahrhunderte für einen Sonnenumlauf. Im kalten, fernen
Bahnabschnitt sind sie unauffällig und für uns unsichtbar. Erst in Sonnennähe erwachen sie. Eingeschlossenes Eis wird erwärmt, schießt als Gas durch Risse der Kometenkruste. Dabei reißt es
Staubteilchen und mitunter auch größere Steintrümmer mit. Rasch bildet sich im Vakuum eine mächtige Hülle um den Kometenkern. Der Staub reflektiert Sonnenlicht, lässt den Himmelsvagabunden ein paar
Wochen lang in irdischen Teleskopen sichtbar werden. Bei jedem Besuch verliert er ein paar Promille seiner Masse. Der Kern besitzt kaum Anziehungskraft.

Größere Steinchen werden mit geringerer Geschwindigkeit freigesetzt, bleiben in seiner Nähe. Leichte Partikel erfasst der Strahlungsdruck der Sonne, treibt sie fort. Nach vielen Umläufen sind
Millionen Tonnen Material über den gesamten Kometenorbit verstreut. Bei einem Bahnumfang von Milliarden Kilometern ist die resultierende Dichte freilich gering: zwischen sandkornkleinen Fragmenten
erstrecken sich hunderte Kilometer Leere.

Kosmische Vagabunden

Mehr als ein Dutzend solcher Wolken, Auflösungsreste verschiedener Kometen, durcheilt die Erde beim Lauf um die Sonne. Wenn der Silikatstaub in unserer Lufthülle verglüht, sehen wir Sternschnuppen
über den Himmel ziehen. Die einzelnen Meteorströme ereignen sich jedes Jahr zum gleichen Termin, dauern einige Tage und fallen vergleichsweise bescheiden aus.

Tempel-Tuttle pendelt alle 33,25 Jahre zwischen den Sphären der Erde und des fernen Uranus hin und her. Auch er hat seine Auflösungsprodukte in einer Staubwolke verteilt. Diese passieren wir jedes
Jahr Mitte November und registrieren dann zumindest ein paar Leoniden am Sternenzelt.

Doch in der Nähe des Kometenkerns ist die Teilchendichte viel größer. Ein paar hundert Tage vor und nach seinem Besuch in Sonnennähe durchdringen wir genau diese Zone. Dann sieht man oft
Novemberschauer mit über 100 Sternschnuppen pro Stunde. Geraten wir in die allerdichteste Region, ist sogar ein richtiger Sturm mit stündlich über 1.000 Meteoren möglich.

Unsere Erde schießt mit 30 km/sec dahin. Staub verschiedener Meteorströme trifft sie aus unterschiedlichsten Richtungen. Die Kollisionsgeschwindigkeiten variieren daher zwischen 11 und 72 km/sec. Die
Leoniden kommen uns frontal entgegen. Wenn es mit über 255.000 km/h in die Lufthülle eintaucht, besitzt ein Zehntel Gramm Silikatstaub ähnlich viel Bewegungsenergie wie ein 1.000 kg schwerer Pkw bei
Tempo 80. Etwa 1 Promille dieser Energie wird zu Licht: schon winzige Eindringlinge produzieren auffällige Leuchterscheinungen. Auch Feuerkugeln, die kurz heller als die glänzendsten Sterne und
Planeten erstrahlen, sind selten größer als Walnüsse.

Einen Millimeter groß

Kaum einen Millimeter messen jene rasenden Teilchen, die für die Mehrzahl der Sternschnuppen verantwortlich zeichnen. In rund 100 km Höhe komprimieren und erhitzen sie die dünne Luft. Im heißen
Gas bewegen sich Atome rasch, kollidieren häufig miteinander. Dabei geraten ihre Elektronen kurzzeitig auf höhere Bahnen. Beim Rücksturz wird Licht ausgesandt. Unzählige dieser Lichtblitze bewirken
auf 20 bis 30 km Fluglänge die sichtbare Meteorerscheinung. Besonders energiereiche Projektile ionisieren außerdem die Luft im Schusskanal. Dabei werden Elektronen gänzlich vom Atomkern fortgerissen,
vereinen sich später mit anderen Atomen. Wieder entsteht Licht. Deshalb ziehen helle Meteore oft eine schwach glimmende Leuchtspur hinter sich her. Diese Meteorschweife bleiben Sekunden bis Minuten
lang sichtbar, werden schließlich vom Wind verblasen.

