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Ein Raumschiff wie aus dem Science-fiction-Roman

Deep Space One

Von Christian Pinter

Mit einer Flotte aus sechs revolutionären Raumschiffen bricht die NASA ins nächste Jahrtausend auf. Das New Millennium Program dient der Erprobung neuester Technologien. Premiere sollte am
15. Oktober 1998 sein, wenn Deep Space One, kurz „DS1" genannt, in den Himmel über Cape Canaveral schießt. Nicht nur der Name erinnert an Science Fiction: erstmals funktioniert der Antrieb mit
Elektrizität. Wie bei Raumschiffen aus utopischen Romanen reitet die Sonde auf einem blau glimmenden Ionenstrahl · gesteuert von einem Bordcomputer, der wie HAL 9000 aus „2001: Odyssee im Weltraum"
selbständig Entscheidungen trifft.

Auf Kurs zu einem Kleinplaneten, einem aktiven und einem „schlafenden" Kometen erprobt DS1 ein ganzes Bündel neuer Techniken. Bewähren sie sich, zählen sie wohl bald zur Standardausstattung von
Raumsonden des frühen 21. Jahrhunderts.

Von 0 auf 100 km/h

Um Ziele weiter draußen im Sonnensystem zu erreichen, muß man Raumsonden beschleunigen. Chemische Antriebe erzielen mit starkem Schub rasch hohe Geschwindigkeit. Doch nach wenigen Augenblicken ist
ihr Brennstoff erschöpft.

Deep Space One setzt auf sanfte Kraft. Zunächst werden Xenonatome mittels Elektrizität ionisiert. Ein elektrisches Feld beschleunigt dann die positiv geladenen Ionen. Sie schießen mit 110.000 km/h
aus dem 30 cm kleinen Triebwerk. Die Masse der Teilchen ist gering. Daher entsteht bloß ein Schub von 0.09 Newton. Das ähnelt dem Druck eines Blatt Papiers, das man auf die Handfläche legt.

Man würde 10.000 solcher Motoren benötigen, um mit der Kraft eines chemischen Sondenantriebs wetteifern zu können. Von 0 auf 100 km/h braucht DS1 zweieinhalb Tage. Doch im All bewirkt selbst diese
geringe Beschleunigung hohe Endgeschwindigkeit, da sie lange wirken kann. Während chemische Triebwerke rasch mit leerem Tank aufgeben müßten, kommt der Ionenantrieb mit 75 kg Xenon mehrere tausend
Stunden aus. So siegt er letztlich in punkto Effizienz. Zur Überwindung des irdischen Schwerefelds braucht DS1 freilich fremde Hilfe. Sie läßt sich von einer schubstarken Feststoffrakete ins All
hieven.

Stromsparen im All

Die elektrische Energie liefern Solarzellen. Vorgeschaltete, neue Silikonlinsen bündeln das Licht, sparen Kosten und Gewicht. Den Großteil der erzeugten 2.600 Watt verschlingt der Antrieb, der
Rest geht an Bordelektronik und wissenschaftliche Geräte.

Zahlreiche Baugruppen sind in der besonders leichten Trägerstruktur integriert. Die 1,5 m hohe DS1 bringt ohne Treibstoff nur 375 kg auf die Waage. Zum Vergleich: die Jupitersonde Galileo wiegt das
Sechsfache. Da jedes Kilogramm die Startkosten um eine Viertelmillion Schilling erhöht, macht „Abspecken" Sinn. Die NASA hält es sogar für möglich, in zehn Jahren Sonden mit bloß 25 kg zu bauen. Dazu
müßten auch die ausladenden Solarzellenträger stark verkleinert werden. Ein Teil der Elektronik von DS1 begnügt sich schon jetzt mit außergewöhnlich niedriger Spannung. Stromsparen ist auch im All
angesagt.

