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Vor 150 Jahren wurde Neptun entdeckt

Ferner blauer Planet

Von Christian Pinter

Um die Jahreswende 1612/13 studiert Galileo Galilei erneut die vier Jupitermonde, die
er drei Jahre zuvor mit seinem Fernrohr entdeckt hat. Diesmal unterscheiden sich seine
Aufzeichnungen von den Hunderten, die er bislang gesammelt hat. Denn in der Nähe
Jupiters taucht zunächst einer, am 28. Jänner noch ein zweiter Lichtpunkt auf. Galilei
hält beide für Fixsterne. Obwohl sich ihr gegenseitiger Abstand in den folgenden Tagen
ändert, mißt der Italiener keinem der beiden Gestirne Bedeutung zu.


So verspielt er die Chance, den ersten neuen Planeten seit dem Altertum zu entdecken.
Erst 1781 stößt der in England tätige Musiker und Amateurastronom Wilhelm Herschel
in den Zwillingen zufällig auf ein winziges, grünliches Scheibchen, das sich als siebenter
Planet entpuppt. Hart an der Sichtbarkeitsgrenze des freien Auges schimmernd, war
Uranus den Alten entgangen.


Doch Herschels ferner Planet verhält sich nicht so, wie es die Gesetze der
Himmelsmechanik fordern. Der spätere Königliche Astronom George Biddell Airy
klagt, daß die Uranusabweichung am Himmel bereits auf ein 60stel des scheinbaren
Vollmonddurchmessers angewachsen ist. Der Engländer ahnt nicht, daß er selbst der
raschen Lösung des Rätsels im Wege stehen wird.


Die Mathematiker Entweder gilt Newtons Gravitationsgesetz soweit draußen im All
nicht, oder eine interplanetarische Flüssigkeit bremst Uranus. Womöglich hat auch ein
schwerer Kometentreffer das Gestirn aus der vorherberechneten Bahn geworfen,
spekuliert man. 1834 äußert der Engländer Thomas J. Hussey den Verdacht, daß ein
achter, bislang unentdeckter Planet den Lauf des Uranus durch seine Anziehungskraft
stören könnte. Der Himmelsmechaniker Friedrich Wilhelm Bessel schließt sich dieser
These an. Airy reagiert hingegen skeptisch. Die Göttinger Akademie der
Wissenschaften setzt 1842 einen Preis für denjenigen aus, der die Himmelsmechanik ins
Lot zu rücken vermag.


Auch Airys Landsmann John Couch Adams, 1819 geboren und in Sachen Mathematik
hochtalentiert, glaubt an einen fernen, störenden Planeten. 1844 wendet er sich an den
Direktor der Sternwarte Cambridge, James Challis, um über dessen Vermittlung von
Airy hochpräzise Daten zur Uranusbewegung zu erhalten. Damit kalkuliert Adams
Masse und Bahn des Störenfrieds.


Im September 1845 überreicht er die Daten Challis und versucht außerdem, Airy in
Greenwich aufzusuchen. Er möchte den Königlichen Astronomen bitten, seinen
Planeten mit den Instrumenten des Observatoriums zu suchen. Doch Airy ist für Adams
nicht zu sprechen. Er kann bloß eine Kopie seiner Berechnungen hinterlegen.


Auf der anderen Seite des Ärmelkanals macht der Direktor der Pariser Sternwarte,
Fransois Arago, den 1811 geborenen Urbain Leverrier auf das Uranusproblem
aufmerksam. Der Dozent für Astronomie am Ecole Polytechnique glaubt bald ebenfalls
an Störungen durch einen unentdeckten Planeten und beginnt, dessen Orbit abzuleiten.
Im Juni 1846 legt er seine Ergebnisse in einer Schrift der Französischen Akademie vor.


Wettlauf Erst als Airy von Leverriers Arbeit erfährt, beginnt er, die Rechnungen seines
Landsmanns ernst zu nehmen. Um Adams Werk zu prüfen, bedarf es allerdings mehr
als eines raschen Blicks zum Himmel. Der hypothetische Planet kann nur ein
schwaches, fast punktförmiges Bild im Fernrohr erzeugen und dürfte sich am ehesten
durch langsame Bewegung zwischen den Fixsternen verraten.