Die schnellen Leoniden setzen zehnmal mehr Energie frei als gleichgroße Partikel langsamer Meteorströme. So entstehen überdurchschnittlich viele gleißende Meteore. Deren Schein regt auch die
farbempfindlichen Zapfen unserer Netzhaut an; wir nehmen dann blaue oder grünliche Töne wahr. Starke Ionisation malt häufig nachleuchtende Schweife an den Himmel. Bis zum Erdboden kommen Leoniden
keinesfalls. Die kometaren Teilchen sind viel zu porös, überstehen die Höllenfahrt nicht.

Zuletzt kehrte Tempel-Tuttle im Februar 1998 in Sonnennähe zurück. Die Erde durchstieß seine Bahnebene am Abend des 17. November und Astronomen hofften auf einen neuerlichen Meteorsturm. Doch zum
Zeitpunkt des erwarteten Maximums geschah wenig. Die Erde hatte die interessanteste Zone des kosmischen Sandsturms verfehlt. Nur die Betreiber der 500 aktiven Erdsatelliten waren nicht enttäuscht:
keine einzige ihrer teuren Maschinen wurde von rasenden Partikeln beschädigt.

Allerdings tauchten bereits 16 Stunden vor dem kritischen Termin Meldungen begeisterter Beobachter im Internet auf. Sie schwärmten von bis zu 250 Meteoren pro Stunde, viele davon strahlend hell.
Offenbar hatte die Erde ein älteres Wolkenstück getroffen, in dem sich außergewöhnlich große Fragmente befanden. Das Erscheinungsbild erinnerte an die prächtigen Feuerkugeln im November 1965, die
gleichsam den spektakulären Sturm des Folgejahrs angekündigt hatten. Das gab Hoffnung für einen zweiten Anlauf.

Keine Garantie für

Sternschnuppen

Wie eine Sonde taucht die Erde durch die kometare Schuttwolke. Die Zahl der sichtbaren Meteore am Himmel gibt Aufschluss über die lokale Materiedichte. Doch das exakte Bewegungsverhalten der
Partikel bleibt unbekannt. Individuelle Eigengeschwindigkeiten, Planetenstörungen, vor allem aber der Strahlungsdruck der Sonne sorgen für Veränderung. Erreicht die Erde den Strom erneut, hat sich
der Aufenthaltsort der stärksten Konzentration schon wieder ein klein wenig verschoben.

Bei den Leoniden bildet reiches, junges Material einen Schlauch von hunderten Millionen Kilometer Länge · aber wahrscheinlich nur 35.000 km Breite. Ein derart schmales Ziel ist im All leicht zu
verfehlen. Nur wenn die Erde genau trifft, ist Meteorsturm angesagt. Schießen wir knapp vorbei, gibt es wenigstens noch einen schönen Schauer. Ist die Abweichung zu groß, bleibt der Himmel ruhig.
Meteorprognosen sind schwierig, für ihre Unzuverlässigkeit geradezu berüchtigt. Garantie gibt es also keine, wenn wir die Bahnebene des Tempel-Tuttle in der Nacht vom 17. zum 18. November 1999
abermals durcheilen. Zumindest theoretisch finden Beobachter in Europa und Nordafrika ideale Bedingungen vor. In Ostösterreich klettert der Radiant im Löwen gegen 22.30 Uhr über den Horizont. Zwei
Stunden später verabschiedet sich der störend helle Mond. Der orbitale Durchstoß geschieht um 3 Uhr morgens. Die stärkste Teilchenkonzentration mag allerdings auch etwas außerhalb der kometaren
Bahnebene liegen; der Zeitpunkt maximaler Meteoraktivität kann sich entsprechend verschieben. Ein etwaiger Sturm währt kurz, legt sich vielleicht nach einer halben Stunde wieder. Kommt er viel zu
früh, freuen sich Japaner. Kommt er zu spät, ist für uns bereits der Tag angebrochen. In jedem Fall sollte die Sternschnuppenaktivität vor Anbruch der Morgendämmerung deutlich zunehmen. Der
Erzeugerkomet selbst weilt gegenwärtig schon wieder eine gute Milliarde Kilometer von uns entfernt. Die Chance auf weitere Leonidenstürme sinkt deshalb von Jahr zu Jahr.

Auch das notorisch schlechte Novemberwetter reduziert die Erfolgsaussichten. Bei klarem Himmel bedarf es eines Beobachtungsplatzes weit außerhalb der Großstadt, denn die Mehrzahl der Leoniden ist nun
einmal lichtschwach. Wärmste Kleidung empfiehlt sich: schließlich ist ja auch das Wort „Schnupfen" mit der „Schnuppe" verwandt.

Freitag, 05. November 1999

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