Zum wissenschaftlichen Instrumentarium zählt eine Miniaturkamera mit eingebautem Spektrometer. Ihre Sensoren arbeiten im visuellen, im UV- und im Infrarotbereich und gestatten Ferndiagnosen über die
Zusammensetzung der Oberflächen anvisierter Himmelskörper. Zu den Aufgaben der Kamera gehört es aber auch, Lichtpünktchen verschiedener Kleinplaneten aufzunehmen. Ihr scheinbarer Ort vor dem fernen
Sternenhintergrund ist von der aktuellen Position des Raumschiffs abhängig. Der perspektivische Effekt erlaubt DS1 die exakte, automatische Navigation.

Das Ionen- und Elektronenspektrometer widmet sich dem Sonnenwind. Dies ist ein Strom geladener Teilchen, den unser Zentralgestirn ins All bläst. In der Erdatmosphäre zeichnet er für Polarlichter
verantwortlich. Interessant, wie er mit dem Ionenstrahl der Sonde interagieren wird. Aber auch die ausgestoßenen Xenonionen selbst werden unter die Lupe genommen. Sie könnten wissenschaftliche
Messungen verzerren.

Riskante Mission

Zur Kommunikation mit der Bodenstation bedient sich DS1 erstmals des sogenannten Ka-Bands. Ein spezieller Sender erlaubt die Verwendung viermal höherer Funkfrequenzen als bisher, macht die
Übertragung größerer Datenmengen mit kleineren Antennen möglich. Das nimmt den Technikern in Zukunft manche Sorge ab. Ausladende Antennenschirme müssen beim Start gefaltet werden. Das Aufspannen im
All geht nicht immer glatt. Galileo müht sich im Jupitersystem wegen kaputter Hauptantenne mit der kleinen, langsamen Hilfsantenne ab. Zu testen ist, wie stabil der neue Sender arbeitet und wie stark
irdisches Wettergeschehen den Empfang im Ka-Band beeinträchtigt.

Beschleunigungskräfte beim Start, extreme Temperaturunterschiede, Vakuum und harte Weltraumstrahlung setzen den Komponenten von Weltraumsonden zu. Nicht alles läßt sich im Labor simulieren. Statt
teure und besonders wichtige Missionen mit unzureichend geprüften Innovationen zu gefährden, hat man bei DS1 gleich 12 davon „unter einen Hut" gepackt. Die meisten werden sich noch heuer bewähren
müssen. In spätestens zwei Jahren will man vollständige Klarheit haben, welche taugen, welche modifiziert werden müssen und auf welche man im All besser verzichtet.

Entsprechend großes Risiko trägt DS1. Ihr zunächst für Juli geplanter Start mußte wegen Problemen mit der Software um dreieinhalb Monate verschoben werden. Damit waren die ursprünglichen Flugziele ·
der Kleinplanet McAuliffe, Mars und der Komet West-Kohoutek-Ikemura · nicht mehr zu erreichen. Rasch suchte man Ausweichdestinationen, denn man wollte die neuen Verfahren unbedingt im realen
Forschungseinsatz testen. Außerdem weiß die NASA genau, wie sehr das Interesse der Öffentlichkeit von der Wahl spektakulärer Reiseziele abhängt.

Zielobjekt 1992 KD

Die Wahl fiel auf einen Kleinplaneten mit der recht prosaischen Bezeichnung „1992 KD". Sicher wird man ihm noch einen hübscheren Taufnamen geben. In der Regel folgt man dabei Vorschlägen der
Entdecker, in diesem Fall Eleanor Helin und Ken Lawrence vom Jet Propulsion Lab der NASA.

Vor 4,5 Milliarden Jahren formten sich aus kleinen Planetesimalen, den Bausteinen des Sonnensystems, die Planeten. Jupiters gewaltige Schwerkraft verhinderte, daß sich in seiner Nähe ein weiterer,
richtiger Planet bilden konnte. Zwischen Jupiter und Mars blieben daher Kleinplaneten, auch Asteroide genannt, zurück. Der größte, die Ceres, mißt 960 km.