Die Sternwarte in Greenwich besitzt keine Karte, die so schwache Vergleichssterne
zeigt. Also müßte man zunächst den Himmel im Bereich der vorgeschlagenen Position
Stern für Stern kartografieren. Später könnte dann eine zweite, ebenso mühsame
Durchmusterung die Positionsverschiebung eines dieser Gestirne zeigen und es so als
Planeten verraten - falls der vermeintliche Wandelstern überhaupt existiert.


Ein solches Unterfangen stört die Beobachtungsroutine an der Königlichen Sternwarte.
So delegiert Airy die Suche nach Cambridge. Ende Juli 1846 beginnt Challis im
winzigen Gesichtsfeld seines Teleskops alle einigermaßen deutlich sichtbaren Sterne
festzuhalten. Bei 166facher Vergrößerung stolpert er ab und zu auf ein Objekt, das sich
in Momenten ruhiger Luft etwas scheibchenhafter als die anderen Sternpunkte zeigt.
Solche Objekte markiert er zur späteren Untersuchung besonders.


Auch Leverrier stößt bei der Bitte um teleskopische Prüfung auf Skepsis. Statt die
Ergebnisse am Himmel zu testen, scheint es einfacher, die angewandten mathematischen
Methoden zu kritisieren. Selbst die Pariser Sternwarte unter Arago zögert, die Suche
nach dem fernen Wandelstern aufzunehmen.


Leverrier ist ungeduldig. Er besinnt sich des Deutschen Johann Gottfried Galle, der als
Assistent an der Berliner Sternwarte arbeitet. Im März des Vorjahres hatte Galle
promoviert und dem Franzosen seine Doktorarbeit zugesandt. Etwas verspätet bedankt
sich Leverrier brieflich bei Galle und fügte die Bitte hinzu, doch von Berlin aus nach
seinem Planeten Ausschau zu halten.


Galle erhält das Schreiben am 23. September 1846. Noch am selben Abend richtet er
das Fernrohr an die berechnete Himmelsstelle. Das deutsche Observatorium besitzt
eine von Carl Bremiker erstellte, ausgezeichnete Sternkarte, so daß die doppelte
Durchmusterung entfallen kann. Galle braucht die Position der im Teleskop
auftauchenden Lichtpunkte nur abzulesen. Assistent Heinrich d'Arrest vergleicht sie mit
den Sternen auf der Himmelskarte. Rasch stößt Galle auf ein Gestirn, das sich nicht in
der Karte findet. Eine Kontrollbeobachtung am folgenden Abend zeigt jene geringfügige
Fortbewegung, die man vom fernen Planeten erwarten muß. In nur zwei
Vollmonddurchmesser Abstand zur berechneten Position wird Leverriers Planet
tatsächlich aufgefunden.


Namensstreit Die Entdeckung wird als Meilenstein in der Geschichte der Astronomie,
später sogar als "einer der größten Triumphe menschlichen Denkens" gepriesen. In
Cambridge blättert Challis seine Aufzeichnungen durch und bemerkt, daß er den
Wandelstern schon im August festgehalten, doch nicht als Planet erkannt hatte. Spätere
Rückrechnungen der Bahn ergeben, daß er bereits mehrmals von Astronomen gesehen,
aber mit einem Stern verwechselt wurde. Auch einer der beiden "Fixsterne", die Galilei
im Jänner 1613 in der Nähe Jupiters geortet hatte, ist in Wirklichkeit jener achte Planet
gewesen.


Der Verlierer heißt Adams. Es dauert zwei Jahre, bis die Royal Society auch seine
Leistung anerkennt. Kaum ist dies geschehen, entbrennt nationalistischer Streit um den
Ruhm der Entdeckung. Um den französischen Anspruch zu unterstreichen, will Arago
den Planeten "Leverrier" nennen. Dafür gesteht er den Engländern zu, Uranus
nachträglich in "Herschel" umzutaufen.


Zum Glück einigt man sich auf den römischen Wassergott Neptun. Leverrier tritt
Aragos Nachfolge in Paris an, Adams übernimmt nach Challis Tod die Leitung der
Sternwarte in Cambridge.