Gegenseitige Zusammenstöße zersplitterten die Objekte. Jupiters Gravitation störte die Bahn vieler Bruchstücke, drückte sie auch ins innere Planetensystem. Winzige Fragmente fallen als Meteorite zur
Erde. Größere werden von der Lufthülle nicht mehr effizient gebremst. Sie treffen mit kosmischer Geschwindigkeit auf, hinterlassen Krater. Erdbahnkreuzer mit wenigen Kilometer Durchmesser könnten
sogar globale Katastrophen auslösen. Auch deshalb möchte man möglichst viel über Kleinplaneten erfahren.

Mit dem Vorbeiflug an 1992 KD im Juli 1999 hält die NASA dann bereits beim fünften Asteroidenbesuch. Galileo porträtierte auf dem Weg zum Jupiter 1991 die Gaspra und 1993 die Ida, stellte sie als
unregelmäßig geformte Steinbrocken von 19 bzw. 58 km Länge vor. Die Sonde NEAR steuerte 1997 Nahaufnahmen der 66 km großen Mathilde bei, deren dunkle Oberfläche hohen Anteil an Kohlenstoff verrät. Im
Februar 1999 wird NEAR in einen Orbit um Eros einschwenken.

Man darf gespannt sein, wie sich der Asteroid 1992 KD präsentiert. Sein Orbit schneidet die Marsbahn, bringt ihn alle dreieinhalb Jahre bis auf 200 Millionen km an die Sonne heran. Der geringen
Helligkeit wegen schätzt man seinen Durchmesser auf bloß 3 km. DS1 wird den winzigen Himmelskörper aus 5 bis 10 km Distanz fotografieren, Masse und Dichte bestimmen sowie die Zusammensetzung der
Oberfläche analysieren.

Verbrauchter Komet

Sollte nach dem Vorbeiflug noch genug Xenon im Tank sein, ließe sich DS1 auch auf Kurs zum Kometen Borrelly bringen. Er wurde 1904 vom Franzosen Alphonse Borrelly entdeckt und seither intensiv
studiert.

Störungen durch den Riesenplaneten Jupiter zwangen Borrelly in eine Bahn, die alle sieben Jahre in Sonnennähe führt. Dabei sublimiert jedesmal Eis des Kometenkerns zu Gas, schießt durch die Kruste
und reißt dabei Staubteilchen mit sich. Im Vakuum des Alls formt die Materie eine weite Hülle, die Koma. Im September 2001 wird DS1 das Bewegungsspiel der austretenden Gas- und Staubteilchen aus
nächster Nähe beobachten und ihr Verhalten im Sonnenwind untersuchen.

Auf dem Weg zu Borrelly zieht die Sonde im Jänner 2001 an einem höchst seltsamen Objekt vorbei. Es wurde 1949 von den Astronomen Wilson und Harrington gefunden und wegen seiner kleinen Koma als Komet
eingestuft.

1979 stöberte Eleanor Helin einen Kleinplaneten mit gleichen Bahnelementen auf. In beiden Fällen mußte es sich um den selben Himmelskörper handeln. Koma war nun keine mehr zu sehen. Auch dann nicht,
wenn sich Wilson-Harrington alle vier Jahre bis auf Erddistanz der Sonne näherte. Offenbar hatte er fast alles Eis unter seiner Oberfläche verloren, ähnelte jetzt einem 4 km kleinen Asteroiden.
Astronomen führen den Sonderling sowohl in den Kometen-, als auch in den Asteroidenverzeichnissen · und fragen sich, wieviele ihrer „Kleinplaneten" in Wahrheit alte, verbrauchte Kometenkerne sind.

Deep Space One ist nur die erste Sonde des neuen NASA-Programms. Schon im Jänner 1999 startet DS2; zwei Penetratoren bohren sich in den Marsboden und suchen dort nach verborgenem Eis. DS3 ist ein
Trio, das im Formationsflug als optisches Interferometer arbeitet. Drei Sonden simulieren ein Weltraumteleskop von 100 bis 1.000 m Durchmesser und erzielen damit eine Auflösung, die jene irdischer
Instrumente um ein Vielfaches übertrifft. In der Umgebung naher Sterne könnten sie erdgroße Planeten aufspüren.

DS4 setzt im Jahr 2005 eine Landeeinheit auf dem Kern des Kometen Tempel 1 ab und soll sogar eine tennisballgroße Materialprobe zurückbringen. Die beiden Erderkundungsmissionen EO1 und EO2 runden das
New Millennium Program ab.

Die NASA möchte bald Raumschiffe konstruieren, die nur zeitweise der Kontrolle durch die Bodenstation bedürfen. Sie träumt von einer ganzen Armada preisgünstiger, möglichst autonom arbeitender
Weltraumroboter, die im 21. Jahrhundert weite Teile des Planetensystems durcheilen und erforschen.

DS1 spielt auch hier die Vorreiterrolle. Sie sendet keine seitenlangen Kommuniqués über ihren Zustand, sondern begnügt sich mit vier simplen Codes. Die knappen Zusammenfassungen reichen von „Alles
okay" bis „Alarmstufe Rot" und sind so unkompliziert, daß man sie auf Erden selbst mit einer relativ kleinen Empfangsanlage verfolgen kann. Nur im Notfall · oder wenn wissenschaftliche Daten zum
Versand anstehen · schaltet die NASA auf die vielbeschäftigten, 34 und 70 m großen Antennen um.

Der Bordcomputer der Sonde ersetzt eine größere Crew von Technikern. Er kennt die Missionsziele, vergleicht sie mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen, leitet die nötigen Aktionen ein und
überprüft deren Erfolg. Nebenbei kümmert er sich um die Navigation und führt Kurskorrekturen durch. Selbst „unvorhergesehene" Situationen soll er rasch und sicher meistern. Irdische Funkbefehle kämen
bei DS1 sowieso erst nach mehreren Minuten an · in kritischen Momenten zu spät. Die Flugleitung braucht daher nur noch Handlungsziele, nicht jedoch detaillierte Schritte anzuweisen. Bodenpersonal und
Missionskosten werden entsprechend reduziert.

Sorry, Dave

Vor drei Jahrzehnten feierte Stanley Kubricks Kultfilm "2001 ·^ Odyssee im Weltraum" Premiere. Darin wacht ein hochintelligenter Computer namens HAL 9000 über die Missionsziele des Raumschiffs
Discovery auf Reise zum Jupiter. Nach Arthur C. Clarkes Roman ging HAL erstmals am 12. Jänner 1997 in Betrieb. An seinem fiktiven Geburtstag zog die NASA Parallelen zwischen Clarkes sprechendem
Computer und dem Bordrechner von DS1. Dieser käme „HAL 9000 bislang am nächsten", versicherte man stolz.

Science-fiction-Freunde wissen: Um seine Abschaltung zu verhindern, tötet HAL 9000 die Crew der Discovery. Der letzte Überlebende, Commander Dave Bowman, befindet sich außerhalb des Raumschiffs und
befiehlt dem Computer, die Schleuse zu öffnen. Doch HAL verweigert Dave den Gehorsam.

Fehlerhafte Kommandos haben bereits mehrmals zum Verlust von Sonden geführt. Daher kann auch der Bordcomputer von Deep Space One Befehle der Bodenstation ignorieren, wenn sie seiner Einschätzung nach
die Missionsziele gefährden. HAL's süffisantes „Es tut mir leid, Dave, aber das kann ich nicht tun", bekommt die NASA von DS1 aber hoffentlich nie zu hören.

Freitag, 09. Oktober 1998

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