Blasses Scheibchen Neptun benötigt 165 Erdenjahre, um die Sonne zu umkreisen.
Die Sonnendistanz von 4,5 Mrd. km läßt ihn selbst in den leistungsfähigsten Teleskopen
zu einem winzigen, blassen Scheibchen schrumpfen, auf dem keine sicheren Einzelheiten
auszumachen sind. Mit einem Äquatordurchmesser von knapp 50.000 km ähnelt er
Uranus und übertrifft die Erde fast um das Vierfache. Unser Planet ließe sich in seiner
Kugel 58mal unterbringen.


Neptuns Masse beträgt hingegen nur das 17fache der Erde. Sie läßt sich aus der
Bewegung des Triton ermitteln, jenes Monds, den der Brite William Lassell nur 17
Tage nach der Neptunentdeckung aufstöbert. Aus Masse und Volumen ergibt sich eine
mittlere Dichte von bloß 1,6 Gramm pro Kubikzentimeter. Salopp gesagt ist Neptun
nicht sehr viel dichter als Wasser.


Vermutlich besitzt Neptun einen bloß erdgroßen Silikatkern. Den Großteil der Masse
bildet Eis, das wiederum von einer Gashülle mit mehreren Wolkenschichten umgeben
ist. Rasche Rotation plattet Neptun an den Polen ab. Ein Neptuntag dauert bloß 16
Stunden. Taghell wird es nie. Die Sonne ist ein gleißender Punkt ohne merkbare
Ausdehnung. Sie schenkt Neptun nur ein Tausendstel jenes Lichts, mit dem sie die Erde
verwöhnt.


Das schwache, reflektierte Sonnenlicht verrät die Zusammensetzung der "Lufthülle"
Neptuns. Sie besteht zu neun Zehntel aus Wasserstoff. Der Rest ist vor allem Helium.
Methan bildet die äußerste Atmosphärenschicht und ist für Neptuns blaues Antlitz
verantwortlich.


Dynamische Welt


Unser heutiges Bild von Neptun stammt fast gänzlich von jenen
raschen Schnappschüssen, die der NASA-Sonde Voyager 2 im Jahr 1989 gelingen. Nach Vorbeiflügen an den
Gasplaneten Jupiter, Saturn und Uranus schätzt man die Chance, auch Neptun intakt zu
erreichen, geringer als 50 Prozent ein. Doch der Weltraumroboter funktioniert auch
zwölf Jahre nach seinem Start überraschend gut. Mit extremer Geschwindigkeit schießt
er am 25. August in bloß 4.900 km Abstand am Planeten vorbei. Die Funkfotos
benötigen über vier Stunden, um die Erde zu erreichen. Dann aber zaubern sie das Bild
einer dynamischen Welt auf die Monitore.


Drei Jahre zuvor starrten die Wissenschaftler auf die fast strukturlose Wolkendecke des
Uranus. Nun bestaunt man eine tiefblaue Kugel mit hellen, hochfliegenden Cirruswolken
aus Methan, die Schatten auf die 50 bis 100 km tiefer liegende Wolkenschicht werfen.
Wie auf Jupiter und Saturn ziehen sich Hoch- und Tiefdruckgebiete, auf unserem
Planeten von Bodenformationen gestört, zu dunklen Bändern und hellen Zonen
auseinander. Die parallelen Streifen umfassen den ganzen Planeten. Ein besonders
dunkles Band ziert die Südhalbkugel.


Obwohl Neptun wesentlich weiter von der Sonne entfernt ist als Uranus, sind die
atmosphärischen Temperaturen sehr ähnlich. Offenbar besitzt Neptun eine innere
Wärmequelle, die Uranus fehlt. Neptun strahlt mehr als doppelt soviel Energie ab, wie
er von der Sonne empfängt. Bereits eine geringe Veränderung dieser Energieproduktion
hat dramatische Folgen für das Wettergeschehen. Auf Neptun werden die stärksten
Stürme gemessen - mit Windgeschwindigkeiten weit über 1.000 km/h.


Auffälligstes Merkmal ist der Große Dunkle Fleck auf der Südhemisphäre, der
Neptuns Antlitz geradezu dominiert. Man könnte darin fast den Erddurchmesser
unterbringen. Voyager 2 blickt durch den gewaltigen Wirbelsturm in tiefe, dunklere
Schichten der Neptunatmosphäre. Helle Wolken umkreisen das Hochdruckgebiet.


Tritons Geysire Nicht weniger Aufregung rufen die Aufnahmen der Tritonoberfläche
hervor. Im vorigen Jahrhundert galt er als Riesenmond. Durchmesser von bis zu 6.000
km wurden damals gehandelt. Voyager 2 fixiert diesen Wert auf 2.700 km und
präsentiert eine Eiswelt voller überraschender Details.


Triton zieht in bloß sechs Erdtagen um seinen Planeten. Die Bahn verläuft gegen
Neptuns Rotationsrichtung. Das ist ungewöhnlich. Wahrscheinlich ist Triton einst von
Neptun eingefangen worden. Jedenfalls verformte seine Anziehungskraft den Mond
mehrmals, erhitzte dessen Inneres und löste eruptive Aktivität aus. Jedesmal ergoß sich
Material auf die Tritonoberfläche und erkaltete. Es formte eine erstarrte Welt mit
Hügeln, sanften Tälern, Flüssen und Seen aus gefrorenem Stickstoff, Methan- und
Wassereis.


Voyager 2 zeigt Geysire, die Stickstoff und staubiges Material 8.000 m hoch in die
dünne Atmosphäre erbrechen. Der Staub wird vom Wind fortgetragen und fällt 100 km
entfernt zu Boden. Dunkle Striche zeichnen so das eisgraue Antlitz der Südpolarregion.
Ob das schwache Sonnenlicht zur Steuerung der Geysire ausreicht oder Tritons Inneres
für die nötige Wärme sorgt, ist umstritten.


Tritonentdecker Lassell hatte 1846 vermeint, einen feinen Neptunring zu sehen. Andere
Beobachter konnten diese Sichtung nicht nachvollziehen, sodaß der Brite bald selbst an
seiner Beobachtung zweifelte. Jedenfalls wies man in den achtziger Jahren unseres
Jahrhunderts von der Erde aus bogenförmige Ringsegmente nach, die "Liberté",
"Egalité", und "Fraternité" getauft wurden.


Als Voyager 2 die flachen Materiewolken aus nächster Nähe analysiert, werden sie als
bloße Verdichtungen innerhalb von geschlossenen, sehr dunklen Neptunringen entlarvt.
Diese erhalten die Namen "Arago", "Leverrier", "Galle", "Adams" und "Lassell".
Einer der sechs Ringe bleibt ungetauft. Vermutlich entstanden sie, als große Meteorite
mit Neptunmonden kollidierten und dabei deren Materie ins All schleuderten.


Dramatischer Wechsel


Mit dem Vorbeiflug an Neptun haben die Astronomen ihr Pulver vorerst verschossen.
Ein halbes Jahrzehnt lang bleibt ihnen nicht viel mehr, als die Voyager-Bilder immer
wieder zu studieren. Das ändert sich erst, als man das reparierte
Hubble-Weltraumteleskop auf Neptun richten kann. Zur großen Überraschung ist der
große dunkle Fleck verschwunden. Dafür macht man 1995 einen neuen Wirbelsturm
auf der Nordhalbkugel aus. Auch er wird von hellen Cirruswolken aus Methaneis
umkreist. Innerhalb weniger Jahre hat der Planet sein Gesicht dramatisch verändert.
Während der Große Rote Fleck auf Jupiter seit Jahrhunderten existieren dürfte, sind
vergleichbare Wettererscheinungen auf Neptun kurzlebig.


Das Hubble-Teleskop erreicht zwar nicht die Auflösung der vor Ort gewonnenen
Voyager-Bilder, bietet dafür aber die Möglichkeit regelmäßiger Überwachung. Ein
solcher "Wettersatellit" ist wichtig, da weitere Raumfahrtmissionen zu Neptun nicht
geplant sind.


Überlegt wird ein Flug zum kleinen Pluto, der 1930 als neunter Planet in noch größerer
Sonnendistanz aufgestöbert wurde. Seine Bahnellipse ist so exzentrisch, daß sie die
Neptunbahn kreuzt. Zeitweise wurde Pluto daher sogar als "entsprungener"
Neptunmond gedeutet. Das eigentümliche Orbit bewirkt, daß Pluto der Sonne bis 1999
näher steht als Neptun. Solange ist der blaue Riese noch der fernste aller Planeten. Seit
seiner Entdeckung ist nicht einmal ein volles Neptunjahr vergangen.

Montag, 31. März 1997

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